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Kinostart
Was Schwitzen in der Sauna mit Frauensolidarität zu tun hat
Der Dokumentarfilm "Smoke Sauna Sisterhood" von Anna Hints, der am Donnerstag in die deutschen Kinos kommt, geht für Estland ins Rennen um den Oscar als "Bester Internationaler Film". Und das völlig zurecht!

In einer Hütte im Wald treffen sich Frauen aller Altersgruppen und Gesellschaftsschichten zum gemeinsamen Saunieren (Bild: Neue Visionen)
- Von Corinna Saal
19. November 2023, 13:52h 5 Min.
Triggerwarnung: In diesem Artikel geht es um so ziemlich jede gewaltvolle Erfahrung, die Frauen und weiblich gelesene Personen machen können (u.a. Sexismus, Homophobie und Vergewaltigung).
Und damit bin ich direkt bei meiner ersten und einzigen Kritik an dem Film "Smoke Sauna Sisterhood" von der estnischen Regisseurin Anna Hints. Zu Beginn des Films oder ins Filmprogramm hätte definitiv eine Triggerwarnung gehört, denn es werden gewaltvolle und traumatisierende Dinge besprochen.
Schwesternschaft in der traditionellen Rauchsauna

Poster zum Film: "Smoke Sauna Sisterhood" startet am 23. November 2023 bundesweit in den Kinos
Doch fangen wir am Anfang an: Der Film beginnt nicht mit einem visuellen, sondern einem auditiven Effekt. Frauenstimmen ertönen in einem Sprechgesang. Auf Estnisch hört man abwechselnd die Worte: "Werde stark, werde mächtig." Es entsteht der Eindruck von Hexengeflüster. Mit dem Wort Hexe ist der Inhalt des Films gut getroffen. Nicht im Sinne der Horrorgestalt aus Gruselgeschichten, sondern in dem Sinne, was Frauen einst einander waren: eine Schwesternschaft aka Sisterhood.
Und das wird in "Smoke Sauna Sisterhood" zelebriert, in dem es eigentlich "nur" darum geht, dass eine Gruppe von Frauen sich zu verschiedenen Zeiten und in durchmischten Konstellationen immer wieder in einer Sauna oder in deren Kontext zusammenfindet. Es sind unterschiedliche Frauen aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten, in unterschiedlichen Altersklassen und mit unterschiedlichen Hintergründen. Es vereint sie die Leidenschaft, zu saunieren. Etwas anderes vereint sie noch viel stärker: ihr Dasein als Frau oder weiblich gelesene Person.
Beim Ausschwitzen in der Sauna kommt es immer wieder zu intimen Gesprächen. Einfach dadurch, dass jede Person etwas aus ihrem Leben teilt, wird ein breites Spektrum an Themen abgedeckt: über aufgezwungene und internalisierte Schönheitsideale, Dickpicks und Pornos, Gewalt in der Kindheit, Gewalt gegen Frauen, Abtreibungen und Fehlgeburten wird genauso gesprochen wie über das Coming-out als Lesbe und die Verunglimpfung der Vagina. Was die breitgefächerten Gespräche zusammenhält, ist nicht nur der Rahmen des geschützten Raumes in der Sauna, sondern auch wiederkehrende Motive, derer sich der Film für seine Kohärenz bedient.
Kamera und Frauenkörper
Dieser Film geht anders mit Frauenkörpern um, als wir es von der durch den "Male Gaze" geprägten Filmlandschaft gewohnt sind. Hier werden die Körper von Frauen nicht sexualisiert und objektiviert, sondern als das gezeigt, was sie sind: einfach nur Körper. Körper, die schwitzen, die in ein Loch im zugefrorenen See eintauchen, die körperliche Arbeiten verrichten. Ein ungewohntes Bild, wenn eine Frau Holz hackt oder gar ein Schwein zerlegt, das in der Sauna geräuchert wird. Wir sind nach wie vor daran gewöhnt, solche körperlichen Arbeiten von Männerkörpern durchgeführt zu sehen.

Frauenkörper werden in der Doku weder sexualisiert noch objektiviert (Bild: Neue Visionen)
Wie anders die Kamera in diesem Dokumentarfilm mit Frauenkörpern umgeht, wird besonders deutlich, wenn die Frauen von ihren Traumata berichten. Als eine Frau davon berichtet, dass ihr erstes Mal eine Vergewaltigung war, blickt die Kamera ihr nicht ein einziges Mal ins Gesicht. Sie befindet sich mit zwei weiteren Frauen in der Sauna, hat den Kopf in den Schoss der einen gelegt und nur ihre Stimme ist zu hören. Während sie ihr furchtbares Erlebnis schildert, zoomt die Kamera mal auf einen Körperpart von ihr, mal auf die anderen Frauen und schließlich auf das Gesicht der dritten Frau, die mit geschlossenen Augen dasitzt und der Erzählung lauscht. Hier wird der Schmerz der Überlebenden nicht der Kamera preisgegeben, um Sensationslust bei den Zuschauer*innen hervorzurufen. Im Gegenteil: Der Fokus liegt auf der heilenden Wirkung der Worte: Das Schweigen zu brechen und in der (Frauen-)Gemeinschaft Halt und Unterstützung zu bekommen.
Musik und Frauenkörper
Ein wichtiger Aspekt der Heilung, der im Laufe des Films wiederholt auftaucht, ist die Musik. Sie wird mit Instrumenten, aber vor allem auch mit den Körpern gemacht. Die Frauen erzeugen beim Saunagang kehlige Töne mit dem Mund, klopfen beim Abkühlen im Gras mit den Händen auf die nackten Körper oder verfallen, wie so oft in diesem Film, in einen Sprechgesang: Alles Mögliche wird eingesetzt, um Musik zu produzieren und damit die heilenden Worte zu untermalen, die die Frauen dabei gemeinsam oder im Kanon singen oder skandieren. Fast immer findet dabei eine Steigerung statt. Die Stimmen werden drängender und lauter, bis ein ekstatischer Zustand erreicht wird.
Die heilende Kraft der Musik wird in einer Szene besonders deutlich: Zwei Frauen sind in der Sauna. Während die eine schwitzend daliegt, bearbeitet die andere ihren Körper mit frischen Zweigen und stimmt dabei einen Gesang an. Hier findet fast schon eine Art Exorzismus statt. Schmerz, Leiden, Traumata – alles wird in diesem Film herausgesungen, geschwitzt oder gar gewaltsam aus dem Körper getrieben.
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Heilung und Frauenkörper
Das Reden über traumatische Erlebnisse steht zwar im Vordergrund, aber es geht um so viel mehr: nämlich um Heilung. Wie das Aussprechen der Worte, ist der Akt des Saunierens – das buchstäbliche Herausschwitzen der Gifte – Sinnbild für den Heilungsprozess. Durch den Safe Space der Sauna und dem wertfreien Zuhören der anderen Personen können Wunden geschlossen werden. Aus diesem Erlebnis wie auch aus dem gemeinsamen Saunieren, Tanzen, Essen, Singen usw. entsteht, was der Film schon zu Beginn ankündigt: eine Frauengemeinschaft.
Hier wird Frauensolidarität praktiziert – wie in den Tagen vor dem Patriarchat. Bevor Frauen als Hexen verfolgt und so voneinander isoliert wurden. Der Film zeigt auf beeindruckende Art und Weise, was geschehen kann, wenn Frauen füreinander da sind – das Mächtigste, was frau dem gewalttätigen Patriarchat entgegenzusetzen hat: Heilung. Und das nicht nur für die Frauen vor der Kamera, sondern auch für das Publikum. Denn allein den befreienden Akt der Heilung mit anzusehen, Geschichten mit anzuhören, die einer nur allzu vertraut sind, und die Frauen im Film dabei zu beobachten, wie sie zu Überlebenden statt zu Opfern werden. All das hinterlässt auch im Publikum eine heilende Wirkung und – zumindest als Frau – bin ich gestärkt aus diesem Film hinausgegangen.
Smoke Sauna Sisterhood. Dokumentarfilm. Estland, Frankreich, Island 2023. Regie: Anna Hints. Protagonistinnen: Protagonistinnen: Kadi Kivilo, Maria Meresaar, Elsa Saks, Marianne Liiv, Eva Kübar, Liis Kuresoo, Eda Veeroja, Maria Aasa, Merit Kask, Leno Kuura, Kerttu Kuslap, Sandra Lepik, Signe Mällo, Kaarin Parts. Laufzeit: 89 Minuten. Sprache: Originalfassung (Estnisch, Seto, Võro) mit deutschen Untertiteln. FSK 12. Verleih: Neue Visionen. Kinostart: 23.11.2023
Links zum Thema:
» Deutsche Homepage zum Film mit Kinofinder
Mehr queere Kultur:
» auf sissymag.de
10:00h, WDR:
Kölner Treff
Folge 749: Susan Link und Micky Beisenherz begrüßen u.a. den schwulen Comedian Lutz van der Horst, der gerade seinen ersten Roman "Konfetti-Blues" veröffentlicht hat.
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