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Nach Merz' Gender-Schelte
CDU-Stimmen rufen eigene Leute zu Mäßigung in Gender-Debatte auf
Friedrich Merz' Behauptung, geschlechtergerechte Sprache treibe Wähler*innen zur AfD, erhält nun auch Widerspruch aus den eigenen Reihen. Karin Prien etwa spricht sich gegen die Führung eines Kulturkampfes aus.

Karin Prien (CDU) ist Bildungsministerin in Schleswig-Holstein und Bundesvize ihrer Partei (Bild: Frank Peter)
- 6. Juni 2023, 13:09h 6 Min.
Am Wochenende brachte der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz das Umfragehoch der AfD unter anderem mit der Nutzung geschlechtergerechter Sprache in Nachrichtensendungen in Verbindung. Mit jeder "gegenderten" Nachrichtensendung gingen ein paar hundert Stimmen mehr zur AfD, so Merz (queer.de berichtete).
Kritik daran hatte es vom Deutschen Journalisten-Verband und von Grünen gegeben. Doch jetzt widersprechen Merz auch Köpfe aus der eigenen Partei. Mit dabei ist Karin Prien, Bildungsministerin von Schleswig-Holstein. Prien, die die geschlechtergerechte Sprache an Schulen in der Vergangenheit selbst per Zeitungsinterview zu verbieten versucht hatte, sprach sich nun gegen eine Verstärkung der Wut von Menschen durch die Partei aus. Lieber als einen Kulturkampf sähe sie "Angebote" durch die Union. Zum Beispiel in der Migrationspolitik und beim Thema Heizen.
CDU-Stimmen gegen Kuturkampf um Gender
Prien, die auch eine von fünf stellvertretenden Bundesvorsitzenden der CDU ist, sagte an Merz gerichtet: "Die Union sollte sich nicht auf Nebenkriegsschauplätzen verkämpfen". Kulturkampf habe noch nie zum Zusammenhalt der Gesellschaft beigetragen. Der "Welt" sagte sie zudem noch: "Natürlich trägt die Politik der Ampel zu diesen Umfragewerten bei, aber wir als CDU sollten die Wut der Menschen nicht noch verstärken." Es gebe Themen, bei denen müssten die demokratischen Parteien "klar erkennbare unterschiedliche Angebote für die Menschen geben". Als Union tue man das beim Gebäudeenergiegesetz, "aber auch bei Flucht und Migration, wo die Ampel keine überzeugenden Lösungsansätze bietet". Es komme dabei auf eine sachliche Tonlage an. "Sachlich" gegen Flüchtlinge und deren Asylrecht statt wütend gegen geschlechtergerechte Sprache also?
Dafür, sich nicht auf das Gendern zu fokussieren, sprach sich auch CDU-Bundesvize Serap Güler aus. "Die Gender-Debatte gehört meines Erachtens definitiv nicht zu den großen Herausforderungen unseres Landes." Es wäre aber ignorant, so Güler, die Wucht zu leugnen, die in der Debatte stecke. Diejenigen, die sich nicht für die geschlechtergerechte Sprache begeistern könnten, hätten oft das Gefühl, man wolle ihnen Rückständigkeit attestiereren. Und niemand wolle als rückständig abgestempelt werden. Insofern habe Merz einen Nerv getroffen und ein Beispiel genannt, das für einige Menschen "sicherlich nicht der einzige Grund ist, zur AfD zu rennen, sondern eher der letzte Tropfen", relativierte sie ihre Merz-Kritik.
Ebenso wandte sich der CDU-Bundestagsabgeordnete Kai Whittaker dagegen, sich beim Thema geschlechtergerechte Sprache politisch zu betätigen. Der Frust über fehlende Konzepte für soziale und öffentliche Sicherheit, so Whittaker, "entlädt sich in der Gender-Debatte". Die CDU müsse sich aber viel mehr auf diese Alltagsprobleme konzentrieren, "anstatt den Moralisten mit ihrem Gender-Geschrei eine Bühne zu bieten". Gemeint waren mit den "Moralisten" und ihrem Geschrei freilich nicht die Kritiker*innen geschlechtergerechter Sprache, sondern Menschen, die einfach nur geschlechtergerecht sprechen.
Konservative "Gender"-Verwirrung
Die Debatte krankt traditionell daran, dass Begriffe wie "Gendern" und "Gender" insbesondere von Gegner*innen geschlechtergerechter Sprache nicht richtig verstanden und in der Bedeutung für ihr Gegenteil gehalten werden. Lukas Kilian, designierter Generalsekretär der CDU in Schleswig-Holstein etwa kann der Debatte ebenfalls nicht ganz folgen, äußert sich aber trotzdem ein wenig sympatischer als sein Parteivoristzender.
Er habe zwar Probleme damit, "wenn Sprache so kompliziert wird, dass man sie nicht mehr versteht", so Kilian. Das sei bereits bei vielen Schreiben von Ämtern und Behörden der Fall. Er selbst achte aber beim Sprechen darauf, "beide Geschlechter, Mann und Frau, zu erwähnen", meint der CDU-Mann in Ignoranz gegenüber der Existenz nichtbinärer Menschen. Seiner Einschätzung nach gehe es in Nachrichtensendungen auch anders zu als von Friedrich Merz behauptet: "So sehe und höre ich bisher auch die Nachrichtensendungen – sie nennen eben beide Formen, Demonstrantinnen und Demonstranten". Darin sehe er "kein Gendern".
Die Formulierung im männlichen grammatikalen Geschlecht sowie die Formulierung im männlichen und weiblichen Genus gilt dem CDU-Mann demnach nicht als Gendern, die Aussprache des Glottisschlags zur geschlechtsneutralen bzw. entgeschlechtlichten Formulierung aber als Gendern.
"Es gibt keinen monokausalen Grund, warum Menschen zur AfD wechseln", so Kilian weiter mit Blick auf Merz. Er halte darum "wenig davon, anderen Ratschläge zu erteilen und über den Zaun zu zeigen, statt sich an die eigene Nase zu fassen". Auch Merz hatte in seinem die Debatte auslösenden Rundschreiben an einigen Stellen auf die sogenannte Beidnennung zurückgegriffen und sich damit selber einer Form geschlechtergerechter Sprache bedient. An anderen Stellen nutzte er das generische Maskulinum und damit eine männlich gegenderte Form.
Mäßigungsaufrufen stehen Anti-Gender-Stimmen entgegen
Noch bevor Merz' Äußerungen zur geschlechtergerechten Sprache zum Thema geworden waren, hatte sich der sachsen-anhältische Ministerpräsident Reiner Haseloff ebenfalls in kerniger Weise zum Thema geäußert. Der "Bild am Sonntag" hatte er gesagt: "In der Ukraine herrscht Krieg und wir kümmern uns um Nebensächlichkeiten wie gendergerechte Sprache. Das ist doch absurd."
Die Debatte geht auf das Rundschreiben "Merzmail" von Parteichef Friedrich Merz vom Samstag zurück, das dann in Auszügen noch einmal via Twitter verbreitet wurde. Resonanz erzeugte vor allem einer von mehreren Tweets. In dem dann vielfach geklickten Beitrag heißt es: "Mit jeder gegenderten Nachrichtensendung gehen ein paar hundert Stimmen mehr zur #AfD. Gegenderte Sprache und identitäre Ideologie werden von einer großen Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr nur im Stillen abgelehnt. Sie werden als übergriffig empfunden."
Frank Überall, der dem Deutschen Journalisten-Verband vorsteht, hatte Merz daraufhin scharf kritisiert und von blankem Populismus auf Kosten der Journalist*innen gesprochen. Merz' Kritik sei wie das Erteilen von "Nackenschläge" gegen die Kolleg*innen, die ohnehin "mächtig unter Druck vom rechtsextremen Rand" stünden. Es brauche darum eher Zuspruch statt Genderkritik, so Überall.
In einem am Montag veröffentlichten Gastbeitrag in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" hatte zudem Unionsvizefraktionschefin Dorothee Bär (CSU) mit einer Warnung vor "Partikularinteressen der queeren Ränder neuer Lebensentwürfe" gegen das Selbstbestimmungsgesetz Stimmung gemacht. Dabei behauptete die 45-Jährige unter anderem, dass es "in" sei, trans zu sein (queer.de berichtete). Kritiker*innen werfen Bär darum vor, nach ihrem Besuch bei Ron DeSantis in Florida auf einen Anti-Trans-Kulturkampf auch in Deutschland zu setzen (queer.de berichtete).
Das Selbstbestimmungsgesetz hätte indes auch für die geschlechtergerechte Sprache Folgen. Erstmals würde es explizit möglich, dass nichtbinäre Personen ohne medizinischen Nachweis einer Intergeschlechtlichkeit den Geschlechtseintrag "divers" erhalten, der vom vorherigen CDU-Innenministerium an den Realitäten vorbei als Geschlechtsmarker für Menschen gedacht war, deren biologisches Geschlecht nicht weiblich und nicht männlich ist. Dadurch dürfte die bisher eher geringe Anzahl an Menschen steigen, die sich auf eine staatliche Anerkennung ihrer nichtbinären Geschlechtsidentität berufen können und die sich durch Gendersternchen und Glottisschlag sprachlich repräsentiert sehen. (jk)

Was ihr vielleicht sagen wolltet: Auch die binäre Doppelnennung ist eine Form von "Gendern". Es ist aber mitnichten eine gerechte Form.