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EGMR
Gericht: Bulgarien muss gleichgeschlechtliche Paare anerkennen
Derzeit erkennt Bulgarien – auf Druck von Links- und Rechtsaußenparteien – gleichgeschlechtliche Paare nicht an. Das verstößt aber gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.

Der Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg hat bereits mehrfach Länder verurteilt, die gleichgeschlechtliche Beziehungen nicht anerkennen wollen (Bild: Mathieu Nivelles / flickr / by 2.0)
- 7. September 2023, 08:23h 3 Min.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in einer am Dienstag verkündeten Entscheidung Bulgarien dafür gerügt, dass das Land keine gleichgeschlechtlichen Partnerschaften anerkennt. Dies verstoße gegen Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention, der das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens garantiert. Das Urteil fiel einstimmig aus.
Konkret ging es im Fall "Darina Koilova and Lilia Babulkova v Bulgaria" (40209/20) um ein bulgarisches Frauenpaar, dass 2016 in Großbritannien geheiratet hat. Die Eheleute zogen dann zurück nach Sofia, dort wurde ihre Beziehung allerdings nicht anerkannt. Dies, so die Klägerinnen, sei Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung. Im Mai hatte der Menschenrechtsgerichtshof bereits eine ähnliche Entscheidung gegen Rumänien gefällt (queer.de berichtete).
"Viele Paare in rechtlichem Vakuum"
Laut dem Straßburger Gericht muss Bulgarien zwar nicht die beiden Frauen als Eheleute registrieren, muss aber ihre Partnerschaft in Bezug auf wichtige Punkte wie Eigentums- und Erbschaftsangelegenheiten anerkennen. "Die Entscheidung ist von zentraler und grundlegender Bedeutung für die Entwicklung der bulgarischen Gesetzgebung im Bereich der Gleichberechtigung und der LGBT-Rechte", erklärte die Anwältin Denitsa Ljubenova, die auch Chefin der queeren Organisation Dejstvie ist und die beiden Bulgaren vor dem Gericht in Straßburg vertrat. "Viele Paare in Bulgarien befinden sich in einem rechtlichen Vakuum, weil sie auf der einen Seite der Grenze Ehemann und Ehefrau sind und auf der anderen Seite – auf dem Gebiet der Republik Bulgarien – keine rechtliche Beziehung haben." Insgesamt nehme der Staat den Frauen mehr als 300 Rechte weg, die heterosexuellen Paaren zustehen würden.
Im bulgarischen Recht gibt es sowohl die Anerkennung als Eheleute als auch als De-facto-Familiengemeinschaft, die aber von gleichgeschlechtlichen Paaren nicht automatisch in Anspruch genommen werden kann. Zudem ist die gleichgeschlechtliche Eheschließung seit 1991 in der Verfassung verboten. Vor gut einem Monat wurde ein Gesetz zum Schutz vor häuslicher Gewalt beschlossen – der Begriff "intime Beziehung" ist allerdings laut dem Gesetz nur auf die Beziehungen zwischen Mann und Frau begrenzt.
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Rechtsextreme und sozialistische Parteien gegen Anerkennung
Innenpolitisch lehnen insbesondere prorussische Parteien – etwa die rechtsextreme Partei Wasraschdane (Wiedergeburt) sowie sozialistische Gruppierungen – die Anerkennung von Homosexuellen ab. Wegen der staatlichen Queerfeindlichkeit hat Bulgarien auch noch nicht die Istanbul-Konvention ratifiziert. Diese soll eigentlich Gewalt gegen Frauen und Mädchen sowie alle Formen häuslicher Gewalt bekämpfen. Queerfeindliche Kräfte stören sich aber daran, dass die Konvention in ihren Erläuterungen auch erwähnt, dass auch "Homosexuelle, Bisexuelle oder Transsexuelle" schutzbedürftig seien. Aus diesem Grund ist auch die Türkei aus dem Abkommen ausgetreten (queer.de berichtete).
Bereits 2021 entschied der Europäische Gerichtshof in Luxemburg, dass Bulgarien die Freizügigkeit von Regenbogenfamilien sicherstellen muss (queer.de berichtete). Damals ging es um ein bulgarisch-britisches Frauenpaar mit Kind, das von Bulgarien nicht anerkannt worden war.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit Sitz im französischen Straßburg gehört – anders als der Europäische Gerichtshof in Luxemburg – nicht zur Europäischen Union, sondern zum Europarat. Der EGMR entscheidet auf Grundlage der Europäischen Menschenrechtskonvention. Dem Europarat gehören 46 Mitgliedstaaten an – konkret sind dies alle europäischen Länder mit Ausnahme von Belarus, Kasachstan, dem Kosovo, Russland und dem Vatikanstaat. Formal müssen sich alle Mitgliedsländer an die Entscheidungen des Gerichts halten. Allerdings hat das Gericht keine Sanktionsmöglichkeiten, um Gesetzesbrecher zu bestrafen. (dk)
















