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Heimkino
Eine queere Karikatur der "West Side Story"
Mit einem feinen Sinn für Camp und einem glänzenden Darsteller*innen-Ensemble entlarvt Amanda Kramer in ihrem verführerischen Musikfilm "Please Baby Please" heteronormative Träume von Monogamie.

Szene aus "Please Baby Please" (Bild: MUBI)
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23. September 2023, 09:39h 3 Min.
Eine rauchige, queere Neuauflage des Musical-Klassikers "West Side Story": Mit "Please Baby Please" schafft Amanda Kramer einen morbiden und sexy Experimentalfilm mit einem feinen Sinn für Camp und einem glänzenden Darsteller*innen-Ensemble. Hinter dem anzüglichen Titel verbirgt sich ein Fest der Uneindeutigkeiten und sexueller Emanzipation.
Die Camp-Elemente lassen sofort an queere American-Underground-Filme der 1960er Jahre denken: einer avantgardistischen Subkultur, die aufgrund geringen Budgets kreativ mit fehlenden Finanzmitteln umgehen mussten und sich daraus eine eigene Ästhetik entwickelte. Hier ist viel artifiziell: Manhattan ist in blau-roten Farben getüncht, die Dialoge sind hölzern und künstlich-intellektualisiert, das Schauspiel ins Groteske verzogen. Diese visuelle Hyperbel wird konterkariert durch betont langsame Kamerafahrten und gut gesetzten zeitlichen Dehnungen.
Die ersten queeren Erfahrungen eines hetero Paars
Durch einen surrealistischen Subtext scheinen viele Szenen nicht recht greifbar: Man muss Ambiguitäten ertragen können und wollen, um einen Zugang zu den tieferen Ebenen des Werks zu erhalten. Diese Widersprüchlichkeit konstruiert sich auch im Hinblick auf die Hauptfiguren. Andrea Riseborough als Suze und Harry Melling als Arthur sind – man kann es nicht anders formulieren – ein durch und durch skurriles heterosexuelles Paar. Sie bauen sich zwar freundschaftlich gegenseitig unterstützend auf, scheinen sich jedoch nicht richtig zu begehren. Ihre sexuelle Dynamik ist stark von Ambivalenzen geprägt, die häufig in eine (un-)freiwillig komische Körpersprache resultiert.
Sukzessive dekonstruiert "Please Baby Please" dieses monogame Beziehungsmodell. Die beiden thematisieren nicht nur das fehlende Verlangen zwischen beiden, sondern reflektieren auch die geschlechtsspezifische Erwartungshaltung, die an sie geknüpft sind: Ganze Monologe thematisieren Arthurs Unvermögen und -willen, sich einer hypermaskulinen Kultur hinzugeben, und münden in einer Kritik an Männlichkeit im Allgemeinen. Bin ich wirklich männlich, bin ich nichtbinär, ist eine Verortung wirklich vonnöten? Auf ganz individuelle Wege erkämpfen sie sich den Zugang zu einer befreiten Sexualität und Genderidentität, und gehen erste Schritte in einen bislang noch unvertrauten Raum queerer Erfahrungen.
Demi Moore als verführerische Nachbarin
Es sind die zwielichtigen, undurchschaubaren Charaktere, die es Arthur und Suze angetan haben: Eine wunderbar aufgelegte Demi Moore spielt als dominante neureiche Nachbarin auf, die Frauen zu verführen weiß: "to get a little choked". Karl Glusman verkörpert den Schönling, den Anführer einer gewaltbereiten Gang, der Arthur mit Biker-Look und Lederanzügen in den Bann zu schlagen weiß. Ein anfänglicher Mord vor der Haustür des Paares verstrickt diese Handlungsebenen ineinander und tritt einen Prozess der Selbstentdeckung los.
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"Please Baby Please" erzählt mit einem abgebrühten, fast schon nihilistischen Grundton. Der Camp-Charakter und das damit verbundene groteske Überspielen verhindern jegliche emotionale Identifikation. Jeder Herzschmerz, jedes gesungene Wort wirkt verzerrt-skurril. Was auf auditiver und visueller Ebene so selbstbewusst glänzen kann, fällt ein wenig dem Narrativ zulasten: Die "West Side Story"-ähnliche Grundprämisse ist schnell klar, leider erlaubt sich der Film nicht viele Überraschungen abseits dieses vorgegebenen Weges.
Das Versprechen seines Titels hält der Film aber allemal: "Please Baby Please" ist ein verführerischer und verwirrender musikalischer Kunstfilm für die Heimkinos.
Please Baby Please, Musikdrama. USA 2022. Regie: Amanda Kramer. Cast: Andrea Riseborough, Harry Melling, Demi Moore. Laufzeit: 95 Minuten. Sprache: englische Originalfassung. Untertitel: Deutsch (optional)
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