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Buchkritik

Hat der Querverlag einen "Detransitions-Roman" veröffentlicht?

In ihrem neuen Jugendroman "Einfach nur Noni" begleitet Karen-Susan Fessel einen queeren Teenager durch eine Zeit des Zweifelns und der Angst – und dürfte dabei auch bei manchen Leser*innen für verwirrte Gefühle sorgen.


Symbolbild: Lesbisches Selbstbewusstsein und Solidarität mit trans Menschen sind kein Widerspruch (Bild: Elvert Barnes / wikipedia)

Eigentlich ist Noni sich sicher: Den alten Namen, einen Mädchennamen, hat er schon abgelegt, vor der Familie hat er sich bereits als trans geoutet und jetzt soll endlich die Hormontherapie beginnen. Noni ist 16 und leidet unter seinem weiblichen Körper und all den Erwartungen, die damit verknüpft sind. Die tiefen Stimmen, die Bartschatten und die großen Füße der Männer um ihn herum hingegen faszinieren den Jugendlichen und er spürt, dass er doch eigentlich einer von ihnen ist. Oder etwa nicht?

Man kann die Themenwahl der erfolgreichen Kinder- und Jugendbuchautorin Karen-Susan Fessel für ihr neues Buch durchaus als kontrovers bezeichnen: Sie erzählt anhand der Figur Noni von einer beginnenden Transition, vor allem aber von all den Zweifeln und Ängsten, die damit einhergehen. Bedient "Einfach nur Noni" also das gefährliche Narrativ, das die Themen Detransition und Desistance nutzt, um transfeindliche Ansichten – getarnt als Sorge um das Wohlergehen von Minderjährigen – zu verbreiten?

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Nonis Transidentität wird infrage gestellt


Der Jugendroman "Einfach nur Noni" ist Anfang des Monats im Berliner Querverlag erschienen

Nun, ganz so einfach ist es nicht, auch wenn der Roman solche Befürchtungen anfangs eher bestärkt, als sie abzuschwächen. An der Seite des queeren Helden erleben wir unangenehme medizinische Untersuchungen, bevormundende Psychiater, Mobbing in der Schule, Gruppendruck durch andere trans Jugendliche und nicht zuletzt eine von Sorgen und Verunsicherung geplagte Mutter. In Form eines Tagebuchs, das sie für Noni geschrieben hat, da ihr das Reden schwerfällt, ist die Stimme der Mutter stets präsent: Sie warnt ihr Kind vor der Männerwelt mit ihren Prügeleien und versifften Toiletten, sorgt sich wegen des Krebsrisikos durch künstliche Hormone und wirft die Frage auf, ob Noni nicht Opfer einer "sozialen Ansteckung" sein könnte.

Immer wieder wird zudem Nonis Trans­identität infrage gestellt und ihm nahegelegt, dass er doch vielleicht eine Lesbe sei. Warum er denn überhaupt ein Junge sein müsse und nicht einfach ein ganz besonderes Mädchen sein könne, fragt ihn eine Freundin einmal. Das ist alles problematisch, genau wie das Deadnaming, das Noni durchgehend durch seine Großmutter erfährt, bis er es resigniert hinnimmt, oder die Tatsache, dass Fessel als transfeindliche kritisierte Begriffe wie "Rapid-Onset Gender Dysphoria" einstreut, ohne diese für ihr junges Publikum zu kontextualisieren.

Komplexe Lebenswelten

Allerdings entpuppt sich "Einfach nur Noni" als komplexer, als es zunächst den Anschein haben mag. Durch die Augen der Hauptfigur, die zugleich als Ich-Erzähler dient, blickt Fessel durchaus kritisch auf die Vorbehalte der anderen. Zudem hat die Autorin mit Nonis queerem Freundeskreis und vor allem dem trans Jungen Levi positive Vorbilder geschaffen. Für Levi ist die Transition ein Weg, den er mit vollkommener Selbstverständlichkeit beschreitet, eine Lebensrettung, wie er sagt. Und auch Fessel macht hier deutlich, dass sie mit ihrem Buch nicht Lebensentscheidungen von trans Menschen infrage stellen möchte, sondern den Raum öffnen will für ein breiteres Verständnis von Queerness und Identität. Als "Detransitions-Roman" lässt sich "Einfach nur Noni" nicht so leicht abstempeln, und auch der "Tabubruch" mit dem der Querverlag wirbt, führt wohl auf eine falsche Fährte.

Einfühlsam, alltagsnah und mit Humor erzählt Fessel vom Alltag ihres Helden, der in keine Schublade passen will. Das soziale Umfeld aus Familie, Freund*­innen und Schule bietet dabei einen reichen Hintergrund für den sich episodisch entfaltenden und mit vielen Rückblicken gespickten Roman. Manches wirkt dabei etwas oberflächlich und angerissen: Da lobt Noni zum Beispiel einmal, dass Levi so konsequent gendert – tatsächlich nutzt er den Gender­stern aber nur ein einziges Mal und verwendet sonst wie alle anderen Figuren hauptsächlich das generische Maskulinum. Auch Neo-Pronomen tauchen nur am Rande auf, wodurch der Eindruck entsteht, Fessel möchte niemanden verschrecken. Sie scheint ein nicht-queeres Publikum ansprechen zu wollen, das mit der Trans-Thematik noch nicht gut vertraut ist und vielleicht bezüglich einiger Aspekte verunsichert ist – ein Ansatz, gegen den an sich nichts spricht.

Glaubwürdigkeitsprobleme


Karen-Susan Fessel lebt als freie Journalistin und Schriftstellerin in Berlin

Auf ganzer Linie überzeugen kann "Einfach nur Noni" dabei allerdings nicht. Neben Konflikten, die sich in Luft auflösen, und schwierigen Themen wie Suizid, die nicht zielgruppengerecht aufgearbeitet werden und den nötigen Raum erhalten, mangelt es besonders der Hauptfigur an Authentizität. Dass Noni beispielsweise spät im Buch mit dem Begriff "Detransition" überhaupt nichts anfangen kann, obwohl er da bereits zahllose Internetrecherchen, Arztgespräche und Besuche beim trans Jugendtreff hinter sich hat, ist nicht glaubwürdig.

Auch bei der Erzählstimme gelingt es Fessel nicht immer, zu überzeugen: Mal fängt sie ganz gelungen den Jugendslang von Noni und seinen Freund*­innen ein, immer wieder klingt der Ich-Erzähler mit Wörtern wie "beflissen", "behände" und "Blondhaar" aber doch eher wie eine Schriftstellerin Ende 50 als nach einem zeitgenössischen Teenager.

In seiner Unentschlossenheit, seinem Schwanken ähnelt der Roman da ein bisschen seinem Protagonisten. Doch wo Noni zwischen all den Zweifeln und offenen Fragen schließlich Freiheiten und Potenzial für ein erfülltes Dasein findet, da bleibt das Buch leider hinter seinen Möglichkeiten zurück.

Infos zum Buch

tKaren-Susan Fessel: Einfach nur Noni. Roman. 232 Seiten. Querverlag, Berlin 2023. Taschenbuch: 18 € (ISBN 978-3-89656-332-3). E-Book: 12,99 €

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