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Aids, Kunst und Reflexion
Das Bildnis des Wolfgang Max Faust
Vor 30 Jahren starb der Kunsttheoretiker Wolfgang Max Faust, der sich in seinem Werk "Dies alles gibt es also" mit Kunst, dem Alltag und seiner Aids-Erkrankung auseinandersetzte. Zehn Jahre vor dessen Tod hat der Künstler Rainer Fetting ein Porträt von ihm gemalt, das unter die Haut geht.

Porträt von Wolfgang Max Faust, 1983, Rainer Fetting. Sammlung Faust & Kunz / Wolfgang Max Faust auf Polaroids, 1983, Rainer Fetting
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21. November 2023, 04:17h 13 Min.
Ein Mann in blau-weißem Hemd mit kurzen Ärmeln balanciert auf einem Hocker. Das Gesicht ist energiegeladen und leuchtet glutrot, wie auch die ausgestreckten Arme, die sich leicht vom Körper spreizen. In der rechten Hand hält er etwas, das wie eine Pistole aussieht. Sein Stand ist nicht nur instabil, er dreht auch noch seinen Oberkörper im Uhrzeigersinn um die eigene Achse, als ob er nach einem Verfolger Ausschau hält. Dabei scheint er sich zu überdrehen: eine schwungvolle Verbiegung, die surreale Züge birgt.
Das lebensgroße Bildnis mit den dynamischen, expressiven Pinselstrichen stammt aus dem Jahr 1983, es zeigt den in Berlin lebenden Kunsttheoretiker Wolfgang Max Faust zehn Jahre vor dessen Tod. Gemalt hat es Rainer Fetting, der damals gerade dabei war, zu einem der bedeutendsten Künstler Deutschlands aufzusteigen. Fettings bekanntestes Werk dürfte allen vertraut sein, die ab und zu die Nachrichten im Fernsehen anschauen: die überlebensgroße Bronzeplastik von Willy Brandt, die im Hintergrund bei Pressekonferenzen aus der Berliner SPD-Zentrale zu sehen ist.
Der Beginn der Aids-Epidemie

Porträt Wolfgang Max Faust (Bild: privat / Kunz)
Zehn Jahre liegen zwischen der Entstehung des Faust-Porträts und dem Tod des Porträtierten, vermutlich die herausforderndsten seines Lebens. Das Entstehungsjahr 1983 markiert den Anfang einer Zeit, die noch weit bis über Fausts Tod von der Aids-Epidemie geprägt sein wird. Sie stellt nicht nur eine Zäsur im Lebensstil und in der Kunstanschauung schwuler Männer wie Wolfgang Max Faust oder Rainer Fetting dar, sondern in der gesamten Kunstwelt. In überwältigender Anzahl fallen Kunstschaffende der Krankheit zum Opfer.
Wolfgang Max Faust ist einer der ganz wenigen, die 1983 den Countertenor Klaus Nomi in New York am Sterbebett besuchen. Sie kennen sich aus der Zeit, als Nomi in Berlin lebte. Nomi zählt zu den weltweit ersten Prominenten, die an Aids erkranken. Er sehnte sich danach, seine Mutter in Deutschland zu besuchen, ist aber so verarmt, dass er sich kein Ticket leisten kann. Faust sammelt Geld für ihn, auch wenn er weiß, dass es zu spät ist. Zurück aus New York, durchleidet Faust eine Aids-Panik und lässt sich professionell betreuen – auch wenn er zu dieser Zeit noch kein positives Testergebnis hat. Noch im selben Jahr schreibt er einen Beitrag im Katalog zur ersten Einzelausstellung von Rainer Fetting, den er Klaus Nomi widmet. Die Überschrift ist aus zwei von dessen Songtiteln zusammengesetzt: "Keys of Life and Lightning Strikes – in memoriam K.N." Faust lässt sich im Gegenzug von Fetting porträtieren, der ihm das Bildnis schenkt.
Wie prophetisch kann Kunst sein?

Fausts Buch "Dies alles gibt es also" erschien im Januar 1993 bei der edition cantz
Erst ein paar Jahre später erfährt Wolfgang Max Faust von seinem eigenen positiven HIV-Status. Er leidet am Wissen darum und an den Folgen der Infektion. In seinem Buch "Dies alles gibt es also. Alltag, Kunst, AIDS" setzt er die Krankheit in Beziehung zur Kunstwelt. Das HI-Virus gelangt nicht nur in seinen Körper, sondern verfolgt ihn auch seelisch, er fällt in eine starke Depression, berichtet von Geräuschen, die aus der Heizung kommen und zieht im November 1993 einen gewaltsamen Schlussstrich unter sein Leben. Auch wenn dabei keine Schusswaffe im Spiel ist, liegt die Frage nahe: Wie prophetisch kann Kunst sein? Wegbegleiter*innen und Freund*innen von Wolfgang Max Faust, die heute Fettings Bildnis von ihm sehen, erscheint es so, als nähme dieses das schreckliche Ereignis vorweg – fast zehn Jahre vor dem Suizid.
Einer von ihnen ist der Kunsthistoriker Ernst A. Busche. Er und Wolfgang Max Faust zählten zu jenen, die in Presse-, Buch- und Katalogbeiträgen auf die neoexpressionistische Malerei in Deutschland aufmerksam machten. Zuvor eher als provinziell verschrien, schickte sich der eingemauerte Westen von Berlin an, zu einer internationalen Kunstmetropole zu werden. "Die Achtzigerjahre waren ein völlig verrücktes Jahrzehnt. Einerseits diese Malerei, die in Berlin von den 'Neuen Wilden' vertreten wurde, und auf der anderen Seite diese schreckliche Krankheit. Das passte alles überhaupt nicht zusammen, und irgendwie passte es doch zusammen, weil beides sehr existenziell war. Es war wirklich eine Zäsur." Entsprechend habe die Wiederbelebung der Malerei gewirkt: "Diese Farben und Gefühle! Die bis dahin vorherrschende Konzeptkunst war ja ohne jegliche Emotion. Die Pop-Art war voller Ironie, aber auch ohne Emotion. Und plötzlich kam dieser Ausbruch an Gefühl. Und das zusammen mit Aids: wirklich eine wahnsinnige Zeit."
Busche und Faust waren nicht nur Kollegen, sondern auch befreundet. Sie liefen sich im überschaubaren Kunstbetrieb der Mauerstadt häufig über den Weg. Wenn es um Kunst ging, stimmten sie nicht immer überein. Es kam zu Diskussionen. "Wolfgang sprach gern vom 'Ende der Kunst' – als guter Journalist kannte er auch die Macht der Slogans. Ich hielt das für Unsinn. Kunst ist nie zu Ende gekommen, selbst in der Nazizeit. Wann ist die Kunst jemals stärker bedroht gewesen? Kunst stirbt nicht. Gemeint hat er wohl das Ende der Moderne, der Avantgarde mit ihrem Heilsversprechen."
Im Lauf des Gesprächs kommt Busche auf das Wolfgang-Max-Faust Porträt zurück. "Das Bild ist fantastisch. Es ist visionär. Ich habe den Fetting damals sehr geschätzt. Man sieht an dem Porträt, wie er in die Menschen reingeschaut hat." Und fügt nach einer kurzen Pause des Innehaltens hinzu: "Ich kann gar nicht vergessen, wie Wolfgang da auf diesem Hocker balanciert."
Das empfindliche Gleichgewicht der Extreme
Auch Gerd de Vries, der gemeinsam mit Wolfgang Max Faust im Jahr 1982 das für die neoexpressionistische Malerei wegweisende Buch "Hunger nach Bildern" herausbringt und zu der Zeit mit seinem Partner Paul Maenz eine Avantgarde-Galerie in Köln betreibt, hält das Bild für prophetisch. Bei einem Gespräch sagt er: "Ich habe viel mit ihm über das Gemälde gesprochen. Wolfgang fand es bemerkenswert, dass er auf dem Bild so wackelig auf einem Hocker steht. Er sah auch die Gefährdung in dem Motiv. Künstler haben einen sehr guten Instinkt." De Vries sagt, er könne sich denken, dass Fetting das empfindliche Gleichgewicht der Extreme erkannt habe, zwischen denen Faust hin und her balancierte. "Wolfgang war sehr wagemutig in seinem Denken, seinem Schreiben und seinem Tun, er lebte auf Messers Schneide. Er hat sich oft aus dem Fenster gelehnt und nie die Konfrontation gescheut – das muss man sehr anerkennen. Fetting zeigt diesen Balanceakt." Und nach einer kurzen Pause fügt er hinzu: "Es kann auch sein, dass das Bild Wolfgang in seiner letzten Entscheidung beeinflusst hat. Das glaube ich nämlich."
Interaktion und Wechselwirkung zwischen Kunst, Leben und Tod – das ist ein Thema, das Faust unter den Nägeln brennt. Acht Monate vor seinem Tod, im März 1993, wird Fettings Porträt von ihm im "Spiegel" abgedruckt, Faust hat es dem Verlag offenbar zur Illustration eines Interviews mit ihm angeboten. Darin berichtet er von seinem Buch – und betont, dass Aids seinen Blick geschärft habe. Er sagt: "Ich empfinde es in der Tat als merkwürdig, daß mein persönliches Schicksal gewissermaßen mit der kulturellen Entwicklung zusammenfällt." Als sexuell übertragbare Krankheit sei Aids "an der Stelle der größtmöglichen Lebensintensität angesiedelt. Außerdem läßt Aids den Betroffenen im unklaren darüber, wie rasch das Ende kommen kann. Diese Zeitdimension wird zu einem Moment der Lebenserfahrung, der wichtigsten, die ich beim Schreiben des Buches gemacht habe: in der Gegenwart leben. Es gibt ein richtiges Leben im falschen, und das will ich jetzt leben."
Hiobsbotschaften und scheinbar banale Beobachtungen
Fausts Buch "Dies alles gibt es also" ist eine persönliche, anscheinend ungefilterte Bestandsaufnahme der damaligen Zeit: eine Art Collage mit unzähligen Abbildungen. Tagebuchartige Aufzeichnungen wechseln mit essayistischen Erörterungen über John Cage, "Batman returns" oder den vermeintlichen Niedergang der Kunst. Scheinbar banale Beobachtungen – ein Graffito an der Wand, Plakate von riesigen McDonalds-Hamburgern, eine Frau mit der Lektüre der Zeugen Jehovas im Bus – kontrastieren mit Hiobsbotschaften aus dem Teil seines Bekanntenkreises, der mit den Folgen von HIV und Aids zu kämpfen hat. Dazu zählen Alf Bold oder Klaus Ebbeke. Vor allem das lange Sterben des Architekturhistorikers Christian Borngräber, in dem sich Faust gespiegelt sieht, wird schonungslos geschildert.
Eine wirksame medikamentöse Aids-Behandlung liegt auch fast ein Jahrzehnt nach Beginn der Epidemie in weiter Ferne. Bitter ein Witz, den ihm Manfred Salzgeber auf einer Zugfahrt erzählt: Ein Sohn besucht seine Mutter. "Mutti, ich habe eine schlechte und eine gute Nachricht für dich. Die schlechte ist, ich bin schwul. Die gute, ich habe Aids."
Wie aussichtslos und düster die Situation damals war, lässt sich kaum noch ermessen. Umso überraschender wirkt aus heutiger Sicht die dokumentarische Wucht von Fausts 400-seitigem Werk. Immer wieder erinnern Schlagzeilen an den politischen Zeitgeist: "Heinrich Lummer fordert Aids-Zwangstests für männliche Singles in Großstädten", "Kämpfe in Bosnien gehen unvermindert weiter", "Helmut Kohl lädt zur internationalen Aids-Ethik-Konferenz nach Bonn".
Zu den Besonderheiten des Buches gehört, dass der Autor das noch nicht einmal halbfertige Skript großzügig an sein Umfeld austeilt und die Reaktionen darauf in sein Werk einbezieht. "Wenn man in so einer Krankheit drinsteckt, nimmt man leicht auch den Jargon der Krankheit an. Das ist für Außenstehende kaum nachzuvollziehen", urteilt eine Freundin. Sein Arzt Manfred L'age, Internist und HIV-Koryphäe am Schöneberger Auguste-Viktoria-Klinikum, lässt ihn wissen: "Das Buch bewegt mich sehr." Ein Freund rät ihm wiederum von der Veröffentlichung ab. "Lass es", schreibt er, "dein Text ist künstlich, herbeiredend, eitel und gefallsüchtig, um Liebe und Anerkennung flehend." Doch Faust lässt sich nicht beirren, er ist längst in einem Schreibrausch.

In der öffentlichen Wahrnehmung fehlte es Wolfgang Max Faust weder an Selbstbewusstsein noch an Humor (Bild: Sebastian Kusenberg / ngbk)
Das Bild hängt weiterhin an seinem Platz
Auch Rainer Fettings Faust-Porträt wird im Text erörtert. Anders als Oscar Wildes Romanfigur Dorian Gray, der sein Bildnis vor der Öffentlichkeit verbirgt, stellt Faust das seinige öffentlich zur Debatte. Faust möchte von Fetting wissen, "warum der Hocker, auf dem ich stehe, nur zwei Beine hat." Fettings Antwort zitiert er im Buch: "Das weiß ich nicht. Aber denk mal darüber nach."
Faust hat sich offensichtlich viel mit dem Porträt beschäftigt, es hing in seinem Arbeitszimmer – in der gemeinsamen Wohnung von ihm und seinem Lebensgefährten Eckehard Kunz in Friedenau.
Kunz, inzwischen Pfarrer im Ruhestand, lebt immer noch dort, und auch das Bild hängt seit nunmehr 40 Jahren an der Wand. "Kennengelernt haben Wolfgang und ich uns am 12. Oktober 1969 in der Neuen Nationalgalerie, bei der Ausstellung von James Whistler", erzählt Kunz. "Beim Umkreisen der Bilder." Die Begeisterung für Kunst war der Anknüpfungspunkt, da waren beide gerade mal 25 Jahre alt. Es wurde ein Bund fürs Leben.
Nach Fausts Tod am 21. November 1993 wird Kunz keine dauerhafte Beziehung mehr eingehen. Über seinen Partner sagt er: "Er war sehr lebendig, sehr kreativ und belesen. Er hatte absolut nichts Depressives. Wenn Wolfgang Max Faust irgendwo hinkam, stand er sofort im Mittelpunkt, hat die Themen vorgegeben, hat diskutiert."
Ein äußerst gegensätzliches Paar
Dass Faust über eine ausgeprägte soziale Ader verfügte, löst bei Kunz zwiespältige Gefühle aus: "Das hat den Leuten, die dringend Hilfe benötigten, wirklich geholfen. Er hat sich rührend um andere gekümmert – aber meiner Ansicht nach ein bisschen zu viel. Es fehlte ihm an Distanz. Ich sage das als Seelsorger, der weiß, wie man damit umzugehen hat." Die Sorge um andere ging Faust an die gesundheitliche Substanz – aber auch der eigene HIV-Status machte ihm schon früh über die Maße zu schaffen. "Damit konnte er nicht umgehen", sagt Kunz, "er hat sich da viel zu sehr reingesteigert." Sein Buch habe dabei eine beschleunigende Wirkung gehabt. "Es war wie ein Strudel, der ihn immer tiefer reinzieht. Auch wenn es für viele Leute wichtig war: Ich habe es mit Ambivalenz betrachtet."
Eckehard Kunz und Wolfgang Max Faust, so hört man häufig aus dem gemeinsamen Bekanntenkreis, waren ein äußerst gegensätzliches Paar – eines, das sich ergänzte und bereicherte. Demnach nahm Kunz stets den ruhenden Pol ein: den Part als Fels in der Brandung, der einem frei flottierenden Geist den nötigen Halt gibt. Während Kunz eher der Zurückhaltende ist, wird Faust als intellektuelle Rampensau wahrgenommen. In der öffentlichen Wahrnehmung fehlt es Faust weder an Selbstbewusstsein noch an Humor. Zudem kokettiert er hin und wieder mit dem Faust-Mythos, der mit dem Doktortitel und seinem Familiennamen assoziiert wird. Promoviert hat er in Germanistik an der Technischen Universität Berlin mit der Arbeit "Bilder werden Worte", er lehrte später an Hochschulen in Berlin, New York und San Francisco. Selbst zuhause war er häufig von Studenten umgeben.
Schärfung des Blicks oder Verengung des Horizonts?
"Ich sehe ihn lebendig vor mir", sagt Gerd de Vries, als er sich in seine Erinnerungen an Faust vertieft. "Wir waren sehr eng befreundet. Er war ein Universalkopf, es gab keine Grenzen oder Beschränkungen, keine Felder, die man nicht hätte interessant finden können. Wir kamen vom Hölzchen aufs Stöckchen, von Philosophie zu Sexualität, von Tom of Finland zu Michelangelo, es ging ständig von hier nach da." Diese wilden Assoziationsketten waren, so de Vries, die Basis ihrer Beziehung. Dabei hatten beide die Fähigkeit, sich in ein erlebendes Individuum und in eine reflektierende Person aufzuspalten: "Das geschieht dann, wenn man ein Phänomen einerseits persönlich ganz schrecklich finden und ihm andererseits etwas Interessantes abgewinnen kann. Das fand ich in seinem Denken so spannend – wie es eben auch in dem Buchtitel von ihm heißt: 'Dies alles gibt es also.'"
Das klingt nach Freiheit des Denkens: ein staunendes Wahrnehmen der Welt in ihrer ganzen Vielfalt und Widersprüchlichkeit. Doch die katastrophalen Auswirkungen von Aids veränderten Fausts Perspektive. Was dieser eine "Schärfung des Blicks" nennt, ist für de Vries eine Verengung des Horizonts. "Das war das Gegenteil von Offenheit", sagt er, "Wolfgang bezog auf einmal alles auf Aids. Und das war ja auch nur ein Teil des Lebens. Für ihn ungeheuer wichtig, ganz klar. Aber er sah das dann plötzlich absolut. Das entsprach ihm eigentlich nicht."
Faust als geistiger Scharfschütze
Ein Telefonat mit dem Künstler Rainer Fetting: Er ist einer der wenigen, die nach dem Hype um die "Neuen Wilden" in den 1980er Jahren auch heute noch auf dem Kunstmarkt gefragt sind. Wolfgang Max Faust hat durch seine theoretischen Schriften wesentlich zum Bekanntheitsgrad der Stilrichtung beigetragen. Für Fetting war die Kategorisierung mitunter zu aufgeregt, zu brüchig, zu akademisch. "Die ellenbogenhafte Umtriebigkeit in der Kunstszene hat mich immer sehr genervt", sagt er. "Heute könnte Wolfgang Max Faust gut überprüfen, inwieweit sich die Theorie verwirklicht hat."
Der Zufall will es, dass Fetting just in diesen Tagen beim Aufräumen seines Ateliers die Polaroids in die Hände fallen, die vor 40 Jahren als Vorlage für das Faust-Porträt dienten. Dieser posiert auf den Aufnahmen wie auf dem Bildnis in der eigentümlichen Drehbewegung, wenngleich er dabei nicht auf dem Hocker balanciert. Auf einem anderen Polaroid hält er in seiner Hand eine Pistole – vermutlich keine echte. "Traurig, dass Wolfgang allzu früh verstorben ist", sagt Fetting. "Es ist ein Verlust, dass keine neuen Essays mehr aus seiner Hand entstehen können. Ich schätzte seine Treffsicherheit, mit der er Dinge analysiert und beschrieben hatte."
Die Wirklichkeit ist komplex, sie offenbart sich immer wieder aus einer anderen Perspektive. Und Kunst wäre keine gute Kunst, wenn sie in ihrer Reflexion von Wirklichkeit nicht vielfach interpretierbar wäre. Ein zweiter oder auch dritter Blick auf das Faust-Porträt offenbart neue Facetten. Steht das Grün im Hintergrund nicht auch als Metapher für den Großstadtdschungel,, der leuchtend gelbe Boden als Ausdruck von Fausts Drang zur Aufklärung? Der Balanceakt auf dem Hocker als Andeutung für das über den Dingen stehen? Die Hüftdrehung als Symbol für die Beweglichkeit seines Verstandes? So gesehen erscheint Faust als geistiger Scharfschütze mit der Pistole als Ausdruck von intellektueller Potenz.
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"Stein des guten Glücks" auf seinem Grab

Nachbildung der Goethe-Skulptur "Stein des guten Glücks" auf Wolfgang Max Fausts Grab (Bild: Bert Hoffmann)
Auch Goethes "Stein des guten Glücks" ist ein Kunstwerk, das zur Reflexion einlädt. Eine verkleinerte Nachbildung steht seit Fausts Beerdigung auf dessen Grab. Diese befindet sich in Friedenau, nur wenige Schritte von Marlene Dietrichs letzter Ruhestätte. Faust hat die ungewöhnliche Skulptur, die Goethe am Ende des 18. Jahrhunderts in Weimar errichten ließ, in seinem Buch erwähnt: ein Kubus, dem eine ruhende Kugel aufliegt; der Kubus als Inbegriff von Festigkeit und Beständigkeit, im Gegensatz zur Dynamik und Beweglichkeit der Kugel.
In einem Nachruf heißt es, die Skulptur verweise auf die Bindung von Faust mit seinem Mann Eckehard Kunz – eine Deutung, die Wolfgang Max Fausts Verständnis von Kunst und Leben sehr nahekommen dürfte.
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