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Theater

Die unerfüllte schwule Liebe des Hans Christian Andersen

Mit "Andersens Erzählungen" widmet sich das Residenztheater München der Homosexualität des dänischen Dichters und verwebt sie kongenial mit seiner zauberhaften Märchenwelt.


Unglücklich verliebt (v.l.n.r.): Linda Blümchen, Thomas Lettow und Moritz Treuenfels in "Andersens Erzählungen" (Bild: Sandra Then)

Ein gebrochenes Herz, unerwiderte romantische Gefühle oder der Verlust eines geliebten Menschen: Die Liebe, besonders wenn sie komplex, schmerzhaft oder unerfüllt ist, kann zur kraftvollen Quelle der Inspiration werden, aus der Künstler*innen schöpfen und monumentale Werke erschaffen.

Dass es sich bei "Die kleine Meerjungfrau" des dänischen Dichters Hans Christian Andersen um ein solches autobiografisch geprägtes Werk handelt, ist weit weniger bekannt. Er begann das Märchen an jenem Tag zu schreiben, als sein von ihm angebeteter Jugendfreund Edvard Collin dessen Verlobte Henriette heiratete. Der Schmerz über die unerwiderte Liebe zu Edvard summierte sich damit auf, dass sein Angebeteter nicht nur jemand anderes heiraten würde, sondern dass seine Person bei der Hochzeit unerwünscht war. Eine Erfahrung, die sinnbildlich für das Leben Andersens steht, der stets mit seiner Identität haderte, sich und seine Sehnsüchte nicht einordnen konnte. Mit seiner Körperlichkeit – er galt als dürr, hochgewachsen und ungelenk – sowie seiner Sexualität – sein romantisches Interesse scheint Männern gegolten zu haben – hatte er stets zu hadern. Für ihn und seine Mitmenschen blieben sie ein quälendes Geheimnis, etwas Unaussprechliches, weil es zu ihrer Zeit noch keine Worte dafür gab. Andersartigkeit, unerfüllte Liebe und Außenseitertum – die bedeutendsten Themen seiner Märchen waren auch für ihn persönlich lebensbestimmend.

Mit ihrem Musiktheaterstück "Andersens Erzählungen" widmen sich Regisseur und Bühnenbildner Philipp Stölz, Komponist Jherek Bischoff und Librettist Jan Dvořák Andersens Persönlichkeit und Biografie und verbinden sie mit dem Märchen "Die kleine Meerjungfrau" zu einer opulenten Bühnenerzählung. Den Text dazu schrieb Dvořák, Bischoff komponierte die passende Musik, deren Liedtexte komplett aus Andersens Märchen abgeleitet sind. Die Uraufführung war bereits 2019 am Theater Basel. Nun ist für das Residenztheater München eine zweite, stärker schauspielorientierte Fassung entstanden. Das Ensemble um Hauptdarsteller Moritz Treuenfels, der den dänischen Dichter verkörpert, besteht neben einzelnen Neuzugängen teils aus der Originalbesetzung von vor vier Jahren. Die deutsche Erstaufführung war am 18. November.

Zwei Welten prallen aufeinander

Das Stück spielt an zwei Tagen im Jahr 1836 – der Nacht vor und dem Tag der Hochzeit – und ist dabei frei an die realen Verhältnisse zwischen Andersen und der Familie Collin angelehnt. Die Handlung des Stücks verdichtet sich auf die Nacht vor dieser Hochzeit, auf das Märchen der kleinen Meerjungfrau und die wahrscheinlich größte Liebe im Leben Andersens. Dabei lassen die Theatermacher zwei Welten aufeinanderprallen, die unterschiedlicher kaum sein könnten: die bürgerliche Welt in der Mitte des 19. Jahrhunderts und die traumhafte Märchenwelt.


Ein Blick in Andersens traumhafte Märchenwelt (Bild: Sandra Then)

Philipp Stölzls und Heike Vollmers Bühnenbild zeigt zunächst eine fantasievolle, bunte Unterwasserwelt, der sie ein bürgerliches Landhaus mit entsprechend farbarmen Interieur entgegensetzen. Dieser Kontrast zeigt sich auch in den Kostümen von Kathi Maurer: Die Figuren der realen Welt tragen schwarz-weiß-grau-Töne in strengen, hochgeschlossenen Kostümen à la Biedermeier. In der Märchenwelt hingegen gibt es farbige, surreale, opulente, schillernde und teils fluoreszierende Kostümteile. Die Verbindung zwischen Andersen und der kleinen Meerjungfrau wird dabei auch durch das Kostüm betont: beide tragen Zylinder und Gehrock. Kleine Details wie Andersens Gehstock mit Entenkopf-Griff, ein Verweis auf sein Märchen "Das hässliche junge Entlein", sind liebevoll eingepflegt und regen zum Entdecken an.

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Die Fantasie durchdringt in betörenden Bildern die Realität

Im Laufe des Abends verschränken sich die beiden Welten immer mehr: Märchenelemente bevölkern den Raum, schweben hinein, als wären sie gerade Andersens Gedankenwelt entsprungen. Dazu wunderbar spätromantische Klänge und Lieder des Orchesters. Die Fantasie durchdringt in betörenden Bildern die Realität – die Ausstattung verstärkt diesen Wechsel auf schöne Art und Weise. Und dann treten plötzlich auch noch verschiedene Figuren aus Andersens weiteren Märchen in der Realwelt auf, zum Beispuek das hässliche Entlein, das Mädchen mit den Schwefelhölzern, der nackte Kaiser, der Zinnsoldat und das Mädchen mit den roten Schuhen.

Schauspieler Moritz Treuenfels gibt Andersen dabei als eine vielschichtige Figur, die stets zwischen beiden Welten changiert: in der Realwelt mit gebückter Körperhaltung, gesenktem Blick und zerbrechlicher Zartheit – gerade, wenn er von seinen Mitmenschen wieder einmal exotisiert, desillusioniert oder gar verspottet wird. Die Schwere der Gefühle, die auf ihm lasten, ist förmlich spürbar: "Leider sind meine stärksten Empfindungen melancholischer Art. Ein poetischer Gedanke, das heißt für mich, ein trauriger Gedanke!". Ganz anders hingegen in der Märchenwelt: Hier ist er der dirigierende Fantast, leichtfüßig, mächtig, strahlend und verspielt – man mag erkennen können, wie er mit dem Kopf in den Wolken steckt. In Abgrenzung zu den anderen Figuren zeigt sich dabei besonderes deren (tragische) Gefangenheit in den gesellschaftlichen Konventionen und starren Geschlechterrollenbildern.

Direktlink | Offizieller Trailer zum Stück
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Andersen war seiner Zeit voraus

Hans Christian Andersen war in vielerlei Hinsicht seiner Zeit voraus. Ein von Sehnsucht getriebener Mensch, der sich stets von seinen Gefühlen leiten ließ und bis zu seinem Tod doch alleinstehend blieb. Einer, der sich nicht hat brechen lassen, sondern einfach immer weiter gemacht und dagegen angeschrieben hat: "Es ist erstaunlich. Man erreicht den tiefsten Punkt. Den Punkt der tiefsten Schmach. Man denkt: Das ist das Ende. Aber es geht einfach alles weiter. Einfach so". Er hinterlässt uns ein beeindruckendes Œuvre von über 150 Märchen, dessen subtile Botschaften von Andersartigkeit, unerfüllter Liebe und Außenseitertum auch heute noch begeistern und vor allem für queere Menschen reichlich Anknüpfungsmöglichkeiten bieten – ganz gleich wie er sich und seine Sexualität heute labeln würde.

"Andersens Erzählungen" ist dabei ein fantastischer, lieblich-verkitschter Musiktheaterabend, der sich vor eben jenem Menschen hinter der Dichterfigur verneigt und ihn und seine Gefühlswelt wunderbar spürbar werden lässt. Und aus dessen Theaterillusion man sich so ungern wieder herausholen lassen möchte. Hach ja!

Infos zum Stück

Andersens Erzählungen. Musiktheaterstück von Jherek Bischoff, Jan Dvořák und Philipp Stölzl. Deutsche Erstaufführung am Residenztheater München. Dauer: 2 Stunden 15 Minuten. keine Pause. Altersempfehlung: ab 10 Jahren. Nächste Vorstellungen: 12. Dezember 2023 um 19.30 Uhr, 21. Dezember um 19.30 Uhr, 26. Dezember um 18:30 Uhr und 31. Dezember um 20 Uhr
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