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Ab Dienstag bei Prime Video

Warum die Doku "Das letzte Tabu" ein guter Anfang ist

Noch 2021 riet Philipp Lahm schwulen Fußballern davon ab, sich zu outen. Der neue Film "Das letzte Tabu" zeigt nun Lebensgeschichten offen homosexueller Spieler – macht aber auch klar, wie weit der Weg noch ist.


Szene aus der Doku: Der englische Trainer Matt Morton (Mitte) und seine Mannschaft (Bild: Broadview Pictures)
  • Von Michael Freckmann
    12. Februar 2024, 11:36h 6 Min.

Je einsamer man dasteht, desto mehr Mut braucht es, die Mauer des Schweigens zu durchbrechen. Dies zeigt die Geschichte des britischen Fußballers Justin Fashanu, die im neuen Dokumentarfilm "Das letzte Tabu" von seiner Nichte erzählt wird. Er war 1990 der erste Fußballer, der sich geoutet hat. Doch Justin musste mit vielen Anfeindungen umgehen, bekam nicht genügend Unterstützung aus seinem Umfeld und nahm sich später das Leben. Das entmutigte in der Folge viele andere, die in ähnlichen Situationen gewesen waren. Wie viele Lebensläufe junger Männer hätten sonst seitdem anders verlaufen sein können?

Und nun, mehr als 30 Jahre später? Sind gerade einmal sieben von schätzungsweise 500.000 Profifußballern weltweit geoutet. In dem Film von Manfred Oldenburg berichtet etwa Thomas Hitzlsperger von seinem Coming-out, der das Thema hierzulande 2014 prominent gemacht hat. Daneben Collin Martin, der US-amerikanische Spieler, der sich aufgrund einer Erpressung 2018 als Aktiver outete. Oder Marcus Urban, der beschreibt, wie es ihm der hohe Druck Anfang der 1990er Jahre unmöglich machte, sich zu outen. Er beendete seine Karriere kurz vor seinem angeblichen Eintritt in die Bundesliga. In aller Härte wird klar: Sein Beispiel erzählt von einem nicht gelebten, durch die Gesellschaft unmöglich gemachten Traum.

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"Kein Willkommensklima für schwule Spieler"


Poster zum Film: "Das letzte Tabu" kann ab 13. Februar 2024 auf Prime Video gestreamt werden

Haben Justin Fashanu und Thomas Hitzlsperger sich erst nach Ende der Karriere geoutet, entschieden sich der tschechische Nationalspieler Jakub Jankto und der englische Profi Jake Daniels schon während ihrer Karriere, sich nicht länger zu verstecken. Es ist ein Pluspunkt des Films, dass er diese Entwicklung einmal bewusst macht. Gut ist auch, dass der Film kein Enthüllungsfilm sein will, weil sonst die Tiefenbohrungen, wie denn nun die Lebensgeschichten der geouteten schwulen Fußballer aussehen, wohl zu kurz gekommen wären. Gerade diese verschiedenen Wege zum Coming-out aufzuzeigen, die unterschiedlichen Herkünfte und Hintergründe der Spieler sichtbar zu machen, ist eine Stärke der Dokumentation.

Das ist aber nur die eine Seite. Dem Film hätte gutgetan, von einem Spieler zu erzählen, der sich bisher noch nicht getraut hat. Der seine Ängste beschreibt, darüber spricht, wovor er sich fürchtet. Etwa, trotz viel Zustimmung unmittelbar nach dem entscheidenden Schritt am Ende doch in der Kabine aller Ablehnung weiter ausgesetzt zu sein? Die diffuse Ungewissheit zu fühlen, was passieren wird, wenn er durch den dunklen Spielertunnel aufs Spielfeld geht? Es gäbe einfach "kein Willkommensklima für schwule Spieler", beklagt die Psychologin Tatjana Eggeling im Film. Sie berät ungeoutete Fußballer und gibt in der Dokumentation dazu immerhin ein paar kleine Einblicke.

Homofeindliche Fans bleiben im Dunkeln

Und wie weit sind die Fans mittlerweile? Das lässt sich eben nicht genau sagen, auch wenn es manche queere Fan-Initiative gibt. Denn im Film bleiben die Gegner eines Fußballs, der für alle offen ist, im Dunkeln. Weil natürlich keiner jener Fans das in einem Interview offen sagt, was er sonst lauthals im Stadion, im Schutze von Gleichgesinnten, herausgrölt. Oder was im Alltag in unscheinbaren, aber doch fiesen Gesten mitgeteilt wird. An dieser Stelle bleibt der Film unscharf – und kann vielleicht auch gar nicht anders.

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Es gibt aber auch einzelne Lichtblicke zu sehen, wenn es um mutiges Handeln jenseits von Spielern geht, die sich geoutet haben. Etwa den Auftritt des Fanvertreters Dario Minden von "Unsere Kurve". Er sagte bei einem DFB-Kongress den Chefs des deutschen Verbandes und einem Botschafter Katars ins Gesicht, dass man sich im Fußball an die Menschenrechte halten müsse und er als schwuler Fan ein Recht habe, auch am Fußball teilzuhaben. Echte Courage bewiesen auch die Mitspieler von Collin Martin. Denn als dieser 2020 auf dem Spielfeld homophob beleidigt wurde, brach sein Team des San Diego Loyal Soccer Club aus Solidarität das Spiel ab. Und das, obwohl ein Sieg für sie entscheidend gewesen wäre – im europäischen Fußball scheint so etwas bisher unvorstellbar.

Symptomatisch für das Verhalten vieler Offizieller ist es hingegen, dass kein angefragter Verbandsvertreter bei dem Film mitmachen wollte, wie der Regisseur im Interview mit queer.de erklärt hat. Stattdessen werden nur einzelne Aussagen eingeblendet. Wie die von Philipp Lahm, dass er keinem rate, über seine Homosexualität mit Mitspielern zu sprechen. Hier wird deutlich: Zwar sollen solche und ähnliche Aussagen gut gemeinte Ratschläge sein, sie zeigen aber letztlich nur ein Wegducken und gerade keine Zivilcourage. Die Männer, die von vielen als Idole verehrt werden oder durch ihr Amt im Verband viel Macht besitzen, geben Verunsicherten nicht genug Halt, helfen ihnen kaum, mit dem immensen Druck umzugehen, und treten, wenn überhaupt, gerne offene Türen ein. Sinnbildlich dafür steht etwa die verkorkste Aktion um die Armbinde bei der WM in Katar.

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Die Hasenfüßigkeit der Verbandsvertreter

Im Film wird auch das problematische Männerbild angesprochen, das Männlichkeit allein mit Kampfgeist, Durchsetzungskraft und Führungsstärke verbindet. Eigenschaften, die Anhänger dieser Sicht dann allen queeren Menschen absprechen. So unsinnig das ohnehin ist, fällt zusätzlich auf: Verbandsvertreter, die das so sehen, konterkarieren dieses Männerbild durch ihre Hasenfüßigkeit noch am ehesten selbst. Zudem findet alles in einem Sport statt, in dem sich Männer weinend umarmen, die Frisur nach 90 Minuten noch sitzen muss und in der Freizeit für Beauty-Produkte Werbung gemacht wird. Dieser Aspekt hätte im Film noch stärker sein können. Am deutlichsten werden hier noch die Psychologin Eggeling und die ehemalige Bundesliga-Fußballerin Tanja Walther-Ahrens, die diese Muster in der Männerwelt offenbar klarer sehen als viele ihrer männlichen Kollegen.

"Das letzte Tabu" macht klar, wie viel Arbeit noch vor dem deutschen Herrenprofifußball liegt, wenn die Heim-EM in diesem Jahr ein Gemeinschaftserlebnis für alle werden soll. Gut ist immerhin, dass der Film auf Prime zu sehen ist, dort mutmaßlich viele erreichen wird und während der EM auch im ZDF gesendet wird. Manfred Oldenburgs Dokumentation könnte die Türen weiter aufstoßen, es ist aber längst nicht sicher, ob dies auch so kommen wird. Dass der Film nun erstmalig Geschichten von Fußballern, die sich geoutet haben, versammelt und die Akteure dabei selbst ausführlich sprechen lässt, ist zumindest ein guter Anfang.

Infos zum Film

Das letzte Tabu. Dokumentarfilm. Deutschland 2024. Regie: Manfred Oldenburg. Mitwirkende: Amal Fashanu, Thomas Hitzlsperger, Peter Tatchell, Collin Martin, Matt Morton, Per Mertesacker, Babak Rafati, Rolf Töpperwien, Marcus Urban, Dario Minden, Tatjana Eggeling, Tanja Walther-Ahrens. Laufzeit: 93 Minuten. Sprache: deutsche Originalfassung. Ab 13. Februar 2024 exklusiv bei Prime Video
Galerie:
Das letzte Tabu
12 Bilder
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