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Beziehungen

Das sind die neun Orientierungen der Liebe

Im Interview erklärt der Psychologe Dr. Guido F. Gebauer, welche Grundorientierungen Gestaltung von Partnerschaften bestimmen – und welche Auswirkungen sie auf die Partnersuche haben.


Symbolbild: Ein schwules Paar genießt einen Sonnenuntergang am Strand (Bild: Tyler Nix / Unsplash)

Sie schreiben gerade ein Buch über die "Neun Orientierungen der Liebe". Welche sind das?

Wir leben Liebe unterschiedlich. Unsere Beziehungen lassen sich dabei unterscheiden anhand von neun Grundorientierungen. Oft neigen wir als Menschen zudem dazu, an einer erst mal etablierten Grundorientierung festzuhalten und auch unsere neuen Beziehungen mehr oder weniger bewusst oder unbewusst immer wieder in die alten Bahnen zu lenken.

Dies sind die neun Grundorientierungen:

"Liebe als Engagement" – hier liegt der Schwerpunkt darauf, dass wir immer wieder an unserer Beziehung arbeiten, um gut miteinander klarzukommen.

"Liebe als Lebens- und Versorgungsgemeinschaft" - sich wechselseitig absichern und eine gemeinsame wohnliche und materielle Zukunft aufzubauen sind die zentralen Komponenten dieser Grundorientierung. Beispielsweise gemeinsam ein Haus bauen.

"Liebe als Familiengründung" - bei dieser Grundorientierung gehören zu Liebe vor allem auch gemeinsame Kinder, in der Regel leibliche Kinder, es können aber auch adoptierte Kinder sein.

"Liebe als Lust und Sex" - im Zentrum dieser Grundausrichtung steht die enorme Bedeutung, die Lust und Sex für die Liebe zugewiesen wird.

"Liebe als Moment der Freiheit" – hier geht es um ein quasi anarchisches Zusammensein, ohne Regeln und Verpflichtungen. Die Liebe spielt sich im Hier und Jetzt ab.

"Liebe als Nutzen und Nüchternheit - diese Beziehungen betrachten die Liebe ähnlich wie eine Geschäftsbeziehung oder einen Vertrag zum beiderseitigen Vorteil. Donald Trumps Beziehung zu Melanie scheint diesem Muster zu entsprechen.

"Lebe als Errettung und Aufopferung" – wer so seine Beziehungen lebt, versucht, sich über die Liebe aus seelischer oder materieller Not zu befreien oder sieht sich in der Rolle des Erretters.

"Liebe als Monogamie versus Nicht-Monogamie" - in dieser bipolaren Grundorientierung unterscheiden sich diejenigen, die sexuelle und emotionale Treue in einer Zweierbeziehung leben, von denen, die sich der konsensuellen Nicht-Monogamie in Form von offenen Beziehungen, Swinger-Beziehungen oder polyamoren Beziehungen zuwenden.

"Liebe als Leid und Schmerz" – in dieser Grundorientierung manifestiert sich eine toxische Liebe als Horror, Schmerz, Terror, Abhängigkeit, Eifersucht, Unterdrückung, Ausbeutung und Gewalt.

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Ihre Erkenntnisse beruhen auf einer psychologischen Studie, die Sie durchgeführt haben. Wie sind Sie dabei vorgegangen?

In einer Online-Umfrage haben wir mehr als 1.000 Personen, die aktuell Single oder in einer Beziehung waren, zu ihrer aktuellen Beziehung oder letzten Beziehung gefragt. Aus der Theorie des Psychologen Robert Sternberg haben wir dabei 81 Gestaltungsformen der Liebe abgeleitet. Diese konnten wir nachfolgend mit statistischen Verfahren auf die neun Grundorientierungen reduzieren.

Kann man die Orientierungen denn so klar abgrenzen? Gibt es nicht auch Überschneidungen?

Die Orientierungen lassen sich statistisch voneinander abgrenzen. In der praktischen Beziehungsführung können sich die verschiedenen Orientierung aber überlappen und kombinieren. Daraus ergibt sich eine große Vielgestaltigkeit und Dynamik partnerschaftlicher Beziehungen.


Dr. Guido F. Gebauer studierte Psychologie an der Humboldt-Universität zu Berlin und an der Universität Cambridge in Großbritannien. Er promovierte bei Prof. N. J. Mackintosh an der Universität Cambridge und gründete 2006 die Kennenlernplattform Gleichklang.de. Seither ist er auch als Dating-Coach und Beziehungs-Coach tätig (Bild: Thilo Nass)

Sind die Orientierungen altersabhängig? Sehen junge Menschen Liebe eher als Lust und Sex und ältere als Lebens- und Versorgungsgemeinschaft?

Jede Grundorientierung kann in jeder Altersstufe auftreten, zumal diese Orientierungen auch eher Beziehungen als Personen kennzeichnen. Allerdings erleben ältere Personen in ihrer aktuellen und auch in ihrer letzten Beziehung etwas seltener "Leid und Schmerz"", weniger "Errettung" und dafür häufiger einen "Moment der Freiheit" als jüngere Menschen. Anders als es viele vielleicht denken, unterscheiden sich ältere und jüngere Menschen gar nicht darin, wie sehr sie Liebe als "Lust und Sex" oder als "Lebens und Versorgungsgemeinschaft" gestalten. Im Durchschnitt können wir vielleicht sagen, dass ältere Personen einen leicht höheren Grad an Reife in ihren Beziehungen zeigen.

Wie findet man heraus, welche Liebesorientierung man hat? Das Selbstbild entspricht sicherlich nicht immer dem eigenen Verhalten…

Absolut. Tatsächlich ist es bei psychischen Eigenschaften und auch bei Merkmalen von Beziehungen so, dass wir diese meistens explizit oder implizit erst im Vergleich zu anderen bestimmen. Intelligent sind wir, wenn wir intelligenter sind als andere. Leidvoll ist eine Beziehung, wenn sie leidvoller ist als andere Beziehungen. Wir haben zwar direkten Zugriff auf unser eigenes Erleben, nicht aber auf das Erleben anderer. Deshalb können wir unsere Beziehungen oft nicht einfach direkt beurteilen. Mit dem von mir entwickelten Test zu den "Neun Orientierungen der Liebe" kann jeder seine aktuelle Beziehung, eine vergangenen Beziehung oder auch seine gemittelte Beziehungsgeschichte einschätzen und erhält dann eine textbasierte und grafische Auswertung.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen Liebesorientierung und Beziehungszufriedenheit? Welche Orientierungen führen am ehesten zur einer erfüllten Partnerschaft?

Grundsätzlich können wir mit unterschiedlichen Formen der Beziehungsgestaltung glücklich werden. Dennoch gibt es einige durchschnittliche Zusammenhänge zur Beziehungszufriedenheit und auch zur sexuellen Zufriedenheit. Etwas verkürzt gesagt, scheint besonders die Orientierung "Liebe als Moment der Freiheit" Beziehungen glücklicher zu machen. Demgegenüber macht die Orientierung "Liebe als Leid und Schmerz" – nicht überraschend – Beziehungen eher unglücklich. Die sexuelle Zufriedenheit wird besonders durch die Orientierung "Liebe als Lust und Sex", aber auch durch die Orientierungen "Liebe als Moment der Freiheit" und "Liebe als Engagement" gefördert. "Liebe als Leid und Schmerz" macht auch sexuell eher unglücklich.

Heißt das, dass Menschen, die Liebe als Leid und Schmerz empfinden, zum Unglücklichsein verdammt sind?

Wer eine stabile Neigung hat, Liebe als Leid und Schmerz zu erleben und umzusetzen, wird sicherlich meistens eher unglücklich werden. Solche Menschen finden sich beispielsweise oft in toxischen Beziehungen oder belastenden On-Off-Beziehungen wieder. Allerdings gibt es auch eine Lust am Schmerz, die sich im Sinne einer "masochistischen Neigung" in der Persönlichkeits-Struktur zeigen kann. Ein stabiles Gefühl des Glücklichseins wird dadurch aber nur in seltenen Fällen möglich sein.

Lautet damit Ihre Faustregel, dass man für eine erfüllende Partnerschaft am besten nach einer Person mit derselben Liebesorientierung sucht?

Interessanterweise zeigt sich tatsächlich, dass bei allen Orientierungen, selbst bei der "Liebe als Schmerz und Leid", eine Übereinstimmung mit Partner*innen die Beziehungszufriedenheit verbessert. Wie lässt sich dies erklären? Oft können so vermutlich einfacher gemeinsame Ziele erreicht und Konflikte vermieden werden. Bei der Orientierung "Liebe als Familiengründung" liegt dies beispielsweise ja direkt auf der Hand. Aber selbst bei der "Liebe als Schmerz und Leid" kann so womöglich ein verbessertes wechselseitiges Verstehen ermöglicht werden, das sich – trotz allen Schmerzes – günstig auswirkt. Bei unserer Partnervermittlung achten wir daher auf ein möglichst hohes Ausmaß an Grundpassung.

Können und sollten wir denn unsere Liebesorientierung ändern, und wenn ja wie?

Stellen wir fest, dass wir in der Gesamtbilanz in unseren Beziehungen nicht glücklich werden, ist es an der Zeit, über eine Änderung nachzudenken. Wir können über unsere Beziehungswünsche und unsere Gestaltungsformen von Beziehungen reflektieren. So können wir für uns selbst erkennen, dass wir womöglich eher in einer monogamen oder in einer nicht-monogamen Beziehung glücklich werden. Sprechen wir mit unseren Partner*innen, können wir unsere Beziehungsvereinbarungen entsprechend ändern oder bei der Partnersuche von Anfang an darauf achten, dass die Vorstellungen zueinander passen. Werden bei uns Beziehungen immer wieder toxisch, können wir darauf achten, uns Partner*innen mit anderen Merkmalen zu suchen oder auch an unserem eigenen Kommunikations- und Beziehungsverhalten arbeiten. Je nach Einzelfall können hierfür Coaching oder manchmal auch eine Psychotherapie oder eine Paartherapie hilfreich sein. Ich selbst arbeite übrigens auch als Dating- und Beziehungscoach.


Symbolbild: Ein verliebtes lesbisches Paar (Bild: Tallie Robinson / Unsplash )

Nehmen wir an, man hat eine Person mit derselben Liebesorientierung gefunden: Gibt es auch ein Leitprinzip, wie sich nach dem Kennenlernen am ehesten eine Beziehung entwickelt?

Miteinander reden und daran arbeiten, so miteinander reden zu können, dass wir keine Angst voreinander haben müssen, sondern maximal offen miteinander sein können. Dies ist bereits die halbe Miete. Im Weiteren geht es immer wieder darum, gemeinsam einen positiven Alltags aufzubauen, Neues miteinander zu entdecken und verbindende Lebensziele zu finden.

In Ihrem Buch "A Perfect Match? Online-Partnersuche aus psychologischer Sicht" warnen Sie vor "Choice Overload" und einer "Entscheidungs-Blockade". Was meinen Sie damit genau?

Viele Denken, der beste Weg zur Partnerfindung ist es, so viele Menschen wie möglich kennenzulernen oder beim Online-Dating durch so viele Profile wie möglich zu stöbern. So nahe dies liegen mag, so falsch ist es. Psychologische Studien zeigen nämlich, dass wir bei mehr Auswahl tatsächlich schlechtere Entscheidungen treffen. Außerdem führt erhöhte Auswahl oft zu einer Entscheidungs-Blockade. Wir hoffen immer auf einen noch besseren Vorschlag oder einen noch passenderen Menschen und bleiben so am Ende Single.

Was sind weitere häufige Fehler und Irrtümer beim Online-Dating?

Neben dem Irrtum "viel hilft viel" ist einer der schlimmsten weiteren Fehler, gefunden werden zu wollen. Das denken oft beide und so kann eine Beziehung gar nicht erst entstehen. Auch eine zu große Fixierung auf das Äußere kann dazu führen, dass wir echte Beziehungschancen verspielen. Studien zeigen, dass sich bei Paaren im Verlauf des Kennenlernens oftmals die wechselseitige Attraktivitäts-Wahrnehmung dramatisch ändern kann. Wir finden nämlich nicht nur Menschen sympathisch, die wir attraktiv finden, sondern wir finden auch Menschen attraktiv, die wir sympathisch finden. Diese Chance eines Zueinanderfindens nehmen sich all diejenigen, die in Sekundenschnelle beim Online-Dating allein aufgrund des Fotos eine Vorauswahl treffen. Schließlich unterschätzen viele die Zeit, die es dauern kann, bis eine Beziehung beim Online-Dating gefunden wird und geben dann verfrüht auf. Bei Gleichklang-Paaren hat es im Durchschnitt zwei Jahre gedauert, bis ihre Online-Partnersuche mit Erfolg gekrönt wurde. Bei manchen geht es schneller, bei anderen dauert die Partnersuche sogar viele Jahre. Da eine Beziehung lange, möglichst lebenslang, halten soll, lohnt sich der Zeiteinsatz. Wer diese Geduld nicht hat, bleibt oft allein. Die nach unseren Erfahrungen in 17 Jahren Partnervermittlung effektivsten Strategien für die eigene Online-Partnersuche habe ich übrigens in 45 Minuten in einem YouTube-Video zusammengefasst.

Direktlink | Guido F. Gebauer über die besten Strategien für das Online-Dating
Datenschutz-Einstellungen | Info / Hilfe

Auch wenn es beim ersten Treffen nicht funkt oder sogar Irritationen auftreten, werben Sie für eine zweite Chance. Warum?

Wir wissen aus Befragungen bei Gleichklang, dass ungefähr die Hälfte unserer Paare beim ersten Treffen noch nicht besonders beeindruckt voneinander war. Es fehlten die Schmetterlinge im Bauch und manchmal traten sogar Irritationen auf. Trotzdem entstand die Liebe zwischen den Betreffenden, weil sie ihrem Kennenlernen eine zweite Chance gaben. Die Liebe kann verschlungene Wege gehen und oft entsteht sie – anders als dies viele denken – nicht sofort, sondern als ein schrittweiser Prozess, bei dem sich Irritationen auflösen und sich Sympathie zur Liebe vertieft.

Sie raten dazu, "oberflächliche Kriterien" wie Körpergröße, Einkommen oder sozialen Status" bei der Partnersuche zu ignorieren und sich auf die Übereinstimmung in Werthaltungen, Lebenszielen und Beziehungsvorstellungen zu konzentrieren. Das ist leichter gesagt als getan, oder?

Manche Vorstellungen zur Attraktivität, wie die Präferenz für eine bestimmte Körpergröße, übrigens auch Vorlieben für bestimmte Ethnien, sind reine Hysterie. Wir steigern uns in diese hinein, können sie aber tatsächlich einfach verändern, indem wir uns auf Beziehungen mit anderen Menschen einlassen. Ist eine Passung der Werthaltungen wirklich vorhanden, ist die Liebe zudem dazu in der Lage, Unterschiede in Einkommen und sozialem Status zu überwinden. Wenigstens in diesem Bereich ist das Online-Dating übrigens tatsächlich ein progressiver Faktor. Es macht nach Studien unsere Partnerwahl ein Stück weit egalitärer.

Selbstbewusste Singles haben es in unserer Gesellschaft schwer. Erhöhen Sie mit ihren Grundregeln nicht den ohnehin starken Druck auf Menschen, nicht allein durchs Leben zu gehen?

Ich sehe da keinen Zusammenhang. In meiner Auswertung geht es um Grundformen, wie wir an die Liebe herangehen und unsere Beziehungen gestalten. Selbstverständlich ist ein zufriedenes Leben als Single ebenfalls möglich. Ganz auf Beziehungen zu verzichten, können wir womöglich als eine weitere, eine zehnte Orientierung zur Liebe definieren.

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