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Queerfilmnacht
Schwule Liebe in der Fischfabrik
Es soll sein norwegischer Traum werden: Der Pole Robert zieht an einen Fjord, um dort Lachse zu zerlegen. Die Gefühle für einen Kollegen bringen ihn durcheinander – und das ist nicht sein einziger Kampf. "Norwegian Dream" mischt gekonnt Coming-out- und Arbeiter*innen-Film.

Der polnische Arbeiter Robert (Hubert Milkowski, l.) verliebt sich in Ivar (Karl Bekele Steinland), den Adoptivsohn des Fabrikeigentümers (Bild: Salzgeber)
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7. Januar 2024, 04:14h 3 Min.
Unberührte Natur, lange Fjorde, unbewaffnete Polizei und eine offene Gesellschaft, die sozialdemokratisch geprägt ist: Norwegen kann sich über sein Image in der Welt wahrlich nicht beschweren.
Doch wie das mit idealisierten Sehnsuchtsorten so üblich ist, kann das Bild schnell Risse bekommen. Die Postschiff-Werbung verfängt zwar, doch der polnisch-norwegische Filmemacher Leiv Igor Devold ist mit seinem Spielfilmdebüt "Norwegian Dream" angetreten, das reiche Land anders darzustellen.
Von Postkartenidylle ist da keine Spur. Die Landschaftsaufnahmen, die Kameramann Patryk Kin einfängt, sind allesamt diesig, bläulich-kühl, bedrückend. Und der Blick von der spartanisch eingerichteten Arbeiter*innen-Unterkunft auf die Küste, der wird nach einer Stunde auch langweilig, warnt der Zimmernachbar Marek (Jakub Sierenberg in einer überzeugenden Nebenrolle) gleich vor.
Robert muss Lachse im Akkord zerlegen

Poster zum Film: "Norwegian Dream" startet am 1. Februar 2024 im Kino und ist im Januar bereits in der Queerfilmnacht zu sehen
Aber für die Aussicht ist Robert (Hubert Milkowski, bekannt aus dem Netflix-Film "Operation Hyacinth") auch nicht in die Nähe von Trondheim gezogen. Der junge Pole will in Norwegen Geld verdienen, so wie fast Hunderttausend seiner Landsleute auch. Zu Hause wartet seine verwitwete Mutter mit einem Berg Schulden. In einer Fischfabrik zerlegt er Lachse: Fließbandarbeit im Akkord. Los, los, los peitscht der Vorarbeiter die Leute an. Kein Wunder, dass Norwegen der mit Abstand weltgrößte Lachsproduzent ist.
Die Bilder in der Fabrik wirken fast dokumentarisch. Regisseur Leiv Igor Devold schafft es so, mit "Norwegian Dream" an die große Tradition des norwegischen Arbeiter*innenfilms anzuknüpfen. Insbesondere in der Zwischenkriegszeit wurde dort der Film als Teil des politischen und kulturellen Ideenkampfes erkannt. Olav Dalgard etwa schuf mehrere Filme für den Gewerkschaftsbund. Der bekannteste und politisch erfolgreichste ist wohl "Samhold må til" von 1935: Nachdem rund 90.000 Norweger*innen (bei einer Gesamtbevölkerung von nicht einmal drei Millionen) den Film sahen, wurden 160 neue Gewerkschaften gegründet.
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Homophobie hat Spuren bei Robert hinterlassen
Die Gewerkschaft ist es auch, die sich für die Kolleg*innen von Robert einsetzen will. Die Arbeitsbedingungen sind alles andere als ideal, die Überstundenregelung sogar illegal. Soll der junge Pole sich anschließen, auch wenn ihm das seinen Job kosten könnte?
Zum Arbeitskampf kommt ein weiterer Konflikt: Robert fühlt sich zu seinem Vorarbeiter (und Fabrikbesitzerssohn) Ivar (Karl Bekele Steinland) hingezogen. Das dürfen seine hypermaskulinen polnischen Kollegen auf keinen Fall wissen, und der 19-Jährige selbst will das eigentlich auch nicht wahrhaben. Die Homophobie seiner nordostpolnischen Heimat Białystok hat Spuren hinterlassen. Ivar schwankt dabei bis zuletzt zwischen Verständnis und Resignation. Die zwei Darsteller Hubert Milkowski und Karl Bekele Steinland funktionieren dabei hervorragend als eigenständige Gegenpole, die mehr sind als nur Typen-Schablonen.
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Robert kämpft um die Liebe
Und so wird "Norwegian Dream" ein Film der Kämpfe: gegen das kapitalistische System, gegen einen ausbeuterischen Arbeitgeber, erst gegen Gefühle, dann um die Liebe. Stellenweise wirkt das Drama da sogar zunächst ein wenig überfrachtet, etwa als auch noch Roberts Mutter auftaucht, weil sie sich ebenso ihren norwegischen Traum erfüllen will – oder vielmehr: im Angesicht der Schulden muss.
Doch vielleicht ist es genau das, was das Drama vermitteln möchte: Das Leben ist voller Kämpfe. Arbeitsmigration, selbst innerhalb Europas, hat auch Schattenseiten. Das Ausbeuten vieler macht wenige reich. Um Liebe kämpfen lohnt sich.
Norwegian Dream. Drama. Norwegen, Polen, Deutschland 2023. Regie: Leiv Igor Devold. Cast: Hubert Miłkowski, Karl Bekele Steinland, Edyta Torhan, Øyvind Brandtzæg. Laufzeit: 97 Minuten. Sprache: deutsche Synchronfassung. FSK 12. Verleih: Salzgeber. Kinostart: 1. Februar 2024. Im Januar 2024 bereits in der Queerfilmnacht
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