
https://queer.de/?47005
Polarisierung
Belgien: Brandstiftungen und Demos gegen Sexualkunde
Wallonien hat ein Sexualkundeprogramm, bei dem auch LGBTI erwähnt werden, für einige Alterstufen verpflichtend gemacht. Dagegen gibt es teils gewalttätige Proteste.

Demonstrierende am 7. September bei einer Sitzung des Regionalparlaments in Brüssel (Bild: IMAGO / Belga)
- 18. September 2023, 11:44h 3 Min.
Im französischsprachigen Teil Belgiens gibt es scharfe Proteste gegen das Sexualkundeporgramm "L'éducation a la vie relationnelle, affective et sexuelle" (Evras). Dabei wurden zuletzt auch mehrere Brandanschläge auf Schulen in Charleroi und Lüttich verübt – da sich die Taten in der Nacht ereigneten, wurde niemand verletzt. Bislang konnten noch keine Täter*innen gefasst werden.
Twitter / euronewsdeSchmierereien an den verkohlten Wänden geben einen Hinweis auf den Grund für die zerstörerische Wut: das sogannte #EVRAS-Programm, verpflichtender Sexualkundeunterricht für Schüler zwischen 11 und 15 Jahren. https://t.co/1vciDQfJX5
euronewsde (@euronewsde) September 15, 2023
|
Auch mehrere Demos wurden in den letzten Tagen abgehalten. So kamen am Sonntag 2.000 Menschen bei einer Protestaktion vor dem Brüsseler Bahnhof zusammen. Einige der Redner*innen verbreiteten laut der Rundfunkanstalt RTBF auch queerfeindliche Thesen.
Nach Recherchen von RTBF waren zuvor Falschinformationen über Evras von einem rechtsextremen und ultrakonservativen Netzwerk in den sozialen Medien verbreitet worden. Einige von ihnen sind für ihre Verschwörungstheorien insbesondere während der Corona-Pandemie berüchtigt. Die Propaganda hatte Wirkung insbesondere bei radikalchristlichen und -muslimischen Personen: Bei den Demos beteiligen sich insbesondere muslimische Frauen, die den Unterricht als Verstoß gegen ihre Religion kritisieren. Mehrere islamische Gruppen hatten vor "Hypersexualisierung" gewarnt. Bei der Demo in Brüssel am Sonntag sagte etwa eine junge Muslimin laut dem Sender BRF: "Wir sind Moslems, für uns ist der Islam wichtig. Und wir wollen, dass das so bleibt. Wir wollen nicht nach Belgien kommen und unsere Kinder an das Chaos verlieren, das hier besteht."
Zwar gibt es in Belgien ein Sexualkundeprogramm an Schulen bereits seit Jahrzehnten, allerdings ist dieses in den Regionen Wallonien und Brüssel nun für bestimmte Altersgruppen, elf- bis zwölf- und 15- bis 16-Jährige, verpflichtend und nicht mehr freiwillig. In der älteren Altersgruppe steht auch sexuelle Orientierung auf dem Lehrplan. Das wöchentlich vierstündige Programm soll Schüler*innen dabei helfen, ihr Beziehungs- und Sexualleben zu entwickeln.
"Debatte darf niemals zu Gewalt führen"
Der liberale belgische Premierminister Alexander De Croo stellte sich hinter das wallonische Programm: "In einer Demokratie wie der unseren werden wir niemals zulassen, dass unsere Schulen zur Zielscheibe werden", sagte der Regierungschef. "Wir leben in einem Land der Toleranz, und Toleranz bedeutet, dass wir eine Debatte führen und unterschiedliche Standpunkte vertreten können, aber das darf niemals zu Gewalt führen, insbesondere nicht an Orten, die von unseren Kindern besucht werden."
Caroline Désir, die Bildungsministerin der Föderation Wallonie-Brüssel, rief dazu auf, "sich zu beruhigen und noch einmal zu versuchen, die Lügen über das Evras-System zu entkräften". Die Sozialdemokratin zählte dann einige der verbreiteten Fakenews über Evras auf: "Nein, es bereitet kein pädophiles System vor. Nein, es hat nicht vor, Kinder dazu zu bringen, das Geschlecht zu wechseln. Nein, es hat nicht vor, Kindern beizubringen, wie man sexuelle Handlungen vornimmt."
Ähnliche Proteste von muslimischen und islamistischen Gruppen gab es auch bereits in Großbritannien. In Birmingham hatten radikale Gläubige 2019 erreicht, dass ein LGBT-Unterricht eingestellt wird (queer.de berichtete). (dk)
