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Interview
John Cameron Mitchell: "Das ist meine Version eines schwulen Bond-Bösewichts"
In der Apple-Serie "Fire in the Sky" spielt John Cameron Mitchell einen fiesen Immobilienmagnaten in New York. Wir sprachen mit dem "Shortbus"-Regisseur über die Rolle, seinen Umzug nach New Orleans und die neue Prüderie im Film.

John Cameron Mitchell als skrupelloser Immobilienmogul Amory Gould in "Fire in the Sky" (Bild: AppleTV)
8. Juni 2023, 08:14h 4 Min. Von
Im April feierte John Cameron Mitchell seinen 60. Geburtstag, doch ans Kürzertreten denkt der schwule Filmemacher, Autor und Schauspieler noch lange nicht. Gerade erst war er Vorsitzender der "Queer Palm"-Jury in Cannes, und auf AppleTV+ ist er aktuell in der Serie "Fire in the Sky" (Originaltitel: "City on Fire") zu sehen.
Wir haben Mitchell, der mit "Hedwig and the Angry Inch" sowie "Shortbus" queere Filmgeschichte schrieb, das Oscar-nominierte Drama "Rabbit Hole" inszenierte und zuletzt unter anderem für "The Good Fight", "Joe vs. Carol" oder eine Folge "Yellowjackets" vor der Kamera stand, ein paar Fragen gestellt.
Mr. Mitchell, in "Fire in the Sky" spielen Sie einen Immobilienmagnaten, der Teil einer reichen Oberschichten-Familie und vor allem ein recht fieser Typ ist. Haben Sie sich dafür von Leuten inspirieren lassen, die Sie aus New York kennen?
Nein, nicht wirklich. Aber ich habe ihn ein bisschen als meine Version eines schwulen Bond-Bösewichts gesehen.
War das der Grund, warum Sie die Rolle angenommen haben?
Auch. Aber natürlich waren auch die Menschen, die an dieser Serie beteiligt waren, ein Grund. Von den Showrunner*innen Stephanie Savage und Josh Schwartz hatte ich zum Beispiel nur Gutes gehört von Leuten, die mit ihnen bereits zusammengearbeitet hatten. Meine Serien-Nichte Jemima Kirke ist schon eine Weile eine gute Bekannte von mir, und auch Beth Malone, die meine Schwester spielt, kenne ich aus der New Yorker Theaterszene. Gerade während Corona war es ein gutes Gefühl, in New York und mit netten Menschen zu drehen. Außerdem kann ich nicht leugnen, dass die Bezahlung ganz gut war. Und Geld war in letzter Zeit auch oft ein entscheidender Faktor bei meinen beruflichen Entscheidungen.

John Cameron Mitchell Anfang Mai bei einem Special Screening von "Fire in the Sky"(Bild: IMAGO / Cover-Images)
Haben Sie deswegen auch seit sechs Jahren keinen Film mehr inszeniert?
Dass das Honorar für Schauspiel-Jobs deutlich besser ist, ist zumindest ein Grund dafür. Und ich brauchte das Geld. Erstens weil ich mir ein Haus in New Orleans gekauft und ein paar Jahre lang renoviert habe, wo ich inzwischen lebe. Und zweitens, weil ich meine schrägeren Projekte irgendwie finanzieren muss, etwa meine fiktionalen Podcasts. Vor ein paar Jahren habe ich mit "Anthem Homunculus" schon mal einen gemacht, unter anderem mit Glenn Close und Laurie Anderson. Und aktuell arbeite ich mit Holly Hunter am nächsten, "Cancellation Island".
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Wie kommt's, dass Sie nach New Orleans gezogen sind?
Ich habe ja sehr lange in New York gelebt, doch die Stadt hat sich – wie alle Metropolen in den USA und vielleicht auch anderswo – einfach sehr verändert. Das Leben dort ist viel zu teuer geworden, dadurch haben junge oder kreative Menschen eigentlich keine Chance mehr. Wer nicht bloß kommerziell denkt, zieht als Kunstschaffender inzwischen in kleinere Städte, die bezahlbarer und nachbarschaftlicher sind. Das beobachtete ich immer häufiger und spürte selbst auch den Drang dazu. Der lebendige, kreative Geist, der lange Zeit in New York herrschte, ist leider größtenteils verschwunden.
"Fire in the Sky" spielt im New York der Nach-9/11-Jahre. Welche Erinnerungen verbinden Sie mit dieser Zeit?
Das war die Zeit nach "Hedwig", als ich schon damit begonnen hatte, meine nächsten Projekte zu entwickeln. Einen Kinderfilm, aus dem nichts wurde, und "Shortbus". Das war durchaus eine Zeit des Umbruchs, für die Stadt genauso wie für mich. Besonders eingeprägt hat sich mir natürlich der große Stromausfall 2003, der nun auch in der Serie vorkommt und den ich auch in "Shortbus" integriert habe. Das war die vielleicht schönste Nacht, die ich je in New York erlebt habe. Alle waren draußen und glücklich, es wurde gefeiert, die Polizei war freundlich und von Kriminalität war nichts zu spüren.

John Cameron Mitchell in "Fire in the Sky"(Bild: AppleTV)
Apropos "Shortbus": Vermutlich könnte man den Film heute kaum noch drehen, oder?
Wahrscheinlich nicht. Zumindest nicht mit dem Budget. Sex ist ja heute kaum noch präsent in Filmen, da gibt es eine ganz neue Prüderie. Und überhaupt sind in Sachen Kultur alle so zurückhaltend, vorsichtig und übersensibel geworden. Wir zensieren uns ständig gegenseitig, um bloß niemanden zu verprellen und stets so korrekt wie möglich zu sein, was ich für Kunstfreiheit und Fortschritt eine bedenkliche und hinderliche Entwicklung halte. Ich bin ein alter Punkrocker und halte von Zensur wirklich gar nichts, egal aus welcher Richtung. Und wir progressiv und links denkenden Menschen stellen uns damit selbst ein Bein. Denn während wir uns Sorgen um kleinste Details der Identitätspolitik Gedanken machen und um uns selbst kreisen, nutzen die Rechten und Faschisten, dass wir abgelenkt sind, werden immer mächtiger und nehmen uns Abtreibungs- und andere Rechte weg.

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Nicht nur im Film. Auch in anderen Bereichen (z.B. Werbung) und im realen Leben lässt sich das beobachten.
Früher war es ganz selbstverständlich, dass im Sommer in Parks auch mal Nackte zu sehen waren. Heute findet sich das kaum noch, da droht gleich eine Anzeige wegen "Erregung öffentlichen Ärgernisses" (ein Paragraph, der eh abgeschafft gehört).
Oder in der Schwimmbad-Dusche: da war man früher (alleine schon aus hygienischen Gründen) in der Regel nackt und diejenigen, die die Badehose anbehielten waren in der Minderheit. Heute ist es genau umgekehrt und wenn man da nackt steht, schauen einen die Leute schon schief an.
Diese neue Prüderie und verklemmte Sexualmoral geht mit Konservatismus und Spießigkeit einher und Freiheit, die über Jahrzehnte erkämpft wurde, geht immer mehr zurück.
Eine sehr bedenkliche Entwicklung!!!