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Karlsruhe
Susanne Baer: Die Vorurteile sind wieder da, "sehr laut und nicht nur rechts außen"
In einer bewegenden Abschiedsrede ging Susanne Baer am Freitag auf ihre Rolle als erste offen homosexuelle Richterin am Bundesverfassungsgericht ein – und warnte vor zunehmender Queerfeindlichkeit.

Susanne Baer war von 2011 bis 2023 Richterin des Bundesverfassungsgerichts. Am 20, Februar 2023 erhielt sie von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ihre Entlassungsurkunde (Bild: IMAGO / Fotostand)
- 28. Mai 2023, 11:26h 2 Min.
Mehrere Wochen nach dem Ende ihrer zwölfjährigen Amtszeit als Bundesverfassungsrichterin wurde Susanne Baer am Freitag von Gerichtspräsident Stephan Harbarth feierlich in Karlsruhe verabschiedet. Ihre Entlassungsurkunde hatte die von den Grünen nominierte Juristin bereits am 20. Februar 2023 von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Berliner Schloss Bellevue erhalten (siehe auch unseren Bericht "'Robinia Hood' hört beim Verfassungsgericht auf").
In ihrer mit sehr starkem Beifall bedachten Abschiedsrede ging Baer auf ihre Rolle als erste offen lesbische Verfassungsrichterin ein. "Ihr habt mir das Gefühl gegeben, dazuzugehören und damit auch gehört werden zu können", sagte sie laut Legal Tribune Online zu ihren Ex-Kolleg*innen vom Ersten Senat. "Für 'jemanden wie mich' – diese Formulierung habe ich so oft gehört – ist Zugehörigkeit nicht selbstverständlich."
Auch bei den Beschäftigten des Gerichts habe sie keinerlei Vorurteile gespürt, so Baer. "Die Bundespolizei hat mir ganz direkt und persönlich Unterstützung angeboten, als ich bedroht wurde."
Diskriminierende Befragung im Bundestag vor ihrer Wahl
Die 59-Jährige erinnerte in ihrer Rede an eine diskriminierende Befragung bei einer Bundestagsfraktion vor ihrer Wahl. Ein Abgeordneter habe demnach wissen wollen, ob ihre Homosexualität Einfluss auf ihre Rechtsprechung haben werde. Sie habe damals entgegnet: "Wenn Sie mich in Verfahren mit Bezug auf gleichgeschlechtliche Paare für befangen halten, dann sind das ja alle heterosexuellen Kolleg*innen, wenn ihre Lebensweise irgendwie von Bedeutung ist, auch." Und dann müsse sie ja wohl viele Fälle allein entscheiden.
Sie spreche das Thema Queerfeindlichkeit so deutlich an, "weil sie wieder da sind, die Vorurteile", sagte Susanne Baer in Karlsruhe. "Lauter sogar. Sehr laut und nicht nur rechts außen."
"Wenn ein Grundrechtsschutzgericht diffamiert wird, geht das alle an"
Auch in Deutschland würden Kräfte stärker werden, die "Grundrechtsschutz, der seinen Namen verdient", ablehnen, warnte die ehemalige Verfassungsrichterin. "Sie rufen Karlsruhe an, diffamieren das Gericht aber zugleich, bekämpfen es als Teil des Systems. Sie sehen sich als die wahren Verfassungshüter, wollen diese Verfassung aber eigentlich nicht."
Populist*innen behaupteten, dass das Bundesverfassungsgericht einseitig und "woke" sei, sich nur um Minderheiten kümmere, sagte Susanne Baer in ihrer Abschiedsrede. Natürlich sei Grundrechtschutz immer Minderheitenschutz, aber es könne sich eben auch ändern, wer Minderheit ist. "Wenn ein Grundrechtsschutzgericht diffamiert wird, geht das alle an."
Am 30. Juni 2023 ist Susanne Baer Gastrednerin beim Parlamentarischen Regenbogenabend der grünen Bundestagsfraktion in Berlin. (cw)

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