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Roman

Zum ersten Mal verliebt – in einen anderen Jungen

Mit "Das Summen unter der Haut" hat Stephan Lohse den schwulen Sommerroman des Jahres veröffentlicht. Im Mittelpunkt steht der 14-jährige Julle aus Hamburg, der sich in seinen Mitschüler Axel verliebt.


Symbolbild: Teenager mit Regenbogenfahne (Bild: brianna-swank-bbm / pexels)

Wer verliebt ist und vor allem, wer zum ersten Mal in seinem Leben so richtig verliebt ist, für den geht die Zeit anders: Jede Minute hat Gewicht, jede des Zusammenseins mit der Person des Begehrens und erst recht jede der Abwesenheit und des Wartens auf diese Person. Der 14-jährige Julle, der in Hamburg lebt und in die 8. Klasse geht, ist zum ersten Mal verliebt:

Axel ist vor kurzem hergezogen und neu in der Schule. Wir kennen ihn seit achtzig Stunden oder 4800 Minuten oder 288 000 Sekunden… In den achtundfünfzig Stunden, in denen wir keinen Unterricht hatten, habe ich an nichts anderes denken können als an Axel Peschke. Ich habe in den Buchrücken meiner Eltern, in der Suppe zu Mittag, im Obst zum Nachtisch, in meinen Wasserfarben, meinen Hemden und Hosen, sogar in meinen Schulsachen, in unserem Garten, in den Gärten am Hang, im Mercedes auf der Einfahrt von Sierkes und dem verbeulten Ro 80 auf der Straße, selbst im Himmel, als am Abend ein Gewitter aufzog und die Wolken sich wie Schwefel färbten, die Farbe seiner Haare erkannt.

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Eine Zeitreise in die 1970er Jahre


"Das Summen unter der Haut" ist im Juli 2023 im Insel Verlag erschienen

Es ist das Jahr 1977, die Zeit kurz vor den Sommerferien. Dass Julle schwul ist, so glaubt er, weiß keiner außer seiner Schwester, der er es gesagt hat und seiner Mutter vielleicht, denn "Mütter sollen so etwas ahnen". Für Julle selbst ist es nun aber wie ein Blitzschlag, dessen Wirkung er allerdings nicht nach außen dringen lassen möchte, gerade auch nicht zu Axel hin, mit dem er sich befreundet und Zeit verbringt. Die beiden gehen schwimmen, füttern Axels Kaninchen und ziehen immer wieder zu einer vor allem Axel geheimnisvoll erscheinenden abgebrannten Hütte im Wald, in der sie eigenartige Röntgenbilder entdecken, deren Geheimnis sie zu erkunden versuchen. Bis Axel plötzlich verschwunden ist…

Stephan Lohse, Schauspieler, Regisseur und Schriftsteller, führt die Leser*­innen in seinem dritten Roman "Das Summen unter der Haut" (Amazon-Affiliate-Link ) in die Welt der 1970er Jahre. Mit wenigen, aber gekonnt gesetzten Mitteln lässt er uns eintauchen in eine Zeit, in der an Internet, Messengers, Online-Chats oder gar Dating-Plattformen kein Gedanke war. Dafür gab es die "Drehscheibe" im Fernsehen, weiße Lichtpunkte beim Ausschalten desselben, Kassettenrekorder und Plattenspieler, Cordhosen und nach der Schule vom Kiosk "Rolos, Salinos, Nappos, Bonitos oder Schaummäuse". So weit entrückt wie diese Zeit mit ihrer Technik, Architektur, Mode und ihrer Jugendsprache uns zu sein scheint, so nah und irgendwie auch universell ist die von Lohse erzählte Geschichte des Erwachens der Liebe mit ihrer körperlichen Entschiedenheit und Wucht:

Da ist ein Körper. Der heizt sich auf, summt unter der Haut, wird schneller und schneller, bis Teile von ihm wegfliegen, die Stäbe auseinandergehakt und weg, der Körper, der wie verrückt geworden ist, weil er eine Entscheidung getroffen hat: Milliarden von Menschen stehen zur Auswahl, doch der Körper entscheidet sich für den, dem er zufällig in der Schule begegnet, als gäbe es auf der Welt keinen anderen, und zwar, weil Sommer ist und das Haar wie Stroh und die Stimme ein Versprechen und das Ding in der Badehose rechts. Weil der Körper verrückt geworden ist. Weil er mehr ist als nur eine Puppe aus Stäben, die Geige spielt, an guten Tagen mehr als fünfundzwanzig Meter taucht und neuerdings weiß, dass Schwarze Johannisbeeren nicht giftig sind, die ein Hotel in der Hosentasche mit sich herumträgt und irgendwann gerne in einem U-Boot arbeiten würde. Da ist ein Körper, spiddelig, mit mittelgroßen Brustwarzen und einer manchmal zu jungen Stimme, der tut, was er will, kein bescheuertes Artefakt unter der Haut, und der deshalb eine Entscheidung trifft. Und sich verliebt.

An keiner Stelle kitschig oder belehrend

Als Lesende erleben wir die alles verändernden vier Wochen mit Axel erzählt aus der Perspektive von Julle hautnah mit. Wir erleben die Spannung ihrer Begegnungen (und der gefühlt langen Zeit dazwischen), das Abenteuer mit der abgebrannten Hütte im Wald und die Stunden mit den anderen in der Schule, im Schwimmbad, bei Partys oder zu Hause. Wir sind wie mittendrin und gleichzeitig historisch weit ab. Stephan Lohse gelingt mit seinem vollkommen schnörkel- und verkünstelungsfreien Erzählstil ein Schweben zwischen Präsenz und Distanz, zwischen existenziellem Wanken und humorvoller Leichtigkeit, zwischen erotischem Vibrieren und kindlichem Spiel.

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"Das Summen unter der Haut" ist an keiner Stelle kitschig, effektheischend, flach oder gar belehrend. Es ist so wie Julle, wenn er die 25 Meter durchs Schwimmbecken zu tauchen schafft, wunderbar im Fluss: leicht zu lesen, spielerisch, berührend, voller Aufbruch, "Summen" und Endlichkeit.

Wer noch nach guter Sommerlektüre Ausschau hält, für den ist hier was...

Infos zum Buch

Stephan Lohse: Das Summen unter der Haut. Roman. 176 Seiten. Insel Verlag. Berlin 2023. Gebundenes Buch: 20 € (ISBN 978-3-458-64389-0). E-Book: 16,99 €

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