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Kinostart
Queerer Pionierfilm, Ausnahmeerfolg – und von der Regierung verboten
"Joyland", der erste pakistanische Film über eine trans Frau, erzählt feinfühlig über enttäuschte Erwartungen und die Macht der Normen. Dafür gewann das Drama im vergangenen Jahr gleich zwei Preise in Cannes.

Szene aus "Joyland": Trans Tänzerin Alina Khan spielt trans Tänzerin Biba (Bild: Filmperlen)
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8. November 2023, 02:07h 4 Min.
"Madame!", weist Biba ihren Tänzer mehr als bestimmt zurecht, er habe sie Madame zu nennen. Ihr gefällt das, im Theater ist sie der Star. Hier sind alle Scheinwerfer auf sie gerichtet, zumindest wenn nicht mal wieder der Strom ausfällt. Divenhaft und majestätisch stolziert die Tänzerin durch die Flure. Ihr Reich, ihre Gefolgschaft, ein Mikrokosmos. Auf der Straße sieht das ganz anders aus.
Einer ihrer neuen Backgroundtänzer ist Haider. Er ist der jüngste Sohn einer konservativen pakistanischen Großfamilie, und endlich hat er einen Job gefunden. Die Familie war schon lange ungeduldig, weil nur seine Frau Mumtaz Geld verdient. Doch die Freude ist getrübt, als er verkündet, dass er in einem Kabarett arbeitet. Als Theatermanager, schiebt er schnell hinterher, das ist wenigstens ein bisschen männlich, und die Familie atmet hörbar auf.
Der erste pakistanische Film mit trans Hauptrolle

Poster zum Film: "Joyland" startet am 9. November 2023 bundesweit in den Kinos
Viel Erfahrung bringt er allerdings nicht mit. In "Romeo und Julia" hat er mal mitgespielt, erzählt er der Tänzerin Biba – als Julia. Die beiden verstehen sich von Anfang an gut, da ist keine distanzierte Abneigung gegen die trans Frau, so wie bei seinen Mittänzern. Sie kommen sich näher, wenn auch nur langsam.
"Joyland" ist auf vielen Ebenen ein bemerkenswerter Film, der eine Pionierrolle einnimmt. So ist das Drama der erste pakistanische Film mit einer trans Hauptrolle, gespielt von Alina Khan. Biba sei charakterlich ganz anders als sie, erzählte die Darstellerin, und deshalb habe sie die Rolle so geliebt. Gleichzeitig mangelt es nicht an Gemeinsamkeiten der 25-jährigen Schauspielerin und ihrer Figur: Auch Alina Khan stammt aus einer muslimischen Familie, sie hat ebenso als Tänzerin gearbeitet.
Der Film wurde in Pakistan verboten
Außerdem ist "Joyland" der erste Film aus Pakistan, der beim Filmfestival in Cannes seine Premiere hatte, und der erste, der es beim Fremdsprachen-Oscar auf die Shortlist geschafft hat. In Cannes gewann das Drama rund um Biba und Haider den "Un Certain Regard"-Jury-Preis sowie die Queer Palm.
Ein Ausnahme-Erfolg, der in der Heimat von Regisseur Saim Sadiq jedoch weniger gut ankam: Hauptdarstellerin Alina Khan wurde nach den Dreharbeiten beleidigt und bedroht. Eine Woche vor dem pakistanischen Kinostart verbot die Regierung den Film, weil er gegen "Anstand und Moral" verstoße: Der Film verherrliche trans Personen und deren Liebesbeziehungen, was "ein direkter Angriff auf unsere Überzeugungen" sei. Schließlich kam der Film – außer in der Provinz Punjab – doch noch in die Kinos, einige Szenen wurden jedoch zensiert.
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4:3-Format zeigt gesellschaftliche Enge
Das zeigt, dass es queeres Kino in vielen Teilen der Welt noch immer schwer hat, vor allem wenn die Hauptfiguren gängigen Klischees widersprechen. Die Tänzerin Biba ist keine tragische Figur, im Gegenteil: Sie weiß, wer sie ist und was sie will, hat Handlungsmacht und kann sich gegen Beleidigungen wehren. Auch ihre Affäre Haider, in der es um viel mehr als nur Sex geht, ist ein nuancierter Charakter. Ihm ist das moralische Dilemma bewusst, in das ihn seine Gefühle bringen.
Die Enge, die sowohl die Gesellschaft als auch seine Familie auf ihn ausüben, die permanent auf ihn einwirkt, wird im Film durch das 4:3-Format unterstützt. "Joyland" ist ein schattiger, eher in dunklen Farben gehaltener Film, durchbrochen durch in Rot gehüllte Szenen, die an Liebe genau wie an Blut erinnern lassen. Und natürlich das titelgebende Joyland, ein bunt blinkender Vergnügungspark, der einerseits so gar nicht in das streng reglementierte und sozialen Normen entsprechende Leben der Figuren passt, und deshalb ein Ort der Freiheit und Zwanglosigkeit darstellt.
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Alle, auch Männer, leiden unter dem Patriarchat
Das Drama erzählt dabei feinfühlig und entfaltet auf eine ganz unprätentiöse Art eine sehr poetische Kraft. Vielleicht übertreibt es das Drehbuch dabei mit dem ein oder anderen angedeuteten, aber nicht auserzählten Nebenstrang. Die gesellschaftliche Brisanz, die in den Familienkonflikten liegt, wird einem westlich geprägten Blick womöglich zunächst gar nicht bewusst.
Doch in der Familie – wo man stellenweise gar nicht mehr durchblickt, wer alles dazugehört – gibt es klar definierte Rollen und daraus abgeleitete Erwartungen, die zu erfüllen sind. Und Haider ist es, der viele von ihnen nicht erfüllen kann. Er leidet, genau wie die anderen Männer, cis und trans Frauen in "Joyland" unter der ungeheuer scheinenden Kraft des Patriarchats – eine Dynamik, die wiederum globale Gültigkeit besitzt.
Joyland. Drama. Pakistan 2023. Regie: Saim Sadiq. Cast: Ali Junejo, Alina Khan, Rasti Farooq, Sarwat Gilani, Sohail Sameer, Salman Peerzada, Sania Saeed. Laufzeit: 126 Minuten. Sprache: deutsche Synchronfassung. FSK 12. Verleih: Filmperlen. Kinostart: 9. November 2023
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