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Berlin
Polizei-Gewerkschaften gegen "neue" Richtlinien zum Umgang mit trans und inter Personen
In Pressemitteilungen zu überarbeiteten Qualitätsstandards bei körperlichen Durchsuchungen machen sich DPolG und GdP über Anliegen geschlechtlicher Minderheiten lustig.

Symbolbild: Die Gewerkschaften scheinen überrascht, dass trans und inter Personen schon seit Jahren das Recht haben, von einer Person ihres Geschlechts untersucht zu werden (Bild: Polizei Berlin / Youtube)
- 4. Juli 2023, 17:34h 6 Min.
Analog zur transfeindlichen Stimmungsmache rund um das geplante Selbstbestimmungsgesetz ist in Berlin ein Streit um überarbeitete Richtlinien zum Umgang mit trans oder intergeschlechtliche Personen ausgebrochen. So sieht der regionale Landesverband der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) in einer Pressemitteilung eine "Woke Culture" am Werk und warnt vor "Missbrauch" – und das obwohl die Richtlinien laut Polizei oder queeren Verbänden schon längst angewandte Praxis sind.
Konkrekt geht es um eine Überarbeitung der Qualitätsstandards (QS) zur Durchsuchung, Beschlagnahme und Sicherstellung, bei der festgestellt wird, dass auch trans oder inter Personen bei einer das Schamgefühl betreffenden Untersuchung das Recht haben, von einer Person ihres Geschlechts untersucht zu werden. "Somit ist das primäre Geschlechtsorgan der betroffenen Person nicht mehr das Hauptkriterium bei polizeilichen Durchsuchungen", ätzt dazu bereits die Pressemitteilung der DPolG.

An welche Empfänger richtet die Gewerkschaft eigentlich Pressemitteilungen über "Woke Culture"?
Die Gewerkschaft, bundesweit vor allem durch ihren umstrittenen Bundesvorsitzenden Rainer Wendt bekannt, sieht so im polizeilichen Alltag "Unsicherheit, zusätzliche Gefahren und wiederum sexuelle Diskriminierungen für die Mitarbeitenden der Polizei" aufkommen: So könne eine Person mit männlichen Geschlechtsmerkmalen auf Durchsuchungsmaßnahmen durch weibliche Dienstkräfte bestehen. Das sei "kein zumutbarer Zustand für unsere Kolleginnen und Kollegen".
Die Pressemitteilung benennt auch eine "weitere Schwierigkeit": "Auf Wunsch soll ein Arzt hinzugezogen werden." Doch Ärzte seien nicht schnell verfügbar und müssten erst zum Ort gebracht werden. "Die Anpassung der Qualitätsstandards ist schlecht gemacht", meint daher der DPolG-Landesvorsitzende Bodo Pfalzgraf. "Sie muss sofort aufgehoben und praxisnah gestaltet werden."
DPolG gegen "moralisierte" Minderheiten-Interessen
Die Pressemitteilung der DPolG arbeitet sich aber noch weiter und allgemeiner am sensiblen Umgang mit Minderheiten ab. Zunächst weist sie darauf hin, dass "die Polizei Berlin seit vielen Jahren betroffene Personen aus diesen Gruppen, die Diskriminierung erfahren, durch geschultes Personal unterstützt", womit wohl die Ansprechpersonen für LSBTIQ gemeint sind. "Die Intention hinter diesen angepassten Qualitätsstandards ist also politisch motiviert", meint die DPolG danach wirr. Die darauf folgenden Passagen lassen den Gedanken erkennen, dass man die Polizei im eigenen Alltagsgeschäft, wie etwa Durchsuchungen, mit entsprechenden Fragen in Ruhe lassen sollte.
Mehr Problem als Lösung! Warum die angepassten Qualitätsstandards zur Durchsuchung, Beschlagnahme und Sicherstellung bei...
Posted by Berlin, Polizei: DPolG on Friday, June 30, 2023
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So führt die Gewerkschaft aus, dass der – in diesem Zusammenhang von ihr selbst aufgebrachte – Begriff "Woke" als "Aufmerksamkeit, Wachsamkeit bzw. Feinfühligkeit gegenüber Menschen in Minderheitensituationen, marginalisierten Gruppen und Momenten von Diskriminierungen" definiert werde. "Gesellschaftlich werden die Bedürfnisse dieser Minderheiten durch ihre Interessenvertreter lautstark an die Mehrheitsgesellschaft herangetragen und oft moralisiert zum Ausdruck gebracht", so die DPolG.
Dass in den Qualitätsstandards "schwammige Regelungen in Kraft gesetzt" würden, "die viel Raum für Missbrauch und Fehlinterpretation lassen", sei Ausdruck zwei angeblich nicht leicht vereinbarer Welten: "Die Grundlagen polizeilichen Handelns (…) und das Bedürfnis nach Akzeptanz der LSBTIQ+ und ihrer nicht abschließend definierten Anzahl an geschlechtlichen Identitäten." So macht sich die Gewerkschaft im besten AfD-Sound auch noch über geschlechtliche Minderheiten lustig, was das Vertrauen von Minderheiten in die Polizei nicht sonderlich vergrößeren dürfte.
Auch GdP macht sich über Anliegen lustig
Kritik kommt aber auch von der anderen, größeren Polizeigewerkschaft. "Angesichts solcher Empfehlungen braucht keiner mehr behaupten, die Polizei Berlin täte nicht alles für mehr Bürgerfreundlichkeit", meinte Benjamin Jendro, Sprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP), ironisch zu den Qualitätsstandards gegenüber der "Berliner Zeitung". "Es wird auf wirklich alles und jeden Rücksicht genommen, nur auf unsere auf der Straße arbeitenden Kolleginnen und Kollegen nicht." Das öffne "Tür und Tor für Menschen, die so etwas maßlos ausnutzen".
+++ Berliner Polizei macht neue Vorgaben für Durchsuchungen von Trans-Personen – GdP bezieht Stellung für die Kolleg....
Posted by Gewerkschaft der Polizei – GdP Berlin on Friday, June 30, 2023
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Auch Jendro machte sich über die Anerkennung geschlechtlicher Minderheiten lustig: In der Zeitung forderte er keine dienstrechtlichen Folgen, "wenn eine Kollegin oder ein Kollege aus Pietätsgründen keine Rücksicht auf potenzielle Straftäter nehmen kann oder der Kollege sich spontan dafür entscheidet, sich auch als anderes Geschlecht zu fühlen."
Regelungen praktisch längst in Kraft
Liest man nüchternere Artikel zum Thema, scheinen es eher die Polizeigewerkschaften zu sein, die hier "etwas maßlos ausnutzen". Sowohl die "Berliner Zeitung" als auch die "Morgenpost" zitieren einen Polizeisprecher, dass man bereits seit 2010 eine entsprechende "klare Regelungslage für Durchsuchungen von trans und intergeschlechtlichen Personen" habe. Die Qualitätsstandards seien so angepasst worden, dass sie wortgleich mit der Strafprozessordnung seien, und Rechts- und Handlungsunsicherheiten vermeiden helfen sollen. Die Standards wurden am 22. Juni an die Polizeidienststellen verschickt und "aufgrund mehrfach aufgetretener Missverständnisse" überarbeitet, wie es im Anschreiben heißt.
Gemäß StPO werden Durchsuchungen von einer Person gleichen Geschlechts oder von einer Ärztin oder einem Arzt vorgenommen. "Bei berechtigtem Interesse soll dem Wunsch, die Untersuchung einer Person oder einem Arzt bestimmten Geschlechts zu übertragen, entsprochen werden", heißt es im bundesweiten Gesetz. "Eine Trans- oder Intergeschlechtlichkeit muss hierbei glaubhaft sein", so der Berliner Polizeisprecher zur gängigen Praxis gegenüber der "Morgenpost." Dies könne unter anderem auch durch einen Ergänzungsausweis der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (DGTI), das optische Erscheinungsbild oder ärztliche Unterlagen geschehen.
Die Webseite von VelsPol, dem Mitarbeiternetzwerk für lesbische, schwule, bi-, trans- und intersexuelle Polizei- und Justitzbedienstete, weist auf ihrer Webseite auf eine entsprechende Berliner Handhabe seit 2010 hin, die sich auf diverse Durchsuchungsarten von Personen nach StPO oder dem Berliner Sicherheits- und Ordnungsgesetz bezieht. Auch die Webseite von VelsPol Berlin-Brandenburg vermerkt eine entsprechende jahrelange Praxis in beiden Bundesländern. Der Verband hatte in der letzten Woche gegenüber queer.de erklärt, mit der DPolG das Gespräch zu den "bedenklichen Äußerungen" der Gewerkschaft suchen zu wollen.
VelsPol sieht jahrelange Arbeit gefährdet
Es handle sich um "keine neuen Vorgaben der Polizei Berlin", sondern um "alltägliche Praxis im Umgang mit transidenten und intergeschlechtlichen Personen", schrieb der regionale VelsPol-Chef Marco Klingberg der DPolG inzwischen bei Facebook unter ihre Stellungnahme. "Die nun von der Polizei erstellten Qualitätsstandards bieten ein Hilfestellung zur Handlungssicherheit der Kolleginnen und Kollegen. Viele andere Landespolizeien haben Handlungshinweise bzw. Handlungsempfehlungen im Umgang mit Trans* und intergeschlechtlichen Personen erarbeitet und den Kolleginnen und Kollegen zur Verfügung gestellt."
Diese würden "auch dankend angenommen", da die Polizeikräfte "dadurch in bestimmten Fällen handlungssicher werden und mit den entsprechenden Personengruppen respektvoll umgehen können." Klingberg, der auch Ansprechpartner für die Community im Polizeipräsidium Land Brandenburg ist, beklagte, mit den Äußerungen der Gewerkschaft werde "die jahrelange gute Arbeit meines Landesverbandes und die der Ansprechpersonen für LSBTIQ der Polizei Berlin und auch der anderen Landespolizeien und der Bundespolizei in Frage gestellt."

Für Vertrauen gegenüber der Polizei dürfte auch nicht sorgen, dass die queerfeindliche Publizistin Bigit Kelle in der letzten Woche als erste über die überarbeiteten Qualitätsstandards "berichtete", noch vor den Gewerkschaften
Auch die GdP musste auf Facebook Kritik für ihr "unreflektiertes Statement" einstecken: "Es geht hier um Identitäten und nicht um ein 'spontan mal so fühlen'! Durch diese Worte werden Jahre der Vertrauensarbeit gefährdet", schrieb jemand. "Welcher Kolleg*in tut es weh, auf den berechtigten Wunsch einer trans* oder inter* Person einzugehen?", hieß es in einem anderen Kommentar.
"Ich kann ehrlich gesagt dieses 'Echauffieren' des GdP-Sprechers in keinster Weise nachvollziehen", schrieb Tobias Kreuzpointner von der Zentralen Ansprechstelle LSBTIQ* beim Landespolizeiamt Schleswig-Holstein. Schon vor 2023 habe es eine Dienstanweisung gegeben, "die bestimmt hat, dass bei Durchsuchungen von Trans* Personen auch im Gefahrenabwehrrecht analog der StPO zu verfahren ist. Also keinesfalls neu! Mich macht der aus dem Sinnzusammenhang gegriffene Vergleich wirklich wütend und ich kann hier nur Polemik erkennen. Keine trans* Person 'fühlt sich mal spontan so'." (cw)













