Hauptmenü Accesskey 1 Hauptinhalt 2 Footer 3 Suche 4 Impressum 8 Kontakt 9 Startseite 0
Neu Presse TV-Tipps Termine
© Queer Communications GmbH
https://queer.de/?48191

Interview

Zoe Lohmann: "Dragkings sind relevanter denn je"

Eine neue ZDF-Reportage, die am 28. Januar ausgestrahlt wird, beschäftigt sich mit Dragkings. Wir sprachen vorab mit Protagonistin Zoe Lohmann über die Dominanz der Queens, Vorurteile gegen Performerinnen sowie ihre Kritik an "Drag Race".


Zoe Lohmann (30), verwandelt sich in Dragking Alexander Cameltoe (Bild: ZDF / Stephanie Paersch)

Am Sonntag, den 28. Januar 2024 wird das ZDF um 09.03 Uhr eine "37° Leben"-Reportage mit dem Titel "Drag Kings – Auf der Bühne Mann" ausstrahlen. In dieser werden zwei Protagonistinnen in ihrem Leben als Dragkings begleitet, darunter die 30-jährige Zoe Lohmann, die als Alexander Cameltoe im vergangenen Jahr beim EuroPride in Malta auftrat.

Während Dragqueens wie Olivia Jones bereits seit vielen Jahrzehnten in aller Munde sind, war es in der breiten Masse um Dragkings lange still. Als Dragkings bezeichnet man laut bpb.de "meist […] Personen, denen bei der Geburt das weibliche Geschlecht zugewiesen wurde, und die, u. a. im Rahmen von künstlerischen Performances, Männlichkeit(-en) darstellen bzw. parodieren".

Wir sprachen mit Zoe Lohmann über ihren Weg nach oben und was sich in der Drag-Szene dringend ändern muss.

- w -

Du bezeichnest die Drag-Kunst als Therapie. Inwiefern hilft dir diese in deinem Alltag?

Drag ist die bewusste und humorvolle Auseinandersetzung mit den Erwartungen, welche die Gesellschaft an uns aufgrund unseres Geschlechts oder Aussehens stellt. Ich sage immer, dass ich kein wirkliches "coming out of the closet" hatte, es ist eher ein fortlaufendes "cleaning out of the closet" – ein ewiges Ausmisten. Wenn man einmal erkannt hat, dass einige von den "Wahrheiten" in den traditionellen Mustern nicht zu einem passen, fängt man plötzlich an, alles zu hinterfragen. Man schaut sich alles der Reihe nach an und entscheidet sich dafür, die Dinge beizubehalten, die für einen funktionieren, und Dinge abzulegen, die nicht mehr zu einem passen. Ich glaube, es ist gesund, aus etwas hinauszuwachsen und sich hin und wieder etwas Nettes und Neues zu gönnen.

Gleichzeitig merkst du aber auch an, dass den meisten Menschen bisher nur Dragqueens bekannt sind – und sich viele unter Dragkings nichts vorstellen können. Was denkst du, woran dies liegt?

Es gibt mehrere Theorien. Ich denke, dass an allen etwas dran ist, aber dass es keine davon genau auf den Kopf trifft. Oft wird gesagt, dass viele Clubs und Bars von schwulen Männern dominiert werden und diese eher zu Dragqueens hingezogen sind, um ihre feminine Seite auszuleben. Das mag zwar stimmen, ist aber nicht alleine und nicht Grund genug für die extremen Unterschiede in Anerkennung zwischen Kings und Queens. Es gibt auch die Begründung, dass es einfach schockierender ist, wenn Leute einen "Mann in Frauenkleidern" sehen als andersrum. Das stimmt natürlich. Wir leben in einer patriarchalen Gesellschaft, in der das Ablegen des Privilegs, männlich gelesen zu sein, ein Skandal, ein Betrug ist, wohingegen das "Streben" nach Männlichkeit, wie es maskulinen AFAB (Assigned Female at Birth) Personen unterstellt wird, keine Bedrohung darstellt.

Die Queer-Kollekte
Die queere Community braucht eine starke journalistische Stimme – gerade jetzt! Leiste deinen Beitrag, um die Arbeit von queer.de abzusichern.
Jetzt unterstützen!

Und wie könnte man die Bekanntheit von Dragkings künftig steigern?

Ich glaube, es wird Leuten langsam bewusst, dass es bei Drag nicht darum gehen sollte, sich über Frauen oder Männer lustig zu machen. Gut gemachter Drag ist eine intelligente und humorvolle Kritik der Stereotypen. Das heißt, dass Dragkings relevanter denn je sind. Es gibt so viel Dialog über "toxische Männlichkeit", aber immer noch viel zu wenig Repräsentation von gesunder, schöner, liebevoller Männlichkeit. Es ist zu einfach zu sagen, dass toxische Männlichkeit schlecht ist. Wir müssen vorwärts denken und diese Ideen künstlerisch vorantreiben. Aber ich glaube, wir sind mittlerweile mehr als reif dafür.

Ende 2023 gab es von einigen Zuschauer*innen große Kritik daran, dass Pandora Nox als cis Frau bei "Drag Race Germany" gewonnen hat. Wie beurteilst du dies?

Ich muss zugeben, dass ich die Sendung aus mehreren Gründen nicht mehr schaue. Die Kritik, die ich aber gehört habe, geht völlig am Kern der Kunstform vorbei. Jeder, der noch denkt, dass es bei Drag nur um das Nachahmen von Weiblichkeit geht, und dass die Transformation von Mann zu Frau die höchste Qualifikation dazu ist, hat den Schuss noch nicht gehört.


Gruppenfoto Drag Kings bei der Kings of Munich-Drag-Show in München (Bild: ZDF / Stephanie Paersch)

Würdest du dir denn wünschen, dass es für Dragqueens und Dragkings unterschiedliche Formate und Plattformen geben soll – oder lieber gemeinsame?

Sich wieder in eine binäre Teilung einzufinden, ist total sinnbefreit. Was ich mir wünsche, ist ein Ende von kompetitiven Strukturen in unserer Industrie. Ich wünsche mir mehr Kollaboration, mehr künstlerische Symbiose und mehr Anerkennung für Drag-Künstler*innen, die sich interdisziplinär bewegen. Ich finde es sowieso paradox, dass von queeren Künstler*innen erwartet wird, als Einzelkämpfer*innen gegeneinander anzutreten. Das Schönste an der queeren Community ist das Gefühl von Zusammenhalt.

Deine Karriere als Dragking begann ja durch einen relativ spontanen Auftritt. Was denkst du, wie man heutzutage am besten Fuß in der Branche fassen kann?

Man sollte auf jeden Fall so viele lokale Live-Shows wie möglich ansehen! Live-Drag ist der beste Ort, um das komplette Spektrum von Drag zu erleben und Ideen und Inspiration zu sammeln. Bei den Shows lernt man auch Leute kennen, die einem wichtige Tipps und Tricks geben und die einem zu ersten Auftritten verhelfen. Es gibt auch einige Formate, die extra für neue Performer*innen konzipiert sind und einen sehr liebevoll auffangen. Viele lokale Drag-Artists bieten auch Workshops an. Ich mache zum Beispiel Make-up- und Performance-Workshops sowie private Beratungen. Das macht viel mehr Spaß, als alleine vor einem YouTube-Tutorial zu hängen, und macht einem auch viel mehr Mut, wenn man von der ganzen Sache noch etwas eingeschüchtert ist.

Dein Auftritt beim EuroPride in Malta war sicherlich eines deiner persönlichen Karrierehighlights. Was würdest du dir denn für die Zukunft noch wünschen?

Es macht mir riesigen Spaß, meine Acts auf großen Bühnen wie beim EuroPride präsentieren zu dürfen. Mein momentaner und zukünftiger Fokus liegt aber auf längeren und selbst produzierten Formaten. Im Moment arbeite ich u. a. an einem Stück namens "Cynthia", in dem es um die Erfindung der Schaufensterpuppe geht. Ich setzte mich darin mit den Paradoxen von öffentlicher und privater Persona auseinander, es wird ein Hybrid aus Dragshow, Sprech- und Puppentheater.

Bei all dem Erfolg, den du inzwischen hast: Mit welchen Vorurteilen hast du nach wie vor als Dragking zu kämpfen?

Tatsächlich kommen die Vorurteile und Kämpfe erst, seitdem ich auf größeren Mainstream-Plattformen zu sehen bin. Solange man in kleineren, lokalen Shows unterwegs ist und nur bei Live-Performances mit Publikum in Kontakt kommt, hat man einen persönlichen Bezug zu den Menschen. Man kann bei der eigenen Show eine einladende Atmosphäre schaffen und auch neue Leute "abholen". Selbst wenn dort Konflikte aufkommen, kann man versuchen, sich respektvoll und auf Augenhöhe zu begegnen.

Und was hilft dir dabei, deinen Traum weiterhin auszuleben? Beziehungsweise was wäre dein Appell an alle, die diesen Traum ebenfalls leben möchten, aber zwischendurch ins Struggeln kommen?

Ich schöpfe viel Mut daraus, dass ich immer wieder von Menschen, die mich live erleben, umwerfendes Feedback bekomme. Vor allem von Leuten, die sich sonst nicht für Drag oder queere Kunst interessieren. Neulich hat mir ein älterer Herr nach einem Auftritt gesagt, dass er sonst nie viel Geduld für "dieses ganze Drag-Zeug" hatte, aber dass er es ab sofort mit neuen Augen betrachten wird.

Ich sehe von der Bühne aus Leute, die sich schlapp lachen, und ich hatte schon weinende Leute in den Armen, die sich in einem Act wiedererkannt haben. Man merkt bei jedem Auftritt, dass man in den Leuten etwas auslöst. Drag ist, wie jede gut gemachte Kunst, gesellschaftliche Therapie. Das ist es immer wert.

Infos zur Reportage

Drag Kings – Auf der Bühne Mann, Reportage in der Reihe "37° Leben". Sendetermin: Sonntag, 28. Januar 2024, 9.03 Uhr im ZDF. Ab Freitag, den 26. Januar 2024 um 8 Uhr bereits für fünf Jahre in der ZDF-Mediathek
-w-