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Stendal in Sachsen-Anhalt
CSD nicht als Versammlung anerkannt: "Die Zukunft der kleinen CSDs ist sicherlich in Gefahr"
Die Versammlungsbehörde in Stendal findet, dass Feste im Anschluss an CSDs zu unpolitisch sind, um vom Versammlungsgesetz geschützt zu werden – trotz ständiger queerfeindlicher Übergriffe.
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26. September 2023, 09:48h 5 Min.
Wie ist es um das Versammlungsrecht von Christopher Street Days in Sachsen-Anhalt bestellt? Am Samstag soll in Stendal im Norden des ostdeutschen Bundeslands einer der letzten CSDs der diesjährigen Saison starten.
Doch die Veranstalter*innen haben mit der Versammlungsbehörde zu kämpfen. Jetzt ist klar: Die Abschlusskundgebung nach dem Aufzug des CSDs wird nicht als Versammlung anerkannt. Folgen: Mehrarbeit und erhebliche Kosten für die Organisator*innen – vermutlich nicht nur in Stendal, sondern im ganzen Bundesland.
Zu buntes Programm beim CSD
Während rechte Gruppen Hass gegen CSDs im Land schüren und kaum eine Demonstration ohne Vorfälle und Übergriffe stattfinden konnte, setzt das Ordnungsamt Stendal eine eigenwillige Auffassung von Versammlungsrechten gegen den CSD der Altmarkstadt durch.
In einem "Feststellungsbescheid über die fehlende Versammlungseigenschaft Ihrer als Versammlung angemeldeten Veranstaltung" begründen die Behörden, warum die Abschlusskundgebung auf dem Marktplatz der 39.000-Einwohner*innen-Stadt eine "Veranstaltung", nicht aber eine "Versammlung" sein soll.
"Dem Internetauftritt der Elektropo-/Synth-Rock-Band 'Clash Clash Bang Bang' […] ist zu entnehmen, dass die Band auftreten wird. Die Band ist bspw. auch beim Rockfestival 'Rock am Hafen' aufgetreten", führt das Ordnungsamt vor. Und: "Auf dem Facebook-Auftritt des CSD Stendal wird von einem 'bunten Programm' gesprochen, welches ab 15 Uhr gestaltet wird."
Schon in den Vorjahren hätten sich Mitarbeiter*innen vor Ort einen Eindruck von der Abschlusskundgebung gemacht. Kurze Redebeiträge seien zwar "auf die Teilhabe an der Meinungsbildung gerichtet" gewesen, aber: "Im Anschluss traten verschiedene KünstlerInnen, SängerInnen und Bands auf und es wurde Musik abgespielt, die als Pop-, Techno- und Partymusik einzuordnen ist."
Zu viel Party und Alkohol
Infostände und Auftritte, Unterhaltung, Musik und Tanz hätten "deutlich im Vordergrund" gestanden und "einen großen Einfluss auf das Gesamtgepräge" gehabt. "Wie auch in der Anmeldung angegeben, zielen die Redebeiträge hauptsächlich auf die Information der Teilnehmer zu regionalen und überregionalen Präventions- und Hilfsangeboten ab", wird dem CSD vorgeworfen.
"Der zudem erfahrungsgemäß hohe Alkoholkonsum und die damit verbundenen Auswirkungen führen dazu, dass aus Sicht des durchschnittlichen Betrachters eine 'Party' anstatt einer Versammlung stattfindet", heißt es weiter im Schreiben. Am Telefon soll den Organisator*innen gegenüber sogar von einer "Spaßveranstaltung" die Rede gewesen sein. Auch die Eindrücke anderer, kürzlich im Land stattgefundender CSDs seien bei der Bewertung mit eingeflossen, steht im Bescheid.
Zu "einseitig", um schützenswert zu sein?
An einer Stelle nimmt sich die Behörde dann sogar heraus, die Inhalte der Träger*innen der LGBTI-Menschenrechtsbewegung zu bewerten: "Es ist davon auszugehen, dass insbesondere die Informationsstände überwiegend ein einseitiges Informationsangebot bieten und nicht auf die Kommunikation in Gruppenform abzielen."
Einseitiges Informationsangebot? Müssen queere Infostände zukünftig die Sichtweise von AfD und queerfeindlichen Schläger*innen verbreiten oder auf sie eingehen, um nicht als "einseitig" und damit als politisch genug zu gelten? Queeres Leben: Ja oder Nein? Oder ist es nur ein verunglückter Versuch, zu formulieren, dass die Tätigkeit des Informierens, vermeintlich anders als sonstige Kommunikationsformen auf einer Demonstration, nur in eine Richtung ablaufe?
Es ist aber nicht so, dass dem Ordnungsamt Stendal die Übergriffe auf die CSDs im Land nicht bekannt wären. Nur führt das nicht zu einer höheren Einstufung der stolzen Sichtbarkeit queeren Lebens im ländlichen Sachsen-Anhalt als sogenannte Teilnahme an der Meinungsbildung oder zur Gewährleistung von Polizeischutz, sondern zu mehr und teureren Auflagen für die Organisator*innen.
Die sollten ihre "Veranstaltung" jetzt nämlich schnell bei der Stadt anmelden, wird im Bescheid gedrängt, um mit der Kommune Veranstaltungsauflagen abstimmen zu können. Was die Behörde etwa meint: "Insbesondere im Hinblick auf Vorfälle bei vergangenen CSDs in Sachsen-Anhalt in diesem Kalenderjahr ist ein besonderes Augenmerk auf die Absicherung der Veranstaltung zu legen." Heißt im Klartext: Wollen die CSDs ihre Abschlusskundgebungen gegenüber rechten Übergriffen sichern, müssen sie für viel Geld Security-Personal beauftragen. Zudem können Gebühren für die Nutzung von Straßen oder Plätzen und Kosten für Absperrungen anfallen.
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"Zukunft der kleinen CSDs in Gefahr"
Am vergangenen Donnerstag waren sowohl die Angriffe auf CSDs und ihre Teilnehmer*innen als auch der Umgang der Behörden mit den Demonstrationen bereits Thema im Innenausschuss im Magdeburger Landtag, und zwar auf Antrag der Linken (queer.de berichtete).
Auf die Frage nach dem Status des CSDs in Stendal hatte ein Sprecher des Innenministeriums die Einstufung als Veranstaltung verteidigt. Erst aktuell habe es, führte er aus, eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts des Landes gegeben, wonach ein Straßenfest in Salzwedel keine Versammlung gewesen sei.
Hintergrund: In Salzwedel befanden die Behörden erstmals, dass ein seit Jahren stattfindendes antirassistisches Straßenfest ebenfalls keine politische Demonstration nach dem Versammlungsgesetz sei. Vor Gerichten scheiterten die Ausrichter*innen dann daran, sich zurück in den Schutz des Versammlungsrechts zu klagen. Hier begründete die Versammlungsbehörde ihre Auffassung ganz ähnlich wie in Stendal.
"Aus unserer Sicht gibt es ein Vorgehen gegen die Versammlungsfreiheit" sagt Falko Jentsch vom Dachverband CSD Sachsen-Anhalt im Auftrag der CSDs Dessau-Roßlau, Magdeburg, Stendal, Harz, Schönebeck und Salzwedel zu der Entwicklung. Jentsch ist auch Anmelder des Stendaler CSD. Die ausführliche Recherche der Behörde zur Begründung der Entscheidung macht ihn stutzig. Es sei "bezeichnend, dass man hier einzelne Künstler raus zieht und versucht, anhand deren sonstiger Auftritte ihre Eignung für eine Demonstration infrage zu stellen".
Derzeit könnten CSDs im Land stattfinden, "weil sie immer zweigleisig angemeldet werden". Das Demonstrationsrecht wahrzunehmen sorge durch die Haltung der Behörden aber "für erhebliche Mehrkosten". Momentan könne man das noch abfedern, "aber die Zukunft der kleinen CSDs ist sicherlich in Gefahr", warnt Jentsch vor den Konsequenzen der neuen Linie der Versammlungsbehörden im Land.
Übrigens: Während der Stendaler CSD als zu unpolitisch gebrandmarkt wird, geht die AfD in der Altmarkstadt gegen die queere Community vor. In einem aktuellen Antrag hatte die Partei versucht, der Verwaltung der Stadt ein mündliches sowie schriftliches Verbot der Nutzung geschlechtergerechter Sprache zu verpassen – und damit auch der korrekten Ansprache nichtbinärer Bürger*innen.

















