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Queerfilmnacht

Kinotipp "Drifter": Junge Körper on the go

Mit sinnlichen Bildern, einem betörenden Rhythmus und einem kraftvollen Soundtrack zeigt Hannes Hirsch in seinem Spielfilmdebüt "Drifter" vibrierende – und äußerst ansteckende – Lust in der queeren Sub- und Berliner Clubkultur.


In seinem ersten Langfilm erzählt Hannes Hirsch von der Suche eines jungen schwulen Mannes zu sich selbst (Bild: Salzgeber)

Am Anfang ist Moritz bei Jonas. Sie bewegen sich im Dunkeln, und Jonas begrüßt Moritz und die Zuschauer*innen in leidenschaftlicher oraler Zuwendung. Moritz ist nach Berlin gezogen, um mit Jonas zusammen zu wohnen.

Wir sehen ihn etwas später auch in hellerem Licht: Ein großer, gut gebauter, jungenhafter Typ, der mit seinem freundlichen, etwas unsicheren und in sich gekehrten Blick, seiner üppigen Nicht-Frisur und seinem lustigen Was-im-Schrank-gerade-so-oben-liegt-Outfit als frisch einer Waldorfschule entsprungener Studienanfänger durchgehen könnte. Moritz plant allerdings erst später zu studieren, vielleicht im nächsten oder übernächsten Semester. Er darf sich gut versorgt mit dem Geld seiner Mutter Zeit lassen – und Stadt und Welt erkunden.

Ganz am Ende sehen wir einen anderen Moritz, der mit aufreizender Kurzhaarfrisur, extravagant androgyner Kleidung und deutlich markanteren Zügen auf die queeren Gäste seiner Geburtstagsparty schaut, sich seiner Wirkung und seiner Möglichkeiten in Bezug auf viele der dort Versammelten wohl bewusst, bevor er aus einem Auto heraus – im farblichen und von der Bewegungsrichtung her deutlichen Kontrast zu dem intim-dunklen Anfangsbild – in den wolkigen Himmel über der Stadt schaut, begleitet vom pochenden Rhythmus des Songs "Where do I go?"

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Partys, Sex und Drogen

Zwischen diesen Bildern liegen Szenen, die Moritz Entwicklung zeigen, ausgelöst durch den ebenso abrupten wie entschlossenen Impuls von Jonas, dass dieser sich doch keine solche Beziehung wie mal gedacht zwischen den beiden vorstellen könne ("Ich bin doch nicht der WG-Typ"). Damit steht Moritz buchstäblich auf der Straße – auch wenn er dort nicht lange bleiben muss. Nach einer kurzen Quasi-Beziehung mit dem gut zehn Jahre älteren Noah (Cino Djavid), die Moritz nach einem für ihn augenscheinlich wenig inspirierenden Abend mit Noahs hetero Freunden kommentarlos beendet, beginnt Moritz zu "driften".

Immer tiefer und immer selbstverständlicher begibt er sich in eine Welt, die scheinbar nur aus Partys, sexuellen Kontakten und dazu stimulierenden Drogen besteht, die Menschen ungefähr im Alter von Moritz ebenso schnell zusammen- wie wieder auseinanderführt. Die Gespräche, die immer mit freundlich zugewandter namentlicher Vorstellung beginnen, bleiben dabei ebenso kurz wie belanglos. Gefühle, Sehnsüchte oder eigene Probleme werden zwar punktuell sichtbar, sie werden aber höchstens auf Überschriftenebene angesprochen.

Lorenz Hochhuth brilliert als Moritz


Poster zum Film: "Drifter" startet am 2. November 2023 im Kino und läuft im Oktober bereits in der Queerfilmnacht

"Drifter" ist ein Film, in dem nicht viel und noch viel weniger substanziell geredet wird. Es gibt auch keine Streitereien, keine dramatischen Entwicklungen und keine Schocksequenzen. Zu sehen sind junge Menschen, die meisten davon queer, und ihre Körper, die einander begegnen, miteinander Sex haben und sich wieder voneinander lösen. All das scheint sich in einem unaufgeregten und einander durchaus freundlich gestimmten Fluss zu bewegen, in dem selbst einzelne Momente der Gewalt, wie etwa das aggressive Agieren von Moritz gegenüber seinem, sich als Maso offenbarenden ehemaligen Klavierbegleiter Stefan, als vollkommen in Ordnung, weil: "ich stehe darauf" aufgefangen wird. Die sich hier zeigende Kultur präsentiert sich als hedonistisch ungebremstes, vitales Agieren, Experimentieren und Kopulieren.

Dass der Film trotzdem nicht platt ist, liegt zum einen daran, dass er seine Figuren und besonders Moritz als Protagonist fast dokumentarisch liebevoll begleitet, dass er vieles auch nur antippt und nichts auswalzt. Zum anderen liegt es aber auch an der schauspielerischen Leistung von Lorenz Hochhuth als Moritz, dem man alle Facetten und Wandlungen abnimmt, der als schwuler Junge aus der Provinz ebenso glaubwürdig wirkt wie als klassischer Klarinettenspieler, ekstatischer Tänzer und sich in der Spannung von androgyn extravagantem Outfit und kerniger Männlichkeit gefallender Attraktionspunkt und der es bei all dem schafft, dass man spürt, dass dahinter immer noch etwas Unausgesprochenes, Suchendes und Empfindsames steckt.

Auch in Bezug auf die Nebenfiguren hat "Drifter" nichts Plumpes oder Holzschnittartiges. Alle wirken glaubwürdig und sind zum Teil – so besonders Oscar Hoppe als Stefan, Marie Tragousti als Eleftheria und Alexandre Karim Howard als Ron – überzeugend vital gespielt.

Ein Film (nicht nur) für junge Queers

"Drifter" ist sicher kein Film fürs große Publikum. Dazu ist er zu intensiv in die Darstellung queerer Sub- und Berliner Clubkultur vertieft. "Drifter, der erste und auch gleich bei der Berlinale in der Sektion "Panorama" im Februar gezeigte Langfilm von Hannes Hirsch, der zusammen mit River Matzke auch das Drehbuch dazu geschrieben hat, ist aber ein Film für junge Queers, die den Weg zu sich selbst begonnen haben zu gehen – sei es in einer Stadt wie Berlin oder auch ganz woanders. Es ist ein Film für diejenigen, die ihren persönlichen Weg im Vergleich und Kontrast zu dem von Moritz sehen wollen, und es ist nicht zuletzt auch ein Film für diejenigen, die erotische Begegnungen junger queerer Menschen sehr körperbezogen mit ihren eigenen Sinnen aufnehmen mögen.

Natürlich ließen sich an diesen Film kritische Fragen stellen, zum Beispiel: Warum gibt es in dieser Welt keinen, der über 40 ist? Warum bestehen die Gespräche der Menschen hier fast nur aus Überschriften und Sprechblasen ("Treffen wir uns nochmal?" – "Ja." – "Cool")? Warum zeigt dieser Film nur Menschen, für die Dinge wie Arbeiten und Geldverdienen-Müssen im günstigsten Fall Randphänomene des Lebens sind? Warum nuscheln die Schauspieler*­innen in ihrem an sich durchaus authentischen Mix aus Deutsch und Englisch in diesem Film nicht selten so sehr, dass man sie schlicht zum Teil nicht verstehen kann? – Vielleicht liegen in solchen Fragen auch Ansatzpunkte für filmische Weiterentwicklungen künftiger Projekte.

Nichtsdestotrotz: "Drifter" ist ein Film, der mit seinem Fluss, seinem Rhythmus, seinen sinnlichen Bildern und seinem kraftvollen Soundtrack nicht nur vibrierende Lust zeigt, sondern bei den Zuschauenden auch erzeugen kann.

Am Ende der Story, wenn Moritz aus dem fahrenden Auto heraus in den Himmel über der Stadt schaut, ist kein wie auch immer geartetes Entwicklungsziel erreicht. Aus dem Moritz des Anfangs ist ein anderer geworden, einer, der Queerness offensiv lebt, damit experimentiert, spielt und sie mit ihm driftend spielen lässt. Alles scheint in Bewegung, und Moritz ist unterwegs – vielleicht zur nächsten Party und den nächsten sexuellen Kontakten. Und danach? Und nach den übernächsten Partys, Kontakten, Sessions und Exzessen? Wohin? Das weiß er vermutlich selber noch nicht…

Infos zum Film

Drifter. Drama. Deutschland 2023. Regie: Hannes Hirsch. Cast: Lorenz Hochhuth, Cino Djavid, Gustav Schmidt, Oscar Hoppe. Marie Tragousti, Aviran Edri, Cat Jugravu, Alexandre Karim Howard, Rabea Egg, Elaine Cameron. Laufzeit: 74 Minuten. Sprache: deutsch-englische Originalfassung, teilweise mit deutschen Untertiteln. FSK 18. Verleih: Salzgeber. Kinostart: 2. November 2023. Im Oktober 2023 in der Queerfilmnacht
Galerie:
Drifter
14 Bilder
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