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Kurz nach dem Fall Jess

Polizei in Herne verschwieg CSD-Übergriff wegen queer­feindlicher Bedenken

Erst misgenderte die Herner Polizei 2022 eine fast getötete 15-Jährige, nun wird bekannt: Wenige Wochen später verheimlichten die Beamten eine Attacke am Rande des CSD. Angeblich wollte man so das Opfer vor einem Outing schützen.


Die Polizei in Herne (NRW) hat ein Problem damit, öffentlich über queerfeindliche Gewalt zu sprechen (Bild: Maik Meid / flickr)

Die Polizei in Herne (NRW) hat erst jetzt bekannt gegeben, dass es am Rande des Christopher Street Day 2022 in der Ruhrgebietsstadt zu einem queer­feindlichen Übergriff gekommen ist. Der Grund für das fast einjährige Schweigen: Bei der Herner Polizei hält man die Bisexualität des Opfers anscheinend für zu brisant.

Die "Westdeutsche Allgemeine Zeitung" (Paywall) hat anlässlich der Vorstellung der Bilanz politisch motivierter Straftaten vor zwei Wochen bei der örtlichen Behörde zum Thema nachgefragt. Dabei kam der Fall aus Herne erstmals ans Tageslicht. Die Statistik des Bundeskriminalamtes für 2022 weist unter anderem einen starken Anstieg der queer­feindlichen Gewalt aus, vor allem gegen geschlechtliche Minderheiten (queer.de berichtete).

Wegen Bisexualität geschlagen

Der zweite Herner Christopher Street Day fand am 17. Juni 2022 statt. Etwa 1.000 Personen sind dabei laut Medienberichten durch die 157.000-Einwohner*innen-Großstadt gezogen. Doch für einen 22-jährigen aus dem benachbarten Marl endete der Tag wenig erfreulich. Am Herner Bahnhof soll er aus queerfeindlichen Gründen aus einer Gruppe Jugendlicher heraus körperlich angegriffen worden sein.

Die Gruppe habe demnach Auskunft über seine sexuelle Orientierung verlangt, worauf der junge Mann erklärt haben soll, bisexuell zu sein. Daraufhin sei er von mehreren Jugendlichen geschlagen worden. Er habe leichte Verletzungen davon getragen. Auch die Veranstalter*innen des CSD erfuhren erst jetzt aus der Zeitung von dem Vorfall.

Öffentlichkeitsarbeit für problematisch befunden

Die Täter*innen sind bis heute nicht gefunden. Ein möglicher Grund: Es gab keinen Fahndungsaufruf, keine Beschreibung der Verdächtigen und auch keine Meldung. Pressemitteilungen veröffentliche die Polizei "grundsätzlich nach sorgfältiger Einzelfallprüfung", rechtfertigte Polizeipressesprecher Jens Artschwanger das der "WAZ" gegenüber.

Im Fall des 22-Jährigen will man aus Gründen des Opferschutzes auf eine solche Öffentlichkeitsarbeit verzichtet haben. Warum? Weil die sexuelle Identität eines Menschen "zum absoluten Kernbereich der Privatsphäre" gehöre, begründete Artschwanger das polizeiliche Handeln. "Eine Öffentlichkeitsarbeit im engen zeitlichen Kontext zur Tatzeit zu etwaigen Vorgängen ist daher aus Gründen des Opferschutzes besonders sorgfältig abzuwägen, um Persönlichkeitsrechte der Betroffenen zu schützen, da gegebenenfalls Dritte Rückschlüsse zur Identität des Geschädigten ziehen könnten."

Erst jetzt, knapp ein Jahr später, habe man das bei Beantwortung der Anfrage der "WAZ" anders eingeschätzt und sich darum zur Übermittlung des Sachverhalts entschieden. Inzwischen sei ein Rückschluss auf den Geschädigten durch Dritte eher nicht anzunehmen, heißt es dementsprechend. Nun sei die Veröffentlichung des Falls aus polizeilicher Sicht "unproblematisch".

Erinnerung an den Fall Jess

Dass die Polizei in Herne die queerfeindliche Tat bewusst verschwieg, ist auch vor dem Hintergrund brisant, dass sie erst wenige Wochen zuvor Kritik für ihre queerfeindliche Öffentlichkeitsarbeit hatte einstecken müssen. Ende März 2022 war nämlich die 15-jährige Jess in der Ruhrgebietsstadt von drei Jugendlichen beinahe getötet worden. In der Pressemitteilung hatte die Polizei das Mädchen jedoch misgendert und sich über den naheliegenden transfeindlichen Hintergrund der Tat ausgeschwiegen (queer.de berichtete).

Und: Auch im Nachhinein hatte die Polizei an ihrer ursprünglichen Darstellung festgehalten, wonach Tatauslöser ein "Streit" mit dem Mädchen gewesen sei. Doch worüber sich die Tatverdächtigen und das Opfer gestritten haben sollen, konnte ein Polizeisprecher damals auf Nachfrage gegenüber queer.de nicht konkretisieren. Der Streit könne sich demnach auch um die Transgeschlechtlichkeit des Opfers gedreht haben. Die in der Angelegenheit ermittelnde Staatsanwaltschaft Bochum bestätigte die polizeiliche Darstellung eines Streits gegenüber queer.de später nicht (queer.de berichtete).

Auch gegenüber der "WAZ" hatte die Polizei das Misgendern der Jugendlichen damals verteidigt. Die Beamten seien aufgrund des Personalausweises des Opfers von einem männlichen Geschlecht ausgegangen. Später hatte die Mutter von Jess in der ZDF-Doku "Influencer in Uniform – Polizei und Social Media" klargestellt: Einen Ausweis hatte die 15-Jährige noch gar nicht besessen.

Pressearbeit zu queerfeindlicher Gewalt geht auch anders

Die Pressestellen der Polizei etwa in Berlin gehen dagegen mit queerfeindlichen Vorfällen ganz anders um – seit sich die queere Community erfolgreich dafür eingesetzt hatte. Die Berliner Polizei macht mögliche Hassverbrechen aufgrund der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität gezielt in ihren Berichten publik.

Sowohl die Polizei als auch die Staatsanwaltschaft in der Hauptstadt verfügen darüber hinaus über eigene Ansprechpartner*innen für LGBTI. Auch die Münchner Polizei meldet queerfeindliche Übergriffe häufig zeitnah und beschreibt Tathergang und Personen. Ansprechpersonen für LGBTI gibt es zudem bei vielen weiteren Polizeibehörden, etwa in Osnabrück oder für das Land Sachsen-Anhalt.

Ganz anders dagegen die Situation in Herne. Die "WAZ" lässt CSD-Organisator Laron Janus anlässlich des nun bekannt gewordenen Falls zum Verhältnis von queerer Community und Polizei zu Wort kommen. Janus habe demnach die persönliche Erfahrung gemacht, dass die Polizei eher ein Problem damit habe, zu begreifen, dass die sexuelle Identität "je nach Kontext nicht nur allertiefste Privatsache ist, sondern eben auch immer ein Politikum". Der Mitbegründer des Queeren Jugendforums habe erst jüngst ein Gespräch mit einem Beamten zum Thema geführt. Der habe nicht nachvollziehen können, warum man seine eigene Sexualität auch mal zum Thema machen müsse, könne oder wolle, heißt es in der "WAZ".

#1 SvenAnonym
  • 24.05.2023, 16:29h
  • Und was ist nun daraus geworden!? Kameras am Bahnhof und keine Ermittlung der Täter, oder wie!?
  • Antworten »  |  Direktlink »
#2 rupbgsAnonym
  • 24.05.2023, 17:39h
  • Antwort auf #1 von Sven
  • Hat das Opfer aus Angst geoutet zu werden darum gebeten die Pressemitteilung sein zu lassen?
    Weiß das jemand?
    Das wäre ziemlich relevant. Einen 22-Jährigen, der um Diskretion bettelt, dies abzuschlagen wäre grausam.
  • Antworten »  |  Direktlink »
#3 HerrLaerAnonym