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Jahresrückblick, Teil VII
Tiefpunkte des Jahres 2023
Das ablaufende Jahr brachte auch so einige Tiefschläge. Wir stellen zehn negative Entwicklungen des Jahres vor, über die wir auf queer.de berichtet haben.

Alice Weidel unternimmt trotz ihrer eigenen Homosexualität nichts dagegen, dass ihre AfD immer queerfeindlicher wird (Bild: Deutscher Bundestag / Simone M. Neumann)
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28. Dezember 2023, 04:48h 5 Min.
Mehr Übergriffe gegen queere Menschen
Schon länger verfolgte queere Menschen in Deutschland ein ungutes Gefühl angesichts zunehmender Hetze und häufiger Berichte über Gewalttaten. Dieses Jahr zeigte sich die gefühlte Zunahme von Gewalt in Umfragen und Statistiken. Die "Mitte"-Studie zeigte etwa einen besorgniserregenden Rechtsruck, der mit steigender Gewalt gegen sexuelle und geschlechtliche Minderheiten einhergeht. Eine bayerische Umfrage zeigte erst kürzlich, dass 94 Prozent (!) der jungen queeren Menschen Diskriminierung erlebt hätten. Und auch einige Promis warnen vor No-Go-Areas, so etwa auch Corny Littmann.
AfD wird immer queerfeindlicher
Wir hätten es kaum für möglich gehalten: Die AfD hat sich in ihrem Umgang mit queeren Menschen weiter radikalisiert. So riefen AfD-Anhänger und -Politiker im Juni den "Stolzmonat" aus, eine letztlich sehr massive Kampagne in sozialen Netzwerken, den Pride Month zu nutzen, um Stimmung gegen queere Menschen zu machen. Mit Protesten gegen Dragqueen-Lesungen holte die Partei die Stimmungsmache auch auf die Straße. Vor allem gegenüber trans Menschen wird offener Hass verbreitet, was sogar zu einer Geldstrafe gegen AfD-Vizefraktionschefin Beatrix von Storch führte, die ihrer Parlamentskollegin Tessa Ganserer (Grüne) selbst im Bundestag ihre Geschlechtsidentität absprach. Bedenklich ist, dass im Osten CDU und FDP bereits offen mit der AfD kooperieren. Von der lesbischen AfD-Chefin Alice Weidel ist hier übrigens nichts zu erwarten: Sie verkündete im Sommer, dass sie nicht queer sei.
Linke Queerfeindlichkeit nimmt zu
Nicht nur rechtsaußen, sondern auch am linken Rand formiert sich inzwischen eine queerfeindliche Bewegung: Die neue Partei von Sahra Wagenknecht zeigt ganz offen, dass sie bei LGBTI-Rechten nicht weit von der AfD entfernt ist. Wagenknecht selbst hatte bereits 2021 die abwertende Bezeichnung "skurrile Minderheiten" für queere Menschen und andere Gruppen populär gemacht, für die sich die Politikerin nicht engagieren will.

Außenstehende hätten Schwierigkeiten, Sahra Wagenknecht einzuschätzen: Ist sie eine Rechts- oder eine Linksextremistin? (Bild: Screenshot Bild TV)
Verzögerungen beim Selbstbestimmungsgesetz
Im Koalitionsvertrag beschlossen SPD, Grüne und FDP im Herbst 2021, mit einem Selbstbestimmungsgesetz endlich in die Fußstapfen von progressiven Ländern wie Dänemark oder Norwegen zu treten und trans Menschen würdig zu behandeln. Doch es kam nur zu einem Gehänge und Gewürge: Anfang des Jahres schien Justizminister Marco Buschmann (FDP) transfeindlichen Kräften Zugeständnisse zu machen. Der letztlich vorgelegte Entwurf zeugt von Misstrauen gegenüber trans Menschen – und wurde selbst vom Queerbeauftragten kritisiert, der das Gesetz mitverhandelte. Das führte zu ewigen Verzögerungen. Am Ende sorgte die Ampel-Koalition mit ihrem Zögern und ihren Einschränkungen am Gesetz mit dafür, dem Hass aus der Opposition noch mehr Zeit und Gewicht zu geben. Ein unwürdiges Schauspiel!
Trans Frauen werden pauschal als Sündenböcke genutzt
Der Streit um das Selbstbestimmungsgesetz hat auch andere queerfeindliche Kräfte motiviert: Insbesondere trans Frauen werden derzeit als Feindbilder missbraucht. Dabei vertreten auch neue Mitglieder der queerfeindlichen Internationale – darunter auch Alice Schwarzer – Theorien, die bereits im letzten Jahrhundert von Konservativen über Homosexuelle verbreitet wurden. Sie besagten folgendes: Schwule und Lesben würden Jugendliche "verführen", daher müsse verhindert werden, dass sie öffentlich sichtbar sind. Dieser Vorwurf wird nun 1:1 auf trans Frauen übertragen: Ihre pure Existenz führe dazu, dass Jugendliche zum Transsein verführt werden. Die Theorie war völliger Blödsinn in Bezug auf Homosexuelle – und ist auch völliger Blödsinn in Bezug auf trans Menschen.
Absurde Propaganda-Gesetze in USA
Dieses Jahr tobte der Kulturkampf in den USA weiter – mit absurden Auswirkungen: Insbesondere Florida unter dem ambitionierten Rechtsaußen-Gouverneur Ron DeSantis machte mit seinem "Don't say gay"-Gesetz Schlagzeilen. Das Gesetz besagt, dass an Schulen nicht über queere Menschen gesprochen werden darf, um Schüler*innen zu schützen. Das hatte absurde Konsequenzen: Es gab etwa Ermittlungen gegen eine Lehrerin, weil sie einen Disney-Zeichentrick zeigte, in dem eine schwule Figur vorkam. Die Republikaner verteidigen das homophobe Gesetz mit Klauen und Zähnen: Zuletzt setzte die Generalstaatsanwältin Schwule und Lesben etwa mit Nazis gleich.

Gouverneur DeSantis hat für die Unterzeichnung eines queerfeindlichen Gesetzes ein paar Kinder um sich rum bestellt
Mitten in Deutschland: Baptistenkirche ruft zur Ermordung Homosexueller auf
Wie viel Gefahr für queere Menschen auch 2023 vom christlichen Fundamentalismus ausgeht, zeigt eine Baptistenkirche im reichen Baden-Württemberg: Die "Baptistenkirche Zuverlässiges Wort Pforzheim" verbreitet dabei Aussagen wie: "Wir glauben, dass Homosexualität Sünde und eine Schande ist, die Gott mit der Todesstrafe ahndet." Dem CDU-Innenminister reicht dies aber nicht aus, um die Kirche zu verbieten. Und so kann weiter im Namen Gottes zum Mord an Homosexuellen aufgerufen werden.
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Homophobe Volksinitiative mit Hilfe der CDU erfolgreich
In Hamburg zeigte die CDU, wie sie noch immer auf Queerfeindlichkeit setzt: Dort startete die queerfeindliche Aktivistin Sabine Mertens eine Initiative gegen das Gendern – und teilte nebenbei noch gegen Homosexuelle aus, die sie zur Gefahr für die menschliche Zivilisation erklärte. Die Reaktion der CDU: Sie warf nach dem Ausbruch ihre ganze Unterstützung hinter Mertens und sammelte Unterschriften für das Anliegen der Homo-Hasserin.
Kulturkampf um Bier
Ein bizzarrer Streit um Bier hat sich dieses Jahr in den USA zugetragen: Die Marke Bud Light heuerte eine Reihe von Influencer*innen an, um für das Diät-Bier zu werben, darunter auch Dylan Mulvaney. Gegen die Inklusion der trans Persönlichkeit kam es zu einem großen geschürten Shitstorm und Boykottaufrufen.
BVB verpflichtet Homo-Hasser
Deutsche Fußballvereine haben in den letzten Jahren wiederholt betont, wie wichtig es sei, dass der Sport für alle offen ist – auch für queere Menschen. Die hehren Ideale wurden im Fall Felix Nmecha aber schnell vergessen. Der deutsche Nationalspieler macht offen Stimmung gegen trans Menschen – und begründet das mit seinem christlichen Glauben. Weil er gut kicken kann, hat der BVB ihn wenige Monate nach seinen Ausbrüchen gekauft, trotz Protesten auch aus den Reihen der Fans. Merke: Moral endet dort, wo man sich einen sportlichen Vorteil verspricht.
Mehr zum Thema:
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