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Kommentar
Regenbogen auf Halbmast: Mein Unbehagen an der Staatsbeflaggung
Pridefahnen vor Parlamenten, Ministerien und Gerichten lösen beim Kulturwissenschaftler Stefan Etgeton ein Störgefühl aus. Für ihn repräsentiert der Regenbogen weder formal noch inhaltlich universale Werte. Ein Gastbeitrag.

Auch vor dem Deutschen Bundestag weht mittlerweile zum CSD die Regenbogenfahne (Bild: IMAGO / Virginia Garfunkel)
- Von Stefan Etgeton
4. August 2023, 22:33h 5 Min.
Kürzlich wurde die vor dem Bahnhof in Neubrandenburg gehisste Regenbogenfahne von Unbekannten durch eine Hakenkreuzflagge ausgetauscht. Das genaue Motiv dieser anti-queeren nächtlichen Symbolattacke wird der Staatsschutz hoffentlich noch ermitteln; wahrscheinlich steckt dahinter genau die rechtsextreme Gesinnung, die das Hakenkreuz versinnbildlicht.
Ohne es vermutlich auch nur zu ahnen, scheint die Aktion aber zugleich auf jene absurden Vergleiche anzuspielen, die manche Diversitätsgegner*innen derzeit ins Feld führen, indem sie das Hissen der Regenbogenfahne vor öffentlichen Gebäuden mit dem Aufziehen des Hakenkreuzes im Deutschland der 1930er Jahre vergleichen. Der Staat und seine Behörden würden so zu Agenten eines links-queeren Gesinnungsterrors. Solche und ähnlich abstruse Behauptungen eignen sich perfekt, um den Protest aus der Community und dem liberalen Allianzmilieu anzustacheln. Ein genialer Empörungstrigger rechter Demagogie.
Überall plötzlich Regenbogenfahnen
Ich muss allerdings gestehen: Wenn in diesen Monaten landauf, landab Regenbogenfahnen vor Behörden, Kirchen oder Firmen öffentlichkeitswirksam hochgezogen werden, so kann ich mich eines gewissen Störgefühls nicht ganz erwehren. Mir fällt dabei eine Auseinandersetzung auf den Münchner Aids-Tagen in den 1990er Jahren ein, als ein Pharmaunternehmen seinen Messestand in Regenbogenfahnen kleidete und stolz mitteilte, seine Mitarbeiter*innen künftig für den Außendienst mit entsprechenden Stickern ausstatten zu wollen. Wir von der Aids-Hilfe empfanden das damals als anbiedernd und übergriffig, heute würde man vermutlich von kultureller Aneignung sprechen.
Hinter diesem Befremden stand und steht bei einigen die Befürchtung, ein Wahrzeichen der Community könne kommerziell ausgeschlachtet werden und dem dienen, was man neuerdings Pink- oder Rainbow-Washing nennt. Blumige Diversitätsfloskeln stehen nicht selten in Widerspruch zum wirklichen Betriebsklima oder der Geschäftspolitik des jeweiligen Unternehmens. Skepsis gegenüber der Image-Performance-Schere ist also durchaus angebracht.
Fahnen stehen immer für etwas Partikulares

Stefan Etgeton ist Kulturwissenschaftler in Berlin und war von 1996 bis 2000 Bundesgeschäftsführer der Deutschen Aidshilfe
Mir hingegen waren die identitätsstiftenden Symbole und ihre quasi religiöse Verehrung überhaupt suspekt. Von meinem väterlichen Großvater wird berichtet, er habe in der Nazizeit das Banner seines SPD-Ortsvereins bei sich zu Hause versteckt. Obwohl ich seinen Mut bewundere, kann ich nicht nachvollziehen, wieso man sich für einen Fetzen Stoff dem Risiko der Verfolgung aussetzt.
Fahnen oder Reversanstecker stehen immer für etwas Partikulares. Sie markieren eine Gemeinschaft, die sich von anderen unterscheiden will – sei es national, weltanschaulich, (partei)politisch oder eben mit Blick auf die eigene sexuelle Identität. Die Dynamik solcher Symbole wird, meist unterschwellig, getrieben von der Bindungswirkung nach innen und der Abgrenzungsfunktion nach außen. Je aggressiver Exklusionen ausagiert werden, desto bösartiger dürften die Identitäten sein, die sie stiften. Die affektive Besetzung gemeinschaftsbildender Symbole ist, psychologisch gesprochen, in der Regel überwertig, d.h. mit einem dem Gegenstand selbst – dem Fetzen Stoff – gegenüber unverhältnismäßigen Ausmaß an Emotionen befrachtet. So etwas wird zumeist als ein Symptom der Ich-Schwäche und Hinweis auf eine autoritätsgebundene Charakterstruktur analysiert.
Der innere Widerspruch der Regenbogenfahne
Man könnte dem entgegenhalten, bei der Regenbogenfahne gehe es doch gerade um das Gegenteil: Vielfalt, Inklusion und eine grundsätzliche Haltung der Offenheit für andere. Das Symbol habe längst nicht mehr nur die Funktion, die queere Community zu repräsentieren, sondern stehe für Diversität und Toleranz in einem ganz umfassenden Sinne. Eigentlich seien das doch Werte, zu denen sich jeder vernünftige Mensch bekennen müsse. – Soweit so gut. Aber warum muss man diese universalen Werte dann symbolisieren in Gestalt einer Flagge, also eines Gegenstandes, der von seiner Art her immer auf Distinktion zielt? Das Symbol selbst zieht den Zaun um eine Gemeinschaft, die sich doch durch offene Grenzen und fluide Identitäten auszeichnen, eben gerade kein Milieu sein will, das andere ausschließt oder abstößt. Das durch die Regenbogenflagge symbolisierte Ganze ist das Unwahre, weil es ein Partikulares bleibt.
Dieser innere Widerspruch wird von den dezidierten Gegner*innen der Diversität durchaus registriert, auch wenn die wenigsten von ihnen ihn wirklich verstanden haben dürften. Ihre Wut beim Hissen der Regenbogenfahne vor öffentlichen Gebäuden hat mit meinem Störgefühl allerdings nichts gemein. Scheinargumenten, die nicht einmal vor schiefen Nazivergleichen zurückschrecken, soll hier in keinster Weise Vorschub geleistet werden. Auch die jammerlappige Selbststilisierung als verfolgte Ewiggestrigkeit darf getrost in das Repertoire durchsichtiger Propagandamaschen einsortiert werden. Geschickt angeheizt von interessierten politischen Kräften und dem medialen "Nius"-Room der Niedertracht, zeigt der hoch emotionalisierte Protest gegen die Regenbogenbeflaggung allerdings, dass sie mindestens genauso viele negative wie positive Affekte auf sich zu ziehen vermag. Das Problem könnte in der affektiven Besetzung des Symbols selbst liegen.
Beim Kampf um Symbole haben die Autoritären die besseren Karten
Ich stelle für mich jedenfalls fest: Als Symbol für eine Gesellschaft, in der jede*r ohne Angst verschieden sein kann, eignet sich die Regenbogenfahne offenkundig nicht. Schon gar nicht, wenn wie in Schweden das Militär sie bezeichnet als "eine Flagge, die es wert ist, verteidigt zu werden". Setzen Unternehmen oder Behörden sie im Zuge ihrer Diversity-Strategien zur besseren Kund*innen- oder Mitarbeiter*innen-Bindung ein, mag das durchaus sinnvoll und angemessen sein, solange es mit ihrem realen Handeln in Übereinstimmung steht.
Um universale Werte zu repräsentieren, taugt das Regenbogenbanner aber weder formal noch inhaltlich: Als Flagge zielt sie auf Distinktion, nicht auf Inklusion. Und das, wofür sie inhaltlich steht, ist in der Gesellschaft nicht gemeinschaftsstiftend, sondern weiterhin kontrovers und Gegenstand tagtäglicher Auseinandersetzung. In dieser Gemengelage aber hilft ein Flaggenstreit, erst recht wenn er von außen aufgenötigt wird, nicht weiter. Im Gegenteil: Die affektive Aufladung des Symbols gewinnt auf beiden Seiten etwas Überschießendes und drängt so letztlich auch die Protagonst*innen der Vielfalt in absurde Fronten und maligne Loyalitäten. Wir sollten dieser toxischen Logik der Demagogie nicht auf den Leim gehen, denn beim Kampf um Symbole haben die Autoritären meist die besseren Karten. Letzteren begegnet man vermutlich am besten mit jener souveränen und hoffnungsfrohen Gelassenheit, für die auch der Regenbogen steht, welcher einst, nach der großen Flut, Noah und die Seinen überwölbte.














