Hauptmenü Accesskey 1 Hauptinhalt 2 Footer 3 Suche 4 Impressum 8 Kontakt 9 Startseite 0
Neu Presse TV-Tipps Termine
© Queer Communications GmbH
https://queer.de/?47198

Folge 41 von 53

Schwule Symbole im Film: Wälder und Bäume

In dieser Folge geht es um die vielfältige und manchmal auch phallische Bedeutung von Bäumen, um einen Baum als Liebhaber-Ersatz und um Männer, die sich einen von der Palme wedeln.


Ein Baum als Phallus in "Full Speed" (1996)

Wälder – heimlich, unheimlich und archaisch

Der Wald ist zunächst einmal ein Symbol ursprünglicher Natur und steht, ähnlich wie das Meer und die Wüste, für das große Unbekannte und Unbewusste. Früher war der Wald ein unwirtlich-mystischer Lebensraum, geprägt von Geheimnis, Abenteuer und der Vorstellung wilder Fantasiegestalten. In Märchen, Sagen und Legenden wie "Rotkäppchen" und "Hänsel und Gretel" ist der Wald dunkel, verzaubert und mit der Angst verbunden, sich in ihm zu verirren und dort zu sterben. Bis heute fasziniert der Wald und kann gleichermaßen für Orientierung und Orientierungslosigkeit stehen.

Wälder – heimliche Erotik

#Der Wald steht für sexuelle Freiheit, die in Jean Genets Film "Un chant d'amour" (1950) herbeigeträumt wird und in starkem Kontrast zu den Gefängniszellen inszeniert ist. In "Beautiful Thing" (1996) küssen sich Jamie und Ste leidenschaftlich im Mondschein. Der Wald – in einen leichten und erotisch wirkenden Nebel gehüllt – ist hier ein Rückzugsort und das Geheimnis des Waldes scheint dem gehüteten Geheimnis ihrer Beziehung zu entsprechen. Auch in anderen Filmen wie "You are not alone" (1978) ist die Abgeschiedenheit des Waldes ein Ort heimlicher homosexueller Handlungen.

In mehreren Filmen werden schwule Liebesszenen im Wald verortet und der Wald wird als wichtiger Handlungsort auf dem Filmcover aufgegriffen. Beispiele sind die Liebe von Guy und Rolf in "Wir waren ein Mann" (1979), von Collin und Hugh in "Apart from Hugh" (1994), von Steven und John in "Get Real. Von Mann zu Mann" (1998), von Chase und Miles in "Redwoods" (2009, hier Filmszenen von 8:30 Min. online), von zwei Missionaren in "The Falls" (Teil 1, 2012) sowie von Carlos und Toni in "Everlasting Love" (2014). Es sind Filme, die die Abgeschiedenheit der Wälder genauso benötigen wie "Brokeback Mountain" (2005) die Abgeschiedenheit der Berge benötigt, um eine Liebesgeschichte zu erzählen.

Auch die filmische Anleitung "Männerlust im Wald. Neue Sex-Massagen für Männer" (2017) über Tantra-Massagen gehört in diesen Absatz. Sie bietet zwar keine verheimlichte Liebesgeschichte im Rahmen einer Spielfilmhandlung, zeigt aber, welche beruhigende Wirkung vom Wald und seinen Geräuschen auf Körper und Seele ausgehen kann.


Schwule Liebe im Wald: "Redwoods" (2009) und "The Falls" (Teil 1, 2012)

Wälder – unheimliche Mystik

In einigen Filmen ist der Wald ein entrückter Ort, der nicht von dieser Welt zu sein scheint. Der Film "Atomic Age" (2012) entfaltet auch in der Inszenierung des Waldes, in dunklem Nebel, sein "poetisch-traumgleiches Gleiten" (filmdienst). In "Down the river" (2004) ist der Aufenthalt im Wald mit einem Besuch eines Tempels verbunden, der den mystischen Aspekt verstärkt. Eine Baumallee im Nebel ist mehrfach in "Elicriso" (2013) zu sehen, als es um die Geschichte eines Geliebten geht, der nun nicht mehr da ist. In einer Mischung aus Musikvideo und Kurzfilm handelt "Your Every Day and Night" (2014, hier online) von einem tödlichen Unfall im Wald und einer mysteriösen Gestalt, die den Protagonisten in die Zeit vor dem Unfall zurückführt. In "Bacchanal" (2006, hier online) wird der Mythos rund um Bacchus im Rahmen einer theatralischen Darstellung im Wald zum Katalysator der verborgenen Wünsche zweier Jungen. Der Titel nimmt Bezug auf die Bacchusfeste im antiken Rom, die ausgelassen gefeiert wurden und bis zu sexuellen Orgien reichen konnten. Der römische Gott Bacchus entspricht weitgehend dem griechischen Weingott Dionysos.

Einige Regisseur*innen geben sich erkennbar viel Mühe, eindrucksvolle Aufnahmen von bizarr-schönen Bäumen in ihre Filme zu integrieren, unter anderem in "It's Consuming Me" (2012).


Die bizarre Schönheit eines Baumes: "It's Consuming Me" (2012)

In einzelnen Fällen wird das Unheimliche des Waldes durch Begegnungen mit schwulen Phantasiegestalten angereichert: Die sehenswerte Arte-Kompilation "Bäume im Film" (00:25 Min., hier online) bringt als Beispiel dafür den sprechenden Baum in dem schwulen Kultfilm "Der Zauberer von Oz" (1939), der sich mit Dorothy (D: Judy Garland) streitet. In "The Wolves of Kromer" (1998) lebt ein schwules Paar wie Tiere im Wald und in "Brookton Hollow" (2010) verwandeln sich Tiere in Männer. Neben einem geheimnisvollen Wald im Nebel geht es in "The Last Time I Saw Richard" (2014) um die Jagd nach Schattenmonstern. Vergessen werden dürfen auch nicht all die schwulen Werwolf- und Vampirfilme, die den Wald mit einbeziehen, wie "Eulogy for a Vampire" (2009) und "Drink me" (2015).


Nebel, Wald und Schattenmonster in "The Last Time I Saw Richard" (2014)

Wälder – archaische Ängste

Abgeschiedene und dunkle Wälder können Urängste wachrufen, durch die sich Menschen hilflos und ausgeliefert vorkommen. Auch in einigen schwulen Filmen werden Wälder als Orte der Angst vor Verfolgung, Bedrohung und Gewalt gezeigt. Die Angst, in einem Wald von einem Mann verfolgt zu werden, wird in "Beastgarden" (2009) und "Speechless" (2012) aufgegriffen. Der Film "Combat" (2006, hier online) spielt fast ausschließlich im Wald und erzählt auf experimentelle Art von der Beziehung zweier Männer zwischen Gewalt und Zärtlichkeit. Mit dem Alptraum eines schwulen Soldaten, von einem anderen Soldaten in einem dunklen Wald erschossen zu werden, beginnt der Kurzfilm "Homophobia" (2012).

Wälder – brutale Morde

Märchen wie "Rotkäppchen" und "Hänsel und Gretel" spielen in gefährlichen Wäldern, aus denen Menschen bzw. Tiere nicht mehr lebend herauskommen. François Ozons "Ein kriminelles Paar" (1999) ist eine schwule Adaption von "Hänsel und Gretel" und verbindet diese mit einer Geschichte über sexuellen Missbrauch und Mord.

Auch in vielen anderen Filmen ist der Wald ein Ort des Todes. In "Lilies" (1996) ermordet ein Mann im Wald seine Mutter und im Kurzfilm "Davy and Stu" (2006, hier online), der durchgehend in einem teils nebligen Wald spielt, geht es um Bobby, der unter nie geklärten Umständen ums Leben kam. In der Serie "Eyewitness" (2016) wird ein schwules Paar im Wald Zeuge eines dreifachen Mordes und muss danach alles unternehmen, um in seiner Kleinstadt nicht geoutet zu werden.


Morde in "Eyewitness" (2016) und in "The singing forest" (2003)

In zwei Filmen werden indirekte Bezüge zu Aids aufgebaut: In "Der Fremde am See" (2013) vergnügen sich Schwule (unsafe) an einem FKK-Strand, während im Wald der persönliche Kontakt zu einem Mörder gesucht wird, was beides als eine Suche nach Gefahr parallelisiert wird. Ganz anders der Film "Test" (2013), der im Jahr 1985 spielt: Nachdem der schwule Frankie erfahren hat, dass er HIV-positiv ist, wird ein alter abgestorbener Baum gezeigt.

In dem Film "Bent" (1997), der von der Verfolgung von Schwulen in der NS-Zeit handelt, ist der Wald filmisch eindrucksvoll inszeniert. Max und Rudi flüchten in den Wald, werden dort im Nebel von Nazis gejagt und anschließend in das KZ Dachau deportiert. Die schwule Handlung in "The singing forest" (2003) ist zwar inszeniert, der Titel bezieht sich jedoch auf die Schreie realer NS-Folteropfer in einem Wald, die auf die früheren Opfer so wirkten, als stammten sie vom Wald selber. Der Film basiert auf Interviews mit einem Zeitzeugen in der Doku "Paragraph 175" (2000), der diesen "singenden" (bzw. schreienden) Wald beschreibt. Aufgrund der Abgeschiedenheit und Entrücktheit kann der Wald auch Ort von Exekutionen sein: In dem Kurzfilm "Der Heilige" (1996) wird St. Sebastian durch Pfeile getötet und in "Una última voluntad" (2007, hier online), dessen Handlung nur im Wald spielt, wird ein Mann von Soldaten erschossen.

- w -

"Woods" und die "Latte"

Einige Filme leben von der Doppeldeutigkeit der englischen Wörter "woods" (= Wald), "wood" (= Holz) und "woody" (= holzig), die auch auf eine Erektion verweisen können. Damit werden die Titel der schwulen Kurzfilme "Wood talk" (2017, hier online), "In the Woods We Can Be Together" (2018, hier online) und "Whitman in the Woods" (2021, hier online) mehrdeutig, in denen sich jeweils zwei Männer im Wald kennen lernen und später Sex haben. Auch die Frage "Have you got woody?" im schwulen Kurzfilm "Placer" (2009) bezieht sich auf einen Ständer. Den Film bzw. den Filmtitel "Redwoods" (2009) habe ich bereits erwähnt. In dem Kurzfilm "Dinner with the Woodburns" (2013) geht es um ein dramatisch verlaufendes Coming-out bei einem Familienessen. Eine sexuelle Nebenbedeutung des Namens "Woodburn" ist hier möglich, auch wenn dies in den USA ein gängiger Orts- und Nachname ist.


Gespräche über Sex im Wald: "Wood talk" (2017)

Der englische Ausdruck "wood" für Erektion entspricht der deutschen "Latte", wobei sich beide Begriffe auf das Material Holz beziehen. Insofern ist der provozierende Spruch Nelsons in der US-Serie "Die Simpsons" (Folge 17/12) über eine "neue Latte im Werkunterricht" (OF: "new wood") – der sich auf einen trans Lehrer nach der Geschlechtsangleichung bezieht – passend übersetzt.

Der Dschungel der Großstadt

Die Filme "Tropical Malady" (2004) und "Black Stone" (2015) spielen in einem realen Dschungel, der ähnliche symbolische Bedeutungen hat wie der Wald der gemäßigten Klimazonen, aber noch stärker für unberechenbare Gefahren und die Notwendigkeit des Durchkämpfens steht. Diese Dschungel-Assoziationen lassen sich auch auf Großstädte übertragen. So wird die Millionenstadt Hamburg mit Bezug auf den Film "Supermarkt" (1973) als ein "Großstadtdschungel" bezeichnet (Axel Schock / Manuela Kay: "Out im Kino", 2003, S. 326). In "Familie verpflichtet" (2015) gibt es eine weitere Bedeutungsübertragung: Der schwule Kaleb will Lehrer werden und wird mit den Worten "Willkommen im Dschungel" begrüßt.

Pornos – vom Dschungel bis zum Ebenholz

Die unterschiedlichen mit Wäldern verbundenen Bedeutungszuschreibungen sind auch in Schwulenpornos erkennbar: Der klassische Wald ("forest") scheint in Pornos die ganze Bandbreite zwischen positiver Verzauberung ("Enchanted Forest") und Furcht ("Strangers in the Forest") abzudecken. Für den Dschungel und die Tropen gibt es eigene Zuschreibungen. Der Dschungel wird als dicht bewachsener Lebensraum mit der Verlockung des Abenteuers präsentiert ("Lords of the Jungle", "Dschungel Camp", "Tarzan. A Gay XXX Parodie"). Die Tropen werden mit viel Sonne in Verbindung gebracht ("Tropical" 1 und 2, "Tropical Man").

Auch in Pornos wird die doppelte Bedeutung von "woods" (= Wald/Erektion) verwendet ("Woods Men", "Deep in the Woods" 2). In einigen Filmen wird dies direkt visualisiert, indem Männer mit Erektionen neben den nach oben wachsenden Baumstämmen im Wald gefilmt werden ("Woods" 1).

"Ebony and Ivory" (= Ebenholz und Elfenbein) kennt man in Deutschland wohl vor allem als Titel eines erfolgreichen Liedes von Paul McCartney, in den USA ist dies aber auch eine geläufige Bezeichnung für Menschen mit heller und dunkler Hautfarbe. Mit den wertvollen Materialien Ebenholz und Elfenbein wird über deren Farbe bzw. über die Farbsymbolik von Schwarz und Weiß (Folge 33) der gleiche Wert aller Menschen betont. Es gibt einige Schwulenpornos, die sich mit ihren Titeln auf beide Begriffe ("Ebony Loves Ivory", "Ebony and Ivory fuckers") und solche, die sich nur auf schwarze Männer beziehen ("Ebony Screwed", "Ebony Encounters"). "Ebony und Ivory" ist auch ein gängiger Suchbegriff auf schwulen Pornoseiten im Internet.


Der Wald im Porno: "Enchanted Forest" und "Woods Men"


Bäume und Äste – Männer mit Latte

Seit jeher werden an Bäumen Größe, Umfang und Standhaftigkeit bewundert. Die Assoziation von Bäumen mit Phalli ist alt. Schon in der griechischen Mythologie wird Dionysos, der Gott des Weines und des Rausches, mit einem Phallus aus Feigenholz in Verbindung gebracht, den er auch zur analen Selbstbefriedigung verwendet.

Kleine Bäume und dicke Äste – Phallus

Ob ein Baum oder ein dicker Ast ein Phallussymbol ist, hängt von dem/der Regisseur*in und der Inszenierung ab. Undeutlich ist, trotz Fokussierung, eine Szene in "Hormone und andere Dämonen" (2003), in der eine trans* Person nach einem Treffen mit einem schwulen Mann einen dicken Ast ergreift. Das gleiche gilt für die fünf hochragenden Bäume in "Another Gay Movie" (2006).

Deutlicher sind Szenen, die gleichzeitig phallische Äste und Zärtlichkeiten zeigen, wie das gemeinsame Wichsen von Jungen hinter vielen Ästen in "The Devil's Playground" (1976), das Kuscheln auf einem starken Ast in "No Ordinary Love" (1994) und die Zärtlichkeiten von Harry und Josiah neben einem Baum in "Harry und Max" (2004). Nur selten wird aus dem schwulen Subtext ein Text, wie in "Sommer wie Winter" (2000), worin Cedric seinen Freund Mathieu beim Spaziergang durch den Wald fragt: "Bist du scharf auf die Baumstämme? Machen die dich so richtig an?"

Das Baummotiv, mit dem die schwule Kurzfilmsammlung "Not Gay. Four films exploring the joys and frustrations of gay/straight friendships" (2008) vermarktet wird, zeigt zwei Männer aus dem Kurzfilm "Cowboy Forever" (2006), die sich und den Baumstamm liebevoll umarmen. Es ist ein passendes Bild, wenn in dem Softsexfilm "Heat and Lust" (2000) ausgerechnet ein Baumstamm den Blick auf die Erektion eines Darstellers versperrt. Besonders deutlich wird es, wenn ein Baumstamm sich wie in "Full Speed" (1996) zwischen den Beinen eines Mannes befindet und schräg nach oben herausragt.

Exkurs: Palmen – Phallus

Palmen sind botanisch gesehen keine Bäume, haben aber mit Bäumen die mögliche phallische Bedeutung gemein. In der US-Umgangssprache werden Schwule übrigens auch als "palmtree" (= Palme) bezeichnet (s. urbandictionary), was vermutlich nicht nur mit der Phallus-Assoziation, sondern auch mit Kokosnüssen (= Hoden) in Verbindung steht. In dem Film "Merida proscrita" (1990, 1:15 Min., hier online), der vom schwierigen schwulen Leben in Mexiko handelt, gibt es den witzigen Parallelschnitt zwischen dem Sex zweier Männer und einer Szene, in der ein Mann an einer Palme hochklettert. Einen ähnlichen Parallelschnitt sieht man in "Shut up and kiss me" (2010): Hier sind zwei hochragende Palmen direkt nach einer Sexszene zwischen zwei Männern zu sehen. Die Palmenlandschaft auf der Poster-Tapete des schwulen Nicolas in François Ozons "Sitcom" (1998) wirkt recht lebendig, weil während der Zärtlichkeiten mit Abdul vor dieser Kulisse auch Wasser- und Vogelgeräusche zu hören sind. Die schnell in den Himmel wachsenden Palmen in "Howl" (2010) deuten als Animation eine Erektion an – mit einem Feuerwerk als Ausdruck für den Orgasmus. Beides ist deutlich, weil aus dem Off die entsprechenden Zeilen aus Allen Ginsbergs berühmtem Gedicht "Howl" zu hören sind.


Palmen in François Ozons "Sitcom" (1998)

Holzhacken – wichsen

Von "wood" (= Holz) abgeleitet, wird in der US-Umgangssprache mit "chopping wood" (= "Holz hacken") auch Wichsen zum Ausdruck gebracht (s. urbandictionary). Eine entsprechende Szene ist in "Awakening" (2008) zu sehen, wo Stig dem jüngeren Carsten beibringt, Holz zu hacken, sie sich darüber austauschen und später miteinander wichsen. Etwas weniger deutlich ist "Cottageboy" (2013), worin ein Mann mit nacktem Oberkörper alleine Holz hackt, bis andere Männern zu Besuch kommen und sie danach Sex haben. Hingegen gehe ich davon aus, dass das Holzhacken in "Brokeback Mountain" (2006) und in vielen anderen schwulen Filmen keinen besonderen sexuellen Hintergrund hat.


Holzhacken in "Cottageboy" (2013)

Ecosexuality – der Baum als Liebhaber

In dem Kurzfilm "Ein Sonnenstrahl trifft das Auge" (2009, hier online), der größtenteils im Wald spielt, vertraut Raphaël seinen Liebeskummer mit Vincent nur seinem Lieblingsbaum an, der zu Vincents Stellvertreter wird. In einer Szene zieht sich Raphaël nackt aus, umarmt den Baum, schmiert sich Erde ins Gesicht und kratzt Vincents und seinen eigenen Namen in die Baumrinde.


Baum-Erotik in "Ein Sonnenstrahl trifft das Auge" (2009)

Man kann diesen Film als Ausdruck von "ecosexuality" interpretieren, ein Kofferwort aus "ecology" und "sexuality", das es in der deutschen Sprache (noch) nicht gibt. In den USA bezeichnet es eine Einstellung gegenüber der Umwelt, die auf der Idee von der Erde als Liebhaber*in basiert und damit eine vage Ähnlichkeit mit der Vorstellung von einer "Mutter Erde" hat. "Ecosexuality" beinhaltet eine positive Einstellung zur Sexualität und den Wunsch, der Erde und der Natur mit Liebe zu begegnen statt sie nur auszubeuten. Ein anderer Film hat diese Idee deutlicher umgesetzt: Der pornographische Film "Ecosexual" (2015) des schwulen Regisseurs Antonio Da Silva zeigt zu einem poetischen Monolog einen wichsenden Mann in der Natur (Infos und Film auf der Homepage des Regisseurs).

Weitere Metaphern – z.B. "Zittern im Gebälk"

Im Zusammenhang mit weiteren symbolischen Bedeutungen möchte ich zwei schwule "Tatort"-Folgen erwähnen: Der Travestiestar Harriette Dimanche (D: Hans Falár) singt in "Rosen für Nadja" ("Tatort", Folge 378, 1998) die Zeile "es zittert im Gebälk nicht mehr" und bringt damit eine ausbleibende Erektion zum Ausdruck. In diesem "frivolen Chanson", so die ARD, hat "Gebälk" eine sprachliche Nähe zur "Latte". In "Der doppelte Lott" ("Tatort", Folge 615, 2005) fällt die Äußerung: "Was kümmert es die deutsche Eiche, wenn sich ein schwules Borstenschwein ein wenig an ihm wetzt?" In ihrer bekanntesten Ursprungsform ("Was juckt es die Eiche, wenn sich die Sau an ihr reibt?") drückt die Redensart Souveränität und Gelassenheit aus, kann aber auch – wie hier – Ausdruck von Arroganz und Ignoranz sein.

Der Ahorn-Baum – das Ahornblatt steht für Kanada

Die Dokumentation "Love Exiled" (2010) erzählt die Geschichten von vier gleichgeschlechtlichen Paaren, die nach Kanada ausgewandert sind, damit ihre Beziehungen voll anerkannt werden. Das Filmcover zeigt ein Ahornblatt in den Farben des Regenbogens und der kanadischen Nationalfahne. Das Ahornblatt ist das kanadische Nationalsymbol. Hierauf spielt offenbar auch der Porno "Northern Delights" (= Nordische Köstlichkeiten) an, auf dessen Filmcover drei Ahornblätter zu sehen sind.

Pornos – von der Morgenlatte bis zum "Forest Boy"

Die Doppeldeutigkeit von "wood" (= Holz) als Erektion greifen einige Pornotitel auf ("Hard Wood", "Big Wood"). Filme mit diesem Motiv werden symbolisch deutlicher, wenn auf dem Filmcover ein Baum oder Baumstamm abgebildet ist ("Big Wood", "Hard as Wood", "Hard Wood", "Brazilian Wood", "The wood in the cabin"). Auch zum deutschen Begriff "Morgenlatte" gibt es eine englische Entsprechung, die ebenfalls verwendet wird ("Morning Wood", "Morning Wood" 2).


Dezente Palmen in "Sunny Delights" und deutlicher Baumstamm in "Cock Games"

In Schwulenpornos ist die Inszenierung dicker Äste und kleinerer Baumstämme als Phallus schon deutlich genug, wenn diese dezent im Hintergrund zu sehen sind ("Stiff Action", "Summer Encounter", "Young man can't get enough"). Manchmal werden diese Stämme auch umfasst ("Nature Fuck!", "The Player", "Forest Boy", "Butt Bang Boys 2") oder befinden sich zwischen den Beinen eines Mannes ("Cock Games"). Der Regisseur Arthur J. Bressan ist an dieser Stelle zu nennen, weil er in seinen Spielfilm "Forbidden Letters" (1976) pornographische Szenen eingebaut hat, in denen der Sex mit vielen dicken Ästen eines Baumes quasi umrahmt wird. Auch die Verwendung des deutschen Wortes "Latte" ist als Filmtitel zu finden ("Die Latte im Popo").

Wie in Spielfilmen macht es auch in Pornos keinen großen Unterschied, ob Bäume oder Palmen phallisch präsentiert werden ("Palm Springs Paradise", "Sunny Delights"). Manchmal werden Palmen parallel zu einer Erektion arrangiert ("Sun Sea Sex", "Boy's Nature", "California Boys 2"). Eine Palme ist auch das Symbol dreier US-Städte, die den Namen Palm Springs tragen, und muss keine weitergehende Bedeutung haben, wenn sich ihre Nennung vordergründig auf diese Städte bezieht ("Palm Springs 92264").


Zweige, Blätter, Wurzeln – sich "einen von der Palme wedeln"

Passend zur Phallussymbolik des Baumes gibt es die Redensarten "Laub vom Baum schütteln" und "einen von der Palme wedeln" als Metaphern für das Wichsen von Männern. Dabei können Laub und Laubfall, ähnlich wie in den USA das Wort "palm wine" (s. urbandictionary), für Sperma stehen. Zweige und Äste können symbolisch auch Teil eines Lebensbaumes sein. Dabei können auch Fruchtbarkeitssymbolik und Schöpfungsmythos mit hineinspielen, wie beim Stammbaum, d.h. der genealogischen Darstellung einer Familiengeschichte.

"Laub vom Baum schütteln" – wichsen

Wenn sich ein 16-Jähriger in "Summer" (2006) wünscht, seinen Freund zu küssen, und stattdessen einen Baum schüttelt, nimmt diese Szene zunächst einmal nur Bezug auf die Vorstellung, dass sich ein Wunsch erfüllen soll, wenn man ein vom Baum gefallenes Blatt im Flug auffängt. Die Inszenierung ist jedoch wegen der Redewendung "Laub vom Baum schütteln" für wichsen auch sexuell interpretierbar, mit dem Baumstamm als Phallus, dem Schütteln als Onanieren und dem Laub als Sperma. Auch der Film "Bobby Crush" (2003), in dem Laub auf den Körper eines onanierenden Mannes fällt, greift diese Metaphorik auf ähnliche Weise auf. In "Cottageboy" (2013) ist ein schwuler Mann zu sehen, der an einem Baum onaniert, wonach das Sperma von den Blättern tropft. Ein metaphorischer Bezug ist hier möglich, aber nicht zwingend.


In "Cottageboy" (2013) wird Laub vom Baum geschüttelt

Sich "einen von der Palme wedeln" – wichsen

Nicht alle Filme, die ich für diese Artikelserie gesichtet (wg. Wortwiederholung) habe, konnte ich auch in der Originalfassung sehen. Einige nicht-deutschsprachige Filme verwenden diese Redensart aber zumindest in der deutschen Synchronfassung, zum Beispiel "Nowhere" (1997, "Dark, wedelst du dir wieder einen von der Palme?") und die britische Serie "Cucumber" (Folge 2).

Zweige – Wachstumsstufen


Die Familie in "Zerbrochene Zweige" (1996)

In "Zerbrochene Zweige" (aka "Broken Branches", 1996) setzt sich der schwule Regisseur Jae-ho Park in autobiographischer Form mit den aus seiner Homosexualität resultierenden familiären Problemen auseinander. Der Titel wird verständlich, wenn man sich die Familie als einen Stammbaum mit dem Regisseur als Sprössling vorstellt, was der üblichen Symbolik von Zweigen als Wachstumsstufen entspricht. Insofern lassen sich in abgebrochenen Zweigen abgebrochene familiäre Beziehungen erkennen.

Wurzeln – Ursprung

Der Filmhistoriker Vito Russo ("Die schwule Traumfabrik", 1990, S. 222, 233) verwendet das Wort "Wurzel" in seiner Bedeutung von "Ursprung": So bezeichnet er es als die "Wurzel" des Problems, dass es dem Kino noch schwerer als der Gesellschaft falle, mit Homosexualität zurechtzukommen. Eine "Wurzel" bzw. die Ursache von Homophobie liegt für ihn in der Tatsache begründet, dass für einen heterosexuellen Mann jeder Mann schwul sein könne. In dem Handbuch "Out im Kino" (2003, S. 26) heißt es über den Regisseur Ferzan Ozpetek, sein Film "Hamam – das türkische Bad" stelle den Versuch dar, "seine türkischen Wurzeln" aus seiner "neuen, italienischen Identität" heraus zu ergründen. Hier bezieht sich die Metapher auf den Ursprung seiner Identität, aber auch auf seine familiäre Abstammung.

Wurzeln – Abstammung

Die "Wurzeln" von Menschen können sich – wie bei dem Hinweis auf "entwurzelte Menschen" in "Howl" (2010) – auf Herkunft, Heimat und familiäre Bindungen beziehen. In "Männer al dente" (2010) – einem Spielfilm, in dem es um italienischen Familiensinn geht – heißt es: "Die Erde (= Eltern) kann den Baum (= den schwulen Sohn) nicht verstoßen." Die Formulierung in "Law & Order (SVU)" (Folge 1/11), der Täter Jesse sei "die Frucht desselben vergifteten Baumes", bezieht sich auf ihn und seinen Vater und stellt eine aggressive Variante des Sprichwortes "Wie der Vater, so der Sohn" dar. Das schwedische Trans*-Drama "Something Must Break" (2014) basiert auf Eli Levéns Buch von 2010 "Du är rötterna som sover vid mina fötter och håller jorden på plats", was übersetzt bedeutet: "Du bist die Wurzeln, die unter meinen Füßen schlafen und die Erde zusammenhalten" (Wikipedia).

Pornos – von nassen Palmen und Palm-Piloten

Der Titel des US-Pornos "Palm Pilots" (= Palm-Piloten) ist vergleichbar mit der deutschen Redewendung "sich einen von der Palme schütteln", wobei dies im Englischen wohl eher mit Handlungen während der Pubertät in Verbindung gebracht wird (s. urbandictionary). Versteckte Palmen ("Hidden Palms") verweisen ähnlich humorvoll und geschickt wohl auf die Phallus-Symbolik von Palmen.


Die finale Folge von "Wet Palms" und der Porno "Pacific Root"

Der Titel der neunteiligen Serie "Wet Palms" verweist auf Phallus und Orgasmus. (Die grundsätzlich mögliche weitere Bedeutung von "feuchten Handflächen" scheidet hier aus, weil auf einigen Covern dieser Serie Palmen auch zu sehen sind). Zwei Pornos ("Pacific Root", "Finding the Roots") greifen Wurzeln als Symbol für Abstammung auf.

-w-