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Interview

Wird queer­feindliche Gewalt zur Normalität, Katina Schubert?

Wir sprachen mit der stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Linken über die antiqueere Gewaltwelle und den Hass in der Gesellschaft, die Auswirkungen drohender Sozialkürzungen und die Zukunft der Linkspartei.


Katina Schubert ist seit 2016 Mitglied im Abgeordnetenhaus von Berlin und war von 2016 bis 2023 die Landesvorsitzende der Berliner Linken. Seit Februar 2021 ist sie stellvertretende Bundesvorsitzende (Bild: Ben Gross)
  • Von Marcel Malachowski
    18. September 2023, 06:31h 6 Min.

Chuzpa und Tacheles reden – mit diesen beiden schönen jüdischen Begriffen ist das politische Wirken und das persönliche Temperament der stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Linkspartei, Katina Schubert, vielleicht treffend beschrieben. Unvergessen bleiben sollte ihre wütende Empörung auf einer Pressekonferenz, nachdem ihre damaligen Koalitionspartner SPD und Grüne in der Berliner Landesregierung "aus Kostengründen" ankündigten, das Sozialticket für den ÖPNV vorerst nicht weiterführen zu wollen. Im Interview mit queer.de ruft sie nun erneut dazu auf, drohende Sozialkürzungen im Bund und im Land Berlin zu verhindern.

Katina Schubert gehört seit über zwanzig Jahren zu den prominenten Führungspersonen der Linkspartei auf Bundesebene, sie war ab 2003 erstmals im Parteivorstand der PDS, ab 2006 erstmals Vize-Parteichefin. Sie war auch Sprecherin des parteiinternen "Netzwerks Reformlinke" und im Vorstand der Europäischen Linken. Ab 2012 hatte sie zudem verschiedenste Führungspositionen im Berliner Landesverband inne und ist seit 2016 Mitglied des Abgeordnetenhauses mit den Schwerpunkten Sozial- und Flüchtlingspolitik. Seit 2016 bis Anfang dieses Jahres war sie Parteichefin in Berlin.

In Berlin werden regelmäßig Gewalttaten gegen queere Menschen und gegen queere Orte bekannt. Gehört das jetzt auch in der vermeintlich toleranten Hauptstadt zur Normalität?

Gewalt gegen Menschen ist niemals "normal", deshalb dürfen wir auch auf keinen Fall in irgendeine Form von Fatalismus fallen, dass das halt überall so sei. Gewalt gegen queere Menschen und Orte ist nirgendwo hinnehmbar.

Auch vor den Toren Berlins gab es in diesem Jahr mehrere gewalttätige Angriffe gegen CSDs. Fast scheint es ja, die 1990er seien zurückgekehrt, als der alltägliche Terror der Rechten dort wütete. Gibt es denn nach zwanzig Jahren Diversifizierung der Gesellschaft einen Backlash, vor allem in Ostdeutschland?

Hass, Ablehnung, Ausgrenzung, Rassismus, Homophobie, Antisemitismus und Antiziganismus nehmen zu – in Ostdeutschland, aber auch im Westen, wie nicht zuletzt in Bayern sehr deutlich wurde. Das ist für Minderheiten bedrohlich, zum Teil sogar lebensbedrohlich. Umso wichtiger ist es, dass der humanistische, der menschenfreundliche, solidarische und viel größere Teil der Gesellschaft zusammensteht und dieser Menschenfeindlichkeit entgegentritt. Da haben die in den Parlamenten vertretenen demokratischen Parteien eine besondere Verantwortung: Statt wie der CDU-Bundesvorsitzende Merz und andere der rechtsextremen AfD das Wort zu reden, müssen sie für eine vielfältige, bunte und solidarische Gesellschaft werben.

Berlins neuer CDU-Bürgermeister Kai Wegner bezieht sich ja nun aber immer wieder auf die Diversität, auf die Queerness und Inklusion in Berlin und redet sogar viel über soziale Gerechtigkeit. Ist die CDU in der Stadt Berlin denn doch nicht so unmodern, wie viele vor der Wahl befürchteten?

Dass Wegner darüber spricht, ist erst mal gut – aber das populistische Gequake seines CDU-Bundesvorsitzenden schürt die gesellschaftliche Spaltung. Wie ernst es Wegner und der kleinen GroKo im Land Berlin damit wirklich ist, das wird man in den Haushaltsberatungen sehen, die jetzt im Abgeordnetenhaus begonnen haben

Der Berliner Senat und die Bundesregierung haben jetzt aber viele Kürzungen im Sozial- und im Präventionsbereich gegen rechten Hass angekündigt: in der Flüchtlingshilfe, in der Bundeszentrale für politische Bildung und in Berlin sehr drastische Kürzungen in der Wohnungslosenhilfe, etwa in der medizinischen Betreuung. Ist denn jetzt die Zeit des sozialen Kahlschlags gekommen – und das in Zeiten der Inflation und der Krise für viele Menschen?

Die Gefahr besteht, ja. Umso wichtiger ist es, dass sich die Kräfte links der Mitte zusammentun. Und dass es breite Bündnisse von Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbänden, zivilgesellschaftlichen Organisationen und Initiativen gibt, die sich dem entgegenstellen, die eine Kampagne zur Umverteilung von immer weiter wachsendem Superreichtum starten, die für eine Investitionsoffensive in die öffentliche Infrastruktur, in die Bildung, in die soziale Infrastruktur und in das Gemeinwesen stehen und die die Abschaffung oder zumindest die Aussetzung der Schuldenbremse erstreiten. Diese Kürzungen müssen verhindert werden.


Katina Schubert und Klaus Lederer am Bundestagswahlabend 2021 (Bild: Sandro Halank / wikipedia)

Es ist jetzt wieder viel von wirtschaftlicher Krise die Rede – wirklich betroffen sind aber nur wenige. Gefühlt aber fühlen sich anscheinend viele bedroht – auch von Veränderungen in der Gesellschaft und der Infragestellung von Privilegien für die normative Mehrheitsgesellschaft. Was müsste denn nun getan werden, damit die Gesellschaft trotz dieses aggressiven Zeitgeistes sozialer werden kann?

Die steigenden Lebensmittel- und Energiepreise treffen diejenigen am härtesten, die am wenigsten haben. Insofern teile ich Ihre These nicht, dass nur wenige betroffen sind.

Jede*r ist eine*r zuviel, aber sehr vielen geht es noch sehr gut, wie nicht nur etwa die Zahlen der Reisebranche diesen Sommer zeigen…

Im vergangenen Winter haben die Entlastungspakete noch für ein wenig Abhilfe gesorgt, jetzt sind die Menschen auf sich gestellt. Das Problem aus meiner Sicht ist im Wesentlichen, dass aus Klimaschutzgründen dringend notwendige Veränderungsprozesse in der Produktion, in der Energiegewinnung, im Verkehrswesen nicht ausreichend sozial abgefedert werden. Das führt dazu, dass Hetzer und Demagogen ein übles Geschäft mit der Angst betreiben und dafür Zuspruch erhalten.

Für gut Verdienende ist es kein Problem, in Solarpaneele und Energiespartechnik zu investieren, vermögende Eigenheimbesitzende bekommen auch eine gute Wärmedämmung und den Einbau einer Wärmepumpe hin. Das Problem stellt sich für diejenigen, die wenig haben und denen viel zu wenig Unterstützung in Aussicht gestellt wird. Es wird kein Klimageld geben, die Kindergrundsicherung fällt viel zu gering aus und und und…

Wir haben über die Kürzungen gesprochen. Die müssen weg. Die Menschen müssen wieder Vertrauen bekommen, dass die Umverteilung nicht von unten nach oben, sondern umgekehrt funktioniert, dass nicht allein die wenig und mittel Verdienenden die klimaschutznotwendige Transformation über Verzicht tragen – während die Reichen mit ihren Privatfliegern und Yachten weiter das Klima um ein Vielfaches belasten. Diese Ungerechtigkeiten müssen wir beseitigen, um wieder Veränderungsbereitschaft und Hoffnung bei den Vielen zu verankern.

Aber wie sehen Sie denn die Entwicklung in der Linkspartei? Bernd Riexinger schlug gar einen Neuanfang ohne den Wagenknecht-Flügel vor. Könnte eine neue Wagenknecht-Partei wirklich so viele Stimmen in der sogenannten "Mitte der Gesellschaft" holen, wie e

Umfragen nach einer Partei, die es nicht gibt, die keine Programm, kein Personal hat, sind aus meiner Sicht Voodoo. Frau Wagenknecht hat immer viele Menschen in Plätze und Veranstaltungen mobilisieren können, stimmenmäßig ausgewirkt hat sich das für die Linke nicht. Der Parteivorstand der Linken plant die Zukunft ohne Sahra Wagenknecht.

Eine vielleicht naive Frage: Europa hat ja vom Wohlstandsniveau die Möglichkeit, ein weltweit ausstrahlender Leuchtort von Solidarität und gegenseitiger Hilfe zu sein. Aber warum hat man jetzt nicht einmal mehr Mitgefühl mit Tausenden Flüchtlingen, die im Mittelmeer barbarisch ertrinken? Sie flüchteten vor mörderischer Armut und auch vor homophober Gewalt … Warum gibt es auch kaum noch wirkliches Mitgefühl mit den Armen in Europa, aus dem solidarisches Handeln für diese erwächst?

Ich glaube, es gibt noch sehr viel Solidarität und Mitgefühl, sonst könnten sich die vielen zivilgesellschaftlichen Organisationen zum Beispiel in der Seenotrettung im Mittelmeer auch gar nicht halten, denn sie leben genau von diesem gesellschaftlichen Engagement. Das Problem ist, dass die Regierungspolitik diesen Prinzipien nicht mehr folgt. Wenn selbst die Grünen in der Ampel-Regierung eine massive Verschärfung der europäischen Asylpolitik mittragen, dann ist das schon ein Epochenbruch.