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Folge 29 von 53
Schwule Symbole im Film: Orte und Regionen
Es gibt viele besondere Orte, einige bedeuten Heimat. Orte können auch queere Bedeutungen haben – wie San Francisco und New York, die zum Gründungsmythos der Bewegung gehören. Das mystische Venedig inspirierte Visconti ebenso wie Cadinot.

Venedig auf einem Cover eines Pornos von Jean Daniel Cadinot: "Le voyage à Venise"
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16. Juli 2023, 03:09h 28 Min. - Diese Artikelserie wurde gefördert von der Homosexuellen Selbsthilfe e.V., www.hs-verein.de.
Abstrakte Orte – Heimat und Gosse
Für viele Schwule ist ein bestimmter Ort die Verkörperung ihrer Vorstellung von Heimat. Das kann zum Beispiel ein Haus (Folge 24) sein, das als Zuhause gesehen wird. Das Gefühl von Heimat kann sich auch auf das Heimatland beziehen oder ganz ortsunabhängig sein, wobei es auch Menschen gibt, die sich in ihrem eigenen Land heimatlos fühlen. Gerade Schwule haben nicht selten ein gebrochenes Verhältnis zu Heimatorten oder -ländern. Begriffe wie "Gosse" werden meistens nicht als Bezeichnung von einem Weg verwendet, sondern kennzeichnen eher Orte des sozialen Abstiegs.
Heimatort – heimatlos im eigenen Land
Durch gesellschaftliche Ächtung und Strafverfolgung können sich Schwule im eigenen Land heimatlos fühlen. Der Titel "Another Country" (1984) verweist auch mit seinem Untertitel "Die Konventionen schockiert. Eine soziale Klasse verlassen. Ein Land verraten" auf die gefühlte Heimatlosigkeit des schwulen Protagonisten, der sich aufgrund seiner Homosexualität in seinem Land nicht angenommen fühlt und deshalb zum Spion des KGB wird. In "Erdbeer und Schokolade" (1994) muss Diego seine Heimat Kuba aufgrund seiner Homosexualität verlassen. Einige Filme wie "Looking for a space. Lesbians and gay men in Cuba" (1993) deuten die fehlende Akzeptanz für Schwule und Lesben im eigenen Land schon im Titel an. Gerade Kuba hat seit den 1990er Jahren hinsichtlich der Akzeptanz queerer Menschen eine bemerkenswerte Entwicklung gemacht. Filme bieten eine gute Möglichkeit, die Fragen von Heimatlosigkeit, Emigration, innerer Emigration und das Erkämpfen von einem Platz im eigenen Land aufzugreifen.
Hinweisen möchte ich auch auf den Film "Ein Zuhause am Ende der Welt" (2004) über den Außenseiter und Waisenjungen Bobby. Der Film "Nomansland" (2013) beleuchtet Kopenhagens schwule Underground-Szene, wobei sich der Titel mit "Niemandsland" übersetzen lässt. "Heimat ist kein Ort" (2015) erzählt von Uwes schwierigem Leben, der nach dem Tod seiner Mutter in ein Heim kam.

Heimatlosigkeit in "Another Country" (1984) und Niemandsland in "Nomansland" (2013)
Neuer Heimatort – heimatlos im fremden Land
Es gibt Schwule, die ihre Heimat verlassen und in einem anderen Land ihr Glück suchen. Manchmal wird eine solche Reise als "Heldenreise" geschildert (siehe "Wege" in Folge 28), manchmal aber auch nur die Situation im zunächst fremden Land geschildert und damit indirekt die Frage von Heimat aufgegriffen. Wenn sich in "Mala Noche" (1985) ein US-Amerikaner in einen mexikanischen Emigranten verliebt, knüpft dies an das Bild vom "Schmelztiegel der Nationen" an, das die USA zum Teil von sich haben. In dem Kurzfilm "The Bridge" (2005, hier online) reflektiert ein schwuler Australier über die Einwanderungsprobleme seines russischen Freundes. Ryan, der in "Drift" (2000) illegal in den USA lebt, kommt sich immer "unterwegs" und "ohne Zuhause" vor. Das Zitat von Malik in "Le fil. Die Spur unserer Sehnsucht" (2009) in seinem Heimatland Tunesien "Fremde sind die Einzigen, mit denen ich mich verstehe", verweist in eine ähnliche Richtung. Geht es in Filmen um interkulturelle Liebesbeziehungen, werden diese häufig als Culture-Clash-Dramen dargestellt, in denen es Konflikte mit der Familie und dem sozialen Umfeld gibt, wie in "Ander" (2009), worin die Liebesgeschichte zwischen einem baskischen Bauern und einem peruanischen Einwanderer erzählt wird.
Straßen und Gossen – Orte des sozialen Abstiegs
Die Filmtitel "Straßenkinder" (1991) und "Gossenkind" (1992) verweisen auf sich prostituierende Kinder bzw. Jugendliche und auf einen Ort, der mit sozialem Abstieg und gesellschaftlicher Ausgrenzung gleichgesetzt wird. Im erstgenannten Film leben die Kinder unter einer Brücke. Als feststehender Begriff verbindet die Formulierung "unter der Brücke" ebenfalls einen Ort mit der sozialen Situation. Von Straßenjungen und ihrem Leben handeln auch die Filme "Pixote" (1982), "Mala Noche" (1985) und "The Fruit Machine" (1988). Der Titel des Films "Die Straße der bösen Jungs" (2012) von Todd Verow greift keine Wegemetapher auf, wie man zunächst annehmen könnte, sondern ist eine Ortsmetapher, weil auch mit dieser Straße der soziale Abstieg gemeint ist.

Prostitution in "Gossenkind" (1992)
Der Berliner Bahnhof Zoo ist für viele nicht nur ein Ort des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs, sondern steht auch für Prostitution. Durch die Filme "Die Schulmädchen vom Treffpunkt Zoo" (1979) und Rosa von Praunheims "Die Jungs vom Bahnhof Zoo" (2011), aber vor allem durch "Christiane F. Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" (1981) wird auf die soziale Situation von Menschen verwiesen, die hier anschaffen.
Paul und sein schwuler Bruder Daniel versuchen in "Leben tötet mich" (2002), im Leben erfolgreich zu sein, und wohnen "am Rande von Paris". Weil sie in einem sozial schwierigen Stadtviertel wohnen, lässt sich dieser Hinweis leicht mit "am Rande der Gesellschaft" assoziieren und ist vermutlich auch so gemeint. Ähnlich wie das Leben in einem Hochhaus (Folge 24) verweist auch diese Angabe eher auf die soziale Situation als auf die Wohnung selbst.
Dorf und Großstadt – Natur und Kultur
Eine Stadt kann u.a. für das Bedürfnis nach Geselligkeit, Abwechslung, sozialem Austausch und – je nach Größe – für Anonymität stehen. Ein Dorf kann klischeehaft für eng gefasste Vorstellungen, weitverzweigte soziale Kontakte und starke soziale Kontrolle stehen. Für Schwule kommen eigene Bedeutungen hinzu: Städtische Strukturen bieten eine größere Szene und größere Toleranz; dörfliche Strukturen werden mit mehr gesellschaftlichen Vorurteilen assoziiert.
Es gehört zum typischen Sujet einer "Heldenreise" (Folge 28), dass ein Schwuler vom Dorf in die Großstadt zieht und hier seine Homosexualität erkennt und auslebt. Es gibt einige Schwulenfilme, die das schwierige Leben auf dem Dorf fokussieren. In "Jagdszenen aus Niederbayern" (1969) wird in einem Dorf Jagd auf Schwule gemacht und in "A Death in the Family" (1987) kommt die konservativ-christliche Familie aus einer Kleinstadt zu Besuch und hat große Schwierigkeiten, Andys Homosexualität zu akzeptieren. "Stadt, Land, Fluss" (2011) thematisiert die schwierige Lebensrealität junger Schwuler fernab der Großstadt und in "Oben ist es still" (2013) geht es um die fehlenden Möglichkeiten der Selbstverwirklichung. "Ander" (2009) ist ein Porträt des Alltags im ländlichen Baskenland im Kontext rigider Moralvorstellungen. Nach Aussage des Regisseurs versteht sich dieser Film "als notwendiger Gegenentwurf zur stereotypen Repräsentation schwulen Lebens in Spanien. Denn oft wird der Eindruck erweckt, dieses fände […] nur in den Großstädten statt und die urbane Umgebung sei gewissermaßen das natürliche Habitat" von Schwulen und Lesben (filmreporter).

Typisch Dorf? "Jagdszenen aus Niederbayern" (1969) und "Ander" (2009)
In einigen schwulen Dorf-Filmen wie "Silver Road" (2006) und "Vacationland" (2006) wird der Wunsch nach einem Leben in der Großstadt nicht ausgelebt, ist aber angelegt. In seltenen Fällen führt vor allem die Familie dazu, dass ein Schwuler aus der Stadt aufs Dorf zieht oder seine Familie dort besucht, wie in "Heartland" (2007), "Far West" (2003) und "Männer al dente" (2010).
Pornos – die Ästhetisierung der Gosse
Auch für Pornos gilt, dass Straßen einerseits wie in Roadmovies symbolisch als "Weg" inszeniert sein können, andererseits häufig als Orte des sozialen Abstiegs erscheinen, die hier auf manchmal fragwürdige Weise sexualisiert, exotisiert und romantisiert werden. Eine Straße und eine Gosse, die eng und schmutzig ist, kann für den sozialen Abstieg stehen ("Black Street Fever", "Gutter Punks"). Eine Steigerungsform sind Slums ("Favella [sic]. City of Boys"). Die Straße ist hier nicht nur Lebensraum ("Bad Boys"), sondern auch Jagdrevier ("Street Hunting") und wird von Straßengangs beherrscht ("Street Boys", "Bareback Street Gang"). Nicht nur die Straße ("Hustler Alley"), sondern auch das Bild einer Laterne ("Atlantas Hustler", "Brother Hustlers") verweist in einigen Fällen zeichenhaft auf männliche Prostitution. Mit seinen Pornos "2ème sous-sol" und "Gamins de Paris" hat auch Jean Daniel Cadinot in nicht unüblicher Form Obdachlosigkeit ästhetisiert und romantisiert.

Die Straße als Jagdrevier in "Street Hunting" und als Ort von Straßenprostitution in "Hustler Alley"
Regionen und Länder
Mit Himmelsrichtungen lassen sich Gegensätze wie arm und reich beschreiben, etwa in Begriffen wie "Nord-Süd-Gefälle". In einigen Filmen steht der unterkühlte Norden dem angeblich auch emotional "heißeren" Süden entgegen. "Go West" ist nicht nur ein Lied der Village People, sondern lässt sich als Slogan auch auf die USA und auf eine Flucht aus der DDR in die BRD beziehen. Auch einzelne Länder werden mit klischeehaften Vorstellungen belegt, wie Frankreich als Land von Lebensart und kulinarischen Genüssen. Einige Länder werden zudem mit eigenen schwulen Assoziationen verbunden.
Osten und Westen in Europa – "West fickt Ost"

Das arme Osteuropa und das reiche Westeuropa in "Eastern Boys. Endstation Paris" (2013)
Es gibt ein schönes Gedicht des schwulen Autors W. H. Auden, das auf der Beerdigung in "Vier Hochzeiten und ein Todesfall" (1994) vorgelesen wird und die Zeile enthält: "He was my North, my South, my East and West / My working week and my Sunday rest". Es zeigt eindrucksvoll, wie Himmelsrichtungen als Symbol für die gesamte Welt eingebunden werden.
Von Jürgen Brüning, dem Mitbegründer des schwulen Pornolabels Cazzo Film, stammt der Film "West fickt Ost" (2001). Auch wenn der "spekulative Filmtitel" ein "leeres Versprechen" bleibt ("Out im Kino", 2003, S. 376), verdeutlicht er trotzdem das Gefälle zwischen Ost- und West-Berlin. Es geht neben Sex auch um den oft kritisierten Umstand, dass der Westen im Rahmen der Wiedervereinigung den Osten dominierte, wobei sich diese Diskussion nicht nur auf Ost- und West-Berlin reduzieren, sondern auch auf die BRD und die DDR insgesamt übertragen lässt.
Einen anderen Zugang zu Himmelsrichtungen bietet "Eastern Boys. Endstation Paris" (2013), der schon im Titel die schwierige Situation von Jungs aus Osteuropa andeutet und von dem aus der Ukraine stammenden Stricher Marek handelt. Der Film ist realistisch, weil Osteuropa nicht nur assoziativ mit Armutsprostitution verbunden wird, sondern weil dies auch tatsächliche soziale Verhältnisse in Europa widerspiegelt.
Norden und Süden in Europa – Bürgertum und Künstlertum bei Thomas Mann
Die Bedeutung des Südens für Homosexuelle hat der Literaturwissenschaftler Jan Steinhaußen so charakterisiert: "Homosexuelle verbanden mit dem Süden geistesgeschichtlich vor allem die Antike, ihre sexuelle Freizügigkeit und Toleranz, ihr Schönheitsideal […] sowie die mannmännliche Gesellschaft. Der Süden symbolisierte das homosexuelle Paradies" ("Aristokraten aus Not und ihre Philosophie der zu hoch hängenden Trauben", 2001, S. 179).
Das lässt sich gut anhand zweier Filme aufzeigen, die nach literarischen Vorlagen von Thomas Mann entstanden sind und die den unterkühlten Norden dem auch emotional warmen Süden konträr gegenüberstellen, wie es auch Nora Berger in ihrer Arbeit "Die Nord-Süd-Polarität in den Erzählungen von Thomas Mann" (2017) herausarbeitet. Swantje Ehlers schreibt in "Tonio Kröger von Thomas Mann" (2019, hier online) zur strukturbildenden Gliederung des Raumes in Norden und Süden: "Mit dieser geographischen Gegenüberstellung sind kulturelle Stereotype, Schematisierungen und Wertzuschreibungen verbunden. Mit dem Norden sind das Bürgertum, die Erkenntnis und das Männliche assoziiert, mit dem Süden das Künstlertum, das Sinnliche und das Weibliche." Eine solche Zuordnung, die auch den Aspekt des homoerotischen Begehrens betreffen, das dem Süden bzw. Italien zugeordnet wird, ist nicht zuletzt in den Filmen "Tonio Kröger" (1964) und Luchino Viscontis "Der Tod in Venedig" (1971) spürbar, die ohne diese Zuschreibungen nicht funktionieren würden.

Der heiße Süden in Luchino Viscontis "Der Tod in Venedig" (1971) nach Thomas Mann
Italien – Flucht, Asyl und schwules Paradies
In Italien werden Schwule seit 1887 nicht mehr strafrechtlich verfolgt. Daher war das Land schon vor 130 Jahren nicht nur ein Land von Flucht und Asyl, sondern in der Vorstellung vieler Schwuler so etwas wie ein ersehntes Paradies. Diese besondere historische Bedeutung wird am Ende des ersten deutschen schwulen Nachkriegsfilms "Anders als du und ich" (1957) angedeutet: Der homosexuelle Dr. Boris Winkler versucht vor den deutschen Strafverfolgungsbehörden nach Italien zu fliehen. Eine besondere Bedeutung für homosexuelle Männer hatte früher die italienische Insel Capri, die in dem Film "Oscar Wilde" (1997) eine kurze Erwähnung findet. In "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt" (1971) wird – ganz nach Goethe – Italien als das Land, wo die "Zitronen blühen", besungen. Dass Italien eine solche Rolle als schwules Sehnsuchtsland spielte und nicht etwa Frankreich, hatte neben dem Strafrecht noch andere Gründe: Erstens gab es eine lange Tradition, den Italienern einen besonderen Hang zur Homosexualität zuzuschreiben und zweitens spielte das ökonomische Nord-Süd-Gefälle – Stichwort Sextourismus – eine große Rolle.
Der Film "The Dying Gaul" (2005) bezieht sich im Titel ("Der sterbende Gallier") auf eine antike Statue und damit nur noch sehr indirekt auf die große assoziative Bedeutung des antiken Italiens. Neuere italienische Schwulenfilme wie "Männer al dente" (2010) und "Mascarpone" (2021) kreieren symbolische Bedeutungen eher über das Essen und damit über kulinarische Genüsse, wofür das Land ja ebenfalls steht.
Griechenland – Legitimation durch die Antike
Die vielen Belege für gleichgeschlechtliches Sexualverhalten im antiken Griechenland werden oft als Beispiel für Toleranz gegenüber Homosexualität herangezogen. Auch Begriffe wie "griechische Liebe" und "hellenische Liebe" sind Ausdruck davon. Wie sich Spuren dieses Stereotyps in Filmen niederschlagen, kann man gut an Oscar Wildes Roman "Das Bildnis des Dorian Gray" verdeutlichen, der mehr als 15-mal verfilmt wurde. Schon in Dorians Namen kann man "einen Verweis auf den griechischen Stamm der Dorer (engl. Dorians) und somit auf den Euphemismus 'griechische Liebe' für Homosexualität" sehen. Unterstützt wird diese These durch Bezüge zur griechischen Mythologie wie Vergleiche Dorians mit Narziss und Adonis (Wikipedia), Figuren aus der griechischen Mythologie, die – auch unabhängig von Wildes Roman – im schwulen Kontext einige Spuren in Filmen hinterlassen haben.

"Das Bildnis des Dorian Gray" in der Verfilmung mit Helmut Berger (1969)
Wenn in "Maurice" (1987) ein Lehrer in einem viktorianischen Internat sagt: "Die Laster der Griechen lassen Sie bitte aus", ist das "Laster" leicht als Homosexualität zu identifizieren. Vor allem in älteren Filmen ist zu beobachten, wie in Wohnungseinrichtungen von Schwulen Bezüge zur Antike hergestellt werden, so durch die antik-griechisch wirkenden Statuen in "Anders als die Andern" (1919), "Ein Stall voll süßer Bubis" (1969), "Unter der Treppe" (1969) und "Oscar Wilde" (1997). Im Garten von Yukio Mishima in "Mishima. Ein Leben in vier Kapiteln" (1985) ist eine lebensgroße Kopie einer antiken Statue zu sehen.
Weil sich die Schwulen heute weniger als vor 50 oder 100 Jahren an der Antike orientieren, um ihre Liebe zu legitimieren, werden auch die Referenzen in Filmen seltener. In "Cheers" (Folge 1/16, 1983) reicht schon die Bestellung eines "Sokrates-Tellers" beim Griechen aus, um in nicht ganz ernst gemeinter Form Gerüchte über Homosexualität aufkommen zu lassen, und in François Ozons "Sitcom" (1998) hält der Vater am Tisch eine kurze Rede über gleichgeschlechtlichen Sex in der griechischen Antike:
US-Bundesstaat Kansas – kitschige Heimat und patriarchale Realität
Das Filmzitat "Wir sind nicht mehr in Kansas" stammt von Dorothy (D: Judy Garland) in "Der Zauberer von Oz" (1939). Sie ist nicht mehr dort, wo sie herkommt, sondern in einem Wunderland, wo alles möglich ist. Dieses Kansas-Zitat hat Hannes Stein in der "Welt" ("Wir sind nicht mehr im grauen Kansas", 28. Dezember 2009) als einen "der wichtigsten Sätze der Filmgeschichte" bezeichnet und damit noch nicht einmal die besondere schwule Bedeutung des Films und der Schwulenikone Judy Garland erfasst. Dass der schwule Protagonist in Roland Emmerichs "Stonewall" (2015) aus Kansas kommt, ist deshalb kein Zufall, sondern eine Judy-Garland-Referenz. Hierzu schreibt Tilman Krause in seiner Filmkritik in der "Welt" (20. November 2015): "Der ländliche Mittlere Westen […] ist zutiefst patriarchalisch, autoritär und sportfanatisch dargestellt. So, wie es das Klischee von den USA in den Sechzigerjahren seit Abertausenden Romanen und Filmen will."
Eine deutlich erkennbare Referenz auf das Kansas-Zitat bietet der schwule Kurzfilm "Kansas" (2014, hier online), in dem sich nach einer Kostümparty zwei Freunde (verkleidet als Zinnmann und Vogelscheuche) näherkommen. Bei zwei Filmen ist der Bezug unklar: In "Mysterious Skin" (2004) ist die Handlung vielleicht nur zufällig im Bundesstaat Kansas angesiedelt. In "Howl" (2010) geht es um das gleichnamige berühmte Gedicht von Allen Ginsberg mit der Zeile "Weil der Kosmos instinktiv vibrierte zu ihren Füßen in Kansas".

Der Kurzfilm "Kansas" (2014) mit einem schwulen Zinnmann und einer schwulen Vogelscheuche
Pornos – der Süden des Körpers und die Freuden des Orients
Auch in Titeln von Pornos wird in einigen Fällen aus der Himmelsrichtung ein Symbol, wobei der Süden am präsentesten ist wie in "Jocks and Twinks of the South": Der Süden kann auf Oralverkehr ("Put some South in your mouth") und als "tiefer Süden" ("Deep South") auf Deepthroating verweisen. Die Bezeichnung "südlich" kann, wie in "South of the Border", auf den Körper und genauer gesagt auf den Schwanz bezogen sein. Der Norden ist weniger präsent: Der Porno "Up North" greift nach seiner Inhaltsbeschreibung den stereotypen Kontrast zwischen "harten", proletarischen Männern aus Englands Norden und "soften" Männern aus dem Süden Englands auf. Nimmt man noch Pornos wie "Ost-Berlin" und "Going West" hinzu, sind auch in Pornos alle Himmelsrichtungen vertreten.
Es gibt Schwulenpornos, die das Klischee von den "geheimen Freuden" des Orients bedienen ("Plaisirs cachés d'Orient"). Der Orient galt bis weit ins 20. Jahrhundert dem Westen als Hort der Sinnenfreude und Freizügigkeit. Es handelt sich um Projektionen und Konstrukte, in denen sich die Wunsch- oder Feindbilder bzw. die Selbst- und Fremdbilder des Westens manifestieren. Ähnliches gilt für andere Pornos mit Schauplätzen in arabischen Ländern ("Arabian Excess", "Men of the Middle East"), in Afrika ("Out in Africa"), Frankreich ("French connection") und Italien ("Meeting in Milano", "Geiles Treffen Mailand", "Pizza Cazzone").

Der Orient und der mittlere Osten als Fiktion und Projektion: "Plaisirs cachés d'Orient" und "Men of the Middle East"
Einzelne Städte (A-Z)
So unterschiedliche Orte wie Woodstock und Auschwitz sind zu Symbolen geworden und verdeutlichen, wie alleine die Nennung von Orten Assoziationen auslösen kann und von kollektiven Vorstellungen bzw. Klischees geprägt ist. Im Zusammenhang dieses Artikels ist es nicht entscheidend, ob die Klischees realistisch und zutreffend sind, sondern dass sie in Filmen verwendet werden und funktionieren. Vor allem Großstädte haben einen besonderen Klang und faszinieren Menschen. In einzelnen Fällen haben Städte auch für das kollektive schwule Bewusstsein eigene und nicht übertragbare Bedeutungen.
Berlin – Teilung, Ost-West-Konflikt und schwuler Sehnsuchtsort
In der Arte-Kompilation "Berlin im Film" (hier online) wird Berlin als Symbol des Kalten Krieges und der Spannungen zwischen Ost und West genannt (5:00 Min.). Als Beispiele werden Filmszenen aus "Cabaret" (1972, 1:45 Min.) und "Hedwig and the angry inch" (2001, 15:20 Min.) gezeigt. Die Spannungen zwischen Ost und West greift auch Wieland Specks "Westler" (1985) mit der Liebesgeschichte von Felix aus West-Berlin und Thomas aus Ost-Berlin auf. "Coming Out" (1989) ist der einzige ausschließlich schwule Film aus der DDR geblieben.
Die schwule Buchhandlung "Löwenherz" in Wien hat Berlin im Kontext des Films "Die Geschwister" (2016) als den "Sehnsuchtsort von Freiheitssuchenden aus aller Welt" bezeichnet. Viele Filme schildern das schwule Leben in der größten Stadt Deutschlands, das nicht auf andere Städte übertragbar ist, wie "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt" (1971). Gerade bis 1989 hatte West-Berlin für nicht-konforme Menschen aller Art eine besondere Anziehungskraft, denn man konnte dort der Wehrpflicht ausweichen, die Mieten waren billig, es gab eine große alternative linke Szene und es war auch geographisch von der BRD entfernt. Solche Hintergründe werden zum Teil auch in Jochen Hicks Dokumentation "Mein wunderbares West-Berlin" aufgegriffen, wobei in Berlin sehr viele queere Filme gedreht wurden und werden, wobei die Stadt dabei meistens keine symbolische Bedeutung hat.
Los Angeles und Hollywood – Mythos, Träume und geplatzte Träume
Die weltweit prägende "Filmindustrie Hollywoods trägt […] Klischees seit Jahrzehnten in die ganze Welt". Selbst wenn dort keine Filme mehr produziert werden, bleibt "ein Mythos, eine Metapher, eine Marke" ("Die Metapher lebt. Der Ort ist tot", in: "Die Welt", 28. Januar 2003). Wer sich für Homosexualität in der Filmgeschichte interessiert, kommt wie bei den Dokumentationen "The Celluloid Closet. Gefangen in der Traumfabrik" (1995) und "Gay Hollywood" (2005) um die große Mythenfabrik nicht herum – und will es auch nicht, weil diese Fokussierung auch Skandale, Prominente und den Glamour umfasst, den diese Stadt bzw. der Stadtteil immer noch ausstrahlt. Obwohl die Nennung der Namen von Los Angeles und seines Stadtviertels Hollywood unterschiedliche Assoziationen hervorrufen, hat es sich nicht angeboten, beide Orte getrennt zu behandeln.
In vielen Filmen wollen Schwule Hollywood erobern, wie der schwule Myron in "Myra Breckinridge. Die Sexgöttin von Hollywood" (1970), Syd Stone in "I am Syd Stone" (2014) und Ty in "Sordid Lives: Die Serie" (2008). Aber die Filme zeigen nicht nur glückliche Hollywood-Karrieren, sondern auch geplatzte Träume, wie die von Cole in "Der Club der gebrochenen Herzen" (2000), Robert Sandrich in "The Dying Gaul" (2005), der schwulen Zwillingsbrüder in "Color me Olsen" (2007) und von Justin in "Queer as Folk" (Folge 5/1-2), die alle ihren Traum von Hollywood träumten. Auf dem DVD-Backcover von "Umleitung ins Glück" (2007) wird Los Angeles (übersetzt: "Die Engel") als "Glitzermetropole" und "Stadt des oberflächlichen Glanzes" beschrieben. Der Inhalt des Films "Sex/Life in L.A." (1998) wird in "Out im Kino" (2003, S. 309) so wiedergegeben: "Sie kamen mit großen Erwartungen in die Stadt, gelebt haben sie ihre Träume nur selten und dann meist nur sehr kurz." Der Film offenbare "die Leere ihrer Träume".

Stars und Sternchen: In der Dokumentation "The Celluloid Closet. Gefangen in der Traumfabrik" (1995) werden große Filmstars interviewt. Der schwule Myron wird später "Myra Breckinridge. Die Sexgöttin von Hollywood" (1970)
Sogar außerhalb von Filmproduktionen lässt sich Hollywood als Symbol für geplatzte Träume inszenieren: Für den schwulen Priester in "Seminarista" (2011) ereignet sich in Hollywood das Ende seiner beruflichen Karriere. In "Straßenkinder" (1992) wird mehrfach auf Hollywood als Ort der Handlung verwiesen und kontrastierend zum Mythos werden die sich dort prostituierenden Jugendlichen gezeigt. Auch der aus Hollywood stammende Stricher in "Tonight It's Me" (2014) hat sich seinen Lebensweg vermutlich anders vorgestellt.
Los Angeles und Hollywood – Pornos über Stars und Sternchen
Es ist naheliegend, dass auch Schwulenpornos Referenzen zur großen Filmmetropole herstellen und dabei u.a. für diese Stadt ikonisch stehende Elemente aufgreifen wie Sternchen ("Hollywood Marine", "Hollywood Raw"), die Palmen ("Daddy Cruising. Hollywood") oder den berühmten Schriftzug in den Bergen ("Road Trip 14 Hollywood"). Die meisten Filme nennen Hollywood offenbar nur als Signalwort, ohne sich näher auf diese Stadt zu beziehen ("Hollywood Knights", "Hollywood Sex Club", "Hollywood Man Strip"), was verständlich wirkt, weil Hollywood eher als Lebensgefühl als ein Stadtteil von Los Angeles empfunden wird. In Los Angeles spielt auch "Hustler White" von Bruce LaBruce. Nach der Stadt haben sich auch zwei schwule Porno-Labels ("Hollywood", "Hollywood Sales") und einige Pornodarsteller benannt – um wenigstens ein bisschen von diesem Glanz zu profitieren. Der Darstellername "Hunk Hollywood" ist gut gewählt, weil schließlich ein blendend aussehender Mann nicht nur gut zu einem Porno, sondern auch zu jenem Traum von Hollywood gehört.

Pornos wollen vom Glanz profitieren – "Hollywood Knights"
New York – Schmelztiegel der Nationen
In der Arte-Kompilation "New York im Film" (hier online) ist New York "die Stadt, die niemals schläft". Es ist die Stadt von Andy Warhols Factory und des berühmten "Studio 54" (4:40 Min.), die Stadt, in der die Straßen nie sicher sind (6:10 Min.) und wo Filme wie "Asphalt-Cowboy" gedreht wurden (00:00). New York versteht sich als Schmelztiegel der Nationen. In manchen schwulen Filmen wirkt es zufällig, wenn die Handlung in New York oder spezieller im Stadtteil Manhattan angesiedelt ist, aber der Filmhistoriker Vito Russo hat schon zu dem Film "Hundstage" (aka "Dog Day Afternoon", 1975) vermerkt, dass damit eine wohl "nur in New York mögliche Geschichte" erzählt werde ("Die schwule Traumfabrik", 1990, S. 182-183). Ähnliches lässt sich vermutlich auch über so unterschiedliche Filme wie den Thriller "Cruising" (1980) und das Drama "Das Kuckucksei" (1989) feststellen. Die deutsche Komödie "Kondom des Grauens" (1996) lebt vom Spiel mit Klischees über New York und US-amerikanische Krimis. Ergänzend dazu lässt sich noch gut auf Woody Allens Komödie "Manhattan" (1979) verweisen, denn sie ist nicht nur die Geschichte von Isaac Davis (D: Woody Allen), der von seiner Frau wegen einer Frau verlassen wird, sondern auch eine gelungene poetische Hommage an Allens Geburtsstadt. Auch die Serie "Sex in the City" (1998-2004) mit der schwulen Nebenrolle Stanford Blatch beruht unverwechselbar auf dem Leben in dieser Metropole.

Spielen mit New York-Klischees in "Kondom des Grauens" (1996)
New York – Ursprungsmythos und queere Zeitenwende
Der "Big Apple" hat zwei besondere schwule Bedeutungen: Zum einen markieren die gewalttätigen Konflikte in der Nacht zum Samstag, dem 28. Juni 1969 in der New Yorker Christopher Street bzw. der dortige Bar "Stonewall Inn" den Beginn der amerikanischen Schwulenbewegung und verkörpern bis heute einen schwulen Ursprungsmythos. Viele Filme haben mittlerweile die Geschichte von "Stonewall" in gleichnamigen Filmen erzählt (u.a. 1995, 2013), 2015 auch der offen schwule Regisseur Roland Emmerich.
Zum anderen gilt "Stonewall" mit seinem engen Bezug zu New York in der queeren Geschichtsschreibung weltweit als Wendepunkt. Dies lässt sich mit der Einteilung in eine Epoche "vor Stonewall" und eine "nach Stonewall" zum Ausdruck bringen, wie mit den Filmtiteln "Before Stonewall" (1984) und "After Stonewall" (1999).

Ausdruck einer von New York ausgehenden Zeitenwende: "Before Stonewall" (1984)
New York – das Ziel vieler "Heldenreisen"
In einigen schwulen Filmen sind die Erlebnisse in New York mit einer "Heldenreise" schwuler Protagonisten verbunden. Schwule besuchen die Stadt und wollen manchmal gar nicht mehr in ihr altes Leben zurück. In "Now or Never" (1979) reist ein Mann (D: Lothar Lambert) nach New York, macht Erfahrungen in der Schwulenszene und findet in Berlin den Mut zu einem offen schwulen Leben. In "Fun down here" (1989) zieht der junge schwule Buddy von der Provinz nach New York. Nach Hermann J. Huber hat sich "Wendel" (1987) aus dem gleichnamigen Film "nach New York abgeseilt, in den Schmelztiegel jugendlicher Subkulturen, das Mekka der Avantgarde" ("Gewalt und Leidenschaft", 1989, S. 193). Auch "Cowboys & Angels" (2003) handelt vom schwulen Traum von New York und dem Flug dorthin. Wenn man es in New York schafft, schafft man es überall. Dieser Meinung ist auch Justin in "Queer as Folk", der von einer Karriere in dieser Stadt träumt (Folge 5/12) und sich in einer Folge dorthin absetzt (Folge 1/10). Das bekannteste Beispiel für eine "Heldenreise" nach New York bleibt aber wohl Roland Emmerichs schon genannter Film "Stonewall. Where Pride began" (2015).

Schwule "Heldenreise" nach New York: Roland Emmerichs "Stonewall" (2015)
Paris – die Stadt der Liebe
Paris steht für Malerei und Moulin Rouge, Wein und gutes Essen – und für die Liebe. Homer Simpson besingt im Rahmen einer Theaterrolle die Liebe zu einem Franzosen und einem Engländer (Folge 21/4) und umarmt stellvertretend für die beiden Länder zwei Männer, die sich als Eiffelturm und Big Ben verkleidet haben. Es gibt zwei Filme über Paris, die das Politische mit dem Sexuellen verbinden und im Mai 1968 spielen, als die Stadt Studierendenrevolten und Massenstreiks erlebte: Bernardo Bertoluccis "Die Träumer" (2003) erzählt die Geschichte der menage à trois von Matthew, Theo und Isabelle und "Ma saison super 8" (2005) die Geschichte von Marc und André. In einigen Filmen ist Paris mit einer "Heldenreise" schwuler Protagonisten verbunden: In "Mein Bruder Leo" (2002) ist dies eine Reise nach Paris und in "Straße der Liebe" (2001) eine Reise von Paris bis nach Nordafrika.

Zwei Liebende in Paris in "Ma saison super 8" (2005)
Paris – das Sündenbabel
Es gibt weniger schwule Filme über Paris als Stadt der Liebe, als ich zunächst vermutet hatte, und viele schwule Filme erzählen von der kalten Seite dieser Stadt, wie "Ich kann nicht schlafen" (1994), "Straße der bösen Jungs" (2012) und "Eastern Boys – Endstation Paris" (2013). In "Unser Paradies" (2011) ist nach einem Mord eine Flucht aus Paris der einzige Ausweg. Manchmal wird das Nachtleben fokussiert, wie in "I dreamt under the water" (2008) und "Atomic Age" (2012). Der Film "Im freien Fall" (2008) zeigt die schmuddelige Seite von "einem Paris, dem die romantische Seite weggeätzt wurde – ein verruchtes Sündenbabel, die Stadt von Baudelaire, Rimbaud und Genet" (Pro-Fun).
Paris – Pornos mit Eiffelturm
Beim Betrachten der wenigen Pornos, die in dieser Stadt spielen, ergibt sich ein romantischeres Bild. Natürlich kommt kein Paris-Porno ohne den Eiffelturm als bekanntestes Wahrzeichen der Stadt aus ("French Connections Part II: Temptation", "Twink Tower", "Paris Perfect", "Postcards from Paris"). Im Gegensatz zu vielen anderen Türmen (Folge 24) braucht man aber schon recht viel Phantasie, um hier auch ein Phallussymbol zu erkennen.

(Bild 17) Schwule Liebende in der Falcon-Reihe "French Connections"
Philadelphia – die Stadt der brüderlichen Liebe
Bei dem Film "Philadelphia" (1994) – der ersten Hollywood-Produktion über Aids – ist die Stadt im Filmtitel viel zu präsent, um nur zufällig gewählt zu sein. Für das Aufgreifen dieses Städtenamens werden zwei gute (symbolische) Gründe genannt: Der eine bezieht sich darauf, dass man den Namen Philadelphia mit "Stadt der brüderlichen Liebe" übersetzen kann. Das würde zu dem Film passen, dem mit Recht der Vorwurf gemacht wurde, die homosexuelle Beziehung nicht als solche deutlich zu machen. Der Name der Stadt würde damit den Anschein des Films unterstützen, dass hier zwei Männer eher brüderlich-vertraut als sexuell miteinander verbunden sind.
Die zweite Erklärung bezieht sich darauf, dass der Film den Grundsatz der Gleichheit beschwört und "deshalb auch in Philadelphia, dem Geburtsort der US-amerikanischen Verfassung", angesiedelt ist ("Out im Kino", 2003, S. 279).

Die Stadt "Philadelphia" (1994) bietet zwei mögliche symbolische Bedeutungen an
Rom – die ewige Stadt und die Dekadenz in der Antike
Rom wird wegen ihrer Geschichte stereotyp als "die ewige Stadt" bezeichnet. Auch in der Arte-Kompilation "Rom im Film" (hier online) geht es vor allem um das historische Rom, dafür stehen zahlreiche Sandalenfilme wie "Ben Hur" (1:40 Min.). Im Kommentar heißt es: "Oft werden im Film auch Dekadenz und Verfall des alten Roms dargestellt, so wie hier in 'Fellinis Satyricon' mit (homosexuellen) Orgien, die Filmgeschichte schrieben." Außerdem sind kurze Szenen aus "Caligula" (1979) zu sehen, in denen die dargestellten (auch homosexuellen) Orgien nicht weniger dekadent sind (2:20 Min.).
Es fällt auf, dass einige italienische Filme mit homosexueller Thematik im italienischen Faschismus angesiedelt sind. Die Arte-Doku zeigt z.B. eine kurze Szene aus "Ein besonderer Tag" (1936; 3:00 Min.) mit dem schwulen Gabriele (D: Marcello Mastroianni), dessen Handlung in Rom verortet ist. Auch Bernardo Bertoluccis "Der große Irrtum" (1970) spielt neben Paris auch in Rom. Mit Rom und seinen Vorstädten war der schwule Regisseur Pier Paolo Pasolini eng verbunden, der zwar Homosexualität schon früh und mutig auf die Leinwand brachte (s. queer.de), allerdings nicht mit Rom als Schauplatz. Um Homosexualität, Faschismus und Dekadenz geht es in Luchino Viscontis Film "Gewalt und Leidenschaft" (1974, Wikipedia), der in Rom spielt. Wenn hier ein Professor (D: Burt Lancaster) in seinem luxuriösen Palazzo inmitten von kostbaren Gemälden des 18. Jahrhunderts gezeigt wird, sollen die Zuschauer*innen wohl auch an die Dekadenz des antiken Rom erinnert werden.

Alt, ehrwürdig und luxuriös: Der römische Palazzo in "Gewalt und Leidenschaft" (1974)
San Francisco – Gründungsmythos
San Francisco ist neben New York die Geburtsstätte der modernen Schwulenbewegung der USA. Eine wichtige historische Persönlichkeit war der Bezirksbürgermeister Harvey Milk – der erste offen schwule Politiker der USA. Milks Wahl war die Folge einer zu diesem Zeitpunkt bereits erstarkten Schwulen- und Lesbenbewegung und hat auf diese Bewegung positiv zurückgewirkt. Die Doku "The Times of Harvey Milk" (1984) und der Spielfilm "Milk" (2008, mit Sean Penn als Harvey Milk) vermitteln sehr gut die durch Milk beförderte Aufbruchstimmung und das Lebensgefühl in dieser Stadt während der Siebzigerjahre. Harvey Milk war im Stadtviertel "the Castro" politisch aktiv. Weil "the Castro" bis heute das Zentrum der Homosexuellenbewegung in San Francisco ist, fungiert der Name "Castro" bis heute als Signalwort und ist auf vielen Schildern in Filmen zu sehen, die von "Buddies" (1985) bis zum Kurzfilm "My Big Gay Frat House" (2008) reichen. Auch die Arte-Kompilation "San Francisco im Film" (franz. OF, hier online) geht ausführlich auf "Milk" (2008) ein (17:05 Min.), zeigt bewegende Aufnahmen aus der Anfangszeit der Bewegung und lässt den Beitrag mit dem Song "Somewhere over the Rainbow" stimmungsvoll ausklingen.
In einigen Filmen gibt es unscheinbar wirkende Verknüpfungen von Schwulen mit dieser Stadt, die ohne diese Zuschreibung und ohne die historischen Ereignisse nicht funktionieren würden: So wird eher beiläufig erwähnt, dass der schwule Diamond in "Eine Leiche zum Dessert" (1976) aus San Francisco kommt, in der "Tatort"-Folge "Mord in der Akademie" gibt es eine Schwulenbar "Frisco" (Folge 290, 1994) und im Rahmen einer schwulen Bühnennummer in "Die Simpsons" stellt sich Krusty, der Clown, als Vertreter der Stadt San Francisco vor ("Folge 14/14).

Das "Castro"-Schild im Kurzfilm "My Big Gay Frat House" (2008)
San Francisco – "Heldenreise" und Gay-Mekka bis heute
San Francisco wird als Ort schwuler Freiheit angesehen. Von dieser Stadt wollen viele Schwule nicht nur träumen, sondern sie wollen die Stadt auch besuchen oder für immer dorthin ziehen. In "Fluchtpunkt San Francisco" (1971), "Trevor" (1994, 7:30 Min., hier online) und "Rick & Steve" (Folge 2/5) machen sich Schwule auf den Weg nach San Francisco, wobei das Wort "Heldenreise" bei diesen Filmen vielleicht ein bisschen zu hoch gegriffen erscheint. Zutreffen tut es sicherlich auf Peter Berlin in "Nights in Black Leather" (1973) und auf Jon und Luke im Roadmovie "The Living End" (1992), weil sich die Protagonisten hier durch die Erlebnisse auf der Reise verändern. Die Golden Gate Bridge und die Bay Bridge in San Francisco sind nicht nur Brücken, sondern auch Wahrzeichen dieser Stadt. Sie werden in der nächsten Woche noch ausführlich behandelt.

"Trevor" (1994) will's wissen und setzt sich in einen Bus in Richtung San Francisco
In einigen Filmen wird San Franciscos Bedeutung auch durch Kommentierungen verdeutlich. Hermann J. Huber bezeichnet die Stadt im Rahmen der Filmbeschreibung von "Gay San Francisco" (1965-1970) zu Recht als "Gay-Mekka" ("Gewalt und Leidenschaft", 1989, S. 209). In "Strapped" (2010) heißt es beiläufig, dass es so etwas wie fast nur schwule Mitbewohner in einem Haus wohl nur in San Francisco gebe. In "Electric City. Far from Normal" (2008) spielt die elektrisierende schwule Metropole sogar die Hauptrolle. In dem Film "American Vagabund" (2013, Trailer ab 0:55, hier online), der von obdachlosen Schwulen handelt, sind die Erwartungen an diese Stadt zunächst groß: "Ich sah, wie die Götter der Schwulen die Stadt segneten und all ihre schwulen Verheißungen." Später heißt es enttäuscht: "Ich dachte, dies sei die Stadt am Ende des Regenbogens. Das gelobte Land der Schwulen. Der Ort, wo ich in Sicherheit sein würde." Neben Obdachlosigkeit gehört zu den Schattenseiten dieser schwulen Metropole auch die hohe Zahl der Aids-Toten, die San Francisco ab Anfang der Achtzigerjahre zu beklagen hatte, was in unterschiedlicher Form das Drama "Test" (2013) und der Krimi "No One Sleeps" (2000) aufgreifen. Kann man sich an dieser Stadt insgesamt ein Beispiel nehmen? Rosa von Praunheim thematisiert in "Schwuler Mut. 100 Jahre Schwulenbewegung" (1998) die Vision einer "schwulen Zukunft" und nennt dabei San Francisco als leuchtendes Vorbild.
San-Francisco-Pornos – mit Brücken und Glory Holes

Das "Castro"-Schild in "Butt sluts of the Castro"
In mehreren Schwulenpornos ist San Francisco vor allem ein Signalwort für die wohl schwulste Stadt der Welt – mit Hervorhebung des Stadtviertels Castro ("Butt sluts of the Castro", "The Bareback Boys of Castro"). Als Verweise auf die Stadt dienen oft die bekannten Wahrzeichen Golden Gate Bridge und Bay Bridge. Ein Film zeigt auf dem Cover neben der Golden Gate Bridge auch die berühmte Straßenbahn der Stadt ("Glory Holes of San Francisco"). Mehr als zehn Pornodarsteller tragen den spanischen Namen "Francisco", der dann symbolische Bedeutung haben kann, wenn er nur darum gewählt wurde, um auf das Klischee der "spanischen Leidenschaft" oder auf die Stadt San Francisco zu verweisen.
Venedig – morbide Schönheit
In der Arte-Kompilation "Venedig im Film" (hier online) wird auf die mit Venedig verknüpften Klischees "Stadt der Schwermut" (4:05 Min.) und "sterbende Stadt" (4:54 Min.) verwiesen. Luchino Viscontis Film "Der Tod in Venedig" (4:55 Min.) nach der Novelle von Thomas Mann – in der Gustav von Aschenbach der Liebe zu einem Jüngling verfällt – landet in diesem Arte-Ranking auf dem ersten Platz (15:45 Min.). Visconti zeigt "Venedig als morbide Vision des Untergangs" ("Out im Kino", 2003, S. 337) und verbindet dies mit dem körperlichen Verfall und dem Tod des schwulen Protagonisten.
Im Rahmen einer Textinterpretation der zugrundeliegenden Novelle setzt sich Wilhelm Große ("Textanalyse und Interpretation zu Thomas Manns 'Der Tod in Venedig'", 2012) intensiv mit der Bedeutung des Handlungsortes Venedig auseinander, der hier der "Widerspiegelung seelischer Zustände" diene (S. 35) und mit dessen Nennung Vorstellungen von "Schönheit, Untergang und Tod" assoziierbar seien (S. 122). Nach Große wird Thomas Mann auch den Sonett-Zyklus "Venedig" (1824) des homosexuellen Dichters August Graf von Platen gekannt haben, in dem die Themen "Schönheit, unrettbarer Verfall, einstige Macht, heutiges Dahinsinken" bereits zusammengefasst worden seien (S. 122). Venedig gelte als zerfallende Stadt, die daraus ihre Schönheit beziehe (S. 125), und nur Venedig sei in Frage gekommen, als es darum ging, eine Stadt zu finden, deren Charakter und deren Geheimnis mit dem (homosexuellen) Geheimnis Aschenbachs – so Tomas Mann – "dunkel zusammenfloss" (S. 126).
Als weiteren schwulen Film, in dem Venedig eine Rolle spielt, möchte ich noch "Vergiß Venedig" (1979) erwähnen, in dem es um das schwule Paar Nicky und Picchio geht und der ebenfalls einen Todesfall behandelt. Jean Daniel Cadinots Porno "Le voyage à Venise" (1986) ist zwar nicht der einzige Porno, der in dieser Stadt spielt, wohl aber der bekannteste, und er greift mit seiner Handlung die mystische Ausstrahlung Venedigs auf.
In gewisser Weise lässt sich in einem Film eine Parallele zwischen Venedig und der türkischen Stadt Istanbul erkennen: Die Ermordung des schwulen Architekten Francesco in "Hamam. Das türkische Bad" (1997) findet seine bestimmt nicht zufällige Entsprechung in der "morbid-malerische(n) Altstadt" von Istanbul ("Out im Kino", 2003, S. 153).

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Zwei britische Filme verdienen es, erwähnt zu werden :
1- Nighthawks (1978)
1- The Lost Language of Cranes (1991)
Zwei Filme, zwei Meisterwerke