https://queer.de/?48322
Queer Cinema
So queer war das Sundance Film Festival 2024
Auch in diesem Jahr war die Liste der LGBTI-Geschichten lang, die es in Utah auf der Leinwand (sowie alternativ auf dem heimischen Laptop) zu sehen gab. Die Highlights stellen wir hier vor.

Einer der ungewöhnlichsten Filme im diesjährigen Sundance-Programm: Szene aus "Desire Lines" (Bild: Sundance)
- Von
1. Februar 2024, 01:59h 4 Min.
Es war zuletzt viel Bewegung drin beim Sundance Film Festival, das 1978 von Robert Redford gegründet wurde und in diesem Jahr zum 40. Mal in einem Skigebiet in Utah die alljährliche Saison der weltweit beachteten Filmfestivals eröffnete. Nach gerade einmal zwei – von der Pandemie gezeichneten – Ausgaben musste Festivalleiterin Tabitha Jackson ihren Hut nehmen; nun gab in den vergangenen zwei Wochen ihr Nachfolger Eugene Hernandez, der zuvor das Festival in New York geleitet hatte, seinen Einstand. Die aus der Corona-Not heraus geborenen Option, dass Kritiker*innen zumindest große Teile des Programms nicht nur vor Ort in Park City, sondern auch online verfolgen können, behielt er bei.
Überhaupt ist sich Sundance über all die Jahre im Kern treu geblieben. Nach wie vor wird hier das sogenannte Independent-Kino gefeiert, nicht nur, aber vor allem das US-amerikanische. Kleine, oft intime Filme also, die ohne das Geld der großen Hollywood-Studios entstanden sind und nicht selten überhaupt erst vor Ort Käufer*innen finden, die sie dann in die Kinos bringen. Und gerade auch unter der Leitung von Hernandez, der selbst schwul ist, spielte dabei das Queer Cinema einmal mehr eine große Rolle. Etliche der LGBTI-Highlights wie "Love Lies Bleeding" mit Kristen Stewart oder "I Saw the TV Glow" von Jane Schoenbrun (die beide im Februar auf der Berlinale laufen werden) waren zwar virtuell für die Presse nicht verfügbar. Doch dafür gab es andere spannende, queere Entdeckungen zu machen, auf die Filmfans sich jetzt schon freuen dürfen.
In the Summers

Szene aus "In the Summers" (Bild: Sundance)
Der Hauptpreis im Wettbewerb der US-amerikanischen Spielfilme ging – genau wie der Regie-Award – an "In the Summers" von der queeren Regisseurin Alessandra Lacorazza, die darin ganz zart und vor allem mehr episodisch als handlungsorientiert von den Schwestern Eva und Violeta erzählt, die jeden Sommer für ein paar Wochen ihren mit seinen ganz eigenen Dämonen ringenden Vater in New Mexico besuchen. Lacorazzas spürbar autobiografisch inspiriertes Spielfilmdebüt beeindruckt mit einer Behutsamkeit und Wahrhaftigkeit, die aus ganz kleinem ganz großes Kino machen. Und auch das Ensemble überzeugte auf ganzer Linie, allen voran Sasha Calle und Lio Mehiel ("Mutt").
Layla

Szene aus "Layla" (Bild: Sundance)
In der britischen LGBTI-Szene hat es Amrou Al-Kadhi, Drag-Performer*in mit irakischen Wurzeln, schon zu einer kleinen Prominenz gebracht, unter anderem dank einer Autobiografie namens "Life a a Unicorn: A Journey from Shame to Pride and Everything in Between", einer Show mit dem Titel "Glamrou: From Quran to Queen" oder einer monatlichen Kolumne in der "Gay Times". Jetzt legt Amrou mit "Layla" ein charmantes Regiedebüt vor, das sicherlich auch von persönlichen Erfahrungen geprägt ist. Die Titelfigur ist jedenfalls auch nichtbinär, Drag-Performer*in aus Leidenschaft und sucht zwischen lauter Lebenswelten, die sich falsch anfühlen, nach dem richtigen Weg zum eigenen Glück. Ein echter Glücksgriff ist dabei Hauptdarsteller Bilal Hasna, der kürzlich schon in "Extraordinary" (Disney+) entzückte und demnächst auch in "3 Body Problem" (Netflix) mitspielt.
Desire Lines
Einer der ungewöhnlichsten Filme im diesjährigen Sundance-Programm war diese Regiearbeit von Jules Rosskam, seines Zeichens Filmemacher, Künstler und Wissenschaftler. "Desire Lines" ist eine ebenso herausfordernde wie kluge Mischung aus Dokumentar- und Spielfilm sowie intellektuellem Filmessay, die auf den Spuren des Aktivisten Lou Sullivan (der sich in den 1980er Jahren als erster trans Mann öffentlich als schwul outete) einen komplexen und facettenreichen Blick auf Trans-Maskulinität wirft. Mit von der Partie sind dabei Verweise an Jacques Derrida genauso wie Shooting Star Theo Germaine ("The Politician").
Sue Bird: In the Clutch

Szene aus "Sue Bird: In the Clutch" (Bild: Sundance)
Dokumentarfilme sind seit jeher fester Bestandteil des Sundance-Programms, und dazu gehören natürlich auch immer wieder Biografien prominenter Menschen. In diesem Jahr kam dabei immer wieder Queerness ins Spiel, sei es in "Frida" (ab März bei Prime Video) über die legendäre mexikanische Malerin Frida Kahlo oder in "Luther: Never Too Much" über R'n'B-Star Luther Vandross. Nicht ganz so bekannt, zumindest für alle, die nicht seit Jahren die US-amerikanische Frauen-Basketball-Liga verfolgen: die Lebensgeschichte der fünffachen Olympiasiegerin Sue Bird, die 2022 nach 20 höchst erfolgreichen Jahren ihre Profi-Karriere in den WNBA beendete. Dass ihre Verlobte, die Fußball-Nationalspielerin Megan Rapinoe, ebenfalls im Film von Sarah Dowland vorkommt, versteht sich von selbst.
Die queere Community braucht eine starke journalistische Stimme – gerade jetzt! Leiste deinen Beitrag, um die Arbeit von queer.de abzusichern.
Ponyboi

Szene aus "Ponyboi" (Bild: Sundance)
Fünf Jahre ist es her, dass der Kurzfilm "Ponyboi" nicht nur River Gallos Abschlussarbeit im Filmstudium an der University of Southern California war, sondern sogar die Aufmerksamkeit prominenter Fans wie Stephen Fry oder Emma Thompson erregte. Nun hat Gallo die Geschichte über eine intergeschlechtliche Person und Sexarbeiter*in in New Jersey zwischen familiärem Trauma, Drogendeals und einigen unberechenbaren Gangstern zu einem langen Spielfilm ausgebaut – und zeichnete dabei natürlich wieder für Hauptrolle, Drehbuch und Produktion verantwortlich. Ein Film nicht ohne Fehler, aber mit erkennbaren Ambitionen und obendrein hochkarätigen Nebendarsteller*innen wie Dylan O'Brien, Murray Bartlett oder Indya Moore.
Mehr queere Kultur:
» auf sissymag.de
01:45h, Arte:
Naked
Teil 3: Jagen und sammeln – Diese Folge besucht u.a. ein Transpaar mit Kinderwunsch in den USA und eine Familie mit zwei homosexuellen Vätern und fünf Kindern in Israel.
Doku, D/F/CDN 2022- mehr TV-Tipps »















