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Versuch einer Rekonstruktion
Verurteilt, verschollen, verschwiegen
In seinem Buch "Wo ist Fritz?" erzählt Klaus Dieter Spangenberg das Schicksal seines schwulen Großonkels, der 1943 nach Paragraf 175 verurteilt und nach Verbüßung seiner Haft einer Strafkompanie an der Ostfront zugeteilt wurde.

Friedrich Wilhelm Spangenberg wurde 1943 denunziert und von einem Feldgericht der Wehrmacht nach Paragraf 175 zu neun Monaten Militärgefängnis verurteilt (Bild: Keine Autoreninfo)
- 4. Februar 2024, 14:05h 4 Min.
Für den gerade aus der Haft entlassenen jungen Wehrmachtssoldaten gab es nur lobende Worte: Seine Arbeitsleistung war immer "sehr gut". Gleiches galt für das Verhalten gegenüber den Kameraden. Zudem "stets einwandfrei" der Umgang mit den Vorgesetzten und vor allem auch Ordnung und Sauberkeit "ohne jede Klage". Doch das scheint wenig verwunderlich. Schließlich galt Fritz Spangenberg als "gewissenhaft", "offen" und "humorvoll" – und auch als "weltfremd" und als "Idealist". So steht es in der Schlussbeurteilung und den Entlassungspapieren, die für Fritz im Dezember 1943 vom Hauptmann des Wehrmachts-Gefängnisses Torgau an der Elbe mitgegeben wurden.
Das Strafregister seiner Wehrmachts-Stammrolle enthält drei Einträge; darunter Hausarrest wegen Trunkenheit, der zweite die Verurteilung nach Paragraf 175 mit neun Monaten Haft (wegen des angeblichen Versuchs der Verführung eines Minderjährigen) und der dritte sein Rangverlust und die Degradierung zum einfachen Soldaten und die Aberkennung als Sanitäter. Dazu muss man wissen, dass man damals erst mit 21 Jahren volljährig war, und auch sich "verführen" zu lassen, galt seit der Verschärfung des Paragrafen 175 im Jahr 1935 als Straftatbestand.
Tod an der Ostfront

Das Buch "Wo ist Fritz?" ist Ende Januar 2024 im Büchner Verlag erschienen
Nach vollständiger Verbüßung seiner Haft kehrte Fritz an die Front zurück, um sich dort zu "bewähren". Dies kam einen Todesurteil gleich, denn diese Einheiten waren im Volksmund als "Strafeinheiten" bekannt, nur wenige überlebten. Fritz kam am 9. Januar 1944 an die Ostfront, und kaum vier Wochen später galt er schon als vermisst.
Friedrich Wilhelm Spangenberg (1914-1944) verlebt zuvor eine unbeschwerte Kindheit in Marburg an der Lahn. Er wächst in einer Art Patchworkfamilie mit sechs weiteren Geschwistern als zweitältester Sohn des Kaffeehaus-Besitzers Elias Carl Spangenberg auf. Nach dem Abitur studiert er gemeinsam mit seiner jüngeren Schwester Elfriede Pharmazie und arbeitet bis zum Einzug in die Wehrmacht als Apotheker in Bad Wildungen.
Das Buch "Wo ist Fritz?" (Amazon-Affiliate-Link ) von Klaus Dieter Spangenberg ist das Ergebnis einer über 15-jährigen intensiven Recherche. Autor und Protagonist verbindet vieles: Beide wuchsen in demselben Haus in Marburg auf, beide sind schwul. Unterschied: Fritz Spangenberg wurde wegen seines Schwulseins in der Wehrmacht verurteilt und Klaus Dieter Spangenberg hat als "Spätgeborener" das Glück, seine Homosexualität seit den 1980er Jahren relativ "unbeschwert" ausleben zu können.
Dokumente aus Wehrmachtsakte und Familienarchiv

Verlor seine Zulassung als Apotheker: Fritz im Jahr 1941
Dank des Fotoalbums seines Großvaters, zahlreicher Briefe seiner Großtante und einiger weniger persönlicher Schriftstücke und Zeichnungen von Fritz konnte Klaus Dieter Spangenberg dieses beindruckende Buch verfassen. In den erst vor zwei Jahren entdeckten Briefen seiner Großtante konnte nun eindeutig festgestellt werden, dass die Beweislage für den Angeklagten Fritz doch sehr dürftig gewesen sein muss. In der Gerichtsverhandlung wurden belastende Briefe als Beweis angeführt, doch wie kamen diese in die Hände der Anklageerhebung? Das fragt der Schwager von Fritz in einem Brief an Elfriede 1943. Weiterhin erfahren wir, dass Fritz neben seiner verbüßten Haft zudem auch seine Zulassung als Apotheker verlor. Auch seine damalige Marburger Studentenverbindung schloss ihn nach Bekanntwerden des Urteils aus.
Gesellschaftliche Ächtung, Verlust der Approbation, Scham und schließlich der Tod in der Strafkompanie an der Ostfront sind die traurige und bewegende Geschichte von Fritz. Das Buch ist der Versuch einer Rekonstruktion seines tragischen Schicksals anhand von Dokumenten aus der Wehrmachtsakte und dem Familienarchiv. Fritz zählt zu den über 50.000 Opfern der NS-Justiz und den rund 7.000 Verurteilten innerhalb der Wehrmacht.
Besonders bewegend sind die Briefe seiner Schwester Elfriede und ihres Verlobten, worin Fritz oft erwähnt und als lebensfroher, heiterer und weltoffener Mensch beschrieben wird. Das eindringlichste Dokument hierbei ist der letzte Brief von Fritz vom Januar 1944, in welchem er sich von seiner geliebten Schwester Elfriede verabschiedet, mit der Bitte den Brief zu vernichten – mit einem beigefügten Streichholz. Elfriede hat diesen Brief nicht vernichtet, sondern aufbewahrt als ein mahnendes Zeugnis.
Klaus Dieter Spangenberg: Wo ist Fritz? – Opfer des § 175 im Dritten Reich. Ein Beispiel für Militärjustiz und die Verfolgung Homosexueller in der Wehrmacht. 116 Seiten. Büchner Verlag. Marburg 2024. Taschenbuch: 25 € (ISBN: 978-3-96317-349-3). E-Book: 20 €
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