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Ausstellung
Beißende Kritik an der heteronormativen Gesellschaft
Valie Export gilt nicht nur als radikale Pionierin in der feministischen Kunst, sondern auch als Unterstützerin für queere Emanzipation. Das C/O Berlin würdigt die österreichische Künstlerin mit einer aufschlussreichen Retrospektive.

Aus der Mappe der Hundigkeit, 1968, gemeinsam mit Peter Weibel (Courtesy: Galerie Thaddaeus Ropac © Valie Export, VG Bild-Kunst, Bonn 2023; Foto: Joseph Tandl)
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24. Februar 2024, 01:16h 5 Min.
Der schelmische Gesichtsausdruck auf dem Foto verrät, dass Valie Export großen Spaß an ihrer Straßenaktion hat. Auch wenn sie damals bereits ahnen muss, dass sich Ärger anbahnt. Und so sind die entgleisten Gesichtszüge der sie umgebenden Menschen in den Aufnahmen der Bilderserie "Mappe der Hundigkeit" von 1968 fast noch interessanter als der Umstand, dass die Künstlerin hier mit ihrem auf allen Vieren kriechenden Lebensgefährten Peter Weibel an der Leine durch die belebte Wiener Innenstadt zieht – nicht unbedingt im Zusammenhang mit einem sexuellen Fetisch, sondern ganz allgemein, als überspitzte Umkehrung alltäglicher Machtverhältnisse zwischen Männern und Frauen.
Die Kritik am Patriarchat und dessen heteronormativen Rollenvorgaben wurde zu einem Markenzeichen in ihrer Arbeit als Filmemacherin, Performance- und Medienkünstlerin. Darum gilt Valie Export nicht nur als eine der frühesten Feministinnen ihres Metiers und als radikale Pionierin der Frauenbewegung, sondern auch als wegweisende Unterstützerin für queere Emanzipation. Im Jahr 2017 wird sie auf einer Veranstaltung des Xposed Queer Filmfestivals in Berlin-Kreuzberg von Moderation und Publikum als Heldin gefeiert – völlig zu Recht. Auf dem Podium erzählt sie, dass sich nicht alles bei ihrer Arbeit immer so spaßig gestaltete, wie es aus heutiger Sicht erscheint: "Es war teilweise auch gefährlich, es gab Repressionen, Widerstand, Drohanrufe." Sie berichtet von Auftrittsverboten und aggressivem Publikum. In Köln schlug ihr jemand eine leere Bierflasche über den Kopf. Es erforderte zweifellos Mut und Stärke, sich von all den Anfeindungen nicht beirren zu lassen.
Brust betasten und dabei in die Augen schauen
Zu den skandalisierten Werken zählt auch das "Tapp- und Tastkino", ebenfalls eine ihrer frühen Straßenaktionen aus den späten 1960er Jahren. Export schnallt sich dafür eine als Miniaturkinosaal umfunktionierte Box mit Vorhang vor ihren entblößten Oberkörper, während ihr damaliger Kollege und Partner Peter Weibel die Umstehenden mit einem Megafon dazu aufruft, in den Kasten zu greifen und Exports Brust für einen Zeitraum von 33 Sekunden zu berühren.

Tapp- und Tastkino, 1968, Albertina Wien – The ESSL Collection (© VALIE EXPORT, VG Bild-Kunst, Bonn 2023; Foto: Werner Schulz)
Einzige Bedingung: Augenkontakt zur Künstlerin, die mit der Performance unter anderem "den im Kinosaal geschützten voyeuristische Blick auf den Körper der Frau" offenlegen wollte – so heißt es im Erläuterungstext der umfassenden und sorgsam arrangierten Valie-Export-Retrospektive, die noch bis zum 21. Mai 2024 im Berliner Ausstellungshaus C/O Berlin zu sehen ist.
Ihre Werke erscheinen zeitlos
Die als Waltraud Lehner 1940 in Linz geborene Künstlerin absolviert in ihrer Heimatstadt die Kunstgewerbeschule, heiratet im Alter von 18 und legt den Namen ihres Ehemanns nach der Trennung wieder ab. Sie siedelt zu Beginn der 1960er Jahre nach Wien über und gibt sich am Ende des Jahrzehnts den Künstlernamen Valie Export: ein Akt der Selbstermächtigung.

Blick in die Ausstellung im C/O Berlin (Bild: Axel Krämer)
Sie fängt an, sich mittels ihrer Kreativität einen Namen zu machen. Doch welche Folgen hat das überhaupt in einer patriarchalen Gesellschaft? Welche Rolle spielen soziale oder auch individuelle Zuschreibungen, und wie verhalten sich diese zur Realität? Das sind Fragen, die ihr unter den Nägeln brennen. Ihre Werke erscheinen zeitlos und verblüffen auch heute noch durch ihre Vielschichtigkeit. Das liegt nicht zuletzt an einem Kunstgriff, der für ihre Arbeit typisch ist: Valie Export konfrontiert die aus dem Zusammenhang gerissene Abbildung von Realität mit dem, was gemeinhin für Realität gehalten wird.
Provokation und Empörung
Diesen Kontrast führt sie 1969 auf eindringliche Art dem Publikum eines Avantgardefestivals in einem Münchner Kinosaal vor Augen, das bei der Aufführung von "Aktionshose: Genitalpanik" zwar keine Bilder auf der Leinwand zu sehen bekommt, dafür aber Valie Export höchstpersönlich, sozusagen zum Anfassen nahe. Sie taucht aus dem Nichts auf, ist in eine eng anliegende Lederjacke gehüllt, die Hose im Schambereich weit ausgeschnitten. Als sie durch die Reihen schreitet, flieht das Publikum in Scharen. Auf späteren Aufnahmen inszeniert sie sich in diesem Outfit mit einem Maschinengewehr: eine Andeutung von Sex & Crime im Kino, die zu damaliger Zeit die Erwartungshaltungen sprengt.

Aktionshose: Genitalpanik, 1969 (Courtesy: Galerie Thaddaeus Ropac © VALIE EXPORT, VG Bild-Kunst, Bonn 2023; Foto: Peter Hassmann, VG Bild-Kunst, Bonn 2023)
Doch nicht alle Werke von Valie Export sind unmittelbar auf Provokation und Empörung aus. Wer die Künstlerin darauf reduziert, lässt das breite Spektrum an Fähigkeiten außer acht, die sie virtuos beherrscht. Vor allem Exports "Körperkonfigurationen" aus den 1970er Jahren, auch das wird in der Schau im C/O Berlin deutlich, gelten heute als eine facettenreiche Auseinandersetzung mit dem öffentlichen Raum. Welche Funktion erfüllt darin der Mensch? Die Fotografien zeigen arrangierte Frauenkörper auf Mauern, Treppen und Straßen von Wiener Repräsentationsbauten, wie etwa dem Wiener Justizpalast oder dem Rathaus – Gebäude, die sich durch ihre einschüchternden "Materialisierungen sozialpolitischer Macht" als eine Ausformung des Patriarchats erweisen.
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Männliche Kastrationsängste vor der Deutschen Bank

Eine vorübergehende Installation Unter den Linden im Herbst 2020: "Die Doppelgängerin" (Bild: Axel Krämer)
Doch da die Berliner Werkschau nur Arbeiten bis zu den frühen 1980er Jahren enthält, fehlt Valie Exports bislang größter errungener Triumph als feministische Künstlerin über den öffentlichen Raum der Stadt: Im Jahr 2020 wurde ihre Bronzeskulptur "Die Doppelgängerin" vor dem Palais Populaire an Berlins Prachtboulevard Unter den Linden für eine begrenzte Zeit aufgestellt – also ausgerechnet vor dem Ausstellungshaus der Deutschen Bank. Es handelt sich dabei um zwei gigantische Scheren, die sich zu einer zwar grazilen, aber dennoch bedrohlichen und über vier Meter hohen Figur verschränken. Sie symbolisieren, wie es damals bei der Einweihung hieß, sowohl "weiblich konnotierte Gewalt" wie auch "männliche Kastrationsängste". Doch die Leihgabe der Künstlerin machte nach ein paar Monaten Platz für eine andere Plastik.
Am Platz vor dem Eingang des C/O Berlin, mit der phallischen Hochhaus-Skyline rund um den Bahnhof Zoo im Hintergrund, hätte die Skulptur erneut einen würdigen Platz gefunden.
Links zum Thema:
» Mehr Infos zur Ausstellung auf der Homepage von C/O Berlin
Mehr queere Kultur:
» auf sissymag.de
















