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Dating-App
Ist Grindr nützlich oder schädlich für die queere Community?
Grindr ist die weltweit größte Plattform für nicht-heteronormatives Dating. Die Meinungen und der öffentliche Diskurs über die Plattform gehen allerdings weit auseinander. Jetzt hat sich Gründer Joel Simkhai zu den Pros und Kontras geäußert.

Mit mehr als 27 Millionen Nutzer*innen in 192 Ländern ist Grindr die am weitesten verbreitete Dating-App für queere Menschen (Bild: IMAGO / ZUMA Wire)
29. Mai 2023, 07:14h 3 Min. Von
Seit 2009 haben queere Personen, vor allem schwule und bisexuelle Männer, durch Joel Simkhais Erfindung den vermutlich kürzesten Weg zur Liebe bzw. zum nächsten Quickie. Ähnlich wie bei Konkurrenz Tinder beruht das Prinzip von Grindr auf geosozialer Interaktion. User*innen werden allerdings nicht algorithmusbasiert vorgeschlagen, sondern entsprechend der Entfernung aufgelistet. Folglich beflügelt die räumliche Nähe zu potenziellen Rendez-vous spontane Begegnungen.
Der Fokus auf die geographische User*innen-Entfernung ist Fluch und Segen zugleich, denn somit wird auch der vorsätzliche Missbrauch erleichtert. Dies äußert sich in einer erhöhten Verfolgungsrate der (oftmals diskreten) Nutzenden, die in der Konsequenz immer wieder Aggressionen gegen queere Personen nach sich ziehen. Nicht ohne Grund titeln News-Portale nahezu regelmäßig mit Überschriften wie "Dating-App bringt Schwule in Gefahr". Umso schwerer wiegen Eklats wie der Verkauf sensibler Nutzungsdaten durch Grindr selbst.
Für Simkhai ist die Plattform nur ein "Werkzeug"
Vor diesem Hintergrund stellte sich Joel Simkhai den Fragen des Influencers Art Bezrukavenko. Der zentrale Aspekt des Interviews lautete: "Ist Grindr nützlich oder schädlich für die schwule Community?". Simkhai selbst differenziert dabei: Seiner Ansicht nach bringt die Dating-App positive als auch negative Aspekte mit sich. Mit Grindr habe er einen Begegnungsraum geschaffen, der Verbindungen innerhalb der queeren Community kreiert. Damit macht er die Plattform zum "Werkzeug", User*innen selbst bestimmen den Umgang damit.
TikTok / Art Bezrukavenko | Frage an Simkhai: Hat er geholfen oder ein Monster geschaffen?@artbezrukavenko Did he helped or created a monster
original sound – Art Bezrukavenko
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Einen deutlichen Unterschied sieht Simkhai zum Dating-Verhalten auf nicht-queeren Plattformen. Tinder, mit dem Fokus auf heterosexuellem Dating, implementierte Sicherheitsfunktionen (wie Fotoverifikation, Facebook-Import sowie Ausweis-Kontrollen) vor allem für Frauen. Simkhai vertritt hier jedoch entgegen der Berichterstattung zu wiederkehrenden Gewalttaten die Auffassung, dass ebenjene Schutzmechanismen "für Männer nicht wichtig" seien. Entsprechend wurden diese Features innerhalb der Dating-App nicht berücksichtigt.
Die Leute sind das Problem, nicht die App. Oder?

Joel Simkhai (Bild: Grindr)
Im Kommentarbereich findet der Gründer überwiegend Zustimmung. Der grundsätzliche Tenor lautet: Die Leute sind das Problem, nicht die App. Dennoch bleibt Kritik nicht aus. Der Vorwurf zielt auf die Software-Architektur, die darauf ausgerichtet sei, Menschen zu Produkten zu machen und durch den anonymen Raum ausgrenzende oder taktlose Verhaltensweisen zu verstärken. Auch vermehrt werden Stimmen für eine integrierte Alters-Verifikation laut. Gerade im Dating-Kontext sei hierbei der Spagat zwischen Daten- und Jugendschutz allerdings besonders prekär.
Insgesamt scheinen queere Menschen am Dating-Erlebnis auf Grindr zu zweifeln. Zurecht, wie "Time Well Spent" bereits 2017 in einer Studie zur Zufriedenheit von Handy-Nutzenden feststellte. Hier erzielte Grindr die schlechtesten Resultate. Untersucht wurde die tägliche Nutzung einer Zielgruppe von über 200.000 Personen. Dass die Dating-App sie unglücklich mache, gaben 77 Prozent der Studienteilnehmenden an, Tinder landete mit 56 Prozent einige Ränge darunter. Ebenfalls interessant: Grindr zählt trotz der negativen Wahrnehmung dennoch zu den Applikationen mit der höchsten Nutzungsdauer. Die Dating-App rankt vor Facebook und Instagram mit durchschnittlich 61 Minuten pro Tag.
Simkhai weist mit seinen Aussagen die Verantwortung von Grindr ab und überträgt diese gänzlich auf die User*innen. In seinem Interview wird deutlich, dass das Unternehmen lediglich die Plattform bieten möchte, ohne in die Autonomie des Netzwerks einzugreifen. Infolgedessen ist das Dating ungebundener, führt allerdings parallel zu einer größeren Unzufriedenheit auf Seiten queerer Personen. Fraglich bleibt, ob Grindr der Fürsorgepflicht umfänglich nachkommt. Letztendlich hängt es an den Nutzenden, die Plattform zu einem angenehmen Ort für alle Beteiligten zu machen.
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