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Hörspielserie

Coming-out als queer – und als Sexarbeiter*in

Jetzt in der ARD-Audiothek: Die neue WDR-Hörspielreihe "Desire" erzählt die Geschichte von drei queeren Sexarbeiter*innen. Auch vor und hinter dem Mikrofon stehen größtenteils queere Personen.


Grafik zur Hörspielreihe: Ab dem 15. September sind alle Folgen von "Desire" in der ARD-Audiothek und auf allen gängigen Podcast-Plattformen verfügbar (Bild: WDR)

Ein kleines Bordell irgendwo in Berlin, eine willkommene Pause. Die Sexarbeiter*innen Koko, Robin, Lilli und Sam unterhalten sich, entspannen. "Wir sind hier wie eine Familie", sagt Bordellchefin Bea. "Sei immer misstrauisch, wenn du das Wort 'Familie' aus dem Mund deines Bosses hörst", denkt Sam. Da klingelt es schon, und eine Person verabschiedet sich, denn es wartet wieder ein Kunde. Doch in der nächsten Pause werden sie weiterreden, und wir sind mit dabei.

Das ist "Desire" – eine für den WDR produzierte fiktionale Hörspielserie, die aus sechs Folgen à dreißig Minuten besteht. Jede der Folgen erlaubt uns das Eintauchen in die Gedankenwelt einer der drei Hauptfiguren: Da ist Sam (Joy Grant), die mit ihrem Kind Ada und Langzeitpartner Louis zusammenlebt, Lilli (Jasko Fide), die neu im Bordell angefangen hat und eigentlich von einer Karriere als Autorin träumt, und Robin (Newroz Çelik), nicht-binär und in einer frischen, aufregenden Beziehung mit Freundin Cleo. Die Sexarbeiter*innen dabei selbst erzählen zu lassen, anstatt über sie zu erzählen, ist eine kluge Entscheidung, denn allzu oft müssen Sexarbeiter*innen für die Geschichten anderer herhalten – als wehrlose Opfer, als gesellschaftliche Außenseiter*innen, exotisiert, stigmatisiert, kriminalisiert.

Viele komplexe Themen, keines kommt zu kurz

Die Realität von Sexarbeit – oder eine der vielen Realitäten, die "Desire" abbildet – gestaltet sich natürlich komplexer. Manche der Figuren sehen Sexarbeit so beispielsweise als etwas Befreiendes – und empfinden gleichzeitig Frustration über privilegierte, weiße cis Sexarbeiterinnen, deren persönliches Empowerment wichtiger ist als die Solidarität zu Sexarbeiter*innen in Ausbeutungsverhältnissen.

Da ist auch die Konfrontation mit Sexismus, Rassismus, Queerfeindlichkeit – nicht nur durch die Kunden, auch durch die Außenwelt, sogar durch Beziehungspersonen. Slutshaming unter Sexarbeiter*innen – "Wir sind zwar Huren, aber wir sind selbstbestimmt" – Sexarbeit und Kinder haben, Sexarbeit und den Eltern davon erzählen, Sexarbeit und Kunden, die sich mehr wünschen, Coming-out als queer – und als Sexarbeiter*in – die Liste von komplexen Themen, mit denen sich "Desire" beschäftigt, ist lang, und doch hat man nie das Gefühl, etwas würde zu kurz kommen.

Auch hier zahlt sich die Konzentration auf die drei Hauptfiguren aus, mit denen wir gemeinsam nach Antworten suchen auf die komplexen Fragen des Lebens. Sam entdeckt gerade ihre lesbische Identität und hinterfragt, ob sie wirklich Mann und Kind will – oder ob es ihr einfach guttut, den gesellschaftlichen Vorstellungen von Normalität zu folgen. Lilli, die die Arbeit in einer Marketing-Agentur krank gemacht hat, belügt ihre in prekären Verhältnissen lebende Mutter über ihre Berufswahl und entfernt sich immer mehr von ihrer Herkunft. Robins neuer Freundin Cleo fällt es schwer, mit ihrer Vorstellung umzugehen, Robin würde sich von "dem Feind" – dem weißen, heterosexuellen cis Mann – ausbeuten lassen, während sie selbst in ihrem Job am Filmset keine freie Minute hat.

Die Leben der Protagonist*innen überschneiden sich

Diese Nuancen von Arbeit und Ausbeutung in kapitalistischen Verhältnissen sind wahnsinnig spannend erzählt, genau wie die komplexen Figurenkonstellationen, gleich einer Netflix-Miniserie, die "Desire" in kurzer Zeit aufbaut. Besonders schön entwickelt sich die Geschichte in den Momenten, in denen sich die Leben der Protagonist*innen überschneiden, in denen in einer Folge ein Handy klingelt und wir in der nächsten Folge erfahren, was hinter dem Anruf steckte.

Das Sounddesign – ja gewissermaßen der Dreh- und Angelpunkt jedes Hörspiels – ist dabei wunderbar klar und intim, als würde einem direkt ins Ohr geflüstert. Hymnenhafte musikalische Einschübe, die man auch im Club hören könnte, bieten Abwechslung zwischen lebhaften Gesprächen. Schnell wechseln sich die Szenen ab, der elektrisierende Trubel der Hauptstadt zieht einen in den Bann. Die schwierige Gratwanderung, Gespräche authentisch klingen zu lassen, ohne ins Theatrale oder Peinliche abzurutschen, gelingt "Desire" problemlos.

Verantwortlich für die technische Realisierung war hierbei Nick-Jualian Lehmann. Der Text – der auf Gesprächen mit über dreißig queeren Sexarbeiter*innen beruht – stammt von Tia Morgen, Regie führten Tia Morgen und Tara Afsah. In "Desire" stehen sowohl vor als auch hinter dem Mikrofon größtenteils queere Personen, eine große Besonderheit, die sich in der durchgängig starken Produktion zeigt, welche einer gemeinsamen, queeren künstlerischen Vision folgt.

Die Utopie vom selbst geführten queeren Bordell

Am Ende von "Desire" bleibt einiges offen. Nicht jeder Konflikt verschwindet einfach so. Doch das Gefühl von Solidarität ist stark. Die Protagonist*innen besuchen ein Sexworker-Meet-up (möglicherweise inspiriert von Angeboten des Vereins Hydra, der sich für die Rechte von Sexarbeiter*innen einsetzt und "Desire" förderte). Der abschließende gemeinsame Clubbesuch trägt einen wieder sanft ins eigene Leben zurück – mitsamt Robins Wunsch nach der Utopie eines selbst geführten queeren Bordells.

"Desire" ist ein besonderes Kunstwerk, eins, das bei einem bleibt – und das noch so viel mehr spannende Details und zuckersüße Momente zu bieten hat, als in einen Artikel passen. Deswegen: am besten selbst reinhören!

Ab dem 15. September sind alle Folgen in der ARD-Audiothek und auf allen gängigen Podcast-Plattformen verfügbar. Die Ausstrahlung auf 1LIVE beginnt am 25. September mit dem ersten beiden Folgen ab 23 Uhr. Der fantastische Soundtrack von Artist und Producer Breezy, der sowohl mit den queeren Künstler*innen Caxxianne, Antonio Herrera und Aka Kelzz als auch mit Lyrik von Sexarbeiter*innen arbeitet, erscheint am 29. September auf allen Plattformen.