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Unvorstellbares Ausmaß an Gewalt

Schwule True Crime: Ein Serienmörder wird getötet

Heute vor 50 Jahren – am 8. August 1973 – wurde Dean Corll getötet. Infolgedessen wurde aufgeklärt, dass der sogenannte Candyman zuvor 28 Jungen und junge Männer sexuell missbraucht und ermordet hatte.


Soldat und Massenmörder: Dean Corll in Uniform im August 1964 (Bild: US Military / wikipedia)

Stellt euch vor: Ihr schreibt einen schwulen Krimi und reicht verschiedenen Verlagen ein Exposé mit folgender Handlung ein: Ein junger Mann verschenkt gerne Süßigkeiten an Jungen und bekommt deshalb den Spitznamen "Candyman". Zur gleichen Zeit gibt es in dieser Gegend eine sprunghaft angestiegene Anzahl junger männlicher Vermisster. Später stellt sich heraus, dass der "Candyman" 28 Jungen und junge Männer sexuell missbraucht und ermordet hat. Einen 15-Jährigen bezahlte er für Sex und dafür, dass er als "Köder" seine späteren Opfer zu ihm nach Hause brachte. Es gibt wohl keinen Verlag, der einen solchen klischeeüberladenen und homophoben Krimi veröffentlichen würde. Aber genau das ist vor 50 Jahren in den USA so passiert.

Der Täter: Dean Corll

Dean Corll (1939-1973) diente ab 1964 in der US-Armee und wurde 1965 nach zehn Monaten Dienstzeit ehrenhaft entlassen. Corll hatte engen Bekannten erzählt, dass er in der Armee seine ersten homosexuellen Erfahrungen gemacht hattee und sich seiner Homosexualität bewusst geworden war. Andere Bekannte gingen aufgrund seines Verhaltens davon aus, dass er homosexuell sei.

Corll arbeitete im Familienbetrieb "Corll Candy Company" in Houston (Texas) mit. Im Jahr 1965 zog die Firma direkt neben eine Schule. Es war allgemein bekannt, dass Corll den ortsansässigen Kindern gerne Süßigkeiten schenkte, weshalb er den Spitznamen "Candyman" bekam. Einige Angestellte des Unternehmens beobachteten, dass sich Corll gegenüber mehreren männlichen Teenagern recht kokett ("flirtatiously") verhielt. Zu der sprunghaft angestiegenen Anzahl junger männlicher Vermisster in seiner Wohngegend stellte jedoch niemand eine gedankliche Verbindung her.

Sein Komplize David Owen Brooks

Im Jahr 1967 freundete sich Corll mit dem zwölfjährigen David Owen Brooks (1955-2020) an, einem Sechstklässler mit Brille. Er war einer der vielen Jungen, denen er Süßigkeiten schenkte und mit denen er Ausflüge unternahm. Später gab Brooks an, dass Corll der erste erwachsene Mann gewesen sei, der sich nicht über sein Aussehen lustig gemacht habe. Brooks' Eltern waren geschieden und nach eigenen Angaben begann Brooks, Corll als einen Vaterersatz und dessen Wohnung als sein zweites Zuhause zu betrachten. Auf Corlls Drängen entwickelte sich zwischen beiden ein schwer zu bestimmendes auch sexuelles Verhältnis. Ab 1969 bezahlte ihn Corll für Sex. Als Brooks mitbekam, wie Corll einen anderen Jungen folterte, versprach ihm Corll als Gegenleistung für sein Schweigen ein Auto, was Brooks annahm. Corll erzählte Brooks später, dass er diesen Jungen auch getötet habe, und bot ihm 200 Dollar für jeden Jungen, den er in Corlls Wohnung locken würde. Auch darauf ließ sich Brooks ein. Brooks erklärte später, er habe Corll bei der Entführung und Ermordung eines weiteren Jugendlichen im Jahre 1971 unterstützt und habe auch mitbekommen, dass ein anderes Opfer vor seiner Ermordung etwa vier Tage lang am Leben gehalten wurde. Die Identität der beiden letztgenannten Opfer ist bis heute unbekannt. Brooks half auch aktiv mit, den 13-jährigen James Stanton Dreymala 1973 zu ermorden. Brooks hatte ihn zuvor in Corlls Wohnung gelockt, für ihn und sich eine Pizza gekauft und 45 Minuten in seiner Gesellschaft verbracht. Eine Summe von 200 Dollar würde heute rund 1.500 Dollar entsprechen.


Brooks (r.) und Henley (l.) kurz nach ihrer Verhaftung am 10. August 1973

Sein Komplize Elmer Wayne Henley

Elmer Wayne Henley (*1956) sollte eigentlich Corlls nächstes Opfer werden, aus diesem Grund stellte Brooks ihn im Winter 1971 Corll vor. Aber Corll tötete ihn nicht, sondern hatte das Gefühl, dass auch er ein Komplize werden könnte. Sie freundeten sich an und Henley gewann Vertrauen zu ihm. Auch Henley wurden 200 Dollar für jeden Jungen angeboten, den er in Corlls Wohnung locken würde. Dieses Angebot ignorierte Henley einige Monate lang. Als sich Henley und seine Familie jedoch Anfang 1972 in einer schwierigen finanziellen Lage befanden, nahm er dieses Angebot schließlich an.

Zu den irritierenden Umständen gehört, dass Brooks und Henley nicht nur viele Anhalter als Opfer für Corll aussuchten, sondern auch Jungen aus ihrem eigenen Freundes- und Bekanntenkreis. So ermordete Corll im Mai 1971 den 13-jährigen David Hilligiest – einen Freund von Henley. Als Hilligiests Eltern eine Suche starteten, erklärte sich der 15-jährige Henley bereit, die von den Eltern gedruckten Plakate zu verteilen, und versuchte, sie zu beruhigen.


Henley (l.), der bei der Suche nach Leichen hilft, kurz nach seiner Verhaftung am 12. August 1973

Der Morgen des 8. August 1973

Am Abend des 7. August 1973 brachte Henley seinen Freund Timothy Kerley mit zu Corll, er sollte dessen nächstes Opfer werden. Sie blieben ungefähr bis Mitternacht, bevor sie das Haus verließen und versprachen, in einigen Stunden wiederzukommen. Am Morgen des 8. August um 3 Uhr kehrten beide zu Corlls Wohnung zurück und brachten Henleys 15-jährige Freundin Rhonda Williams mit, die gerade Streit mit ihrem Vater hatte und nicht nach Hause konnte. Corll reagierte zunächst wütend und eifersüchtig, schien sich dann aber zu beruhigen und bat auch sie ins Haus. Rhonda Williams erwähnte beiläufig, dass sie mit ihrem Freund Elmer Henley eventuell durchbrennen wolle. Das Trio trank Bier, rauchte Marihuana und wurde nach zwei Stunden ohnmächtig.


Henley greift zur Pistole – eine nachgestellte Szene aus der Serie "Crime Stories"

Als Henley erwachte, stellte er fest, dass Corll nicht nur den beiden anderen, sondern auch ihm Handschellen angelegt hatte. Weil Corll Angst hatte, Henley für immer zu verlieren, wollte er nun alle drei Teenager, also auch Henley, töten. Unter dem Vorwand, sich an der Folter und Ermordung der beiden anderen beteiligen zu wollen, bat Henley darum, freigelassen zu werden. Corll ging darauf ein und band Henley los. Daraufhin schnappte sich Henley Corlls Pistole, rief: "Du bist weit genug gegangen, Dean! (…) Du tötest alle meine Freunde!" und feuerte mehrere tödliche Schüsse auf ihn ab. Henley erinnerte sich später daran, dass er unmittelbar nach den Schüssen nur daran gedacht habe, dass Corll stolz auf sein Verhalten in dieser Situation gewesen wäre. Um 8:24 Uhr rief er die Polizei.

Die Opfer

Durch die Vernehmungen Brooks' und Henleys, deren Hilfe bei der Suche nach den Opfern und weitere Ermittlungen wurde bekannt, dass Dean Corll – teils mit Hilfe der beiden Komplizen – zwischen 1970 und 1973 mindestens 28 Jungen und junge Männer vergewaltigt, gefoltert und ermordet hatte. Gemessen an der Anzahl der Opfer war Corll damit der zu dieser Zeit schlimmste bekannte Serienmörder der USA.

Seine Vorgehensweise wiederholte sich: Alleinreisenden Trampern wurde eine Mitfahrgelegenheit angeboten oder Jungen und junge Männer wurden angesprochen. Dann wurde den späteren Opfern eine Party in Aussicht gestellt und sie wurden zu Corlls Haus gebracht. Dort wurden die Jugendlichen mit Alkohol oder anderen Drogen bedrängt, bis sie ohnmächtig wurden. Dann wurden sie ausgezogen, gefesselt, sexuell missbraucht, gefoltert und manchmal erst nach mehreren Tagen durch Erwürgen oder Erschießen getötet. Alle Opfer wurden anal vergewaltigt und die meisten Opfer wiesen Anzeichen sexueller Folter auf. So wurden Schamhaare herausgerissen, von einem Opfer wurden die Genitalien abgetrennt, Gegenstände wurden anal und Glasstäbe in die Harnröhre eingeführt und zertrümmert. Anschließend wurden die Leichen gefesselt und in einem Bootsschuppen, einem Waldgebiet und an zwei Stellen am Strand verscharrt.


Fotos mit Corlls bekannten Opfern

Die Verurteilungen von Henley und Brooks

Gegen Corll konnte nicht mehr ermittelt und er selbst konnte nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden. Weil er ehrenhaft aus der Armee entlassen worden war, bekam er sogar ein Begräbnis mit militärischen Ehren, was auf viele befremdlich gewirkt haben muss.

Brooks legte ein umfassendes Geständnis ab und half der Polizei bei der Suche nach den Leichen. Er gab zu, bei mehreren Morden anwesend gewesen zu sein bzw. beim Vergraben mitgeholfen zu haben, bestritt jedoch jede direkte Beteiligung. Er erklärte, dass es ihn "nicht gestört habe, den Tod der Opfer miterlebt zu haben". Die Verteidigung argumentierte, dass Brooks selbst keine Morde begangen habe. Der Staatsanwalt wies dies zurück und bezeichnete Brooks als Corlls "Cheerleader". Brooks zeigte keine Emotionen, als er zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Am 28. Mai 2020 starb er in der Haft im Alter von 65 Jahren an den Folgen von Covid.

Henley gab bei seinen Vernehmungen zu, dass Brooks und er fast drei Jahre lang Corll seine späteren Opfer zugeführt hatten. Er gab außerdem zu, mehrere Jugendliche selbst getötet zu haben und Corll dabei geholfen zu haben, andere Opfer zu erdrosseln. Seine Tötung Corlls wurde als Notwehr eingestuft. In ihrem Schlussplädoyer vor der Jury entschuldigte sich die Staatsanwältin dafür, dass sie nicht die Todesstrafe beantragen konnte. Für sechs Morde wurde Henley zu einer Haftstrafe von sechsmal 99 Jahren – also 594 Jahren – verurteilt. Die Strafe verbüßt er bis heute.

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Die Rolle der Polizei


Der Vater des Opfers Jim Glass mit einem Foto seines Sohnes

Viele Familienangehörige von Corlls Opfern kritisierten die Polizei, weil diese die vermissten Jungen nur für Ausreißer gehalten und keine größere Untersuchung für nötig gehalten hatte. Der Vater des 13-jährigen Lynn Waldrop und des 15-jährigen Donald Waldrop gab an, dass ihm der Polizeichef bei einem seiner vielen Besuche lediglich gesagt hatte: "Warum sind Sie hier unten? Sie wissen, dass Ihre Jungs Ausreißer sind." Erst zweieinhalb Jahre später erfuhr er die Wahrheit über seine ermordeten Söhne.

Weil zwischen 1970 und Corlls Tod 1973 in dessen Wohngegend 42 Jungen verschwanden, entstand schnell der Verdacht, dass Corll wesentlich mehr Jugendliche sexuell missbraucht und ermordet haben könnte als offiziell angenommen. Es wirkte befremdlich, dass die Polizei die Suche nach weiteren möglichen Opfern sogar einschränkte, nachdem der von dem Serienmörder Juan Corona aufgestellte bisherige "Rekord" für die meisten Opfer (25 Opfer) übertroffen worden war. Selbst als Knochen auf vier weitere unbekannte Opfer hinwiesen, war die Polizei nicht bereit, ihre Suche auszuweiten. In den Medien wurde das Bild eines wahrscheinlichen weiteren Opfers veröffentlicht: Das farbige Polaroidfoto zeigt einen gefesselten Teenager in Handschellen. Henley, in dessen privatem Besitz dieses Foto gefunden wurde, konnte oder wollte keine Angaben zu diesem Jungen machen, aber die Ermittler*­innen schlossen aus, dass es sich um eines von Corlls bekannten Opfern handelte. Seine Identität ist bis heute ungeklärt.

Im Februar 1975 wurde die Polizei – unabhängig von diesen Mordfällen – auf pornografische Bilder und Filme aufmerksam, die 16 Jungen zeigten, von denen elf zu Corlls Opfern zu gehören schienen. Das würde zu einer Äußerung Corlls gegenüber Henley und Brooks passen, dass er mit einer Organisation – einer Art Sexring – in Verbindung stehe, die "Jungen kaufte und verkaufte". Den Hinweisen auf einen möglichen Zusammenhang zwischen dem pornografischen Material und den Morden ging die Polizei mit der Begründung nicht nach, dass die Familien von Corlls Opfern schon "genug gelitten" hätten.

"Der Spiegel" – "Don't hitchhike"

Unter der Überschrift "Eine Katastrophe der Spezies Mensch" schrieb Gerhard Mauz, ein zu dieser Zeit bekannter Berichterstatter in Gerichtsverfahren, über die Mordprozesse ("Der Spiegel", 19. August 1973, Heft 34, hier online). Wegen der zeitlichen Nähe ist es nachvollziehbar, dass er Parallelen vor allem zu dem deutschen schwulen Serienmörder Jürgen Bartsch zog, dem 1967 der Prozess gemacht worden war. Mauz schrieb, man müsse Gutachten wie dasjenige zu Jürgen Bartsch berücksichtigen, "wenn man die Morde von Houston begreifen (nicht entschuldigen …) will". Corlls Homosexualität wird von Mauz nicht verschwiegen oder ängstlich umschrieben, sondern deutlich benannt: "Die Öffentlichkeit der Vereinigten Staaten hat auf den Schock von Houston besonnen reagiert. Ein Versuch, die Homo­sexuellen zu verteufeln, ist – jedenfalls bislang – nicht unternommen worden." Man könnte Mauz' Artikel dafür kritisieren, dass er die vielen Morde bereits in der Überschrift als eine "Katastrophe" bezeichnet, weil damit ein von Menschen verursachtes Ereignis mit einem Begriff charakterisiert wird, der in der Regel die Zerstörungskraft von Naturgewalten wie Erdbeben bezeichnet, denen man hilflos ausgesetzt ist. Einer möglichen Kritik steht jedoch der gesamte sehr gute Artikel entgegen, der am Ende auch einen Beitrag zur Prävention leistet: Ausgerechnet Henley wird mit einem Satz zitiert, wie solche Morde zukünftig zu verhüten seien: "Don't hitchhike."

"Du & Ich" – nicht trampen

Unter der Überschrift "Der Massenmord in Texas. Die tausend Rätsel von Houston" berichtete auch die Schwulenzeitschrift "Du & Ich" (Dezember 1973, S. 8-10) vier Monate nach der Aufdeckung über die zu diesem Zeitpunkt bekannten Hintergründe und wie Corlls Tötung am 8. August 1973 die Ermittlungen ins Rollen brachte. Eines der Fotos zeigt, wie an einem Strand Leichen ausgegraben werden und dabei auf Absperrungen verzichtet wurde. Es scheint niemanden zu stören, dass sensationsgeile Badegäste die Bergung aus nächster Nähe betrachten. Auch für "Du & Ich" stand die Frage im Raum, wie es zu diesen vielen Morden kommen konnte. Im Artikel wird der Polizeichef mit einer – nach Ansicht der Zeitschrift – "leider überzeugenden" Antwort zitiert: "Die Hauptschuldigen sind die Eltern. Sie leben an ihren Kindern vorbei." Der Polizeichef verweist darauf, dass in Houston, der viertgrößten Stadt der USA, jährlich rund 5.000 Jugendliche verschwänden – "rund ein Drittel von ihnen taucht nie wieder auf". Angesichts des oben beschriebenen Verhaltens der Polizei wirkt es auf mich jedoch leider so, als wolle er damit nur vom Fehlverhalten der Polizei ablenken, statt mehr Personal zu fordern. Der Schlusssatz in "Du & Ich" ähnelt dem im "Spiegel"-Artikel. Auf die Frage an einen Polizisten, was er zu den Morden zu sagen habe, habe dieser lapidar geantwortet: "Die Kerle hätten ja nicht zu trampen brauchen." Was im Spiegel eine gut gemeinte konstruktive Gewaltprävention sein soll, wirkt hier jedoch wie ein Hinweis darauf, dass die Opfer selbst schuld sind, an dem, was ihnen angetan wurde.


Aus der "Du & Ich": Sensationsgeile Badegäste bei der Bergung von Leichen am Strand

Filme über Corll und seine Komplizen

Es gibt mindestens zwei Spielfilme über Corll: Während "Freak Out" (2003, hier Trailer online) nur lose auf Corlls Leben basiert und sich auf seine letzte Nacht konzentriert, fokussiert "In a Madman's World" (2017, hier Trailer online) Henleys Leben während und unmittelbar nach seiner "Zusammenarbeit" mit Corll und Brooks.

Die IMDB nennt einige Dokumentarfilme über Corll, wobei ich nachfolgend nur auf die eingehe, die auch online verfügbar sind. Hervorzuheben ist dabei das Telefonat des verzweifelten Henley mit seiner Mutter ("I killed Dean"). Diese Filmaufnahme vom 8. August wurde sowohl in der Berichterstattung ab dem 8. August von vielen Fernsehsendern ausgestrahlt als auch in vielen späteren Dokumentationen übernommen. Wegen ihres Bekanntheitsgrads möchte ich auch auf die recht reißerische Doku "The Killing of America" (1981, hier online) eingehen, die von einem "Niedergang Amerikas" handelt, auch wenn darin nur sechs Minuten von Corll handeln (1:05:55-1:12:00). Neben dem Telefonat Henleys mit seiner Mutter (1:08:25 Min.) enthält dieser Film auch viele seltene Archivaufnahmen.

"The Clown and the Candyman" (2021, 2. Teil, hier online) ist eine Doku, die abwechselnd die Geschichte der beiden schwulen Serienmörder John Gacy ("Clown") und Dean Corll ("Candyman") erzählt und dabei viele Parallelen zwischen beiden verdeutlicht. Was hier über Gacys und Corlls angebliche Verbindungen zu Pädophilenringen erzählt wird, ist aber eher als spekulativ zu bewerten. Wesentlich seriöser ist "The Candy Man's Henchmen" (2023, hier online), ein von dem investigativen Reporter Robert Arnold moderiertes Podiumsgespräch, das diverse Einspieler enthält.

Die einzige deutschsprachige Doku, die ich zu Corll gefunden habe, ist eine Folge der True-Crime-Serie "Autopsie: Mysteriöse Todesfälle" (2008, Folge 146, 2. Teil: "Interview mit einem Mörder", 20:55-43:54 Min., hier online), die in 20 Minuten die Mordtaten gut zusammenfasst. Das Thema gleich­geschlechtlicher Sex wird hier vorsichtig behandelt, ohne auf Details einzugehen, wobei aber der Hinweis auf Vaseline am Tatort (25:45 Min.) für das Kopfkino wohl schon ausreichend ist. Es ist nicht übertrieben, dass Henleys Telefonat mit seiner Mutter hier als eine "der berühmtesten Szenen in den Nachrichten" (32:45-33:05) bezeichnet wird, soweit damit die USA gemeint sind. Die Folge "The Dean Corll Story" aus der Serie "Crime Documentary" (2007, hier online) und die Folge "The Candyman" aus der Serie "Crime Stories" (Folge 5/5, 2007, hier online) sind nicht nur vom Stil her mit dem "Autopsie"-Beitrag vergleichbar, sondern arbeiten in den nachgestellten Szenen auch mit demselben Filmmaterial.

Ein gutes Beispiel dafür, dass sich auch Animationsfilme für solche ernsten Themen eignen, ist der 13-minütige Film "The Serial Killer Nobody Talks About – Real Life 'Candy Man'" (hier online), der recht unverkrampft auch auf Corlls homo­sexuelle Erfahrungen in der Armee und das Erkennen seiner Homosexualität eingeht (2:45 Min.) – nicht um die Morde zu erklären, sondern um die Persönlichkeit des Täters zu beschreiben und seine Situation zu erklären.


Corll wird sich in den Sechzigerjahren seiner Homosexualität bewusst: Szene aus "The Serial Killer Nobody Talks About – Real Life 'Candy Man'"

Die Verarbeitung in einer Folge von "Criminal Minds"

Vor rund drei Jahren habe ich hier auf queer.de schwule Aspekte in der Krimi-Serie "Criminal Minds" (2005-2020) vorgestellt (hier online), die fiktive Morde und ihre Aufklärung behandelt. Viele der Folgen orientieren sich an realen Mordfällen, wodurch die Storys authentischer wirken sollen.

In der Folge "Der Lehrling" (Folge 8/6, 2012) gibt es die wohl deutlichsten Referenzen zu Corll und Henley. Der ältere David Turner versucht dem 15-jährigen Toby Whitewood das Morden beizubringen. Toby sucht in David einen Vaterersatz, während David die körperliche Nähe zu Toby sucht. Nach den ersten Morden vermuten die Ermittler*­innen ein Mörder-Duo, das eine sexuelle Beziehung miteinander verbindet. Bei den Ermittlungen stellt sich heraus, dass David Turner früher im Knast eine sexuelle Beziehung zu einem älteren Mitgefangenen hatte. Der im Morden "ausgebildete" Turner wird nun selbst zum "Ausbilder" des jüngeren Toby. Das sexuelle Interesse Davids an Toby wird nur durch eine Äußerung Tobys deutlich: "Ich weiß, was du willst, du Perverser. […] Denkst du, ich seh' nicht, was deine Blicke bedeuten?" In dieser Serienfolge haben die beiden jedoch kein sexuelles Verhältnis und Schwule werden in dieser Form der Darstellung – gemessen an der realen Geschichte – eher geschont.

Nach der Wiki-Seite von "Criminal Minds" (hier online) sind in anderen Folgen die Filmfiguren Bill Jarvis (Folgen 5/2), Anita Roycewood (Folge 5/16) und Lee Mullens (Folge 6/3) an das Leben von Dean Corll angelehnt, wobei die Bezüge hier aber weniger deutlich ausfallen als in "Der Lehrling".


Der 15-jährige Toby (r.) wünscht sich einen Vater; David (l.) wünscht sich Sex mit Toby ("Criminal Minds", Folge 8/6)

Zum Weiterlesen: Bücher über Dean Corll

Aufgrund der Anzahl der Mordopfer fehlt Dean Corll vermutlich seit den Siebzigerjahren in keinem der vielen Bücher über Serienmörder. Seit dieser Zeit sind auch mehr als zehn Bücher erschienen (s. u.a. Wikipedia), die sich nur mit Dean Corrl beschäftigen, von denen aber offenbar keines auf Deutsch erschien, was auf eine fast ausschließliche Rezeption in den englischsprachigen Ländern hindeutet. Das Buch von Jack Olsen "The Man with Candy" (1974) ist insofern etwas Besonderes, weil es nicht nur das erste Buch war, das über Corll erschien, sondern der Autor in den Monaten vor dem Prozess gegen Henley und Brooks noch die Möglichkeit hatte, mit beiden Interviews zu führen. Es ist auch das einzige Buch zum Thema, das bei Google Books wenigstens zum Teil online abrufbar ist.

Vergleiche mit anderen schwulen Mördern

Dean Corll war weder der erste noch der letzte schwule Mörder, der viele Menschen auf seinem Gewissen hatte. Zu nennen ist u.a. der vermutlich schwule Omar Mateen, der bei seinem Attentat in einer queeren Disco in Orlando in Florida 2016 49 Menschen tötete, was bisher der schlimmste einzelne queer­feindliche Gewaltakt in der Geschichte der USA war. Von den bekannten schwulen Serienmördern hat wohl nur John Wayne Gacy mit 33 Menschen mehr Opfer als Dean Corll auf dem Gewissen, wobei es auch Corlls Mordtaten waren, die Gacy zu seinen Morden bewegten. Als weitere schwule Serienmörder sind noch Fritz Haarmann (24-27 Opfer), Jeffrey Dahmer (17 Opfer), Dennis Nilsen (15 Opfer), Peter Kürten (9 Opfer) und Jürgen Bartsch (4 Opfer) zu nennen.

Spannend ist hier aber nicht der Vergleich zwischen der Anzahl der jeweiligen Opfer, sondern vor allem, wie unterschiedlich mit der Homosexualität öffentlich umgegangen wird. Werden Schwule in eine kriminelle Ecke gestellt und ist Homosexualität etwas, das – ähnlich wie Mord – nur am Rande der Gesellschaft stattfindet? Wird die Homosexualität verschwiegen und wenn ja, aus welchen Motiven heraus? Die ZDF-Dokumentation "Der Fall Dennis Nilsen. Geburt eines Serienkillers" (2019, hier online) ist für mich ein gelungenes Beispiel dafür, wie man deutlich die Homosexualität benennt und wie gleichzeitig sensibel man mit ihr umgegangen kann. Auch anhand von solchen True-Crime-Formaten kann sich Interesse an schwuler Geschichte und an schwulen Geschichten zeigen.

Wie legitim ist True Crime?

Der schwule Autor Truman Capote gehört mit seinem Bestseller-Roman "In Cold Blood" (dt. "Kaltblütig", 1965) zu den Begründern von True-Crime-Formaten. Zwei Jahre später wurde im ZDF die erste Folge von "Aktenzeichen XY … ungelöst" ausgestrahlt (seit 1967). Sie ist die erfolgreichste und älteste deutsche Fernsehsendung des True-Crime-Genres und konnte nicht nur zur Aufklärung von Verbrechen beitragen, sondern Zuschauer*innen mit dem Hinweis auf potenzielle Gefahren auch schützen. Literatur und Filme über reale Verbrechen werden aber auch von vielen Menschen als problematisch angesehen, weil den Täter*innen und ihren Taten dadurch viel mediale Präsenz eingeräumt und aus realem Leid Unterhaltung und Profit geschaffen werde. Im Vorfeld zu diesem Beitrag wurde ich von einem Freund dafür kritisiert, dass ich Corll mit diesem Artikel "ein Denkmal" setzen würde. Einer generellen Kritik an True Crime kann ich mich aber nicht einmal ansatzweise anschließen.

Natürlich lassen sich einzelne True-Crime-Filme kritisieren, weil sie sensationsgierig sind und in destruktiver Hinsicht Ängste schüren, statt konstruktiv zu wirken. Vermutlich sorgen sich einige Zuschauer*innen auch darüber, dass True-Crime-Filme über schwule Täter zu einer Gleichsetzung von Homosexuellen und Mördern führen könnten. Ich sehe die Gefahr dieser Gleichsetzung meistens noch nicht einmal dort, wo die Homosexualität deutlich benannt wird, und deute die Zurückhaltung bei sexuellen Details in vielen der betreffenden Filme sogar als Versuch, einer solchen möglichen Gleichsetzung bewusst entgegenzuwirken. Aber auch ich kenne Filme, die ich in ihrer Darstellung unangemessen finde: Der True-Crime-Film "Wambo" (2001) beschreibt das Leben und die Ermordung eines bayerischen Volksschauspielers. Die Verantwortlichen mussten nur den Namen von Walter Sedlmayr in Herbert Stieglmeier ändern und hatten damit freie Fahrt, um auch mit Bezug auf seine homosexuellen BDSM-Vorlieben Biografisches mit viel Erfundenem unseriös zu mischen. Ein anderer übler Film ist der breit rezipierte Psychothriller "Cruising" (1980), auch wenn dieser gar keine reale Geschichte zu erzählen vorgibt. Ich kritisiere diesen Film nicht, weil er Serienmorde in der Schwulenszene behandelt, sondern weil er mit dem Mörder auch die gesamte Lederszene dämonisiert.

Wer ist hier eigentlich schwul?

Vermutlich gibt es viele Leser*innen, die schon die Bezeichnung "schwule Serienmörder" ablehnen und diese Täter "nur" als krank, kriminell oder pädosexuell ansehen. Das ist ein nachvollziehbarer Reflex, weil man mit solchen Tätern schließlich nichts gemein haben möchte und eine Gleichsetzung von Schwulen mit Kriminellen schon im Keim ersticken möchte. Aber so einfach ist es nicht, denn Schwule müssen sich damit abfinden, dass es nicht nur hetero-, sondern auch homosexuelle Mörder gibt. Es macht die Sache auch nicht einfacher, dass man bei Corll noch nicht einmal zwischen homo- und pädosexuell motivierten Gewalttaten unterscheiden kann – wo doch nur etwas mehr als die Hälfte der Opfer 16 Jahre oder älter waren.

Die Vorstellung, dass Dean Corll seine Homosexualität 50 Jahre später vielleicht anders und sogar in legitimer Form hätte ausleben können, ist spekulativ, bewegt aber vermutlich viele Menschen, die Corlls Taten begreifen möchten. Der Hinweis auf die frühere strafrechtliche Verfolgung und Diskriminierung ist eine gute Erklärung seiner persönlichen Situation und sollte auch offen und klar ausgesprochen werden. Genauso klar sollte aber auch ausgesprochen werden, dass diese Erklärungen keine Rechtfertigung seiner Taten darstellen dürfen. Auf den wichtigen Unterschied zwischen Erklärung und Rechtfertigung hat bereits der oben zitierte Spiegel-Artikel verwiesen.

Bilder und eine Holzdiele, die moralische Fragen aufwerfen

Henley hat während seiner Inhaftierung begonnen zu malen. Der Verkauf einiger seiner Bilder bei Ebay sorgte für Empörung. Bei Ebay (hier online) wird aktuell (Stand 25. Juli 2023) ein Stück Holzdiele für 60,99 $ angeboten. Diese Holzdiele stammt aus dem Haus, in dem Dean Corll einen großen Teil seiner Opfer ermordete und das nach Angaben des Verkäufers am 24. Februar 2023 abgerissen wurde. Was geht in einer Person vor, die sich für ein solches Objekt interessiert? Warum möchte man dem Täter so nah sein, dass man sich einen solchen reliquienartigen Gegenstand aus dem Besitz des Täters wünscht? Ähnlich kritische Fragen lassen sich auch an den Verkäufer richten.


Eine Reliquie? Ebay-Angebot einer Holzdiele aus Corlls Wohnung. Ein Foto von Henley im Alter von 41 Jahren (Aufnahme von 1997)

Weitere offene Fragen

Es gibt noch viele weitere offene Fragen, wie die schon häufig gestellte, ob Dean Corll wohl noch wesentlich mehr Jungen und junge Männer ermordete. Alle Taten sind mehr als 50 Jahre her. Das wirkt zunächst wie eine lange Zeit, aber alle Opfer könnten heute noch leben, wenn sie nicht von Dean Corll ermordet worden wären.

Henley war während der Zeit seiner Bekanntschaft mit Corll 15 bis 17 Jahre alt und hat in dieser Zeit auch eigene Freunde ans Messer geliefert. Ab wann kann ein Kind oder ein Jugendlicher in seinem Alter eigentlich Unrecht von Recht unterscheiden? Natürlich ist die Frage kaum zu beantworten, weil seine Mittäterschaft komplexe Ursachen hat. Der mittlerweile 67-jährige Henley sitzt für seine Taten noch immer im Gefängnis und seine Anträge auf Bewährung wurden bisher abgelehnt. Im Oktober 2025 wird das nächste Mal über eine Bewährung entschieden und dann wird man eine Antwort auch auf diese Frage suchen.