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Theater

Mannsein – nein danke!

In "Die Möglichkeit von Zärtlichkeit" befragen männlich gelesene Jugendliche aus Chile die Konstruktion von Männlichkeit – zu sehen aktuell bei der Ruhrtriennale und ab Ende September an den Münchner Kammerspielen.


Das Stück "Die Möglichkeit von Zärtlichkeit" feierte am 14. September 2023 bei der Ruhrtriennale seine Uraufführung (Bild: Katja Illner / Ruhrtriennale 2023)

Was heißt es, ein Mann zu sein? Die Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten. Es kommt drauf an, wen man fragt. Und wann. Und wo. Denn die Zeiten, in denen Männer als das starke Geschlecht galten und in allen gesellschaftlichen Sphären dominierten, sind vorbei. Wir leben in einer Gesellschaft von neuen und wechselnden Rollenverhältnissen, immer lauter werdenden Forderungen nach Gleichberechtigung, öffentlichen Debatten über Feminismus und toxische Männlichkeit und stark divergierenden männlichen Vorbildern – vom queeren Moderator und Autor Riccardo Simonetti bis zum AfD-Europapolitiker und selbsternannten Dating-Experten Maximilian Krah. Und dann wären da noch die kulturellen Unterschiede, die jeweils andere stereotype Vorbilder auf den Plan rufen und dominieren lassen. Kein leichtes Unterfangen also für männliche Heranwachsende, von denen erwartet wird, dass aus ihnen eines Tages mal richtige Männer werden sollen. Ganz gleich, ob sie aus Europa oder Südamerika kommen, denn: "Zum Mann werden zu müssen, ist eine Herausforderung, die uns überall verfolgt: in jeder Kultur, in jedem Land, in jeder Stadt."

In der neuen Produktion des chilenischen Theaterkollektivs La re-sentida lassen uns sieben männlich gelesene Jugendliche zwischen 13 und 17 Jahren aus Chile daran teilhaben, was es für sie bedeutet Männer zu werden. Was kann Männlichkeit heute sein und welche Herausforderungen und Fragen begegnen ihnen auf dem Weg dahin? Wie können Aggression, Dominanz und Gewalt weichen und Empathie, Zärtlichkeit und Nähe zur revolutionären Kraft erklärt werden? "La posibilidad de la ternura / Die Möglichkeit von Zärtlichkeit" ist eine Produktion von GAM Cultural Center und der Ruhrtriennale, koproduziert mit den Münchner Kammerspielen. Uraufführung feierte das Theaterstück am 14. September im Salzlager auf dem Gelände der Kokerei Zollverein in Essen. Nach den Vorstellungen in NRW ist die Produktion dann ab Ende September in München zu sehen.

Neandertaler in rot schimmernden Anzügen


Wie dem Kreislauf aus Dominanz, Wettbewerb, Ausgrenzung und Gewalt entkommen? (Bild: Katja Illner / Ruhrtriennale 2023)

Bereits vor zwei Jahren gastierte das chilenische Theaterkollektiv mit einer Produktion bei der Ruhrtriennale: In "Paisajes para no colorear" standen neun junge Frauen, ebenfalls zwischen 13 und 17 Jahren, auf der Bühne. Darin zeichneten sie ein vielschichtiges Bild davon, was es bedeutet, heute Frau zu sein – insbesondere in Chile. Welchen toxischen Männlichkeiten, welcher Gewalt und Aggression durch Männer sie ausgesetzt sind, wie sie damit täglich konfrontiert werden und versuchen, sich zu befreien. In ihrem neuen Stück stehen nun junge Männer im Fokus, die die Konstruktion von Männlichkeit befragen. Auf der Bühne spielt dabei eine Gruppe nicht-professioneller Darsteller, deren Biografien und Geschichten in den Stücktext verwoben wurden.

Zunächst sehen wir auf der Bühne ein riesiges Bild, das eine Gruppe Neandertaler zeigt, die ein Mammut umzingeln und es mit Speeren und Steinen bekämpfen. Ein männlich gelesener Junge stiehlt sich hervor und berichtet dem Publikum, dass er vor den anderen geflohen sei. Dem Kreislauf aus Dominanz, Wettbewerb, Ausgrenzung und Gewalt einfach nur entkommen wolle. Er ertrüge die Neandertaler aus seiner Schule nicht mehr, müsse aber so tun, als sei er einer von ihnen, sonst sei er tot. Und dann kommen sie auch schon. Ihre übergroßen Körper zeichnen sich zunächst in einem Schattenspiel ab, dann treten sie in den gleichen rot schimmernden Anzügen und schwarzen Lackschuhen hervor. Kleine, junge, schmächtige Körper, die brüllen, schubsen und das animalisch anmutende Spiel um Macht und Anerkennung bejubeln. Darunter liegt ein sphärischer Klangteppich aus Urwaldgeräuschen – Tierlaute treffen auf Xylophon und Schlagwerk. Als Zuschauer*in begreift man schnell, dass hier der Versuch unternommen wird, die Entstehung und intergenerationale Weitergabe toxischer Männlichkeit auf primitiv-intelligenzfreies Gehabe männlicher Neandertaler zu reduzieren. Das wirkt nicht nur etwas zu albern, kurzgedacht und vereinfacht, die Bewegungen und Sprechversuche der Spieler können gar als ableistisch wahrgenommen werden.

Zärtlichkeit als revolutionäre Kraft


Szene aus dem Stück: "Wir wollen ja anders sein, aber wie?" (Bild: Katja Illner / Ruhrtriennale 2023)

Und so wird in den ersten Szenen erst einmal allgemein toxisch männliches Verhalten reproduziert und problematisiert. Ein sich schnell auserzählender und teils ermüdender Vorgang, der schließlich in persönlichen Erfahrungsberichten der Jugendlichen aus der Schule, ihrem Freundeskreis und der Familie mündet. Nicht weniger als eine authentische und nachdenklich-gefühlvolle Beschreibung dessen, wie es ihnen mit Männlichkeit in ihrem Umfeld und Bezugssystem geht. Das sind dann auch die stärksten Momente des Abends, wenn der Text nah an den Erfahrungswelten und Biografien der Spieler bleibt und sich nicht in Verallgemeinerungen und Aufzählungen verliert. Und über allem schwebt, einem Damoklesschwert gleich, die unumgängliche Frage: "Wir wollen ja anders sein, aber wie?".

Aus nachdenklich-fantasierenden Beschreibungen werden schließlich poetisch-sinnliche Versuchsanordnungen, in denen sich die sieben Spieler heranwagen, Bilder und Narrative für Formen der Zärtlichkeit zu suchen und zu erproben – zu sich selbst wie zu ihrem Gegenüber. Dabei erkunden sie, dass Hände nicht nur zu Gewalt, sondern auch zu sanften Berührungen anderer Jungen fähig sind. Im Nachdenken darüber schält sich einer der Spieler heraus und bekennt, dass das schlimmste, das seine Hände je getan haben, war, "das Kind in mir zu töten, um Platz zu machen, dass es ein Mann werden konnte". Es sind diese zarten Momente, in denen die immersive Kraft des Theaterabends spürbar ist. In denen die Möglichkeit von Zärtlichkeit als revolutionäre Kraft greifbar scheint und man inniglich hofft, dass es diesen sieben männlich gelesenen Jugendlichen gelingen möge, eines Tages ein anderes Mannsein leben zu können. Für sie und für uns selbst.

Nächste Vorstellungen in Bochum

Sonntag, 17. September um 18:00 Uhr
Dienstag, 19. September um 11:00 Uhr
Donnertag, 21. September um 18:00 Uhr

Nächste Vorstellungen in München

Donnerstag, 28. September um 19:30 Uhr
Samstag, 30. September um 19:30 Uhr
Sonntag, 1. Oktober um 19:30 Uhr
Dienstag, 3. Oktober um 19:30 Uhr