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Nach Demo in Lüneburger Wahlkreisbüro
Grüne Fraktionsvize will SPD und FDP bei Selbstbestimmungsgesetz von Nachbesserungen überzeugen
Am Tag des Kabinettsbeschlusses zum Selbstbestimmungsgesetz demonstrierten Aktivist*innen im Büro der Bundestagsabgeordneten Julia Verlinden. Die kündigt nun an, sich für Verbesserungen einzusetzen.
- 29. August 2023, 09:15h 4 Min.
Knicken Grüne und SPD beim Selbstbestimmungsgesetz vor rechter und transfeindlicher Stimmungsmache ein? Queere Demonstrant*innen im niedersächsischen Lüneburg suchten die beiden Ampel-Parteien mit diesem Vorwurf am vergangenen Mittwoch auf.
Eine Gruppe drang mit Transparenten in das Wahlkreisbüro der grünen Bundestagsabgeordneten Julia Verlinden ein, später ging es noch durch die Innenstadt zu einem SPD-Büro weiter. Verlinden sagt nun gegenüber queer.de: Mehrere Punkte am aktuellen Text entsprechen "ganz klar nicht unseren Ansprüchen an ein gutes Selbstbestimmungsgesetz".
"Wir sind stinksauer"
Am vergangenen Mittwoch hatte das Bundeskabinett den Regierungsbeschluss zur Einbringung des Selbstbestimmungsgesetzes verabschiedet und dazu weitere Punkte ins Gesetz aufgenommen, die für Kritik bei queeren Verbänden sorgten. Ein Video der Aktion vom Tag des Beschlusses, das queer.de vorliegt, zeigt, wie sechs Demonstrant*innen mit Megaphon, Transparenten und Antifa-Fahne in das Büro gehen.
Auf den Stoffstücken steht: "Terfs & Faschisten Hand in Hand" sowie "Selbstbestimmung statt Transfeindlichkeit", die Gruppe skandiert "Selbstbestimmung für Alle, sonst gibt's Krawalle". In den Räumlichkeiten angekommen, empfangen sich ein Mitarbeiter von Verlinden und die Demonstrant*innen dann aber dennoch freundlich, diskutieren über den Kurs beim Gesetz.
In einer Erklärung zur Aktion heißt es: "Wir sind stinksauer über den Entwurf zum Selbstbestimmungsgesetz, der kein guter Kompromiss, sondern nichts anderes als ein dreckiger Verrat ist!" Ihre Aktion nennen die Demonstrant*innen ein "Go-in".

Ein Video, das queer.de vorliegt, zeigt, wie die Demonstrant*innen in das Büro von Julia Verlinden eindringen, lautstark protestieren
Den Sozialdemokrat*innen habe man nach einem Gang durch die Innenstadt zudem am Büro "unsere Meinung auf die Fassade gekreidet". Die Wut der Demonstrant*innen richtet sich insbesondere auf die Einschränkungen für Asylsuchende und abgelehnte Asylbewerber*innen, die automatische Datenauskunft an Innenbehörden und die Hinweise im Gesetz auf das Vertrags- und Hausrecht.
Im aktuellen Gesetzestext stehe, "dass Betreiber*innen von zum Beispiel Saunen, Fitnessstudios und Veranstaltungsorten Haus- und Vertragsrecht geltend machen können. Ihr könnt also entscheiden, ob wir euch 'zu trans' aussehen und uns rausschmeißen." Es werde per Gesetz zum Ausschluss trans- und intergeschlechtlicher sowie nichtbinärer Menschen aus dem gesellschaftlichen Leben aufgerufen. "Lisa Paus und Marco Buschmann folgen damit der transfeindlichen und rechtsradikalen Logik von TERFs und bauen ihre Sprache willkürlich in das Selbstbestimmungsgesetz ein – das ist brandgefährlich!"
Grüne Fraktions-Vize will SPD und FDP von Nachbesserungen überzeugen
Julia Verlinden, die auch Vizevorsitzende der Grünen-Fraktion im Bundestag und in Umweltfragen profiliert ist und sich etwa bei der Verlängerung der AKW-Laufzeiten in der Energiekrise gegen die Fraktionsdisziplin gestellt hatte, war zwar am Tag der Aktion nicht in Lüneburg. Trotzdem nimmt sie nun gegenüber queer.de Stellung.
Die Gruppe aus der LGBTIQ*-Community habe demnach ihr Lüneburger Büro besucht "und friedlich und zugleich sehr entschieden gegen die Verabschiedung des Selbstbestimmungsgesetzes durch das Bundeskabinett protestiert".
Instagram / hate_germany | Auf Instagram wurde dieser kurze Clip von der Aktion in Lüneburg gepostet
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Verurteilen will die Grüne die Aktion nicht, ganz im Gegenteil. "Unsere Demokratie zeichnet die freie Meinungsäußerung und das Recht zu Demonstrieren aus. Daher ist es legitim, wenn Menschen zu mir ins Büro kommen und mich ansprechen und ihre Kritik, so wie am Mittwoch geschehen, äußern." Gleichzeitig helfe es ihr in ihrer politischen Arbeit, "wenn ich konstruktive Kritik bekomme und auf Missstände hingewiesen werde".
Und auch inhaltlich positioniert sich Verlinden zu der Aktion: "Grundsätzlich bin ich der Überzeugung, dass das Selbstbestimmungsgesetz die fundamentalen Grundrechte von trans- und intergeschlechtlichen sowie nicht-binären Menschen stärken wird. Als grüne Bundestagsfraktion sehen wir aber auch, dass es gegenwärtig noch mehrere Punkte gibt, die ganz klar nicht unseren Ansprüchen an ein gutes Selbstbestimmungsgesetz entsprechen." Und: Die vorgebrachte Kritik bestärke sie darin, "zu versuchen, SPD und FDP zu überzeugen, im bevorstehenden parlamentarischen Verfahren den Entwurf nachzubessern".
Auch von der Lüneburger SPD wollte queer.de wissen, wie sie sich zur Kritik der Demonstrant*innen positioniert. Antworten kamen von der zweiten Ampelpartei in der 77.000-Einwohner*innen-Stadt allerdings nicht. Vielleicht ein erster Hinweis darauf, wie schwer es Verlinden und andere Ampel-Politiker*innen haben könnten, wenn sie die strittigen Passagen wieder aus dem Selbstbestimmungsgesetz herausbekommen wollen. (jk)
















