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Sachbuch

Schluss mit der Porno-Panik!

Was ist dran an den Warnungen von religiösen Fundis und manchen Feministinnen, dass Pornografie gesellschaftlichen Schaden anrichten würde? Nicht viel, sagt Madita Oeming in einem neuen Buch.


Symbolbild: Zwei Darsteller aus einem schwulen "Bel Ami"-Porno
  • Von Bo Wehrheim
    19. September 2023, 09:21h 4 Min.

Seit Video-Rekorder Einzug in Privatwohnungen gehalten haben, masturbieren junge und alte Menschen jeden Geschlechts zu Pornos. Trotzdem haben wir als Gesellschaft noch keinen Umgang damit gefunden, dass Pornos Alltags-Kultur sind: Die öffentliche Diskussion ist mit Scham und Ängsten aufgeladen und nicht gerade lustvoll. Warum das so ist, dieser Frage widmet sich Autorin Madita Oeming in "Porno. Eine unverschämte Analyse" (Amazon-Affiliate-Link ).

Oeming nimmt die unterschiedlichen Akteur*innen in den Blick, die vor Pornos warnen: Traditionell sehen religiöse Fundamentalist*innen Jugendliche als "Risikogruppe" für Pornokonsum und Radikalfeminist*innen machen Frauen als Leidtragende aus. Männerrechtler organisieren sich in sogenannten NoFap-Gruppen, die sich selbst (masturbierende Männer) als Opfer von Pornografie stilisieren und dem Wichsen theatralisch abschwören. Sie alle stehen laut Oeming aber nicht in Konkurrenz zueinander, sondern bilden eine rechts-konservative Zweck-Allianz, die seit Jahrzehnten Ängste vor Pornos schürt.

Die Autorin ist als "Lustaktivistin" bekannt


Oemings Buch "Porno. Eine unverschämte Analyse" ist im August bei Rowohlt erschienen

Was ist dran, an ihren Warnungen, dass Pornografie gesellschaftlichen Schaden anrichten würde, fragt Oeming. Achtung Spoiler: Nicht sehr viel. "Keine Panik" ist die Message der Pornoforscherin, die bereits mehrfach auf dem Feld der Porn Studies publiziert hat. An Universitäten referiert sie als Gast-Sprecherin zu feministischem Porno. Die 37-Jährige ist in Berlin aufgewachsen, heute lebt sie in Göttingen und ist als "Lustaktivistin" in verschiedenen Medien präsent. Auf ihrer Website bietet Oeming Online-Fortbildungen an, in denen Menschen in sozialen Berufen ihre "Pornokompetenzen" stärken und einen "Pornoführerschein" erwerben können.

"Porno. Eine unverschämte Analyse" ist Madita Oemings erstes Buch, und man merkt ihr den Spagat zwischen Wissenschaft und Aktivismus an: Leidenschaftlich aber stets sachlich argumentiert sie gegen porno-panische Positionen an und regt dazu an, die eigenen Vorbehalte abzugleichen und neu zu überdenken.

Allein der Buchtitel ist für Oeming ein "politischer Akt"

Selbst der Buchtitel "Porno" sei Oeming zufolge ein "politischer Akt": So werde er von Suchmaschinen benachteiligt und Beiträge mit dem Buchtitel könnten auf Instagram, Tiktok und Facebook dem Algorithmus zum Opfer fallen. "Wir schreiben das Jahr 2023, und es ist nicht möglich, ein Buch über Pornos zu schreiben, ohne zensiert zu werden", kommentiert Oeming das etwas pathetisch und verkündet: "Je mehr Menschen mir den Mund verboten haben, desto lauter bin ich geworden." Tatsächlich hat die Pornoforscherin in den letzten Jahren einiges an Hetze und rechten Shitstorms ertragen müssen.

Unterhaltsam populärwissenschaftlich klärt Oeming über Mythen auf. Sie falsifiziert die Annahme, dass es Pornos schon immer gegeben hätte (das Konzept Porno ist tatsächlich noch sehr jung) und widerspricht der Vorstellung von den angeblich so unterschiedlichen Sehgewohnheiten von Männern und Frauen (laut Pornhub-Statistik unterscheiden sie sich kaum). Zu den Sehgewohnheiten von Lesben, sowie nicht-binärer und trans Menschen gibt es keine Daten. Darunter leidet Oemings Analyse, die dadurch etwas einseitig bleibt, denn auch zu den Vorlieben von BIPoCs fehlen Statistiken. Maßgeblich ist, wie so oft, der white-hetero-male-Gaze.

Oeming ist sich dessen bewusst und bemüht sich, die Perspektiven von Lesben, trans Menschen und BIPoCs mitzudenken. So gleicht sie etwa "Lesbian" als Pornhub-Kategorie mit "tatsächlich lesbischen Pornos" (von Lesben für Lesben) ab. Ein Kapitel beschreibt den "kolonialen Blick", der Oeming zufolge an rassistisch-stereotypen Suchbegriffen und stereotypen Darstellungen abzulesen ist. Sie hinterfragt, warum rassistische und sexistische Suchbegriffe so beliebt sind: Pornos seien nicht die "Ursache" für Machtstrukturen, sondern ein "Spiegel der Gesellschaft".

Kein plumpes Pro-Porno-Pamphlet

Oft hat man das Gefühl, Oeming will Pornos irgendwie in Schutz nehmen, aber "Porno. Eine unverschämte Analyse" ist kein Pro-Porno-Pamphlet. Vielmehr plädiert die Pornoforscherin für einen reflektierten Umgang mit dem eigenen Porno-Konsum. Sie lädt die Leser*innen dazu ein, die eigenen Vorlieben kritisch zu reflektieren ohne dabei "sofort in die Wertung" zu gehen.

Oemings Analyse fokussiert sich stark auf den Pornokonsum, während die Produktion von Pornografie leider zu kurz kommt. Welchen Herausforderung stehen Darstellende und Produzierende gegenüber? Wer verdient womit und wie lässt sich das Recht am eigenen Bild durchsetzen? Wie funktionieren die unterschiedlichen Plattformen, auf denen Pornos angeboten werden?

Möglicherweise finden sich diese Perspektiven in "Pornopositiv" (Amazon-Affiliate-Link ) von der Regisseurin und Intimitätskoordinatorin Paulita Pappel, wieder, das Ende August fast parallel erschienen ist. In Oemings Analyse fehlen sie leider. Trotzdem ist "Porno" unbedingt lesenswert, denn es setzt es dem aufgeladenen Diskurs über Pornos ein sachliches, lustfreundliches und konsequent feministisches Narrativ entgegen. Gleichzeitig ist es ein Aufklärungsbuch für Erwachsene, das ermutigt, darüber zu sprechen, was uns anmacht – und warum wir uns dafür nicht schämen müssen.

Die Buchkritik erschien zuerst im "Missy Magazine".

Infos zum Buch

Madita Oeming: Porno. Eine unverschämte Analyse. 256 Seiten. Rowohlt Verlag, Hamburg 2023. Gebundenes Buch: 20 € (ISBN 978-3-499-01233-4). E-Book: 14,99€

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