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"Satyricon"

Der erste (auch) schwule Roman der Weltliteratur

Vor 250 Jahren – im Jahre 1773 – erschien die erste deutsche Übersetzung des antiken Romanfragments "Satyricon". Heute ist vor allem die Verfilmung "Fellinis Satyricon" (1969) bekannt.


Szene aus "Fellinis Satyricon" (1969): Giton an der Seite von Encolpius (Bild: IMAGO / Ronald Grant)

Vor rund 2000 Jahren erschien in lateinischer Sprache der Roman "Satyricon", der ausführlich Freundschaften und sexuelle Beziehungen zwischen Männern schildert. Von dem Text ist heute nur noch eine Anzahl teils kürzerer, teils längerer Ausschnitte überliefert. Vor 250 Jahren, wohl im zweiten Quartal 1773, wurden alle Fragmente des Romans, die die Zeit überstanden haben, von dem Schriftsteller Wilhelm Heinse (1746-1803) erstmals ins Deutsche übersetzt. Bekannt ist heute wohl vor allem die Verfilmung von Federico Fellini, auch wenn Gian Luigi Polidoro im selben Jahr ebenfalls einen Film mit diesem Thema drehte.

Das Jubiläumsjahr der ersten deutschen Übersetzung ist ein guter Anlass, den Roman und seine Rezeptionsgeschichte genauer zu betrachten. Seit Jahrhunderten wird in unterschiedlichen Zusammenhängen auf diesen Text zurückgegriffen: sowohl früher als auch heute, sowohl aus schwulenpolitischer als auch aus wissenschaftlicher Perspektive.

Das "Satyricon" als römisches Romanfragment

Das "Satyricon" ist ein satirischer Roman, der zur Zeit des Kaisers Nero (regierte 54-68 n. u. Z.) erschien. Der Autor war der römische Senator Titus Petronius Arbiter (um 14-66 n. u. Z.), von dessen Leben nur wenig bekannt ist. Von den erhaltenen Episoden ist die längste und bekannteste das später auch oft separat publizierte "Gastmahl des Trimalchio". Hauptfiguren des Romans sind Encolpius und sein Freund Ascyltos, die beide auch Rivalen um die Gunst des schönen Jünglings Giton sind. Die erhaltenen Teile parodieren mehrere antike literarische Werke und Gattungen wie z. B. die "Odyssee" von Homer und die zur Zeit des Autors gängigen griechischen Liebesromane. Eingestreut in den Text sind rund 30 Gedichte, die heute hoch gerühmt und zum Teil zum Besten gezählt werden, was jemals in lateinischer Sprache hervorgebracht wurde. Am Ende dieses Artikels werde ich noch ausführlich auf den Inhalt nach der Übersetzung von Heinse, die in zwei Bänden erschien, eingehen.

Wilhelm Heinses Vorwort zum "Satyricon" (1773)

Zu Lebzeiten von Wilhelm Heinse erschienen in den Jahren 1773, 1783 und 1792 drei Ausgaben seiner "Satyricon"-Übersetzung, irritierenderweise unter drei unterschiedlichen Buchtiteln. Nur die ersten beiden Ausgaben enthalten ein (identisches) Vorwort von Wilhelm Heinse (jeweils S. 5-48). In keiner dieser drei Ausgaben wird Heinse namentlich genannt. Aufgrund der besseren Lesbarkeit verweise ich auf die Wiedergabe im Projekt Gutenberg.

Mit seinem Vorwort spricht Heinse gleichermaßen "Damen" und "Herren" an. Das mag zunächst im Hinblick auf heutiges Gendern beachtenswert erscheinen, ist aber vor dem Hintergrund des 18. Jahrhunderts viel beachtenswerter: Erotische Literatur wurde damals in der Regel nur für Männer als geeignet angesehen; Frauen galten als weniger gebildet und als weniger sittlich gefestigt. Heinse war offensichtlich anderer Meinung.

Heinses Hinweise auf andere Autoren, die ebenfalls die sexuelle "Wollust" in ihren Werken behandelten, dienten offenbar dem Versuch der Legitimierung erotischer Literatur. Seine anschließende Verteidigung der Übersetzung gegenüber "strengen, tugendhafften Weisen" ist dagegen eher ein Angriff: Ein Angriff auf die Bigotterie, die sich auch schon gegen die Schriften von Sappho und Catull gerichtet habe. Seine Übersetzung wolle er nicht nur zum Nutzen, sondern auch zum "Vergnügen drucken lassen". Dabei betont er sogar ausdrücklich, dass es ihm nicht um eine Warnung vor einem neuen Sodom gehe. Seiner Meinung nach dürfe man "die schönsten und häßlichsten Handlungen und Gedanken" von Menschen erzählen, man dürfe nur nicht die "abscheulichen Laster, als gute Handlungen" anpreisen.

Viele Textstellen wirkten wie eine Verteidigung der gleichgeschlechtlichen Liebe, weil diese schließlich bei den Griechen und anderen alten Völkern erlaubt gewesen sei: "Wer will ihnen beweisen, daß ihre Vergnügungen mit schönen Ganymeden sie nicht mehr hätten entzücken sollen, als mit ihren Weibern? Ieder Mensch hat den Maaßstab seines Vergnügens in seiner eignen Brust; und ieder von diesen Maaßstäben ist verschieden." Dabei zitiert er auch den griechischen Philosophen Zeno: "Es ist kein Unterschied, ob man bey einem Knaben oder Mädchen den Trieb […] stillet; es ist gleich anständig, man mag lieben wen man will." Weil Homosexualität nach Heinses Auffassung ein Teil der Natur ist, ist für ihn eine Kritik daran offenbar sogar eine Kritik an der Mutter Natur: Der "Natur hat nun diese Mannigfaltigkeit der Neigungen der Menschen so beliebt; und du Geschöpf von ihr willst deine Mutter tadeln?"

Einige seiner Textstellen wirken jedoch auch wie eine Missbilligung der gleichgeschlechtlichen Liebe, wobei er – offenbar um nicht selber "verdächtigt" zu werden – auf seine eigene Heterosexualität verweist: "Nein! ich billige die Knabenliebe gar nicht! Ich liebe das schönere Geschlecht zu sehr […]." Die Freude an homosexueller "Wollust" sei sogar nur "ein Schatten" der großen Freude, eigene Kinder zu haben, wobei Heinse davon ausging, dass auch Petronius diese Einstellung vertreten habe. Petronius' Erzählung sei schließlich eine Satire und der Autor habe ja auch gezeigt, was die Jünglingsliebe "für bittere Folgen" habe: Nur weil Encolpius immer mit Giton geschlafen habe, sei er schließlich nicht mehr "im Stande" gewesen, eine Frau zu lieben.

Heinses Bitte um Verzeihung bei all denen, die sich an den Beschreibungen der sexuellen Handlungen "ärgern" könnten, wirkt nicht nur wegen des durchgehend ironischen und polemischen Tons unglaubhaft. Er schließt sein Vorwort mit der fiktiven Behauptung, er schreibe dieses "während meiner Reise nach Italien, um den Winkelmannischen Apollo zu betrachten". In Wirklichkeit reiste Heinse erst 1780 nach Italien. Mit den Werken des homosexuellen Gelehrten Johann Joachim Winckelmann (auch "Winkelmann", 1717-1768), der als Begründer der modernen Kunstgeschichte gilt, hat sich Heinse Zeit seines Lebens ausführlich – sowohl bewundernd als auch kritisch – auseinandergesetzt, auch wenn sie sich persönlich nie kennen gelernt haben. Mit dem Apollo ist die nackte antike Statue des Apollo von Belvedere in Rom gemeint, der Winckelmann eine enthusiastische Beschreibung gewidmet hatte.

Wilhelm Heinse und die Homosexualität

Außer dem Vorwort gibt es noch weitere Möglichkeiten, um Heinses Einstellung zur Homosexualität zu verdeutlichen. Da ist zum einen sein homoerotischer Roman "Ardinghello" (1787), der die Beziehung des Ich-Erzählers zu dem (fiktiven) Florentiner Maler Ardinghello behandelt und in den Heinses eigene Erfahrungen während seines Aufenthalts in Italien einflossen. Eine kleine Leseprobe kann vielleicht einen ersten Eindruck vermitteln: "Wir umarmten uns, und mir wallte das Herz, es regte sich eine Glut darinnen. Seine Jugend stand eben in schöner Blüte, um Mund und Kinn flog stark der liebliche Bart an; seine frischen Lippen bezauberten im Reden, und die Augen sprühten Licht und Feuer; groß und wohlgebildet am ganzen Körper […], erschien er mir ein höheres Wesen. Sein Bild wich den ganzen Tag nicht aus meiner Seele; ich konnte weder essen noch trinken" ("Ardinghello", 1961, 1. Bd., 1. Teil, S. 9). Für den Historiker Bernd-Ulrich Hergemöller ("Mann für Mann. Biographisches Lexikon zur Geschichte von Freundesliebe und mann-männlicher Sexualität im deutschen Sprachraum, 1998, S. 338-340) handelt es sich hier um "kaum verhüllte Bekenntnisse zur Jünglingsliebe". Die Bedeutung des "Ardinghello" lässt sich auch so zusammenfassen: "Seine sprachgewaltige Hochform erreichte er [Heinse] mit […] 'Ardinghello' (1787). Dieser als Heinses bekanntestes Werk beeinflusste unmittelbar die Romantik, wenn auch die damalige Rezeption anscheinend gering ausfiel" (Wikipedia). Es gibt heute viele Möglichkeiten, auch online an diesen Text zu kommen. Sie reichen von der ersten Auflage 1787 (1. Bd. und 2. Bd.) bis zum benutzerfreundlichen neu gesetzten Text auf Zeno.org.


Ausgaben des Romans "Ardinghello" von früher bis heute

Auch Heinses Einstellung zu lesbischen Frauen ist belegbar. Der Germanist Paul Derks ("Die Schande der heiligen Päderastie", 1990, S. 39-40 u. a.) weist darauf hin, dass Heinse in seinem Essay "Sappho" und in seinem Roman "Laidion" auf die Dichterin Sappho von Lesbos einging. Er verteidigte Sappho gegen "Spöttereyen und Verläumdungen", allerdings nicht, weil sie lesbisch war, sondern weil sie es nach seiner Ansicht nicht war. Lesbischer Sex war für Heinse – so Derks – "nichts Reines", sondern "widernatürlich". In einem Brief schreibt er von "unausstehlichen" Empfindungen und von der angeblichen Unmöglichkeit sexueller Befriedigung unter Frauen aufgrund des Mangels an "Mannheit". Heinse war offenbar unfähig, sich Sex außerhalb vaginaler oder analer Penetration vorzustellen.

Zwei zeitgenössische Rezensionen von Heinses "Satyricon"-Übersetzung

Es ist nicht wirklich überraschend, dass die wenigen zeitgenössischen Rezensionen von Heinses Übersetzung des "Satyricon", die ich gefunden habe, mit ihrer Kritik nicht hinterm Berg halten. Ob in beiden Fällen eine angeblich schlechte Qualität der Übersetzung vorgeschoben wurde, um die sexuelle Deutlichkeit zu kritisieren, kann ich nicht beurteilen.

In der Rezension des "Reichs Post-Reuter" (1757-1782), einer überregionalen Zeitung für die breite Öffentlichkeit (23. Juni 1773, S. 3-4, hier online), wird zunächst betont, dass der Übersetzer klug genug sei, seinen Namen nicht zu nennen – zum einen wegen des "schlüpfrigen Buchs", zum anderen, weil es eine "schlechte" Übersetzung sei. Schon wegen seiner "abscheuliche(n)" Vorrede habe der Übersetzer die "schärfste Züchtigung" verdient. Er habe nur "seichte Kenntniß" der lateinischen Sprache. Petronius sei damit einem Übersetzer in die Hände gefallen, der ihn verunstaltet habe. Der ebenfalls namentlich nicht genannte Rezensent wird am Ende überheblich: Der Übersetzer solle nicht mehr übersetzen oder sich mit der lateinischen Sprache besser bekannt machen. Immerhin: An Genie fehle es ihm nicht und bei näherer Kenntnis von Sprache und Sitten des Altertums könne aus ihm noch ein vortrefflicher Übersetzer werden.


Die Ausgabe des "Reichs Post-Reuter", in der Heinses Übersetzung rezensiert wurde

Die Rezension im "Magazin der deutschen Critik" (1772-1776), einem Magazin für deutsche Literatur (17. September 1773, S. 310-314, hier online), fängt ziemlich krachend damit an, dass Wilhelm Heinse als Übersetzer geoutet wird. Mit seinen obszönen Anmerkungen habe er ein "schriftliches Bordell" errichtet bzw. Pornografie geschrieben. Beim Lesen spürt man die innere Erregung des Rezensenten auch bei mehreren rhetorischen Fragen: "Sind die Stellen von der unnatürlichen Knabenliebe im Petron etwa so wichtig, daß sie in einer deutschen Uebersetzung mußten bekannter gemacht werden?" Der Rezensent bescheinigt Heinse eine Übersetzung, die sich eng am Original halte, was hier jedoch eher als Vorwurf gemeint ist. Früher erschienene italienische und französische Übersetzungen arbeiteten nicht so eng am Original und hätten auch weniger "häßliche Anmerkungen". "Das Gastmahl des Trimalchio" liege bereits als deutsche Übersetzung vor, die anderen "häßlichen, alle Empfindung der Ehrbarkeit beleidigenden Erzählungen hingegen bedurfften wahrlich keine deutsche Uebersetzung". Der Rezensent ist irritiert darüber, dass Heinse mit seinem Vorwort auch Frauen anspricht und sie literarisch "verführen möchte", denn mit dieser Schrift werde ihnen sehr deutlich erklärt, was ein "Priap" (= Dildo) ist. Nur am Ende leuchtet dann doch noch ein wenig Respekt für Heinse auf, wenn die Übersetzung als "fliessend und angenehm" gelobt wird.

Die frühe Homosexuellenbewegung und das "Satyricon"

Wenn der Homosexuellenaktivist Karl Heinrich Ulrichs in seinen zwölf Schriften zur mann-männlichen Liebe (1864-1880) 14 Mal auf das "Satyricon" eingeht, geht es ihm meistens nur um eine spannende antike Quelle – wobei seine Einschätzung als "durch und durch" homosexueller Roman (II. Schrift, S. 52, hier online) nicht geteilt werden kann. An einigen Stellen wird deutlich, dass Ulrichs Parallelen zwischen den Geschehnissen im "Satyricon" und seiner eigenen Zeit sieht. Ulrichs wünscht sich die Möglichkeit der Ehe für Homosexuelle und verweist dabei auf das "zärtliche, durchaus eheähnliche, Liebesbündniß" zwischen Encolpius und Giton (V. Schrift, S. 22, hier online). Ähnliche Parallelen zieht er sogar dann, wenn sie seinen emanzipatorischen Bestrebungen zuwiderlaufen, wie bei Vergewaltigungen junger Männer durch Homosexuelle wie Carl von Zastrow, die er mit der Vergewaltigung des jungen Giton durch Ascyltos in Zusammenhang bringt (VIII. Schrift, S. 90, hier online; IX. Schrift, S. 53 f., hier online).

Der Homosexuellenaktivist Magnus Hirschfeld ("Die Homosexualität des Mannes und des Weibes", 1914) erwähnt die Jünglingsliebe im "Satyricon" (S. 654) und bezeichnet Heinses Übersetzung als kongenial (S. 799). Petronius' Äußerungen zu homosexuellen Männern verwendet Hirschfeld, um damit seine eigenen Beobachtungen zu untermauern, wie z. B. die Behauptung, dass man Homosexuelle an Mimik und Gang erkennen könne (S. 148), oder auch den Hinweis auf den "weichen Augenaufschlag" von Homosexuellen (S. 155). Einen Satz über das eheartige bzw. eheähnliche Liebesbündnis zwischen Encolpius und Giton hat Hirschfeld fast wortwörtlich bei Ulrichs abgeschrieben (S. 705, im Vergleich mit Ulrichs V. Schrift, S. 22).

Insgesamt kann man allerdings nur zu dem Schluss kommen, dass das "Satyricon" für die frühe Homosexuellenbewegung keine so große Bedeutung hatte, wie man es von einem Text annehmen könnte, der in deutscher Sprache vorlag, dabei weitgehend positiv und deutlich die Liebe zwischen Männern behandelt und sich daher für eine emanzipatorische Bezugnahme anbot. Aus heutiger Sicht ist das Werk nicht pornographisch. Früher wurde es aber durchaus als pornographisch wahrgenommen und vermutlich war dies der Grund, warum die frühe Homosexuellenbewegung das "Satyricon" nur selten heranzog). In die erste schwule Anthologie der Weltgeschichte, Elisar von Kupffers "Lieblingminne und Freundesliebe in der Weltliteratur" (1900), ist der Text nicht aufgenommen worden.

Frühe Illustrationen des "Satyricon"

Es gibt unzählige "Satyricon"-Ausgaben in der Übersetzung von Heinse. Ein Teil davon enthält Illustrationen, die aber nur selten den homosexuellen Aspekt hervorheben. Mindestens sieben Verlage haben die – nicht homosexuellen – Bildtafeln der französischen Ausgabe "La satyre de Petrone" (1694/1695, hier online) nachgedruckt, um überhaupt irgendwelche passenden Abbildungen zu haben.

Zu einer "Satyricon"-Ausgabe von 1909 steuerte der Zeichner und Illustrator Franz Christophe (1875-1946) sechs Zeichnungen bei, die u. a. zwei zärtliche Frauen (S. 32) und einen Hermaphroditen (S. 160) zeigen. Auf einer dritten Zeichnung ist ein femininer Junge zu sehen, der vor einem nackten Mann steht und eine Banane zu essen scheint (S. 208). In der Einführung zu dieser Ausgabe betont der Herausgeber Karl Hauer, dass die handlungsprägende Liebe Encolpius' zu Giton, halb Sklave und halb Geliebter, keine "romantische", sondern eine "recht sinnliche Liebe" sei. Die gleichgeschlechtliche "Sinnlichkeit" sei in der Antike aber weit davon "entfernt [gewesen], 'unnatürlich' zu sein"; die "Scham" sei schließlich "noch nicht erfunden" gewesen (S. XIII-XIV).


Zwei Illustrationen von Franz Christophe

Als "Das Gastmahl des Trimalchio" vom Ernst Ohle Verlag 1913 separat publiziert wurde, steuerte der Düsseldorfer Schriftsteller, Maler und Graphiker Adolf Uzarski (1885-1970) vier Farbillustrationen bei, wobei nur eine davon den homosexuellen Aspekt des Textes hervorhebt, statt ihn, wie nicht selten, zu verschleiern: Man sieht einen älteren lüsternen Mann, der einem Lustknaben oder einem der Bediensteten an seinen Hintern greift.

1927 wurde der homosexuelle Illustrator und Zeichner Marcus Behmer (1879-1958) gebeten, eine geplante -Ausgabe des "Satyricon" zu illustrieren. Das Buchprojekt wurde nicht realisiert. Übrig blieben nur einige Entwürfe wie der Holzschnitt eines sitzenden wichsenden Mannes, der im Ausstellungkatalog "Goodbye to Berlin" (1997, S. 110) abgebildet ist.


Die Illustrationen von Adolf Uzarski (1913) und Marcus Behmer (1927)

Spätere Illustrationen des "Satyricon"

Einige Jahrzehnte später publizierte die Hamburger Maximilian-Gesellschaft "Das Gastmahl des Trimalcion" (1960) und druckte darin Illustrationen des deutschen Malers und Illustrators Kurt Craemer (1912-1961) ab, der Kontakte zu Homosexuellen wie Gustaf Gründgens, Hans Werner Henze und Wolfgang Cordan hatte. Es sind viele unterschiedlich große und zum Teil farbige Illustrationen mit erotischen Darstellungen nackter Bediensteter, die aber keine direkten homosexuellen Bezüge beinhalten.

Am meisten überzeugt mich die englische Ausgabe "Satyricon. Memoires of a lusty Roman" (1965) mit dem homoerotischen Cover-Motiv des Hirtengottes Pan, auch wenn das Motiv im Stil an Cover von Groschenromanen erinnert. Das Motiv ist offenbar an eine bekannte antike Skulptur angelehnt, die Pan und den Knaben Daphnis zeigt, wobei Daphnis mit seiner Panflöte hier aber kein Kind, sondern viel authentischer ein junger Mann ist. Der Hirtengott Pan entstammt der griechischen Mythologie und erscheint auch bei diesem römischen Roman als passend.

Als Letztes möchte ich auf die Ausgabe des Berliner Eulenspiegel-Verlags mit dem Titel "Begebenheiten des Enkolp" (1989) eingehen. Hier steuerte der Bildhauer und Zeichner Werner Stötzer (1931-2010) viele Zeichnungen bei, der von 1987 bis 1990 eine Professur an der Akademie der Künste der DDR innehatte. Die Zeichnungen sind von 1988 und bieten viele nackte Männer, allerdings nicht in homosexuellen Zusammenhängen. Stötzer scheint mehrfach Erektionen anzudeuten, was – zumindest als Zeichnungen in dieser Form – auch für die DDR offenbar als rechtlich unproblematisch angesehen wurde. In seine anderen, eher abstrakten Zeichnungen, in denen sich nackte Männer begegnen, lässt sich vieles hineininterpretieren, es kann aber nur wenig Substanzielles darüber gesagt werden.


Ein unbekannter Künstler (1965) und Werner Stötzer (1989)

Der Film "Fellinis Satyricon" (1969)

In seinem Film "Fellinis Satyricon" (1969) erzählt Federico Fellini, der als einer der wichtigsten Autorenfilmer des 20. Jahrhunderts gilt, vor allem die Geschichte von Encolpius, seinem Freund und Rivalen Ascyltos und seiner Liebe zu Giton. Gerade die Liebe von Encolpius zu dem schönen Lustknaben Giton und seine Eifersucht sind in den ersten 20 Filmminuten gut umgesetzt. Zu den vielen weiteren homoerotischen Szenen gehört der Zweikampf mit Lichas auf hoher See, bei dem sich Lichas in Encolpius verliebt. Noch auf dem Schiff werden die beiden miteinander verheiratet und Encolpius wird als Braut gekleidet. (Entsprechende Szenen gibt es nicht im Roman.) Auch ein späterer Zweikampf mit einem als Minotaurus verkleideten Gladiator verläuft anders als erwartet. Er sieht wie ein Kampf auf Leben und Tod aus, aber der Gegner nimmt seine Maske ab und umarmt Encolpius. Dem sehr bekannten "Gastmahl des Trimalchio" widmet Fellini nur rund 15 Minuten.

In dem Film gibt es viele Szenen, die bizarr wirken sollten, etwa solche mit Kleinwüchsigen, Behinderten und Kannibalen. Dazu gehört auch eine rund acht Minuten lange Szene mit einem Hermaphroditen. Diese Person wird "Orakel Hermaphroditus" genannt, kann Wunder vollbringen, die Pest heilen, weissagen und wird in einem Tempel als Halbgottheit verehrt. Sie ist noch ein Kind, dessen Geschlechtsmerkmale beider Geschlechter stolz vor all denen präsentiert werden, die sich von dem Kind Heilung und Hilfe versprechen. Auch diese Szenen sind nicht Teil des Romans. Der Film endet damit, dass Encolpius nach Ascyltos' Tod auf einem Schiff anheuert, um zu neuen Ufern und neuen Abenteuern aufzubrechen.


Giton hat noch andere Bewunderer in "Fellinis Satyricon" (1969)

Aus dem Buch "Fellinis Satyricon" (Diogenes, 1983) ist bekannt, dass Fellini für die Rolle des Encolpius zunächst Terence Stamp engagieren wollte (S. 233), wobei Fellini dessen frühere homoerotische Rollen in "Die Verdammten der Meere" (1962) und "Teorema" (1968) bestimmt kannte. Man spürt übrigens Fellinis Entrüstung darüber, dass ihm – in einem hier nachgedruckten Interview von 1972 – indirekt vorgeworfen wurde, die Homosexualität nicht noch deutlicher gezeigt zu haben: "Wie, wollten Sie den Schwanz reingehen sehen? […] Was wollten Sie, Männer, die sich auf den Mund küssen?" (S. 243) Zumindest Fellinis zweite rhetorische Frage lässt sich heute leicht mit einem "Ja" beantworten, auch wenn man weiß, dass die Akzeptanz von Küssen unter Männern in einem Mainstreamfilm von 1969 eine geringere als heute war. Wichtiger als die Deutlichkeit der Szenen bleibt jedoch die emanzipatorische Darstellung, die Fellini zumindest für bisexuelle Männer erreicht hat. Über die Rolle des Hermaphroditen in seinem Film lässt sich streiten.

Der Film "Die Degenerierten" (1969)

Fellini veränderte den Verleihtitel seines Filmes von "Satyricon" in "Fellinis Satyricon", um Verwechslungen mit einem anderen Film zu vermeiden: Zur gleichen Zeit drehte nämlich Gian Luigi Polidoro zum selben Thema seinen Film "Die Degenerierten". Auch ein gerichtlicher Streit zwischen den Produzenten konnte nicht verhindern, dass beide Filme im selben Jahr erschienen. Grundsätzlich würde nun die Möglichkeit bestehen, beide Filme miteinander zu vergleichen. "Die Degenerierten" (1969) ist jedoch nicht auf DVD verfügbar und die Aussagen über den Film können nur anhand einer stark gekürzten Fassung (1:48 statt 2:12 Std., hier online) erfolgen. Zumindest fehlt in dieser Fassung eine in Wikipedia erwähnte Szene, in der Encolpius den jungen Giton "zum Beischlaf verführen" kann.


Encolpius und ein gay dirty old man in "Die Degenerierten" (1969)

In dem Film gibt es einige Männer, die ziemlich plump zeigen, dass sie jüngere Männer sexuell begehren (20:40, 42:45, 48:50, 82:50 Min.). An ihrer klischeehaften Darstellung würde ich mich nicht stören, wenn es in dieser Sittendarstellung auch positive Gegenbilder gäbe, wie sie ja auch Petronius schildert. Weil es diese Gegenbilder im Film jedoch nicht gibt, wirken die dargestellten Männer nur wie gay dirty old men. Der entscheidende Unterschied zu Petronius' Roman ist, dass Giton fast durchgehend nur als Frau wahrgenommen werden kann und dass sich Encolpius in Giton nur deshalb verliebt, weil er ihn zunächst für eine Frau hält. Encolpius erfährt erst durch andere, dass Giton ein Mann in Frauenkleidung ist (32:35 Min.), und macht Giton entsprechende Vorwürfe (37:50 Min.). Am Ende des Films werden in einer kurzen Szene Giton die Haare abgeschnitten, wodurch er nun erstmals wie ein femininer junger Mann wirkt, und es wird betont, dass Schönheit kein Geschlecht kenne (1:36:45 Min.). Diese kurze Szene kann die stark heterosexualisierte Filmfassung nicht mehr retten. Der Film wurde wegen seiner "obszönen" Stellen kritisiert. Ich teile die Kritik an dem Film, jedoch nicht die Begründung.


Schönheit kennt kein Geschlecht: Giton in "Die Degenerierten" (1969)

Die moderne schwule Rezeption

Der Literaturwissenschaftler Joachim Campe ("Andere Lieben. Homosexualität in der deutschen Literatur", 1988, S. 31-34) verweist darauf, dass für Petronius in seinem "Satyricon" bei Liebe zwischen Männern eine "sexuelle Harmonie" möglich sei. Dabei sei Petronius jedoch – so Campe weiter – nicht auf den Gedanken verfallen, "es gebe eine homosexuelle Veranlagung – seiner Meinung nach ist alles vielmehr eine Frage des Alters: in der Jugend empfindet auch ein Mann Lust an sexueller Passivität". Das belegt Campe mit der unterhaltsamen Geschichte des Dichters Eumolpos, der sich in einen Jüngling verliebt. Cécile Beurdeley ("L'amour bleu. Die homosexuelle Liebe in Kunst und Literatur des Abendlandes", 1994, S. 62-63) zitiert die gleiche Textpassage über Eumolpos, gibt sich mit den Angaben zu Petronius aber erkennbar weniger Mühe.

In der Anthologie "Die Bibliothek von Sodom. Das Buch der schwulen Bücher" (1997, S. 179-181) wird nicht zu Unrecht darauf verwiesen, dass die sexuellen Freiheiten zu Neros Zeiten nur Freiheiten der Männer gewesen seien. Bordelle mit männlichen und weiblichen Prostituierten hätten ein Zentrum des gesellschaftlichen Lebens von Männern gebildet. Homosexuelle Handlungen hätten Konventionen unterlegen, seien aber nicht grundsätzlich verwerflich gewesen, was durchaus der wissenschaftlichen Forschung zu Homosexualität im antiken Rom entspricht. Nach den Hinweisen auf die römischen Badehäuser und Bordelle folgen einige Zitate aus dem "Satyricon", worin anlässlich eines Besuchs im Badehaus bei einem Mann sein "Werkzeug von großartiger Dicke und Länge" hervorgehoben wird. Auch hier wird am Ende auf die witzigen Erlebnisse Eumolpos' verwiesen.

Die wissenschaftliche Rezeption

Als Beispiel für eine gute wissenschaftliche Aufbereitung des "Satyricon" möchte ich auf die Veröffentlichungen des Altphilologen Peter Habermehl ("Petronius, Satyrica", 3 Bände, 2006-2021) hinweisen. Nach Habermehl hat das "Satyricon" sein Vorbild im späthellenistischen griechischen Liebesroman und arbeitet mit dessen typischen Elementen wie dem bedrohlichen Nebenbuhler, der Trennung und dem Gedanken an Freitod. In dem Roman lassen sich auch viele Bezüge zu anderen antiken Texten wie zu Ovids "Metamorphosen" erkennen: So hatte der Vergleich von attraktiven Jünglingen wie Giton mit Ganymed eine lange Tradition – genauso wie der Hinweis auf Hyakinthos als Geliebter des Gottes Apoll. Habermehl geht auch darauf ein, dass im antiken Rom die Rolle des sexuell passiven Mannes als höchst anrüchig galt. Die Mutter des Lustknaben Giton habe "ihrem Sohn die passive Rolle schmackhaft gemacht – um ihn besser zu verkuppeln".

Als Giton von Ascyltos vergewaltigt wird und sich später Ascyltos und Encolpius um ihn streiten, ist auch ein Schwert im Spiel, das neben der deutlichen Parallele zur Vergewaltigung von Lucretia durch Tarquinius noch weitere Bedeutungen hat. Zum einen ist – wegen des Vorschlags, Giton zu teilen – auch eine Anspielung auf das, nicht nur aus der Bibel bekannte, Motiv des "salomonischen Urteils" möglich. Zum anderen verweist Habermehl auf die phallische Bedeutung des Schwertes als Waffe. Giton hat es mit der "Schlagkraft beider 'Waffen'" zu tun und entschließt sich aus Angst, an der Seite von Ascyltos zu bleiben. Habermehl kommt auch auf die römischen Bäder zu sprechen, die Möglichkeiten für Sex boten. Der Hinweis auf ein großes Geschlechtsteil habe Tradition: "Große Glieder beschäftigen auch sonst die Phantasie, wobei nicht selten Ironie oder Hohn mit im Spiel sind" – wobei er als Beispiel bestimmte Wandgemälde aus Pompeji nennt.

Zum Pädagogen Eumolpos, der sich in einen Jüngling verliebt, nennt Habermehl Parallelen in Platons "Symposion" und verweist darauf, dass ein bevorzugtes Ziel der Satire Charaktere seien, die sich zwar sittenstreng geben, es aber nicht sind. Die verschiedenen übersetzten Ausdrücke für die dritte Nacht mit dem Jüngling: "ich schwelgte in seinem ganzen Leib", die Nacht, die "alles erlaubte", die "festere Kost als Kuss und Umarmung" und "mein ganzes Sehnen vereinte ich in eins" seien Ausdrücke für (aktiven) Analverkehr. Nach dieser dritten Nacht bekommt der Jüngling ein Pferd geschenkt. Ein solches Tiergeschenk steht in griechischer Tradition, in der Hähne, Hasen und Hunde zu den "gängigen Gaben griechischer Liebhaber an ihre jungen Gespielen" gehörten. Ein Pferd als Geschenk ist etwas ungewöhnlich und kann im Roman – so Habermehl – weitere Bedeutungen haben: Wegen der Erwähnung von Troja im Text erinnere das Tiergeschenk deutlich "an die List von der Einnahme Trojas durch das Pferd", womit Analverkehr zu einer sexuellen "Eroberung" werde. Die Frage "wo bleibt mein Hengst?" lasse sich auch als Metapher für Potenz verstehen.

Welche Bedeutung hat der Roman nach 2000 Jahren?

Beim "Satyricon", das heute zur Weltliteratur zählt, zweifelt heute niemand mehr an seiner großen kulturhistorischen Bedeutung. "Das Werk ist so vielseitig und faszinierend, dass sich Generationen von Gelehrten und Künstlern immer wieder mit ihm befasst haben. [Petronius'] Einfluss auf die moderne Literatur ist nicht zu unterschätzen" (Wikipedia). Seine Bedeutung für die schwule Geschichtsforschung ist dementsprechend ebenfalls kaum zu hoch einzuschätzen.

Vor fünf Jahren habe ich hier auf queer.de den 350 Jahre alten Roman "Der abenteuerliche Simplicissimus" (1668) von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen unter queeren Aspekten besprochen. Selbst die Zeit des 17. Jahrhunderts ist für die meisten heute wohl kaum noch vorstellbar; die Zeit von Petronius ist sechsmal so lange her. Ich bin froh, dass zumindest Fragmente des Romans diese Zeit überstanden haben und weitgehend unvoreingenommen von der Liebe und vom Sex zwischen Männern erzählen. Dass dies als Satire geschieht, ändert nichts daran, weil sich der Humor nie einseitig gegen Homosexuelle wendet. Die Form der Satire war vermutlich sogar förderlich für die Verbreitung.

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Ob die Übersetzung von Wilhelm Heinse gut oder schlecht ist, kann ich nicht beurteilen. Dass sie heute die am weitesten verbreitete deutsche Übersetzung ist, ist für sich genommen noch kein Kriterium für ihre Qualität. Das kann z. B. daran liegen, dass es keine anderen urheberrechtsfreien Übersetzungen auf dem Markt gibt. Neuere Übersetzungen liegen vor, sind aber urheberrechtlich geschützt. Vor einer ebenfalls verbreiteten älteren "Übersetzung" musss ich ausdrücklich warnen: Nicht wenige "Satyricon"-Ausgaben (z. B. eine von 1804, hier online) enthalten neben den Original-Fragmenten auch Ergänzungen des französischen Autors François Nodot (ca. 1650-1710), der seine ergänzte Fassung seinerzeit in betrügerischer Absicht als echte vollständige Fassung des Romans ausgab.

Im Gegensatz zu Heinses Übersetzung kann ich die Haltung des Übersetzers recht gut beurteilen: Wegen seines offenen Vorworts und seines späteren Romans "Ardinghello" lässt sich recht gut bestimmen, wes Geistes Kind Wilhelm Heinse war. Ich bin sehr froh, dass das "Satyricon" mit ihm einen Übersetzer gefunden hat, der sich gegenüber sexuellen Beziehungen unter Männern weitgehend aufgeschlossen zeigte. Auch in anonymisierter Form war es mutig, den "Satyricon" in die deutsche Sprache zu übersetzen. Vor seinem Mut ziehe ich heute noch den Hut.

Der Inhalt des "Satyricon" (nach Heinses Übersetzung, 1. Band)

Wegen der besseren Nachvollziehbarkeit beziehen sich die nachfolgenden Seitenangaben nicht auf die Erstausgabe von 1773 (1. Bd. und 2. Bd.), sondern auf eine neu gesetzte Ausgabe von 1903 (1. Bd. und 2. Bd.).

Zunächst werden die beiden Freunde Encolpius und Ascyltos vorgestellt, die aus Versehen in ein Bordell geraten sind und teils sehr aggressiv umworben werden. Ascyltos soll für einen älteren Mann "sein Ganymed" sein und ein "halbnackender Faun" wirft ihn sogar recht brutal auf sein Bett. Den Begehrlichkeiten von Männern können sich die beiden nur mit viel Energie entziehen (S. 32-34). Beide Freunde begehren den schönen Jüngling Giton. Als Giton unter Tränen davon berichtet, dass er von Ascyltos vergewaltigt wurde (S. 35), ist Encolpius erschüttert und macht Ascyltos Vorwürfe. Dabei wird deutlich, wie sehr er Giton liebt, "mit den feurigsten Umarmungen" an ihm hängt und die "Wollust meiner Wünsche" genießt (S. 36-37).

Auf einer Reise treffen die Männer auf die Priapus-Priesterin Quartilla und auf Frauen, die "große lederne Priapen" tragen (S. 53). Später ist sogar von einer "Capelle des Priap" (S. 56) die Rede. Dies alles bezieht sich auf Priapos, einen griechischen Fruchtbarkeits-Gott, der mit einem übergroßen erigierten Penis dargestellt wurde. Mit "Priapen" sind an dieser Stelle Dildos gemeint. Heinse erläutert den Begriff in seiner Ausgabe von 1773 (S. 53-56) sehr ausführlich und verweist auf den deutschen Begriff "Sammthannße".

Unterwegs erleben die Freunde noch weitere gefährliche Begegnungen. Ein Buhltänzer "trieb unsere Schenkel von einander und wollte den Jupiter machen" (S. 59). Dessen Bruder singt: "Ihr weichen Brüder her! ihr müßt von Salbe düfften! Hieher mit glatter Hand, gelenkigen Schenkeln und Hüfften!" Er "besudelt" Encolpius "mit dem unreinsten Kusse", fällt über ihn her und "entblößt" ihn mit Gewalt (S. 62). Die zweite Hälfte des ersten Bandes bestimmt das dekadente "Gastmahl des Trimalchio" (S. 66-142). Bei diesem Gastmahl wird ausschweifend gegessen, getrunken und es werden Zärtlichkeiten ausgetauscht. So küsst Encolpius einen "Knaben voll Zärtlichkeit" (S. 82) und der Gastgeber Trimalchio kann bei einem schönen Jungen "seine Geilheit nicht im Zaume halten" (S. 135-137).

Fortsetzung: Der Inhalt des "Satyricon" (nach Heinses Übersetzung, 2. Band)

Zunächst wird eine Liebesnacht Encolpius' mit seinem "Liebling" Giton beschrieben: "alle Adern und Nerven waren mir aufgeschwollen – ich ließ der Wollust den Zügel schießen", worauf ein Liebesgedicht folgt (S. 148). Während Encolpius schläft, kommt Ascyltos ins Zimmer, trägt Giton in sein Bett und genießt ungehindert die "Wonne der Liebe" (S. 148). Darauf folgt ein auch mit einem Schwert ausgetragener erneuter Streit zwischen Encolpius und Ascyltos um die Gunst Gitons. Die beiden Freunde vereinbaren, getrennte Wege zu gehen, und Giton soll sich für einen von beiden entscheiden. Zur Encolpius' Überraschung entscheidet sich Giton daraufhin für ein Leben mit Ascyltos (S. 148-150). Zurück bleibt ein einsamer Encolpius, der sich daran erinnert, dass sich Giton früher sogar "von seiner eigenen Mutter bereden" ließ, um anderen "als ein Weib" zu dienen (S. 152).

Um sich abzulenken, besucht Encolpius eine Galerie (S. 153-167), wo, als Parallele zu ihm, auf die mythische Geschichte der Liebe von Apollo zu Hyazinth verwiesen wird (S. 155). Hier trifft er auf den Dichter Eumolpos, der ihm von seiner Liebe zu einem Jüngling berichtet. Auf das Versprechen von Geschenken hatte sich dieser Jüngling bereitwillig schlafend gestellt und in drei aufeinanderfolgenden Nächten kam es zu sich steigernden Kontakten: In der ersten Nacht nur ein Kuss, dann ein Streicheln und dann die "größte Wollust" des Lebens. Nachdem der Jüngling Gefallen am Sex mit Eumolpos gefunden hat, drehen sich nun in unterhaltsamer Form die Verhältnisse um und der Jüngling setzt Eumolpos unter Druck, weil es ihm so sehr "nach Hingabe dürstet". Als der Jüngling in einer Nacht dreimal Sex von Eumolpos will, ist dieser allerdings körperlich überfordert (S. 157-161).

Mit Eumolpos besucht Encolpius später ein römisches Bad (S. 168-170), wo er auf Giton trifft. Der gesteht ihm, dass er nur aus Angst vor weiterer Gewalt mit Ascyltos gegangen ist. Im Bad sind sie dabei, als ein Jüngling bewundert wird, "denn die Natur hatte ihn so verschwenderisch und Hengstmäßig mit einem gewißen Gliede" ausgestattet (S. 170). Im Laufe der weiteren Handlung, die u. a. auf einer Schiffsreise spielt (S. 181-212), wird ähnlich wie bei Eumolpos (S. 273) auch bei Encolpius auf seine sexuellen Erlebnisse mit Frauen eingegangen. Bei Encolpius geht es dabei auch um eine vorübergehende Impotenz, die aber geheilt werden kann.

#1 _Patrick_Ehemaliges Profil
  • 29.05.2023, 10:56h
  • Ein sehr interessanter, anregender Artikel, in dem offenbar eine Menge Recherche, Zeit und Arbeit steckt. Vielen Dank, Erwin.
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#2 goddamn liberalAnonym
#3 Axel KrämerAnonym
  • 29.05.2023, 15:29h
  • Sehr spannender Beitrag, danke. Zur Ergänzung: Bruno Maderna hat die Oper Satyricon komponiert, die 1973 Premiere in den Niederlanden hatte. Sven Limbeck hat darüber ein Kapitel mit zahlreichen Querverweisen im schwulen Opernführer Casta Diva geschrieben.
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