https://queer.de/?46000
Österreich
Wiener CSD: Verdächtige bestreiten Anschlagsabsicht
Nach den Festnahmen vor der Regenbogenparade sitzen ein 14- und ein 17-Jähriger weiter in U-Haft.
- 20. Juni 2023, 14:59h - 3 Min.
In Österreich herrscht weiter große Verunsicherung, nachdem Behörden am Sonntag öffentlich gemacht hatten, einen mutmaßlichen Anschlag auf die Regenbogenparade zum Vienna Pride am Vortag verhindert zu haben (queer.de berichtete).
Der österreichische Staatsschutz DSN hatte zunächst bekannt gegeben, eine Stunde vor Beginn der Demo drei Verdächtige im Alter von 14, 17 und 20 Jahren bei Razzien festgenommen und Waffen und Datenträger sichergestellt zu haben. Die drei Österreicher mit Wurzeln in Tschetschenien beziehungsweise Bosnien seien Sympathisanten der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) und hätten online einen möglichen Anschlag auf den CSD mit Messern oder Fahrzeugen geplant.
Der Staatsschutz hatte die Verdächtigen offenbar schon länger im Visier – für CSD-Besucher*innen habe nach den Festnahmen keine Gefahr bestanden, hieß es am Sonntag, der Pride wurde ebenfalls erst am Sonntag informiert.
Der 20-jährige Bruder des 17-Jährigen wurde am Sonntag vom Landgericht St. Pölten freigelassen, da "kein dringender Tatverdacht" gegen ihn bestehe – die Staatsanwaltschaft hat dagegen Beschwerde eingelegt. Die beiden Brüder lebten in St. Pölten, während der 14-Jährige in Wien wohnte. Für die beiden jüngeren Verdächtigen wurde die Untersuchungshaft bestätigt.
Debatte über Radikalisierung bei TikTok
Nach Medienberichten bestreiten die Jugendlichen in U-Haft die vorgeworfenen Anschlagspläne. Die beiden Männer "räumen die Teilnahme an Chats ein, bestreiten aber die Ernsthaftigkeit ihrer Absichten", sagte Leopold Bien von der Staatsanwaltschaft St. Pölten am Dienstag der Nachrichtenagentur APA. Gegen die drei mutmaßlichen Islamisten wird wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung und krimineller Organisation ermittelt.
Die jungen Männer seien Informationen der APA zufolge in geordneten familiären Verhältnissen aufgewachsen. Ihre Eltern sollen demnach keine stark ausgeprägte religiöse Gesinnung oder gar radikalislamische Tendenzen aufweisen. Die Verdächtigen sollen sich online und nicht in Moscheen radikalisiert haben – auch ein näherer Kontakt zu einer kleinen, aber als gefährlichen eingestuften Islamistenszene in St. Pölten, die bei dem Terroranschlag in Wien 2020 eine größere Radikalisierungsrolle gespielt haben soll, bestehe offenbar nicht. Einem geregelten, strukturierten Alltag gingen die Jugendlichen der APA zufolge zuletzt nicht nach – einer hat eine Lehre als Versicherungskaufmann abgebrochen, der Jüngste soll eher unregelmäßig die Schule besucht haben.
Islamistische Radikalisierung nehme in den letzten Jahren eher ab, betonten Expert*innen in österreichischen Medienberichten, zumal viele Netzwerke zerschlagen wurden. Auch weil sich die Rekrutierung daher ins Internet verlagere, werde die Gruppe der Islamisten in Österreich zugleich jünger und unüberschaubarer, wie auch DSN-Chef Omar Hajawi-Pirchner am Sonntag erklärt hatte. Die Verdächtigen hätten sich mutmaßlich über Internet-Prediger unter anderem bei TikTok radikalisiert: "Die Verdächtigen gehören genau zur Zielgruppe dieser Prediger. Sie sind jung und haben sich auf TikTok oder anderen Social-Media-Kanälen selbst radikalisiert", so Hajawi-Pirchner. Entsprechend gibt es in der österreichischen Politik eine größere Debatte über Verantwortung und Regulierung sozialer Netzwerke sowie der Überwachungsmöglichkeiten der Behörden.
An der Regenbogenparade am Samstag beteiligten sich insgesamt rund 300.000 Menschen. Nach Angaben der Polizei seien 700 Beamt*innen, teils mit Spezialausbildung, im Einsatz gewesen. Dazu zählte auch die Begleitung einer zeitgleichen queerfeindlichen Demo, dem "Marsch der Familie" mit mehreren hundert Teilnehmenden aus erzkonservativen und rechten bis rechtsextremen Kreisen. Wie in Vorjahren hatte sich ihnen eine Gegendemo mit mehreren tausend Menschen entgegen gestellt. (cw)
Mehr zum Thema:
» Islamistischer Anschlag auf Wiener Pride-Parade vereitelt (18.06.2023)















