https://queer.de/?47992
Kommentar
92 Fragen zum SBGG: Wenn die Union die Arbeit der AfD übernimmt
Die "Kleine" Anfrage der CDU/CSU-Fraktion zum geplanten Selbstbestimmungsgesetz ist eine ziemlich ungenießbare Mischung aus Halbwissen, Ressentiments, Unterstellungen und Ablenkungsmanövern.

Hat die Kleine Anfrage unterschrieben: CDU/CSU-Fraktionschef Friedrich Merz (Bild: IMAGO / dts Nachrichtenagentur)
- Von
30. Dezember 2023, 04:53h 7 Min.
Die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag hat der Bundesregierung eine Kleine Anfrage (PDF) zum geplanten Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) übermittelt. Sie umfasst 92 Fragen! "Klein" meint im parlamentarischen Alltag jedoch – und im Gegensatz zu einer Großen Anfrage, die eine Debatte im Bundestag zum Ziel hat -, dass sie von der Bundesregierung lediglich schriftlich beantwortet wird. Klein hat also nichts mit dem Umfang zu tun – das nur am Rande.
Nicht dass es keine offenen Fragen beim SBGG geben würde bis hin zu offenkundigen Widersprüchen. Es gibt sie leider – das haben zahlreiche Stellungnahmen der letzten Monate oft genug klargemacht. Stellungnahmen, die ein SBGG allerdings grundsätzlich befürworten. Das wiederum unterscheidet sie vom Fragenkatalog der Union ebenso deutlich. Zwei davon spricht die Union sogar an, nämlich die Datenübermittlungspflicht und die Regelung im Verteidigungsfall. Immerhin.
Populistische Stimmungsmache statt sachlicher Auseinandersetzung
Ansonsten stellen diese 92 Fragen ein wirres Sammelsurium dar, das eines vor allem nicht sucht: eine wirklich sachlich zu nennende Auseinandersetzung mit dem SBGG. Halbwissen, gepaart mit Ressentiments, Unterstellungen im Wechsel mit Ablenkungsmanövern, dazwischen ab und zu eine Witzfrage – kurz und nicht gut: eine ziemlich ungenießbare Mischung. Von einer Anerkennung des im Gesetzentwurf verankerten Selbstbestimmungsgedankens in der Frage der Geschlechtszugehörigkeit, basierend auf dem Grundrechtsschutz der freien Entfaltung der Persönlichkeit, also dem eigentlichen Kern des Ganzen, ist in der Unions-Anfrage weit und breit keine Spur.
Anstatt Sachlichkeit dominiert in der Art und Weise, wie und was gefragt wird, erkennbar eine leider allzu vertraute populistische Stimmungsmache. Das beginnt schon mit der Vorbemerkung, wo von der Möglichkeit die Rede ist, "dass beinahe ausnahmslos jede Person 'auf Zuruf' ihren Geschlechtseintrag ändern kann", und das auch noch im jährlichen Wechsel. Nein, zum Mitschreiben: Das SBGG regelt Angelegenheiten, die ausschließlich trans, inter und nichtbinäre Personen (TIN) betreffen. Für die überwiegende Mehrheit ändert sich in Fragen des Geschlechts überhaupt nichts. In transfeindlichen Narrativen ist das allerdings eine stets wiederkehrende Behauptung, Millionen von Männern ("beinahe ausnahmslos jede Person" heißt es in der Anfrage) würden nur darauf warten, ihren Geschlechtseintrag ändern zu lassen, um ungehindert in geschützten Frauenräumen einzudringen. Man schürt Ängste und verbreitet Panik. Genau das ist es.
Beifall von Rechtsaußen
Was mag wohl dahinterstecken, dass die Union jetzt scheinbar die Arbeit der AfD übernommen hat. Politisches Kalkül etwa? Wenn das nicht eine Fehlkalkulation ist, denn wählt man dann nicht besser das Original? Dieses "auf Zuruf" würde ich auf jeden Fall als AfD-Sprache einordnen. Eines ist der Union damit schon mal sicher, nämlich der Beifall von Rechtsaußen, also von all jenen, die sich auf Kosten von marginalisierten Gruppen lustig machen über den sogenannten "Gender-Gaga". So wird die Kleine Anfrage von rechten Webseiten bereits seit Tagen gefeiert. Neu ist für mich nur, dass das nun die Politik der Mitte sein soll. Wo bleibt da die politische Verantwortung für genau diese gesellschaftliche Mitte, zu der schließlich auch TIN-Personen gehören, auch wenn sie gerne an den Rand geschoben werden?
CDU und CSU haben, wie die Ausschuss-Anhörung vom November bereits zeigte, bestimmte "Lieblingsthemen", als da wären der Schutz der Minderjährigen, medizinische Indikationen, die Gutachtenfrage und das Thema Pflichtberatung. Das sind auch die "Lieblingsthemen" in den transfeindlichen Diskursen, wie sie von "Emma" & Co. immer wieder aufgewärmt werden.
Türöffner für medizinische Maßnahmen?
Nun regelt das SBGG ausdrücklich keine medizinischen Fragen, sondern lediglich, auf welche Weise eine Person zu seinem richtigen Geschlechtseintrag und zu einem passenden Namen kommt, und zwar je nach Altersstufe unterschiedlich. Behauptet wird, dass diese Änderungen im Fall von Minderjährigen zum Türöffner für medizinische Maßnahmen werden würden.
Die Realität in der medizinischen Praxis sieht anders aus. Dass Kinder und Jugendliche gleichwohl ernstgenommen werden müssen, steht dabei wohl außer Frage. Siehe hierzu die Praxiserfahrungen von Dagmar Pauli. Hier auch der Hinweis auf eine weitere Publikation als Orientierungshilfe: "Familien mit trans* und nicht-binären Kindern" (eine Buchbesprechung folgt).
Es wird so getan, als ob Minderjährige vor dem SBGG geschützt werden müssen, als gehe von ihm eine Bedrohung für Jugendliche aus. Das ist nichts anderes als eine Verkehrung der Wirklichkeit. Denn in Wahrheit erleben gerade trans Jugendliche in ihrem Lebensalltag, also in Schule und Ausbildung, massive Diskriminierungen, weil sie ständig misgendert werden, weil ihre Zeugnisse einen falschen Namen enthalten, der nicht ihrer gelebten Identität entspricht, und noch mehr dieser Art. Das SBGG bringt für TIN-Jugendliche eine Erleichterung.
Trans ist keine Krankheit
Die Unionsparteien trauern der Begutachtungspflicht nach, weil sie nach wie vor glauben, trans sei eine Krankheit, die diagnostiziert werden könne. Dabei gilt in der Bundesrepublik längst der international anerkannte Diagnosekatalog ICD-11, in dem Trans-Sein nicht mehr als psychische Erkrankung geführt wird, sondern als Geschlechtsinkongruenz. Aber auch für sie gibt es keinen anderen Nachweis als den der Selbstauskunft. Das haben seriöse Gutachter*innen längst erkannt und haben sich deshalb von der Begutachtung aus berufsethischen Gründen verabschiedet.
Die Geschlechtsidentität ist zum wesentlichen Merkmal bei der Beantwortung der Geschlechtszugehörigkeit geworden. Im SBGG ist das so festgeschrieben. CDU und CSU ist das allerdings nicht geheuer. Dabei hätte sie nur die verfassungsrichterlichen Begründungen lesen brauchen, auf die seit 1978 das Bundesverfassungsgericht seine Argumentation baut. Dass die Mehrheit der Menschen sich mit dem "biologischen Geschlecht", also den Genitalien, identifizieren, ist zwar eine Tatsache, aber eben unerheblich, wenn es um trans geht. Auf diese Weise kommen dann auch Fragen zustande, wie etwa diese, die wohl eher als Witz zu verstehen ist:
Woran erkennen nach Auffassung der Bundesregierung Eltern eines 1-jährigen Kindes, dass ihr Kind eine andere Geschlechtsidentität hat, als das Geschlecht, das die Hebamme bei der Geburt festgestellt hat […].?
In dieselbe Kategorie passt auch die Frage, die einen eklatanten Wissensmangel in der Verfassungsrechtsprechung offenbart:
Auf welche Rechtsgrundlage stützt die Bundesregierung die Ermächtigung für Standesbeamte, personenstandsrechtliche Einträge zu ändern und zu beurkunden, die nicht auf eine nach außen wahrnehmbare Tatsache, sondern auf ein Gefühl zurückzuführen sind?
Das sollte die Union vielleicht auch die Amtsgerichte fragen, die seit 1981 genau das tun, was künftig das Standesamt erledigen soll.
Die queere Community braucht eine starke journalistische Stimme – gerade jetzt! Leiste deinen Beitrag, um die Arbeit von queer.de abzusichern.
Aufklärungsarbeit als Sisyphos-Aufgabe
Und vielleicht noch dies: Natürlich geht es auch um Frauenquote und -förderung, wobei mir nicht klar ist, warum trans Frauen davon ausgeschlossen sein sollen. Und schließlich geht es der Union in Frage 78 um Frauenparkplätze. Letztere sind hoffentlich wirklich hilfreich, um Frauen (inklusive trans Frauen) vor sexualisierter Gewalt im öffentlichen Raum zu schützen. Aber da sie nicht in der Straßenverkehrsordnung verankert sind und auch in keinem Bußgeldkatalog stehen, stellen sie nur eine Empfehlung dar. Jeder Mann kann ungestraft einen Frauenparkplatz zuparken und braucht dafür kein SBGG. Warum weiß die Union so etwas nicht und stellt stattdessen unsinnige Fragen?
Lassen wir es dabei. Wenn ich nicht wüsste, dass es in der Union auch aufgeklärte Politiker*innen gäbe, könnte man wirklich verzweifeln über den Unions-Mainstream, der sich auf einem bedenklichen, wenn nicht gefährlichen Rechtskurs befindet.
Eine persönliche Bemerkung zum Schluss: Seit fünf Jahren bin ich transaktivistisch unterwegs und betreibe, wo immer möglich, Aufklärung der Mehrheitsgesellschaft in Sachen trans. Kommt das irgendwo an? Angesichts einer Haltung zur Selbstbestimmung, wie sie die Union an den Tag legt, erscheint mir Aufklärungsarbeit doch nur wie eine Sisyphos-Aufgabe. Wenn andere mir Fragen stellen und ich ihnen das Trans-Sein erklären soll, dann habe ich damit kein Problem. Aber trans ist kein Hobby, sondern meine Existenz als Mensch. Deshalb habe ich etwas dagegen, wenn sich andere in mein Leben einmischen, es für verhandelbar halten oder sie es mir gar noch erklären wollen. Kein Mensch muss sich dafür rechtfertigen, was er ist. Nur für trans Menschen scheint das nicht zu gelten. Das ist jedenfalls eine der Botschaften aus der Unions-Anfrage an die Bundesregierung.
Links zum Thema:
» Die Kleine Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion als PDF















