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TV-Tipp

Schwule als Sicherheitsrisiko: Die Homophobie der Bonner Republik

Heute vor 40 Jahren berichtete die SZ erstmals über die Entlassung des Vier-Sterne-Generals Günter Kießling. Die sehenswerte ARD-Doku "Sicherheitsrisiko schwul – Die Affäre Kießling" erzählt diese Geschichte voller Doppelmoral.


Der heterosexuelle General Günter Kießling (li.) wurde vor 40 Jahren von Verteidigungsminister Manfred Wörner (CDU) entlassen, weil er für schwul gehalten wurde (Bild: SWR / picture-alliance / dpa)

Ob die Bundeswehr heute ein besonders homofreundlicher, inklusiver und diskriminierungsfreier Ort ist, darüber lässt sich sicherlich streiten, auch wenn sie aktuell auf diesem Portal um Nachwuchs wirbt. Doch ohne Frage sind Deutschlands Streitkräfte viel offener geworden für queere Menschen. Vor vierzig Jahren war das noch ganz anders.

Eine neue, sehr sehenswerte ARD-Doku von Simone Schillinger mit dem Titel "Sicherheitsrisiko schwul – Die Affäre Kießling" (am 8. Januar 2024 um 23.05 Uhr im Ersten und ebenfalls ab 8. Januar in der ARD-Mediathek) widmet sich dem wohl bekanntesten "Homo-Skandal" in der Bundeswehr. Heute vor genau 40 Jahren, am 4. Januar 2023, berichtete die "Süddeutsche Zeitung" erstmals über die Entlassung des Vier-Sterne-Generals und damaligen stellvertretenden NATO-Oberbefehlshabers Europa, Günter Kießling.

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"Männerbekanntschaften" im "Milieu"

Die Gründe wurden nach und nach bekannt: Kießling soll angeblich schwul sein, im "Milieu" in Köln verkehren, wie es damals abfällig hieß, und in zwei Kneipen der Altstadt sogar "Männerbekanntschaften" gehabt haben. Der General galt plötzlich als Sicherheitsrisiko, weil er wegen seiner angeblichen Homosexualität erpressbar sei. Ein gefundenes Fressen für die Boulevardpresse. Der damalige "Express"- Chefredakteur Udo Röbel berichtet in der Doku, dass man kompromittierende Details ausgraben wollte.

Zwar war Homosexualität seit 1969 in der Bundesrepublik nicht mehr grundsätzlich strafbar. Doch die Bundeswehr reglementierte regelmäßig Menschen, die als – so der offizielle Begriff – "homophil" galten. Ihnen wurde eine weitere Karriere sogar schriftlich untersagt, wie Sven Bäring, Vorsitzender des Vereins QueerBw, im Film berichtet.

Im Fall Kießling wurde ein solcher Verdacht innerhalb von Monaten zu einer kleinen Staatskrise. Die Affäre kam anderthalb Jahre, nachdem die damalige CDU-FDP-Regierung in Bonn unter Bundeskanzler Helmut Kohl angetreten war – und sie wurde zur Bedrohung für den damaligen CDU-Verteidigungsminister Manfred Wörner. Denn Kießling wehrte sich, ging in die Öffentlichkeit, bestritt in mehreren vielbeachteten Interviews homosexuell oder jemals in einer der Kölner Kneipen in Köln gewesen zu sein.

Nahezu parallel zur "Affäre Kießling" ereignete sich das öffentliche Coming-out des Bundeswehr-Offiziers Michael Lindner, der auch in der Doku aussagt – er wurde sofort in den Ruhestand versetzt, musste drei psychologische Gutachten durchlaufen. Doch Lindner klagte, wollte wieder eingestellt werden, was ihm schließlich auch gelang.

Kießling wurde verwechselt

Bundeskanzler Kohl äußerte sich wochenlang nicht zur Affäre, wollte sie aussitzen. Doch dann wurde ein Doppelgänger gefunden, ein Wachmann namens "Jürgen", der Kießling sehr ähnlich sah – der "Vorwurf" gegen den heterosexuellen General, schwule Bars besucht zu haben, fiel in sich zusammen.

Erschütternd ist es, in der Doku zu sehen, welch Aufregung und welche Doppelmoral in Politik und Medien damals noch herrschten. Selbst der WDR schickte Fernsehreporter in eine der Altstadt-Kneipen und befragte den jungen Barmann, als ob dort Verbrechen begangen wurden. Am Ende wurde Günther Kießling rehabilitiert, wieder eingestellt und schließlich ehrenhaft entlassen. Ein MAD- und ein Ministeriums-Mitarbeiter mussten dagegen ihre Posten räumen. Verteidigungsminister Wörner bot seinen Rücktritt an, doch Kohl hielt an ihm fest.

Der ehemalige Kompaniechef Michael Lindner musste hingegen zwanzig Jahre für sein Recht kämpfen, wurde erst 2004 rehabilitiert. Seit 2000 gilt Homosexualität in der Bundeswehr nicht mehr als Entlassungsgrund, und dennoch ging es nur langsam voran. Erst 2020 entschuldigte sich die damalige Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) offiziell für erlittenes Unrecht (queer.de berichtete). Ein Jahr später beschloss der Bundestag schließlich das SoldRehaHomG abgekürzte Gesetz, das eine Entschädigung von 3.000 Euro für betroffene queere Soldat*innen in der Bundeswehr und der Nationalen Volksarmee der DDR vorsieht (queer.de berichtete).

Michael Lindner sagt im Film, dass sein langer Kampf sich dennoch gelohnt habe, noch heute erhalte er hin und wieder Briefe von jungen Schwulen, die sich bei ihm bedankten. Insofern präsentiert der Film, vierzig Jahre nach der "Affäre Kießling", doch auch ein Happy End.

Die Dokumentation "Sicherheitsrisiko schwul – Die Affäre Kießling" läuft am Montag, den 8. Januar 2024 um 23.05 Uhr im Ersten und ebenfalls ab 8. Januar in der ARD-Mediathek

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