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Theater

Queeres Unterwasser-Hopping

In dem deutsch-polnischen Performance-Projekt "niedoskonała utopia / an imperfect utopia" der Münchner Kammerspiele gehen vier Spieler*innen und eine Musikerin auf die Suche nach einer queeren Utopie.


Justyna Wasilewska in "niedoskonała utopia / an imperfect utopia". Vor der Spielzeitpause ist das Stück noch am heutigen Donnerstag zu sehen (Bild: Judith Buss)

"Love, Simon", "The Half of It", "Heartstopper" – in den vergangenen Jahren brachte der internationale Film- und Serienmarkt vermehrt unterhaltende Inhalte hervor, in denen queere Jugendliche ein Happy End erleben. Doch dass das längst nicht der Standard ist, beschreibt der Ausdruck "bury your gays". Dabei geht es um das Phänomen, bei dem queere Figuren in Film und Fernsehen überdurchschnittlich oft auf tragische oder gewaltsame Weise sterben. Häufig werden sie dabei als einzige Charaktere getötet, ihr Tod wird besonders dramatisch dargestellt oder steht in direktem Zusammenhang mit ihrer sexuellen Identität. Dass dies einen verheerenden Einfluss auf queere Jugendliche haben kann, die ohnehin schon eine höhere Suizidgefahr haben als cis-hetero Teenager, ist unbestritten.


Im Saal sitzen bei der Aufführung keine Zuschauer*innen (Bild: Judith Buss)

Das zeigt sich auch bei der jungen queeren Frau, die an diesem Theaterabend zuerst das Wort ergreift. In ihren Tagebucheinträgen berichtet sie von ihrem ersten Kuss mit einem Mädchen, der sie dazu gebracht hat, ihre erste Geschichte zu schreiben und sich dabei mit dem Problem konfrontiert sieht, dass ihre Heldin am Ende immer Selbstmord begeht und sie kein anderes Ende finden kann. Sie schreibt zwar immer neue Versionen und Variationen eines Lebens, das mal in den USA, mal in Deutschland oder Polen spielt – und doch immer mit dem selben Ausgang.

Woran liegt das? Warum ist eine Welt unvorstellbar, in der die Heldin am Ende nicht stirbt? Gibt es so eine Welt überhaupt? Und wenn ja, wo ist die?

Kooperation der Münchner Kammerspiele mit dem TR Warszawa

Ausgehend von diesen Fragen begeben sich in dem Performance-Projekt "niedoskonała utopia / an imperfect utopia" die Spieler*innen auf die Suche nach einem Ort der queeren Utopie. Es ist die erste Eigenproduktion der künstlerischen Partnerschaft zwischen dem TR Warszawa und den Münchner Kammerspielen. Dabei stehen mit dem vierköpfigen Ensemble jeweils zwei Schauspieler*innen beider Theater auf der Bühne. Gesprochen wird auf Deutsch, Englisch, Polnisch, ein bisschen Portugiesisch und in "Seepferdchen-Sprache".


Edith Saldanha in "niedoskonała utopia / an imperfect utopia" (Bild: Judith Buss)

Komplettiert wird das Quartett von der Musikerin Trace Polly Müller, die dem Abend mit elektronischen Beats und tief kehligem Gesang einen eigenen Soundtrack verpasst. Die Regisseurin Noémi Ola Berkowitz hat sich in ihrer Inszenierung von dem magisch anmutenden Tiefseeleben inspirieren lassen. Einer eigenen Welt, in der queere Tiefseebewohner*innen wie Quallen, Oktopoden und Seepferdchen in Frieden und Harmonie mit- und nebeneinander leben können. Ein möglicher Sehnsuchtsort für ihre menschlichen Verbündeten? Premiere war am 25. Juli im Schauspielhaus.

Nur Platz für 75 Zuschauer*innen

Üblicherweise passen 690 Zuschauer*innen in das denkmalgeschützte Jugendstilgebäude der Münchner Kammerspiele. An diesem Abend ist aber nur Platz für 75, da das Publikum mit auf der Bühne Platz nimmt und der Saal von einer Gaze abgetrennt ist. In einer Arenasituation sitzen sie auf Bänken und bunten Gymnastikbällen um einen Boxring herum. Kostüm und Bühne leuchten dabei in fluoreszierenden Farben, von der Decke hängen mehrere große Lichtquallen. Dazu steht in der Ecke eine kleine Bar, wo es gegen eine Spende für eine polnische LGBTI-Organisation kühle Getränke gibt.


Live-Musik von Trace Polly Müller (Bild: Judith Buss)

Zu sehen gibt es dann eine collagenhafte Aneinanderreihung von Szenen, die sich mit queerer Theorie, Queer History, der Ballroom-Culture, dem Coming-out und Lebensgeschichten queerer Menschen aus Polen auseinandersetzen. Zusammengeklebt werden diese Schnipsel von der Live-Musik von Trace Polly Müller, die mit ihren sphärischen Sounds und ihrer starken körperlichen Präsenz im Zusammenspiel mit den Spieler*innen immer wieder beeindruckende immersive Momente kreiert.

- w -

Ein zärtlicher Abend mit saurem Nachgeschmack

Das sind dann auch die stärksten Szenen des Abends. Dem performativen Spiel der Darsteller*innen mangelt es indes beinahe durchgehend an szenischen Vorgängen. Es fehlt an Reibung – nicht nur aneinander, sondern auch inhaltlich: Nicht zuletzt wegen des oftmals hohen Sprechtempos, der Mehrsprachigkeit und der teils hoch intellektualisierten Texte bleibt manches unverständlich.


Getränke gegen Spende: Stefan Merki an der Bar (Bild: Judith Buss)

Das Ziel, einen warmen und zärtlichen Abend für die queere Community schaffen zu wollen, ist durchaus spürbar. Leider bleibt er hinter seinen Erwartungen zurück und entlässt einen seltsam unaufgeregt und unberührt in die regnerische Nacht. Was bleibt ist der saure Nachgeschmack der Regenbogen-Streifen von Haribo im Mund, der sphärische Klang magischer Unterwasserwelten im Ohr und das Bild von durch den Zuschauer*innenraum hüpfenden Seepferdchen im Kopf. Und das ist ja auch was Schönes!

-w-

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