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In eigener Sache

Offener Brief an die Mitglieder des Berliner CSD e.V.

Nach unserer Berichterstattung über vereinsinterne Vorwürfe geht der Vorstand des Berliner CSD-Vereins massiv rechtlich gegen queer.de vor. Um gemeinsam für LGBTI-Rechte einzustehen, müssen wir zu einer konstruktiven Zusammenarbeit zurückkehren.


Ein Offener Brief an die Mitglieder des Berliner CSD e.V., die voraussichtlich noch in diesem Monat zu einer Mitgliederversammlung zusammenkommen (Bild: geralt / pixabay)
  • Von Redaktion queer.de
    10. September 2023, 14:09h 7 Min.

Liebe Mitglieder des Berliner CSD-Vereins,

Anfang Juni berichteten queer.de sowie die "Berliner Zeitung" über Diskussionen und Auseinandersetzungen in eurem Verein. Eine Gruppe von mehr als einem Dutzend vereinsinterner Kritiker*innen hatte sich mit einem Katalog von 100 Fragen an den Vorstand gewandt sowie Klage auf Herausgabe einer Mitgliederliste eingereicht, um damit eine außerordentliche Mitgliederversammlung einberufen zu können.

Die Gruppe erhebt mindestens implizit Vorwürfe zu den Geschäftstätigkeiten des Vorstands. Einer der Auslöser für den Konflikt war der Rücktritt des gerade frisch gewählten Vereinsvorstands Aron Sircar im Januar. Sircar hatte nach Einsicht in die geschäftlichen Unterlagen des Vereins eine alarmierende Risikoevaluation verfasst und war dann von seinem Posten wieder zurückgetreten.

Einstweilige Verfügungen, gegen die wir uns wehren

Es geht um die Bezahlung von Dienstleister*innen, das Gastronomiegeschäft im Nachgang des CSDs, das Anmeldeverfahren der Wagen für die Demonstration sowie die Zusammenarbeit mit der Agentur bluCom. Diese Agentur, bei der CSD-Vereinsvorstand Ulli Pridat gleichzeitig Geschäftsführer sowie Gesellschafter ist, produziert für zahlungskräftige Unternehmenskund*innen Wagen, auf denen die Unternehmen dann am "großen" Berliner CSD teilnehmen – seit zehn Jahren und damit deutlich länger als Pridats Amtszeit, wie der Vorstand betont.

Der Artikel sowie nachfolgende Updates zum Thema sind auf queer.de nicht mehr aufrufbar. Das liegt daran, dass sowohl der Verein als auch Ulli Pridat persönlich vor dem Landgericht Berlin einstweilige Verfügungen gegen uns erzielen und uns in einem Teilverbot die Wiederholung von insgesamt acht Passagen untersagen konnten. Diese im Eilverfahren gefällten Urteile geben keine Auskunft darüber, ob die von uns zitierten Vorwürfe von Vereinsmitgliedern nun zutreffen oder nicht. Sie halten lediglich die Berichterstattung darüber für einen Verstoß gegen die Persönlichkeitsrechte der vier Vorstände. Was wir natürlich anders sehen.

Gegenwärtig laufen deswegen umfassende rechtliche Auseinandersetzungen zwischen dem Verein und Ulli Pridat auf der einen sowie queer.de und Redakteur*in Jeja Klein auf der anderen Seite. Hierzu gehört unser Widerspruch gegen die einstweiligen Verfügungen. Es sind Rechtsstreitigkeiten, die unnötig viel Geld, Aufmerksamkeit und Arbeitszeit in Anspruch nehmen. Auch der Bericht der "Berliner Zeitung" ist aus vergleichbaren Gründen nicht mehr einzusehen.

Die Community und die großen Unternehmen

Schon in der Vergangenheit hatte es innerhalb des Berliner CSD-Vereins teils heftige Auseinandersetzungen um den Umgang mit großen Unternehmen gegeben – und mit den Geldflüssen, die durch diese werbewilligen Sponsoring-Partner*innen in das Anliegen der größten und wichtigsten Demonstration für die Menschenrechte von LGBTI in Deutschland eingebracht werden. Darüber hinaus stellt das Thema vermeintlichen oder tatsächlichen Pinkwashings einen Dauerstreit in der Community dar, etwa auch anlässlich eines beim Berliner CSD mitfahrenden Trucks des Springer-Konzerns, dessen Medien in Deutschland zu den ärgsten queerfeindlichen Akteur*innen gezählt werden müssen.

Auch das Portal queer.de wäre ohne die Einnahmen durch Werbung von Unternehmen nicht möglich. Eine Haltung, wonach die queere Bewegung von derlei Dingen "unbefleckt" bleiben müsse, vertritt in der Redaktion und im dahinter stehenden Unternehmen niemand. Doch für ein journalistisches Medium gilt am Ende wie für einen CSD-Verein: Wie sichern wir uns unsere Unabhängigkeit? Wie sorgen wir dafür, dass an die fließenden Gelder gebundene Begehrlichkeiten unsere wichtigen Anliegen nicht in Mitleidenschaft ziehen?

Wir wollen informieren und aufklären

Die Berichterstattung auf queer.de hat sich die Vorwürfe vonseiten der vereinsinternen Kritiker*innen nicht zu eigen gemacht. Stattdessen haben wir über sie berichtet. Und wir haben sie unseren Leser*innen dabei zu erklären versucht – auch hinsichtlich möglicher strafrechtlicher Implikationen, auf die die Kritiker*innen und der ehemalige Vorstand Sircar abstellen, sollten die erhobenen Vorwürfe zutreffen. Das bedeutet auch und nach wie vor: Es gilt die Unschuldsvermutung.

In die Auseinandersetzungen innerhalb des Berliner Vereins sind wir nicht eingebunden oder verwickelt. Die Akteur*innen sind uns persönlich weitestgehend unbekannt. Dennoch spricht der Vorstand von einer "Kampagne", die "persönlich getrieben" sei. Ab Kenntnisnahme haben wir zudem ausführlich die Sicht des Vereinsvorstands dargelegt, der etwa darauf verweist, dass bei juristischer und fachanwaltlicher Überprüfung der eigenen Tätigkeiten sowie durch Steuerbüros keine Mängel festgestellt worden seien.

Wegen unserer Berichterstattung errichtet der Vorstand, namentlich bestehend aus Patrick Ehrhardt, Ulli Pridat, Stella Spoon und Seyran Ateş, nun eine umfassende juristische Drohkulisse. Neben den einstweiligen Verfügungen kündigt er Klage auf "Geldentschädigung" an und droht mit Strafanzeigen, legt Rechtsmittel gegen eine als zu niedrig erachtete gerichtliche Festsetzung des Streitwerts ein. Parallel geht Ulli Pridat eigenständig in der selben Sache vor. In der Vergangenheit tat dies auch Patrick Ehrhardt.

Die Klagen bedrohen uns existenziell

Mit all diesen Maßnahmen treiben der Vorstand und Pridat die ohnehin erheblichen Kosten in die Höhe, die ein juristischer Schlagabtausch mit sich bringt, machen die Sache so teuer wie möglich, ohne jeden sachlichen Grund. Liebe Vereinsmitglieder: In der Vergangenheit haben sich nicht einmal christliche Fundis oder andere ausgewiesene Queerfeind*innen bemüßigt gesehen, so massiv und auf so breiter Front juristisch gegen queer.de vorzugehen. Diesen gefühlten Rachefeldzug können wir beim besten Willen nicht nachvollziehen.

Es ist schwierig, abzuschätzen, wie teuer die Auseinandersetzung am Ende werden wird. Schon jetzt belaufen sich die Kosten für uns auf mehrere tausend Euro. Hinzu kommen die vielen Arbeitsstunden, die in das Führen der Prozesse fließen, bei denen in der kommenden Woche zwei mündliche Verhandlungstermine in Berlin anberaumt sind. Es ist ein erheblicher Schaden für ein kleines Medium, eine kleine Redaktion wie queer.de. Dieser Schaden gefährdet ernsthaft unsere für die gesamte queere Gemeinschaft wichtige Arbeit.

Was uns auch irritiert: Trotz öffentlicher Positionierungen des Vereins zugunsten der Rechte transgeschlechtlicher Menschen wird Redakteur*in Jeja Klein in den ausgetauschten Schreiben nicht nur immer wieder misgendert. Auch verlangte der Vorstand anwaltlich mehrfach Auskunft über den abgelegten Deadname, obschon dies zur Bearbeitung des Rechtsstreits sowie für die Zustellung von Schreiben völlig unerheblich ist. Erst Ende August erfolgte eine neuerliche Nachfrage zum Namen.

Ein Wort in eigener Sache
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Wir meinen: Das ist kein Umgang innerhalb der queeren Bewegung. Und wir glauben, dass die Mitgliedsbeiträge und Sponsoring-Einnahmen des Berliner CSD-Vereins besser in der Verteidigung der Rechte queerer Menschen angelegt wären als darin, den Schaden für ein queeres Medium unnötig hoch zu treiben. Eine ursprünglich für August angekündigte, vorgezogene Mitgliederversammlung ist nun mit Verzögerung für den September angekündigt worden.

Wir rufen die Mitglieder des CSD-Vereins aus diesen Gründen dazu auf: Stoppt das Verfahren, das auch in eurem Namen geführt wird!

Gleichzeitig müssen aber auch wir uns kritisch hinterfragen. Das Landgericht Berlin hat etwa die mangelnde Fristsetzung bei den Presseanfragen an den Vereinsvorstand bemängelt und die kurze Zeit von 48 Stunden kritisiert, die den Aktiven an der Spitze des Vereins effektiv zur Reaktion auf die letzte Presseanfrage vor Veröffentlichung geblieben wäre. Laut Anwalt sei eine Beantwortung an jenem Freitag, dem Tag der Veröffentlichung, bereits in Arbeit gewesen.

Wir nehmen die Bemängelungen unserer Arbeit ernst und lernen daraus. Dass uns die Wiederholung bestimmter Passagen in einem erst 31 Tage nach Berichterstattung angestrengten Eilverfahren, in einem Fall sogar ohne Anhörung unserer Seite, untersagt worden ist, wollen wir jedoch nicht hinnehmen und die Rechte der Presse sowohl gegenüber per Medienanwält*innen aufgeblasenen Einschüchterungen als auch in einem Hauptsacheverfahren verteidigen. Erst jüngst berichtete auch der "Spiegel" in der Causa Spiegel vs. Lindemann, dass die Instanzgerichte in den Ebenen unterhalb des Bundesverfassungsgerichts "häufiger mal die Anforderungen an Verdachtsberichterstattung zum Teil deutlich überspannen", wie auch in Karlsruhe immer wieder befunden worden sei.

Für ein besseres Kommunikationsklima

Die Presse ist Medium und Faktor der Meinungsbildung – auch und gerade dort, wo es um im Raum stehende Verdächtigungen geht. Als "Zentralorgan der Homo-Lobby", wie wir uns entsprechende Fremdzuschreibungen mit einem Augenzwinkern zu eigen gemacht haben, begreifen wir es als unsere Aufgabe, über Auseinandersetzungen innerhalb der queeren Bewegung zu berichten.

Dabei fühlen wir uns den Anliegen queerer Menschen verpflichtet. Und ein wichtiges Element in der Realisierung der Anliegen dieser Menschen sind Strukturen wie der Berliner CSD-Verein, der die größte Pride-Demonstration in Deutschland organisiert. Schon allein aufgrund dieser Überschneidung möchten und müssen wir künftig auf ein besseres Kommunikationsklima, eine bessere Zusammenarbeit mit dem Verein und seinem Vorstand hinwirken. Wir hoffen darauf, dass dieses Vorhaben auf Gegenseitigkeit beruht und gelingt.