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Interview
"Ich bin nicht Disney und muss Genitalien verstecken"
Wir sprachen mit dem chilenischen Regisseur Sebastián Silva über seine neue Filmkomödie "Rotting in the Sun", die Anzahl der gezeigten Schwänze, Sex am Set und persönliche Todeswünsche.

Die Schwänze nicht gezählt: Jordan Firstman in "Rotting in the Sun" (Bild: MUBI)
14. September 2023, 06:15h 5 Min. Von
Sebastián Silva wird 1979 in Chile geboren. Sein erster Spielfilm "La Vida me mata" handelt von zwei Freunden mit entgegengesetzten Ansichten über den Tod. In "The Maid" ging es danach um eine Hausangestellte, die vor nichts zurückschreckt, um ihre langjährige Stellung zu behalten.
Auf der Berlinale bekommt Silva 2015 den Teddy Award für seine Satire "Nasty Baby", in der er die Lebensweise der künstlerischen schwulen Mittelklasse porträtiert. In seiner aktuellen Komödie "Rotting in the Sun", die ab dem 15. September 2023 exklusiv bei MUBI gestreamt werden kann, spielt er sich selbst und erzählt vom Influencer Jordan Firstman, der sich auf die Suche nach dem plötzlich verschwundenen Regisseur macht.
Wir hatten die Gelegenheit, uns mit Sebastián Silva über seinen Film zu unterhalten.
Señor Silva, wie groß muss das Ego sein, wenn man einen Film über sich selbst dreht?

Poster zum Film: "Rotting in the Sun" kann ab 15. September 2023 exklusiv auf MUBI gestreamt werden
Da gibt es mehrere Möglichkeiten. Man kann überlegen, ob ich vielleicht ein bisschen genug von mir selbst habe. Ob ich mit diesem Film mein eigenes Ego ein wenig schwächen will. Oder man kann fragen, weshalb mir sonst nichts anderes einfällt, als mich selbst zum Thema von einem Film zu machen. Ich würde jedenfalls behaupten, mein Ego entspricht ziemlich dem Durchschnitt. Und ich hoffe, nicht zu narzisstisch zu wirken. Immerhin gab es ja noch einen Ko-Autor, der hoffentlich dafür gesorgt hat, dass kein Projekt meiner Eitelkeit entsteht.
Sie zeigen etliche Männer im Adamskostüm. Gibt es eine Statistik über die Anzahl der gezeigten Schwänze?
Nein, die Anzahl der Penisse im Film habe ich nicht gezählt. Auf den ersten Blick mag das lustig erscheinen, tatsächlich ist das völlig unbedeutend. Größe und Anzahl der Schwänze waren für mich nicht wichtig.
In einigen Szenen gibt es Sex im Hintergrund, was ist deren Bedeutung?
Sex-Szenen gibt es ausschließlich bei Jordan Firstman, bei den anderen drei Figuren kommen sie nicht vor. Als ich Jordan zum ersten Mal traf, war schnell klar, wie unkompliziert sein Umgang mit Sexualität ist und wie offen er damit umgeht. Das fand ich sehr erfrischend, und gerade weil das oft zensiert wird, wollte ich es zeigen. Das gilt auch für jene Szenen am Gay-Beach, wo Cruising eben stattfindet. Das gehört ganz einfach zu meiner Realität dazu wie die Gespräche mit der Putzfrau oder das Gassi-Gehen mit dem Hund. Ich bin nicht Disney und muss Genitalien verstecken.
Auf der Berlinale wurde viel über Intimacy Coordinators diskutiert. Was halten Sie von diesem Job am Set?
Das hängt völlig von jenen Leuten ab, die nackt vor der Kamera sind und intime Szene spielen. Es geht um deren Wohlfühl-Faktor, und sie sind diejenigen, die entscheiden, was sie benötigen, um eine Sex-Szene möglichst komfortabel zu drehen. In meinem Fall kann ich mich gar nicht mehr so genau erinnern, ob es jemanden gab, der für solche Szenen zuständig war. Falls ja, haben wir ihn jedenfalls nicht eingesetzt. Alle Darsteller im Film hatte einfach Lust auf Sex. Sie hatten viel Humor, und sie wussten, weshalb wir diese Szenen drehen. Etliche von ihnen waren ohnehin befreundet. Von daher stellte sich die Frage nach einem Intimacy Coordinator für uns gar nicht.

Sebastián Silva (re.) und Jordan Firstman in "Rotting in the Sun" (Bild: MUBI)
Was halten Sie von Vergleichen mit John Waters?
Wer solche Vergleiche anstellt, hat entweder meine Filme oder die von John Waters nicht gesehen.
Das Thema Suizid spielt im Film eine Rolle. Wie nähert man sie dem sensiblen Thema?
Jedes Thema kann sensibel sein, sei es der eigene Tod, das Sterben von geliebten Menschen oder auch Sex. Für mich war die Basis meine eigene Haltung zum Tod. Es ging um meine ganz persönlichen Todeswünsche und nicht um die von anderen Personen. Tatsächlich sind Tod und Suizid ein Tabu. Ich finde, je mehr man darüber spricht, desto mehr bewusste Entscheidungen werden getroffen oder nicht getroffen. Aber das Thema sollte nicht versteckt werden. Schließlich wird jeder von uns einmal sterben. Deswegen ist es gut, darüber nachgedacht zu haben. Vielleicht finden sich ja Gründe, lieber am Leben zu bleiben. Nicht, weil man eben damit zurechtkommen muss. Sondern, weil man seine Existenz genießt.
Was hat es mit dem Titel auf sich, "Rotting in the Sun"?
Das stammt von meinem Freund Matteo, der in Mexiko auf dem Land lebt. Bei einem Besuch hatte ich ziemlich schlechte Laune, weil mir in der Großstadt alles auf die Nerven ging. Darauf meinte Matteo: "Zieh doch aufs Land". Ich schaute mich um, sah all die vielen Mücken und fragte: "Was machst du hier den ganzen Tag lang?". Worauf er meinte: "Just rotting in the sun." Wir mussten beide total lachen, welch ein perfekter Slogan für das Leben.
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Was sollte das Publikum aus Ihrem Film mitnehmen?
Ich hoffe, dass die Leute vor allem lachen. Schließlich handelt es sich um eine Komödie. Vielleicht bekommen sie auch Lust, ein wenig über die Themen nachzudenken, die im Film behandelt werden: Selbstmord. Sex. Soziale Medien. Und Schwänze. Was fühlst du, wenn du einen Penis siehst? Bist du belästigt? Findest du das lächerlich?
Wie wird ChatGPT das Filmemachen verändern?
Künstliche Intelligenz wird auf jeden Fall Aspekte des Filmemachens verändern. Gleichzeitig glaube ich, dass Filme, so wie wir sie kennen, weiterhin bestehen bleiben.
Rotting in the Sun. Komödie. USA 2023. Regie: Sebastián Silva. Cast: Jordan Firstman. Sebastián Silva, Catalina Saavedra. Laufzeit: 109 Minuten. Sprache: englisch-spanische Originalfassung. Untertitel: Deutsch (optional). Ab 15. September 2023 bei MUBI

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