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Interview

Entsteht in Berlin eine Gedenktafel für ermordeten Jim Reeves?

Der grüne Kommunalpolitiker Sebastian Weise hat eine Initiative für eine Tafel in Erinnerung an den 2016 getöteten Schwarzen und bisexuellen Musiker gestartet. Im Interview weist er auf die queerfeindlichen und rassistischen Tatmotive hin.


Jim Reeves bei einer Modenschau im Jahr 2015 (Bild: IMAGO / APP-Photo)

Am 1. Februar 2016 wurde der Sänger Jim Reeves in einem Hostel im Berliner Ortsteil Charlottenburg von zwei Männern brutal getötet. Jim Reeves wurde Anfang der 90er Jahre als Teil der Kölner Rap-Kombo 4 Reeves berühmt, später wechselte er mit Sqeezer in den Eurodance.

Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage werden Mordes gegen Pawel A. und Adam K. und warf ihnen vor, Reeves aus Homofeindlichkeit getötet zu haben (queer.de berichtete). Doch das Berliner Landgericht verurteilte die beiden nur wegen Totschlags, und zwar zu 14 beziehungsweise 13 Jahren Haft (queer.de berichtete).

Gegen diese Einordnung versuchte die Staatsanwaltschaft Berlin vorzugehen, letztlich erfolglos. Im Januar 2020 bestätigte der Bundesgerichtshof in letzter Instanz das Urteil wegen Totschlags. Auch die Angehörigen des Getöteten kritisieren, dass die Gesinnung der Täter als Grundlage der Tat nicht aufgeklärt worden sei.

Sebastian Weise ist Fraktionsvorsitzender der Grünen im Berliner Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf sowie Diversity-Sprecher der Fraktion. Mit seinen Kolleg*­innen bemüht er sich gerade darum, dass künftig an jenem Ort eine Tafel an den Sänger erinnert, an dem Reeves ermordet worden ist. Wir haben mit ihm über die Initiative gesprochen.


Sebastian Weise (Bild: britibay)

In der Bezirksverordnetenversammlung Charlottenburg-Wilmersdorf haben Sie für die grüne Fraktion einen Antrag zur Aufstellung einer Gedenktafel für Jim Reeves beantragt. Am 29. Juni stand der Antrag auf der Tagesordnung. Was wurde entschieden?

Sebastian Weise: Der Antrag wurde in der Sitzung der BVV an den zuständigen Fachausschuss "Weiterbildung und Kultur" sowie an die Gedenktafelkommission zur Beratung überwiesen. Das ist ein ganz normales Vorgehen für neue Anträge. Ich denke, dass hier alle demokratischen Fraktionen in den Ausschüssen dem Antrag zustimmen und wir den Antrag im September in der der BVV positiv verabschieden werden.

Wie kam es jetzt zu der Initiative für eine Gedenktafel, sieben Jahre nach der Tat?

Das Register Charlottenburg-Wilmersdorf hatte einen queerpolitischen Spaziergang im Bezirk veranstaltet. Auf diesem Spaziergang ging es vor allem um queer­feindliche Gewalttaten und Übergriffe, und da war dann auch der Mord an Jim Reeves im Happy Go Lucky Hostel Thema. Ich hatte mich gefragt, wieso es keine Gedenktafel für Jim Reeves gibt. So ist dann die Idee für den Antrag entstanden.

Was ist das Register Charlottenburg-Wilmersdorf?

Das Register Charlottenburg-Wilmersdorf ist eine Organisation, die diskriminierende Vorfälle von rechts sammelt und für den Bezirk auswertet.


Jim Reeves bei einem Auftritt in Bremen 2014 (Bild: CHR!S / wikipedia)

Die Mörder von Reeves wurden wegen Totschlags verurteilt, nicht wegen Mordes. Die homofeindlichen Motive waren aus Sicht des Gerichts nicht deutlich genug. Ein Urteil, das Sie nachvollziehen können?

Ich bin kein Jurist, aber einer der Unterschiede zwischen Mord und Totschlag ist, dass Mord sich durch eine skrupellose Ausführung der vorsätzlichen Tötung vom Totschlag unterscheidet. Wenn ich mir nun vor Augen führe, dass Reeves gefoltert wurde, ihm 15 Rippen gebrochen wurden und Reeves mit einem Tischbein gepfählt wurde, dann ist ein Urteil wegen Totschlags für mich wenig nachvollziehbar.

Reeves war Schwarz, seine Mörder zwei weiße Polen. Ist nicht auch der so brutale Tathergang ein deutlicher Hinweis auf eine gleichsam rassistische Motivation?

Ich persönlich würde dies nicht ausschließen. Die Amadeu Antonio Stiftung hat Jim Reeves als Todesopfer rechter Gewalt gelistet. Ich denke, beim Mord an Jim Reeves spielen rassistische und queer­feindliche Motive eine zentrale Rolle.

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Könnte die Frage um die Deutung des Verbrechens in der Ausschussarbeit zu Kontroversen führen? Immerhin müsste sich wohl auf eine Beschriftung geeinigt werden.

Nein, denke ich nicht. Die Beschriftung wird nicht im Ausschuss entschieden.


Jim Reeves im Sqeezer-Video zu "Sweet Kisses" (Bild: Screenshot / Youtube)

Rechnen Sie damit, dass das Hostel der Aufstellung einer Gedenktafel oder Ähnlichem zustimmt? Die Betreiber*innen könnten ihre Geschäftsinteressen geschädigt sehen…

Ich hoffe sehr, dass das Happy Go Lucky zustimmen wird. Es präsentiert sich mit seiner Fassade als modernes und aufgeschlossenes Hostel in einer modernen und queerfreundlichen Metropole. Eine Gedenktafel zu Jim Reeves würde dies unterstreichen.

Stehen Sie mit den Hinterbliebenen von Jim Reeves in Kontakt? Gibt es von deren Seite Wünsche für das weitere Vorgehen?

Sofern der Antrag angenommen wird, ist das Bezirksamt aufgefordert, auch die Hinterbliebenen zu kontaktieren und in den Gedenkprozess zu involvieren.

Hintergrund

In einer im Mai ausgestrahlten und bewegenden WDR-Dokumentation über die Geschichte der Kölner Reeves-Familie kritisierte die Schwester von Jim, Terry Reeves, den Bundesgerichtshof. Das Wort "Rassismus" sei im schriftlichen Urteil nicht zu finden, obwohl etwa bei der Telefonüberwachung der Täter Sätze wie "Wir haben den N*** abgeschlachtet" gefallen seien. Auch verliest Terry Reeves in der Dokumentation die die Homophobie rechtfertigende Feststellung des Landgerichts: "Die, wie Jim Reeves wusste, heterosexuellen Angeklagten waren empört und wütend über die homosexuellen Avancen. Gleichzeitig fühlten sie sich von ihrem Zimmergenossen sexuell bedrängt und belästigt." Und: "Aus Wut über dessen Verhalten stürzten sich die Angeklagten auf Jim und malträtierten ihn aufgrund einer spontanen Übereinkunft mit Faustschlägen und Fußtritten."
-w-

#1 Uwe_RAnonym
  • 22.07.2023, 09:24h
  • Die Antworten auf zwei letzten Fragen finde ich sehr irritierend.
    Warum fragt man die Angehörigen und das Hostel nicht als aller erstes?
    Zumindest die Angehörigen nicht vorab zu involvieren finde ich pietätlos.
  • Direktlink »
#2 Pride
  • 22.07.2023, 09:57h...
  • Antwort auf #1 von Uwe_R
  • Das soll 'ne Initiative der Stadt werden. 'Ne Kontaktierung wird, beim Hostel sowieso nicht, erst nach einem positiven Beschluß für die Gedenktafel notwendig. Die Angehörigen kritisieren insbesondere gerade schon zurecht, dass die Hintergründe der Täter für deren gerichtlich festgestellten Totschlag eben nicht ausreichend geklärt wurden bei einem Verbrechen, dessen grausame Ausführung die Hintergründe eines Mordes doch sehr nahelegen.
  • Direktlink »
#3 GerritAnonym
  • 22.07.2023, 15:21h
  • Gegen eine Gedanktafel für einen ermordeten Menschen (egal was die Motive waren) kann niemand etwas haben.

    Aber es wäre schön, wenn die Grünen nicht nur solche Schaufensterpolitik betreiben würden, sondern endlich mal was gegen die alltägliche Diskriminierung und die alltägliche Gewalt tun würden, die immer mehr um sich greift.

    Nette Pressetermine, wo man eine Gedanktafel enthüllt, sind das eine. Aber wir wollen auch endlich, dass den Ursachen solcher Taten entgegengewirkt wird, so dass sie gar nicht erst passieren.
  • Direktlink »

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