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Selbstbestimmungsgesetz
Bundesverfassungsgericht: Von Storch klagt auf Recht auf Transfeindlichkeit
Die AfD-Politikerin wehrt sich gegen Ordnungsrufe, die sie im Bundestag für ihre respektlose Misgender- und Deadnaming-Attacke auf Tessa Ganserer erhalten hatte.

Beatrix von Storch während der Debatte zum Selbstbestimmungsgesetz – die christliche Fundamentalistin kämpft seit Jahren trotzig gegen queere Menschen und ihre Rechte an (Bild: Screenshot Bundestags-TV)
- 24. November 2023, 11:16h 5 Min.
Die teils extrem transfeindlich geführte Debatte zur ersten Lesung des Selbstbestimmungsgesetzes im Bundestag vor zwei Wochen wird ein gerichtliches Nachspiel haben: Die queerfeindliche Aktivistin und AfD-Abgeordnete Beatrix von Storch gab am Donnerstag bekannt, sich beim Bundesverfassungsgericht gegen zwei Ordnungsrufe und gegen Ordnungsgeld zu wehren, die sie im Rahmen der Debatte erhalten hatte.
Vizepräsidentin Petra Pau (Linke) hatte als Sitzungsleiterin vor der Lesung betont, sie "gehe davon aus, dass trotz der zu erwartenden kontroversen Debatte eine Aussprache möglich sein wird, ohne Kolleginnen und Kollegen des Hauses persönlich anzugreifen und zugleich dabei auf Diffamierungen und Beleidigungen von Menschen und Personengruppen zu verzichten". Bereits während der ersten Rede, in der Familienministerin Lisa Paus (Grüne) das Gesetz, das Personen eine rechtliche Anerkennung ihres Geschlechts ohne menschenunwürdige Schikanen ermöglichen soll, verteidigte, kam es allerdings zu verächtlichen Zwischenrufen wie "Ich fühle mich wie 67! Ich gehe in Rente!" des AfD-Abgeordneten Martin Reichardt.

Ein Zwischenruf sagt mehr als tausend Worte: Im Bundestagsprotokoll festgehaltene Reaktion von Storchs auf die Rede des SPD-Abgeordneten Jan Plobner
In ihrer Rede nannte von Storch das Gesetz unter anderem "Wahnsinn" und "staatlich befohlene Urkundenfälschung". "Wunsch und Gefühl" seien "keine Wirklichkeit", so die Abgeordnete zur Selbstbestimmung: "Jeder Kollege hier kann sich wünschen oder fühlen, eine Frau zu sein. Darüber urteilen wir nicht, und das macht ein Leben ganz sicher schwer. Aber es macht einen nicht zur Frau. Man kann sein Geschlecht ebenso wenig ändern wie sein Alter oder die Körpergröße. Weil Sie die Wirklichkeit nicht akzeptieren, wollen Sie sie jetzt verbieten. Wer in Zukunft [Deadname, Anm. der Redaktion] Ganserer Herrn Ganserer nennt, soll dafür 10.000 Euro Strafe zahlen, für die Wahrheit."
Die Abgeordnete, die damit Ganserers geschlechtliche Identität ablehnte und gezielt ihren alten Vornamen nutzte, sprach danach unter anderem noch von einer "Translobby" und beklagte zum Regierungshandeln: "Sie wollen Transsexualität normalisieren. Jugendliche und Kinder sollen sich nicht mehr mit ihrer Biologie aussöhnen, sondern ihr Geschlecht ablegen wie einen unbequemen Mantel".
Sanktionen für Angriffe auf Ganserer
Die von der AfD-Politikerin angegriffene Grünenabgeordnete Tessa Ganserer hatte 2019 ihre Trans-Identität öffentlich gemacht. Die damalige bayrische Landtagsabgeordnete, die seit 2021 im Bundestag sitzt, lehnt es ab, zur rechtlichen Anerkennung von Geschlecht und Vornamen das aktuelle Verfahren gemäß Transsexuellengesetz samt Begutachtungspflicht zu durchlaufen: "Ich werde mich nicht vor einen Richter stellen, um mir intimste persönliche Fragen zu meinen frühkindlichen Erlebnissen, meinen sexuellen Präferenzen und Partnerinnen gefallen lassen, damit er für diesen Staat entscheiden kann, dass ich die Frau bin, die ich schon immer war", erklärte Ganserer einst. Die Abgeordnete weist auch anhand ihrer Person öffentlich immer wieder auf die Notwendigkeit des Selbstbestimmungsgesetzes hin.
Der Bundestag führt Ganserer als Frau mit dem Namen Tessa. Bereits mehrfach hatten von Storch und andere AfD-Abgeordnete die Politikerin ohne Konsequenzen mit dem abgelegten Namen als Mann bezeichnet. Diesmal griff die Sitzungsleitung durch: "Sie haben nicht nur (…) Respekt vermissen lassen, sondern Sie haben gegenüber der Abgeordneten Ganserer gegen die Würde nicht nur dieses Hauses verstoßen. Ich erteile Ihnen einen Ordnungsruf", so Petra Pau zu Beatrix von Storch.

Gegen Ende der Sitzung meldete sich von Storch erneut zu Wort, verwendete erneut den abgelegten Vornamen Ganserers als "juristisch geführten" und sprach selbst von "Herrn Ganserer". Dafür erhielt sie einen zweiten Ordnungsruf. Nach einem Posting in sozialen Netzwerken mit Wiederholung des Deadnamings und Kritik an der Sitzungsleitung ("Linke Präsidentin rastet aus") durch von Storch verhängte Pau zudem ein Ordnungsgeld in Höhe von 1.000 Euro gegen die Abgeordnete (queer.de berichtete).
Bundestag stellte sich gegen von Storch
Von Storch hatte gegen die Ordnungsrufe noch Einspruch erhoben – gemäß Hausordnung entscheidet darüber der Bundestag ohne Debatte. Bis auf die AfD lehnten allerdings alle anderen Fraktionen den entsprechenden Antrag ab. Von Storch ließ sich für diesen Kampf für die Nicht-Anerkennung von trans Menschen in sozialen Netzwerken feiern, wo ihre Äußerungen zu noch mehr Transfeindlichkeit führten.
Den Hass schürt die Politikerin kräftig weiter an: Am Donnerstag gab sie in sozialen Netzwerken bekannt, gegen Ordnungsrufe und Geldbuße nach Karlsruhe zu ziehen. "In der Debatte um das unsägliche Selbstbestimmungsgesetz hatte ich inhaltlich gesagt, der Kollege Ganserer ist biologisch und juristisch ein Mann und er heißt mit Vornamen [...]", so von Storch in einer Pressemitteilung. "Für diese Feststellung von unbestrittenen Tatsachen erhielt ich zwei Ordnungsrufe und schließlich eine Geldbuße. Wenn sich diese Rechtsauffassung des Bundestagspräsidiums durchsetzen würde, bedeutet dies, dass ich zum Lügen gezwungen werde."

Tweet von Beatrix von Storch zu ihrer Klage – die dreimalige Entfernung des abgelegten Vornamens von Tessa Ganserer erfolgte durch queer.de
Diverse Gerichte, darunter auch das Bundesverfassungsgericht, hatten allerdings schon mehrfach geurteilt, dass es eine Frage der Menschenwürde ist, trans Personen in ihrem Geschlecht anzuerkennen und anzusprechen – was von Storch ungeachtet des jeweiligen rechtlichen Status der Person grundsätzlich ablehnt. In diesem Sinne hatte Karlsruhe immer mehr Bestimmungen des alten Transsexuellengesetzes als verfassungswidrig verworfen. Das Gericht, das inzwischen einen eigenen Senat für oft das Gericht instrumentalisierende AfD-Klagen einrichten könnte, dürfte in einer Entscheidung auch die Selbstverwaltung des Bundestag näher berücksichtigen.
/ simpBVerfGBVerfG 2 BvR 1833-95 – Anrede Transsexueller (1996) pic.twitter.com/zqyvimJbMM
Simplified Bundesverfassungsgericht (@simpBVerfG) June 26, 2023
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Auch im Bundestag gilt Redefreiheit nicht uneingeschränkt: Zwar haben Abgeordnete Indemnität, können also wegen Äußerungen im Parlament weder straf- noch zivilrechtlich verfolgt werden. Zum einen gilt hier aber eine Ausnahme für Verleumdungen sowie der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener. Zum anderen wurde als Ausgleich für die sonstige Straffreiheit im Sinne der Gewaltenteilung ein eigenes Sanktionssystem geschaffen, das halt unter anderem einen Ordnungsruf und Ordnungsgeld vorsieht. (nb)













