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Queere Zwillinge mit Geburtsfetisch

In Amazons Neuauflage des Horrorklassikers "Dead Ringers" geht es blutig zu – und deutlich queerer als im gleichnamigen Original von 1988. Rachel Weisz gibt in der doppelten Hauptrolle zwei gute Performances.


Szene aus "Dead Ringers": Die lesbische Beverly (Rachel Weisz, li.) und Geneviève (Britne Olford) kommen sich näher (Bild: Prime Video)

Die Mantle-Zwillinge sind weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Auf dem Gebiet der Gynäkologie leisten sie bahnbrechende Arbeit und treiben als Team die Forschung voran. So gut sie zusammenarbeiten können, so unterschiedlich sind sie doch persönlich. Elliot ist selbstbewusst, geht aus sich raus, auf die Menschen zu, flirtet und verführt. Beverly ist schüchtern, zurückhaltend, plant und kalkuliert. Eins steht jedoch fest: Sie sind unzertrennlich – bis eine junge Schauspielerin medizinischen Rat bei ihnen sucht und ein Funken überspringt. Im Angesicht aufkeimender amouröser und erotischer Gefühle, werden die eh nicht allzu eng sitzenden berufsethischen Prinzipien schnell über Bord geworfen…

Zugegeben, auf diese Weise zusammengefasst, scheint es keinen Unterschied zwischen der neuen Serie "Dead Ringers" von Amazon Prime Video und dem Film, auf dem sie beruht, zu geben. Einer der offensichtlichsten Abweichungen der Neuauflage und eines der demonstrativsten Verkaufsargumente ist die Besetzung. In "Die Unzertrennlichen" – so der deutsche Titel der Filmvorlage von Horror-Meister David Cronenberg – von 1988 spielte Jeremy Irons kongenial mit sich selbst die beiden Zwillinge Beverly und Elliot. In der Version des Online-Versandkaufhauses wurden die Geschlechter geändert, und Rachel Weisz gibt die Zwillingsschwestern in Doppelrolle. Sie überzeugt sowohl als extrovertierte Elliot, die einen Mann nach dem nächsten abschleppt, als auch als zurückhaltende lesbische Beverly.

Tiefgreifende soziale Veränderungen


Poster zur Serie: "Dead Ringers" kann seit Ende April 2023 bei Amazon Prime Video gestreamt werden

Anders als noch Ende der 1980er Jahre, geht es heute nicht mehr so sehr um Fragen der Fruchtbarkeit und darum, wie mensch überhaupt schwanger werden kann, sondern darum, wer überhaupt schwanger wird. Wer hat die Verfügungsgewalt über den schwangeren Körper, wenn das darin wachsende Kind eingepflanzt und biologischer Abstammung ganz anderer Menschen ist? Menschen, denen die Anstrengungen der Schwangerschaft lästig sind, die es sich leisten können, jemand anderen dafür zu bezahlen. Indem "Dead Ringers" den Fokus vom Schwanger-Werden zum Schwanger-Sein verschiebt und dabei die finanziellen Strukturen explizit macht, die (besonders in den Vereinigten Staaten) untrennbar mit medizinischer Versorgung verbunden sind, entstehen interessante Momente gesellschaftlicher Beobachtung.

Es sind besonders die wiederkehrenden Szenen, in denen die Mantle-Zwillinge in Gesellschaft superreicher Mäzene verkehren müssen, die gelingen. Der unerträgliche und vollkommen widersinnige Umgang der Menschen, die durch ihren Reichtum in hierarchischer Beziehung zueinander stehen, ist auf eine Weise eingefangen, die es mindestens unterhaltsam, in manchen Fällen schwer erträglich macht zuzuschauen. Die unsichtbaren und doch allen bewussten finanziellen Strukturen ordnen die Beziehungen der Menschen, denen Elliot und Beverly sich gegenüber als Bittsteller für Forschungsgelder geben müssen. Alle anderen Verbindungen und Werte – ob familiär, freundschaftlich, moralisch, idealistisch – sind dem nachgeordnet.

In einigen, leider zu seltenen Szenen gelingt es dem Serien-Remake, die entmenschlichenden Strukturen eines kapitalistischen Systems offenzulegen. Das Geld und der Profit werden als die zentralen zersetzenden Kräfte der Gesellschaft herausgestellt, die selbst in einem radikalen Matriarchat noch zerstörerisch wirken, wenn dieses von Anfang bis Ende durchkapitalisiert ist. Um ihren medizinischen Idealen zu folgen und das Geld für ihre Forschung zu sammeln, müssen sich die Mantle-Zwillinge bei Ausbeutermilliardären, den Feudalherren der Gegenwart, anbiedern. Geld, das damit verdient wurde, Millionen Menschen abhängig von Opiaten zu machen, und für das der Tod Hunderttausender wissentlich in Kauf genommen wurde, wird dadurch reingewaschen, dass es die Zwillinge dabei finanziert, Babys auf die Welt zu bringen. Die Anspielung auf die reale Familie Sackler, die in den Vereinigten Staaten maßgeblich für die Opiat-Krise verantwortlich gemacht wird, ist wenig zweideutig.

Inszenatorische Oberflächlichkeit


Die blutrote OP-Kleidung in der Amazon-Serie ist eine Reminszenz an das Original (Bild: Prime Video)

Die Gesellschaftskritik, die hier nur sehr allgemein angedeutet ist, um nicht zu viel von der Handlung der Serie zu verraten, ist deshalb umso eindrücklicher, als "Dead Ringers" keine eindeutige Position bezieht und nicht (allzu) belehrend wird. Und dann ist dies auch nur eines von etlichen Themen, die in die Handlung verwoben sind. Von der Frage elterlicher Verantwortung und familiärer Entfremdung, über Geschwisterliebe und Besessenheit, bis zu Identität und Individualität, Tod und Trauer. Es mangelt nicht an Material, das auch durchaus klug und interessant aufgegriffen wird.

Gute Ideen sind jedoch nicht genug. Um wirklich mitreißend zu sein, fehlt es der Amazon-Serie an visueller Kraft. So berühren die Themen und Ideen die meiste Zeit der sich sehr lang ziehenden sechs Folgen einfach nicht, weil sie optisch in einer tiefgrauen Suppe untergehen. Es gibt zwar immer wieder wohlgemeintes Zwinkern in Richtung der Filmvorlage, die genau in diesem Aspekt herausragend war, wenn zum Beispiel die OP-Kleidung in der Privatkilinik der Mantles ebenso blutrot ist wie sie es im Film war. Jedoch bleibt das nur ein Tropfen auf dem heißen Stein und macht den derivativen Charakter der Bilder nur umso deutlicher.

Es ist schade, dass hier dann nicht der Mut da war, wirklich radikal zu sein und die Sprengkraft, die in den Themen liegt, auch in der Inszenierung aufzunehmen. Statt kreischend-rotem Horror, der das schaffen könnte, gibt es die meiste Zeit bleich-grauen Thriller. Statt visueller Innovation und Wagnis nur Konvention und Erwartbares. Die Neufassung des Zwillings- und Gynäkologie-Horrors, der als Film zu den Klassikern zählt, macht vieles richtig und bleibt am Ende doch eine Enttäuschung.

Direktlink | Englischer Originaltrailer zur Serie
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