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Queeres Kabarett

Ein Ständchen zum 60. Geburtstag: Ades, ick liebe dir!

Neuköllns Finest Ades Zabel alias Edith Schröder erfand die queere Kabarett-Subkultur neu und porträtiert cis Heten und Queers wie kein*e andere*r. Immer nach der Devise: Lachen, wo's weh tut.


Ades Zabel 2017 im Stück "Fly Edith Fly" im Berliner BKA-Theater. Am 26. September 2023 feiert er seinen 60. Geburtstag (Bild: IMAGO / Gerhard Leber)
  • Von Marcel Malachowski
    26. September 2023, 02:16h 7 Min.

Das West-Berlin der 1980er Jahre war die hässlichst mögliche Karikatur einer neu erwachenden Großstadt, umgeben von Mauer, Idiotie und Kleingärtnertum. Es verdankt sich wohl nur Wundern oder Willenskraft, dass diese geistig eingemauerte Stadt auch vernünftige Menschen hervorgebracht hat. Einen wie Ades Zabel.

It's a Ades' World…

Ades Zabel erfindet seit Jahrzehnten einfach, doch aufwändig seine eigene kleine, große Welt – indem er seine Umgebung der Einfältigkeit vielfältig spiegelt und ihr den verzerrend erhellenden Spiegel der kreischend bunten bis depressiv verzweifelnden Diversität vorhält.

1980 war er Mitbegründer der Kabarett- und Comedygruppe Teufelsberg Produktion, die mit der Filmreihe "Drei Drachen vom Grill" noch vor dem Mauerfall dieses schrecklich wirre West-Berlin porträtierte. Seit 1991 tritt Ades im Kreuzberger BKA-Theater auf, war auch Gast im weltweiten TV-Hit "Babylon Berlin". Und er bringt seine Welt seit über dreißig Jahren als Neuköllner Krawall-Olle und "Hartz-VIII-Ikone" Edith Schröder auch auf andere Bühnen von Berlin oder St. Pauli.

Seine und Ediths größte Gabe ist dabei wohl die bis ins Kleinste verfeinerte Beobachtungsgabe. Wie sie die Menschen, die sie darstellt, nachahmt und "erfindet", wie die Figuren sich bewegen, sich verhalten, was sie sagen, wie sie es sagen.

Das erste Mal tat's noch weh...

Wenn man ihn als sehr junger Zuschauer in der Rolle der Edith Schröder das erste Mal gesehen hat und nicht wusste, dass sie eine queere "Kunstfigur" ist, hätte man denken können, sie ist wirklich die wüste Hausfrau mit der direkten Derbheit, die sie darstellt – und die es hierzulande immer noch zu Millionen gibt, jüngere wie ältere. Ades Zabels Shows werden von Heten-Medien gerne als "schrill" beschrieben – dabei sind sie eine Dokumentation der irren Heten-Welt da draußen, ein einzigartiges Kompendium der Wirklichkeit. Und das Schönste: Ades Zabel verleiht seinen charaktervollen Charakteren noch mehr Charakter. Und die Charakterlosen entlarvt er auf der Bühne und in seinen Filmen erbarmungslos als die Witzfiguren, die sie in Wirklichkeit sind.

Direktlink | "Ades verpflichtet!": Show-Trailer von 2014
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Die große Ethik des Ades Zabel: Humanismus

Wie in einem Lexikon der verlorenen Seelen scheint Ades Zabel zu blättern, wenn er wahrscheinlich auf den Straßen beobachtet und Darstellenswertes erblickt, das wohl sonst verborgen bliebe. Im Gegensatz zu selbsternannten Comedians verleiht Ades Zabel seinen Figuren Würde, lässt sie reden und reden … und reden, sehr viel reden – anstatt aber wie die anderen über sie zu reden und selbstgerecht über die angeblich "Bildungsfernen" zu richten "von oben herab".

Noch bevor die ignorante deutsche Mehrheitsgesellschaft bemerkte, dass ihre Arbeitsmigrant*innen Menschen sind, da verlieh Ades ihnen schon 1980 mit der Bühnen-Figur der Hürriyet Lachmann eine sehr laute Stimme – und eine menschliche Würdigung, auch wenn manche heute gerade diese Rolle besonders kritisch sehen. Doch das ist die Herzensbildung, die große Ethik und die große Moral von Ades Zabel: Humanismus. Menschen zu sehen. Sie sichtbar zu machen. Auch wenn's dem Publikum manchmal weh tut. Aber so muss das sein.

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"Da ist mein Herz ...": Das Lied von den klugen Prolet*innen

Das Lied seiner klugen und lebensklugen Prolet*innen, das er anstimmt, kündet vom echten Leben on the edge, von den "ragazzi di vita" (Pasolini), nicht von den Stinos und den Privilegierten, die keine Probleme und keine Ahnung vom Leben haben. Sondern von denen, die sich ein Leben erst erkämpfen müssen, das andere in die Wiege gelegt bekommen mit dem goldenen Löffel der Herkunft. "Wer nie sein Brot mit Tränen aß" (Pasolini), der wird Ades' Figuren vielleicht nie verstehen: ihre Schlitzohrigkeit, ihr Verlorensein, ihren Kampfgeist, ihre Freiheitsliebe, ihren (Über)Lebensdrang, ihre Wut, ihr Lautsein – wie in der neuesten ungestümen BKA-Produktion "Tatort Neukölln", in der es um den kapitalistischen Wahnsinn, um Gentrifizierung, Armut, Umverteilung und Wohnungslosigkeit geht. Wenn man die Shows von Ades sieht, der selbst nicht den reichsten Verhältnissen entstammt, ist es wie ein wildes "Neuköllnical" von Rio Reisers schönstem Stück "Im Süden", eine Lobpreisung der Entrechteten: "Da ist mein Herz…"


Ades Zabel ohne Fummel (Bild: IMAGO / Metodi Popow)

Die unendliche Kraft seiner Fantasie

Ades Zabel beherrscht die große und die eigentliche Kunst der darstellenden Kunst: Nicht jemanden zu spielen – sondern andere wahrzunehmen, in sich aufzunehmen, sie sich und anderen vorzustellen, sie zu verkörpern: Jemand zu sein. Jemand wie Ades zu sein. Fellini meinte einmal, in Italien gäbe es 50 Millionen gute Schauspieler*innen – alle anderen arbeiten bei Funk und Fernsehen. Im deutschen Schauspiel und im sogenannten Kabarett, das sich nun größenwahnsinnig nach US-Vorbild Comedy nennt, gibt es nur sehr wenige Große, die das können wie der unvergessene St. Paulianer Jan Fedder oder wie der immer fantastisch in der Welt verloren wirkende Jörg Schüttauf, wenn er in einem Krimi den verzweifelten Arbeitslosen im Kampf gegen die Bürokratie gibt.

Ades Zabel ist ganz gewiss ein Großer – einnehmend, das Innere seiner Figuren mimisch und gestisch grob, doch in jeder Sekunde feinst-ziseliert nach außen kehrend, die Aufmerksamkeit der ihm Zuschauenden völlig vereinnahmend.

Zabelett statt Kabarett

Ades Zabel geht als Edith Schröder rein in die Seele, zerpflückt sie, reißt sie auseinander, als gäbe es kein Morgen mit Sorgen – und das, was er in der Welt um sich herum gefunden hat, das gibt sie dann ungefiltert in ihren Shows wieder. Wenn man in ein Kabarett geht – für Ades Zabel müsste man jedoch eigentlich ein eigenes Wort erfinden: Zaberett -, dann möchte man jemanden wie ihn als sie sehen – störend, verstörend, von der Welt behämmert, dabei feinfühlig, ernstsinnig, einfühlsam, kenntnisreich, straßengebildet, Menschen kennend.

Der Mensch in all seinen kantigen und eckenden, weichen und hartgespülten Widersprüchen, manchmal unerträglich, in der Abseitigkeit begeisternd – die ganze Diversität des allzu menschlichen Daseins in dieser allzu oft unmenschlichen Welt. Wozu sollte man sonst Eintritt bezahlen? Um das zu hören, was man immer schon wusste? Das bekommt man bei Edith Schröder sicher nicht zu hören.

Direktlink | Auszug aus dem Stück "Wenn Ediths Glocken läuten"
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Verstörend – und dabei feinfühlig, bis es weh tut

Ediths Shows sind wie gequirlter Schlager auf ex – von allem etwas too much. Lauter als Trash Metal, bunter als eine Pitahaya und sogar noch wirrer als jede ach so seriöse Politik-Talkshow. Das tut oft weh. Manchmal sehr weh. Das muss es auch. Sonst wirkt es nicht. No pain, no gain. Man bestellt etwas Unterhaltsames. Aber Ades als Edith liefert immer wieder etwas schmerzhaft Aufklärendes.

Das ist die wahre Kunst eines wahren Künstlers: Die wohligen Erwartungen des Publikums biestig zu konterkarieren – und damit schlitzohrig zu übertreffen. Andere zu reizen, damit sollte man nie geizen. So manche*r Tourist*in wollte wahrscheinlich als Zuschauer*in nur eine typisch Berliner Show sehen – und bekam durch Edith in einem verdienten Schock fürs Leben gezeigt, was wirklich Berlin und das Leben ist.

Poet*innen und Prolet*innen: Neukölln im Herzen

Mit besonderer Liebe widmet Ades aka Edith Schröder sich immer wieder dem ach so berüchtigten Berliner Bezirk Neukölln, der für die heteronormativen und privilegierten Durchschnitts-Deutschen anscheinend ja so etwas ist wie gesetzloses Gangsta's Paradise und die multiethnische Diversitäts-Hölle auf Erden zugleich – dabei ist es realiter dort fast so schön und fast so lebenswert wie auf St. Pauli.

Sich Klischees aneignen, umdeuten und sie neu definieren als Stärke – diese Überlebensstrategie der Subkulturen seit Jahrhunderten hat Ades immer wieder ideal umgesetzt: Sich nicht den Zuschreibungen der anderen zu ergeben – sondern diese als Waffe der Marginalisierten gegen die Engstirnigkeit und Fantasielosigkeit der Mehrheitsgesellschaft zu richten. Das macht ihm zum ernsten Humor-König der schwulen und der queeren Gegenkultur.

Auf Ades' 60. einen Futschi in Neuköllner Tradition: Cola mit Weinbrand. Oder auf echt Neuköllnerisch: ein sehr großes Glas Weinbrand – mit einem Tropfen Cola. Die Cola zur Verdünnung des Hochprozentigen nur, damit's nicht zu sehr reinknallt wie eine Show von "Futschiqueen" Edith Schröder…

Happy Birthday, Ades!

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