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Weißenfels

Distanzierte sich Linken-Stadtratsfraktion von angegriffenem CSD?

Ein Statement der Linken-Stadtratsfraktion von Weißenfels fällt dem CSD in den Rücken, gibt ihm eine Mitschuld an der Nazi-Attacke. Wie rückschrittlich sind die Genoss*innen im Burgenlandkreis unterwegs?


Am ersten CSD in Weißenfels am 12. August nahmen 600 Personen teil (Bild: Omas Gegen Rechts Leipzig / X)

Im Nachgang der Nazi-Attacken auf den ersten CSD in Weißenfels in Sachsen-Anhalt kommt die Debatte nicht zur Ruhe. Sogar die Stadtratsfraktion der Linken wandte sich gegen den CSD – mit haarsträubenden Argumenten.

In einer Erklärung scheint die Partei vor allem um das Image der Stadt besorgt zu sein. Kritik an der Polizei durch die queeren Veranstalter*­innen verbittet man sich, sieht die Schuld vor allem bei der Pride, setzt die Nazis mit einer Spuckattacke auf einen queer­feindlichen Youtuber gleich.

Den Sinn eines CSDs scheinen die Kleinstadt-Linken, die für ihre Abrechnung sogar einen eigenen queeren Stadtrat attackieren, indes auch nicht verstanden zu haben. Oder war alles nur ein unabgesprochener Alleingang?

Nazis hatten CSD gestört und mit Flaschen beworfen

Am 12. August hatten bis zu 30 Neonazis die Auftaktkundgebung des CSDs gestört und den Start somit um 45 Minuten verzögert – die Polizei musste zunächst noch Kräfte zum Schutz der queeren Teilnehmer*innen zusammenziehen. Durch die Neonazis kam es zu Flaschenwürfen und das Zeigen des Hitlergrußes samt "Sieg Heil"-Gebrüll. Die Beamten stellten 20 der Störer*innen, identifizierten sie und leiteten Ermittlungen ein. Es geht um Landfriedensbruch, die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Körperverletzung (queer.de berichtete).

Trotz dieser massiven Beeinträchtigungen behauptete die Weißenfelser Polizei auch gegenüber queer.de, dass "zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr für die Versammlungsteilnehmer*innen bestanden" hätte. Obwohl die Polizei trotz vorheriger Warnungen vonseiten der Organisator*innen, dass Drohungen von Rechten im Raum stünden, nicht ausreichend personell aufgestellt war, verwahrte sie sich gegen Kritik – auch durch die CSD-Organisator*innen.

Dass der CSD seinen nötigen Raum bekommen habe, das sah auch der CDU-Oberbürgermeister Martin Papke so. Ihn regte vor allem auf, dass Weißenfels in den Medien – darunter der Tagesschau vom Abend des 12. August – als "Nazi-Hochburg" gehandelt worden sei. Weil Teilnehmer*innen einen auf dem CSD drehenden, rechten Youtuber bespuckt und getreten haben sollen, fand Papke: "Dies hätte vom Versammlungsleiter untersagt werden müssen. Eine Duldung dieser Erniedrigung kann nicht Ziel des CSD sein." Ganz so, als wären diese Angriffe irgendwie unter Billigung der CSD-Organisator*innen abgelaufen, die sich inmitten der 600 Teilnehmer*innen des CSDs befanden (queer.de berichtete).

Linke: Sehen CSD in Weißenfels kritisch

Die Einordnung als Nazi-Hochburg scheint es denn auch, was die Weißenfelser Linken stört. In der Mitteilung der Stadtratsfraktion heißt es vorangestellt: "Im Stadtrat und der Verwaltung sind alle darum bemüht, Weißenfels wirtschaftlich, kulturell und sozialpolitisch voranzubringen und ein gutes Bild zu vermitteln, das auch dazu beiträgt, dass sich Menschen dafür entscheiden, in Weißenfels ihren Lebensmittelpunkt zu finden". Man möchte einer "guten Entwicklung der Stadtgesellschaft dienen".

Nun aber kam den Linken-Stadtratsmitgliedern bei der Wahrung des städtischen Ansehens augenscheinlich die Pride dazwischen, nicht die Nazis: "Den CSD in Weißenfels sehen wir in dieser Hinsicht kritisch".

Zwar verurteile man den "Angriff durch rechte Randalierer" – allerdings "genau so wie die Spuckattacken aus dem Kreis der Demonstranten". Es ist eine Gleichsetzung der nur durch massive Polizeipräsenz im Zaum gehaltenen, aggressiv auftretenden Neonazis, ihrer Pöbeleien und ihres Hitlergrußes mit einer Spuckattacke gegen einen rechten Youtuber, der davon ab wohl live vom CSD streamen und dabei seine LGBTI-feindlichen Botschaften verbreiten konnte.

Doch nicht nur das: Die Kritik der teils aus der eigenen Partei stammenden CSD-Organisator*innen an der Polizei, sich nicht ausreichend auf die vorher bekannte Lage vorbereitet zu haben, will die Fraktion nicht gelten lassen: "Jetzt aber der Polizei die Verantwortung für die Ausschreitungen in die Schuhe zu schieben, ist wenig hilfreich." Auch "der Veranstalter" stehe hier "in der Pflicht". Ganz so, als seien LGBTI selbst schuld, wenn sie von rechten LGBTI-Feinden bedroht werden.

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"Weißenfels konnte nur verlieren"

Direkt angegriffen wird der linke Stadtrat Eric Stehr: "Wir stellen fest: Herr Stehr darf als Stadtrat persönliche Erklärungen und Stellungnahmen abgeben. Diese gelten aber nicht automatisch für die Fraktion." Warum? Die Mehrheit der linken Fraktionsgruppe sehe "die Einchätzung zum Verlauf des CSD von Herrn Stehr, der in der Presse zitiert wurde, Weißenfels sei eine Nazi-Hochburg, als völlig neben den Tatsachen liegend, daher kritisch und stimmt dem inhaltlich nicht zu". Fortgesetzt wird die Attacke auf Stehr mit einem kruden Vorwurf: "Beim Gebrauch des Nazi-Vergleichs sollte man doch mal die Geschichte bemühen." Unklar, was damit gemeint ist.

Die Generalkritik gegen den CSD ist damit aber noch längst nicht abgeschlossen. Es scheint, als hätten die Linken-Stadträte lieber ihre sachsen-anhaltische Kleinstadt ohne queere Sichtbarkeit zurück: "Im Nachhinein stellen wir fest, dass die Stadt Weißenfels durch den CSD nicht, wie vielleicht geplant, an Attraktivität gewonnen, sondern eher verloren hat und jetzt gegen das zu Unrecht von einigen Aktivisten und den Medien bis hin zur Tagesschau gepflegte Image vorgehen muss."

Und: "Die Stadt Weißenfels konnte nur verlieren. Ihr wurde ein nur schwer wieder gut zu machender Schaden zugefügt." Kein Wort verlieren die Linken zu der Wichtigkeit, die CSDs für queere Menschen, die Bekämpfung von Schamgefühlen und Minderheitenstress gerade in ländlichen Gegenden haben, in denen queeres Leben ansonsten unsichtbar bleibt oder von Nazibanden gar aktiv an der Entfaltung gehindert wird. Unterschrieben ist das Schreiben vom Fraktionsvorsitzenden Hans Klitzschmüler.

Stehr: Mehrheit der Linken steht hinter CSD

Ein Anruf bei Eric Stehr: Was ist da los im Burgenlandkreis? Die Fraktion teile die im Statement vollführte Distanzierung vom CSD gar nicht mehrheitlich, meint nun der linke CSD-Organisator. Von den sechs Fraktionsmitgliedern seien zwei selber bei der Demo gewesen.

Tatsächlich habe sich der Vorstand des Kreisverbands der Linken hinter den CSD gestellt, das in einer eigenen Mitteilung klargemacht. In der bisher öffentlich nicht zugänglichen, an die "Mitteldeutsche Zeitung" adressierten Mitteilung heißt es etwa zu den Nazis: "Das ist für uns sehr viel weniger ein Imageproblem, als eine Aufforderung an die aufgeklärte und demokratisch gesinnte Stadtgesellschaft, zu handeln und Position zu beziehen." Den Veranstalter*innen dankt man "für ihren politischen Mut".

Der Fraktionsvorsitzende allerdings, der das Statement der Stadtratsfraktion geschrieben habe, habe dies weitgehend unabgesprochen getan. Er sei über das, was er eigentlich habe sagen sollen, hinausgegangen, habe seine eigene Meinung verbreitet, meint Stehr.

"Die Linke ist im Burgenlandkreis total progressiv aufgestellt" eilt der Angegriffene der eigenen Partei zur Seite. "Ich war enorm glücklich, dass so viele Linke da waren – auch Personen, bei denen ich vorher nicht damit gerechnet hätte, dass sie kommen. Es war eine große Solidarität da, ein großer Zusammenhalt." Es sei also "nicht Fakt", meint er, "dass die Linke das kritisiert".

Den Vorfall mit dem Vorsitzenden Klitzschmüller ordnet der CSD-Organisator in den weiteren Konflikt innerhalb der Partei ein. "Wenn es einzelne Querschläger gibt, dann ist das leider so." Es werde "mehr oder minder versucht, Schaden anzurichten". Das nehme man zur Kenntnis, arbeite aber "antifaschistisch und divers weiter". Und auch der Landesvorstand habe sich in der Sache eingeschaltet und klar gemacht, wo die Partei steht.

Ob er denn wirklich gesagt habe, dass Weißenfels eine Nazi-Hochburg sei? So direkt nicht. Aber als Journalist*innen ihn danach gefragt hätten, hätte er das eben bejaht: "Wenn sich hier europaweit bekannte neofaschistische Gruppen treffen", wenn die AfD bei über 30 Prozent stehe, "dann sind wir eine Nazi-Hochburg". Das sei unbestreitbar, stellt er seine Haltung gegenüber queer.de nochmal klar.

Und: Der Vorsitzende der Stadtratsfraktion müsse "seinen antifaschistischen Kompass neu ausrichten".

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