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Filmkritik
Warum trans Menschen "Next Goal Wins" besser nicht anschauen sollten
Taika Waititis Sportkomödie "Next Goal Wins" ist eine kaum erträgliche Erzählung darüber, dass noch das größte Arschloch Verständnis bei seiner persönlichen Heldenreise auf dem Weg zum absoluten Minimum verdient.

Szene aus "Next Goal Wins": Die nicht-binäre trans Frau Jaiyah Saelua (Kaimana) ist Teil der Männer-Fußballnationalmannschaft von Amerikanisch-Samoa (Bild: The Walt Disney Company Germany GmbH)
- Von Lilith Poßner
7. Januar 2024, 08:55h 5 Min.
Die längste Zeit gab es für die Darstellung von Transweiblichkeit in Hollywood zwei Wege: Man zeigte sie als mörderisches Irresein ("Psycho", "Das Schweigen der Lämmer") oder als Perversion, die zuverlässig Ziel selbstgewisser Publikumslacher wurde ("Ace Ventura", "The 40 Year-Old Virgin", unzählige weitere). Seit Ende der 1990er Jahre traten langsam einfühlsamere Aushandlungen in den Mainstream, die ihre Stoffe jedoch noch versteckt thematisieren mussten ("Matrix") oder es nur ausnahmsweise in die Zentren des Films schafften ("Ma vie en rose"). Erst ab 2010 finden sich regelmäßiger offene, nicht-stereotype Darstellungen von Transweiblichkeit in Filmen und Serien des westlichen Mainstreams wieder. In diesem Trend entwickelte sich auf den Bildschirmen auch zunehmend Platz für transfeminine Nebenrollen.
Die in den letzten 15 Jahren allgemein gestiegene Sichtbarkeit von trans Frauen bedeutet jedoch nicht automatisch auch gestiegene Sicherheit. Vielmehr hat die politische Rechte Transfeindlichkeit als Scharnierideologie entdeckt. Der queerfeindliche Rollback nimmt international immer mehr an Fahrt auf und kann umso freier hantieren, als Transpolitik die meisten cis Personen – auch innerhalb der queeren Community – bis auf gefühlige Lippendienste an den üblichen festen Kalendertagen schlicht nicht interessiert. Zu den immergleichen Feldern ideologischer Polarisierung zählen neben der Trans-Gesundheitsversorgung, der öffentlichen Sichtbarkeit und trans Kindern vor allem geschlechtergetrennte Räume wie der Sport.
Die queere Geschichte von "Next Goal Wins"

Poster zum Film: "Next Goal Wins" läuft seit 4. Januar 2023 im Kino
Es ist also auch eine politische Entscheidung Taika Waititis, mit "Next Goal Wins" eine Sportkomödie über die Qualifikationsspiele der Fußball-Nationalmannschaft Amerikanisch-Samoas für die WM 2014 zu drehen: Teil der damaligen Männermannschaft war auch die nicht-binäre trans Frau Jaiyah Saelua, die als erste offene trans Person ein WM-Qualifikationsspiel bestritt. "Next Goal Wins" erzählt vor allem die Geschichte des unwahrscheinlichen Siegs der schlechtesten Fußball-Nationalmannschaft der Welt – darin aber auch, als Nebenrolle, die Geschichte Jaiyahs (Interview mit Jaiyah Saelua).
Entwickelt wird der Plot entlang der Perspektive Thomas Rongens, des gescheiterten und exilierten, stramm US-amerikanischen neuen Trainers. Erzählt wird nur vordergründig eine Sportgeschichte. Vielmehr geht es um den tausendmal durchgekauten, aber witzelnd garnierten Stoff der widerwilligen Selbstfindungsreise eines weißen cis Manns in der Fremde, der sich letztlich echtem Glück zuwendet. Nimmt der Film dieses koloniale Narrativ und die herrisch-ignorante Art des Trainers aufs Korn, so taucht Jaiyah vor allem als Gelegenheit zum Toleranztraining und Ziel von Übergriffen auf.
Geschrieben für ein cis Publikum
Die Figur ist für die Augen eines cis Publikums geschrieben. Kein Klischee ist zu schade, um ausgelassen zu werden: Bereits in ihren ersten Sätzen und auch danach geht die Sache wortwörtlich in die Hose. Ebenso erwartbar bleibt der zunächst bloß irritierte Rongen von der blumigen Toleranz-Metaphorik unbeeindruckt, mit der ihm die Frau im Team erklärt wird. Anschließend muss Jaiyah sich durch ihren Trainer spießrutenartig das ABC der Transmisogynie gefallen lassen, während ihr Team ihr die Schuld an der Eskalation der Situation gibt.
Jaiyah, lässt uns der Film durch ihr Team wissen, reagiert übertrieben, wenn sie sich gegen wiederholte Grenzüberschreitungen und die Abwertung ihres Körpers mit einer angekündigten Kopfnuss wehrt. Der Trainer scheint zwar dunkel unsensibel zu sein, Verständnis oder Schutz aber werden in der Übergriffs-Situation nicht Jaiyah zuteil, sondern Rongen. Wer solche Verbündeten hat, braucht keine Feinde mehr.

Jaiyah Saelua (Kaimana) und Trainer Thomas Rongen (Michael Fassbender) in "Next Goal Wins" (Bild: The Walt Disney Company Germany GmbH)
Rongens Fehler besteht darin, ein wenig zu unverblümt auszusprechen, was das Publikum eh insgeheim denkt: Ist es nicht doch eine Zumutung, wenn so eine Bestandteil eines Profisportteams ist? Der Film legt nur einen Umgang mit Rongens Gewalt nahe: Jaiyah hat sie auszuhalten, bis ihr Trainer sie irgendwann, notgedrungen, akzeptiert. Sie wird als hinzunehmendes Durchgangsstadium seiner kulturellen Akklimatisierung behandelt. Am Ende haben irgendwie beide Schuld und liegen sich nach Jongens Läuterungsprozess im Sinne der Toleranzfabel harmonisch in den Armen. In den schematischen Pointen der vorhersehbar sich abspulenden Situation fühlen sich herzlich ressentimentgeladene Lacher aus dem Publikumssaal pudelwohl. In Sachen Queerness ist "Next Goal Wins" eine Erzählung darüber, dass noch das größte Arschloch Verständnis bei seiner persönlichen Heldenreise auf dem Weg zum absoluten Minimum verdient.
Abgeschmackte Toleranz- und Versöhnungserzählung
Später unterbricht Jaiyah ihre Hormontherapie vor dem Spiel zur Leistungssteigerung. Diese Darstellung beruht auf einem Problem, vor dem die historische Jaiyah stand und transfeminine Personen heute immer noch stehen: womöglich zwischen der Karriere und der (medizinischen) Transition wählen zu müssen. Den systematisch mit Fehlinformationen geführten Diskussionen um trans Frauen im Sport erweist Waititi mit der medizinisch unrealistischen Timeline und der am Ende undifferenziert hängenbleibenden Darstellung, Testosteron gleich Leistung, in der Tendenz einen Bärendienst.
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Auf einen wirklich subversiven Bruch transmisogyner Narrative wartet man vergebens. Der Unterschied zur 1990er-Jahre-Comedy besteht in drei Punkten: Manche der Pointen bringt Jaiyah selbst, ihre Transweiblichkeit wird zumindest vom Team innerhalb der Tradition der Faʻafafine als selbstverständlich verortet und die Geschichte wird durch eine abgeschmackte Toleranz- und Versöhnungserzählung gerahmt. Gut gemeint, ist die Figur leider schlecht geschrieben – wenn auch exzellent gespielt.
Als cis Person kann man den Kinosaal mit dem wohligen Gefühl verlassen, dass das mit dem Gender-Kram schon wird, solange man sich nur vorübergehend an den Queers abreagiert. Als trans Frau muss man die kollektiven Lacher des Kinopublikums von sich abschütteln wie alten, schmierigen Belag. Dem traditionell angespannten Verhältnis von Queers zu Ballsportarten hat Waititi mit "Next Goal Wins" eher keinen Gefallen getan.
Next Goal Wins. Komödie. USA 2023. Regie Taika Waititi. Cast: Will Arnett, Elisabeth Moss, Michael Fassbender, Oscar Kightley, Kaimana, David Fane, Rachel House, Beulah Koale, Uli Latukefu, Semu Filipo, Lehi Falepapalangi. Laufzeit: 105 Minuten. Sprache: deutsche Synchronfassung. FSK 0. Verleih: Walt Disney. Kinostart: 4. Januar 2024
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