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Folge 9 von 10

Schwules Leben vor 100 Jahren: Theater

Im Theater der Weimarer Republik ging es 1924 nicht nur um Klamauk wie in "Charleys Tante", sondern auch um die schwierigen Lebensumstände schwuler Männer.


Bis heute eine der umstrittensten Personen der damaligen Theaterszene: Gustaf Gründgens 1936 als Hamlet (Bild: Bundesarchiv / wikipedia)

Travestie und Damendarsteller – über die "Würde" des Mannes

Zunächst zur Travestie im Theater, die in der Weimarer Republik nichts Ungewöhnliches war. Ungewöhnlich waren allenfalls einzelne Kommentierungen dazu. In Wien machte die Zeitung "Die Stunde" (6. Januar 1924) mit einem Foto auf Leopold Popper als Ballettballerina aufmerksam – nicht ohne dies "zeitpsychologisch" als Anlass zu nehmen, hier mal nach der "Würde" des Mannes zu fragen.

Wie Männer in Frauenrollen bewertet wurden, hatte auch mit der Art der Darstellungs zu tun. In vielen Possen und Schwänken – d. h. derb-spaßhaften und anspruchslosen Theaterstücken wie "Charleys Tante" oder den Theaterrollen von Hubert von Meyerinck und Wilhelm Bendow – kam es nicht auf eine virtuose Täuschung über das "wahre" Geschlecht, sondern nur auf oberflächliche Späße an. Im Gegensatz dazu gab es jedoch auch Damenimitatoren wie Willy Pape, die versuchten, das Erscheinungsbild des weiblichen Geschlechts möglichst perfekt zu imitieren.

"Charleys Tante" – kommerziell erfolgreich und "widerwärtig" zugleich

Das bis heute mit Abstand erfolgreichste Theaterstück mit einer Travestierolle ist "Charleys Tante". Das Stück wurde 1892 von Brandon Thomas geschrieben, seit dieser Zeit unzählige Male aufgeführt und rund zehnmal verfilmt. Die beiden Studenten Charley und Jack benötigen für eine geplante Verabredung mit ihren Freundinnen dringend eine Anstandsdame. Weil die dafür vorgesehene Tante von Charley nicht rechtzeitig eintrifft, überreden die beiden ihren Freund, als Frau verkleidet diese Rolle zu übernehmen.

Am Staatlichen Schauspielhaus Berlin wurde "Charleys Tante" ab 1924 in Erfolgsserie aufgeführt (Wolf Borchers: "Männliche Homosexualität in der Dramatik der Weimarer Republik", 2001, S. 404). In Bezug auf eine Aufführung in Österreich im Jahre 1924 wies u. a. das "Neue Wiener Tagblatt" (4. Oktober 1924) darauf hin, dass es sich bei diesem Stück um den (kommerziell) "größten Bühnenerfolg aller Zeiten" handele. Das Stück hatte offenbar aber nicht nur viele Freunde, sondern auch viele Feinde. Die Zeitschrift "Sport im Bild" (Jg. 1924, Heft 9, S. 13) kommt im Zusammenhang mit Hosenrollen auch auf "Charleys Tante" zu sprechen und betont, dass solche Männer in Frauenkleidern einfach nur "derbkomisch" und "widerwärtig" seien.

Hubert von Meyerinck – von der Nutte bis zur Nonne


Hubert "Hubsi" von Meyerinck

Der Schauspieler Hubert "Hubsi" von Meyerinck (1896-1971) "war homo­sexuell und legte sich (…) keine große Zurückhaltung hinsichtlich seiner Neigung auf" (Wikipedia). Der Literaturwissenschaftler Wolf Borchers schreibt (S. 400), dass Hubsi in den Zwanzigerjahren ein Publikumsliebling war, "dessen 'feminine Bizarrerie' selbst in nicht-homo­sexuellen Rollen" bereits 1919 begeisterte, und verweist auf seine Auftritte 1928 als "Nonne", "Nutte" und "Kokotte". In der Homo­sexuellenzeitschrift "Die Freundschaft" (Jg. 1924, Heft 7, S. 162) wurde darauf verwiesen, dass Hubsi in Georg Kaisers Drama "Gille und Jeanne" am 28. August 1924 als "femininer König" auftrat, er habe dabei aber eher "wie ein Fräulein" gewirkt.

Noch ein halbes Jahrhundert später setzte Hubert von Meyerinck in der filmischen Travestie-Klamotte "Wenn die tollen Tanten kommen" (1970, 55:10-57:15 Min.) sein Spielen mit Geschlechterrollen und homo­erotischen Anspielungen fort. Der schwule Schauspieler verkörpert hier den heterosexuellen Herrn Storz, der ein sexuelles Interesse an Paul Förster (D: Ilja Richter) hat, weil er ihn für eine Frau hält. Diese Filmszenen können aber wohl nur eine vage Vorstellung davon vermitteln, wie Hubsi wohl 50 Jahre zuvor in Theaterrollen gewirkt haben mag.

Wilhelm Bendow – als Schwester in einem Damensanatorium

Wilhelm Bendow (1884-1950) war Schauspieler und Komiker. Heute ist vor allem noch sein Sketch "Auf der Rennbahn" bekannt, aber wohl nur deshalb, weil Loriot zum gesprochenen Text Bendows seine Knollennasen-Figuren zeichnete. In mehreren von Bendows Theaterrollen ging es um Travestie. Bei dem am 10. April 1924 im Lustspielhaus in Berlin aufgeführten Theaterstück "Der scharfe Löwe" wurde die Komik vor allem dadurch erzielt, dass Bendow sich in Schwesterntracht in ein Damensanatorium einschleicht. Die "Deutsche Allgemeine Zeitung" schrieb dazu: "Wenn Herr Bendow mit seiner sanften Stimme hemmungslos daherredet, ist er schon im männlichen Anfang sehr erheiternd; wenn er als Schwester kommt und nun ebenso sanft einherschwatzt, ist er zuweilen noch komischer." Im Februar 1924 hatte Bendow versucht, ein eigenes Kabarett zu gründen, das er mit seinem Stück "Tütü" eröffnete. Er war damit jedoch nicht erfolgreich.


Durch den Loriot-Sketch "Auf der Rennbahn" wenigstens als Stimme bis heute präsent: Wilhelm Bendow

Neben seinem Wirken auf der Theaterbühne ist Bendow auch aus rund 100 Filmen bekannt. Gleich in seiner ersten Filmrolle in "Aus eines Mannes Mädchenzeit" (1913), einem frühen Beispiel für Travestie im Film, schlüpfte er in Frauenkleider und auch in "Meine Tante – deine Tante" (1927) spielte er mit Geschlechterrollen. Zum Weiterlesen über ihn und Hubsi empfehle ich Matthias Gerschwitz' Doppelbiografie "Tü-Tü und Zack-Zack: Die fast vergessenen Karrieren von Wilhelm Bendow und Hubert von Meyerinck" (2023), in der auch gut aufgezeigt wird, wie unterschiedlich die beiden Männer mit ihrer Homosexualität umgingen.


Wilhelm Bendow im Theaterstück "Der scharfe Löwe" (April 1924)

Willy Pape als Voo Doo – Travestie und Schlangentanz

Der Travestiestar Willy Pape (1891-1940) war als Schlangentänzerin Voo Doo auf den Varietébühnen der Zwanzigerjahre ein international gefeierter Künstler. Voo Doos Programme während der Zeit der Weimarer Republik waren dadurch gekennzeichnet, dass er sich am Ende jedes Auftritts als Mann zu erkennen gab. Viele Zeitungen erwähnten diesen Umstand bzw. berichteten von einer Überraschung zum Schluss, manchmal ohne diese zu verraten. In den ersten Jahren hatte Voo Doo die Bühne als Frau betreten und auch wieder verlassen. Voo Doo hat erotisch, aber wohl nie nackt getanzt. Besprechungen in der Homo­sexuellen-Presse der Weimarer Republik deuteten an, dass es mit Voo Doo "einer von uns" zum internationalen Star gebracht habe.

Sein Tourneeplan führte ihn 1924 u. a. ins Dresdner Central-Theater (Oktober), in die Stettiner Trokadero-Centralhallen (November) und in das Berliner Walhalla-Theater (Dezember). 1925 trat er im Kölner Kaiserhof auf (Mai). Voo Doos letzter nachweislicher Auftritt war im Dezember 1929.

Im September 1928 eröffnete Willy Pape gemeinsam mit seinem Lebenspartner Emil Schmidt ein Lokal, das bis zur Schließung 1933 zu den führenden Homo­sexuellen-Kneipen jener Zeit gehörte und zu dessen Gästen u. a. Klaus Mann und Christopher Isherwood zählten. War Pape ein schwuler femininer Mann? Heute ist man mit Kategorisierungen vorsichtiger und so wird in der aktuellen Werbung für das Buch des Historikers Jens Dobler über Pape alias Voo Doo ("You have never seen a dancer like Voo Doo. Das unglaubliche Leben des Willy Pape", 2022) seine Identität mit einem Fragezeichen versehen: War Pape ein "klassischer Damendarsteller oder frühes Beispiel von Trans*, queer oder nichtbinär?" Das Fragezeichen, das hier gesetzt wird, ist vergleichbar mit dem, das man schon in der Werbung der Zwanzigerjahre neben Voo Doos Namen findet. Beide verweisen auf Fragen nach seiner sexuellen und geschlechtlichen Identität, die kaum beantwortet werden können. Jens Doblers Buch ist eine sehr gute Biografie – so gut es eben die Quellenlage zulässt.


Werbung für Voo Doos Auftritt im Berliner Walhalla-Theater im Dezember 1924

Ritas indische Tempeltänze – der Trend fernöstlicher Erotik

Wenn sich Voo Doo als Schlangentänzerin präsentierte, entsprach dies einem Trend der damaligen Zeit. Solche Auftritte waren beliebt, weil sie etwas Exotisches boten bzw. fernöstliche und indische Szenen suggerierten. In diesem Zusammenhang sind auch die Auftritte des jugendlichen Tänzers Ossi Walden als "Rita" in Berlin zu sehen. Zu seinem Gastspiel im Wiener Café werden seine "Phantasie- u. indischen Tempeltänze(n)" erwähnt ("Die Fanfare", Jg. 1924, Heft 31) und anlässlich seines Auftritts in der "Diele am Friedrichshain" ist von "seinen naturalistischen Fantasie- und Tempeltänzen" die Rede ("Die Fanfare", Jg. 1924, Heft 32).

David Leddick schreibt in seinem Buch "The Male Nude" (1998, S. 160 f.) von einem Trend in der Aktfotografie dieser Zeit, dass sich männliche Tänzer und Theaterschauspieler im Studio nackt fotografieren ließen. Sie ließen sich "in Posen und Kulissen ablichten, die sie wie Akteure in einer exotischen Theaterproduktion erscheinen ließen. So war eine neue Entschuldigung gefunden, sich nackt ablichten zu lassen, und der Käufer der Aufnahmen durfte sich darauf berufen, ja nur Bilder für seine Theatersammlung erstehen zu wollen."


Homosexualität im Theater

Auf der Theaterbühne waren auch Dramen präsent, die Homosexualität thematisierten. In diesem Abschnitt habe ich mich vor allem an Wolf Borchers' Dissertation "Männliche Homosexualität in der Dramatik der Weimarer Republik" (2001) orientiert, in der er auf 640 Seiten mehr als 160 untersuchte Dramen vorstellt. Ergänzt habe ich u. a. die erst seit einigen Jahren online verfügbaren Rezensionen in Zeitungen.

Ich habe mich an den Dramen orientiert, die das Theaterleben im Jahr 1924 mitgeprägt haben, sei es durch die Veröffentlichung als Buch in der Erstausgabe (EA), die Uraufführung (UA), eine Wiederaufführung (WA) oder die Rezeption in Zeitungen. Nach einer kurzen Zusammenfassung der wichtigsten Thesen von Borchers behandle ich die Dramenautoren alphabetisch mit ihren Werken. Diese Folge endet mit Hinweisen auf den Schauspieler Gustaf Gründgens und die schwule Theatergruppe "Theater des Eros".

Wolf Borchers über die Dramen der Weimarer Republik

Wolf Borchers stellt zusammenfassend fest (S. 561-576): "Das Thema Homosexualität ist in der Weimarer Republik zum unübersehbaren Bestandteil der Dramatik und Theatergeschichte geworden, ist für diesen Zeitraum aus einer tabuisierten Randposition vorübergehend herausgetreten. Trotz des bestehenden Strafrechts entwickelt sich vielmals eine selbstverständliche Behandlung." Während die Werke der frühen Phase Homosexualität als etwas Besonderes zeigten, z. B. in Form "idealistischer Überhöhung", werde Homosexualität später "als eine Liebe wie jede andere auch" begriffen und dargestellt. Es seien Werke entstanden, "die sich gegen eine Diskriminierung wenden" mit "der Tendenz, eine Gleichberechtigung einzuklagen". Vor allem in der mittleren Phase der Weimarer Republik sei Homosexualität in mehreren Dramen Thema eines wichtigen Handlungsstrangs, wobei die gesellschaftliche Situation auch von heterosexuellen Autoren reflektiert werde. Die Darstellungen bezögen sich auf historische Themen, aber auch auf die zeitgenössische Situation, u. a. auf die Strafbarkeit von Homosexualität. "Die vor 1918 gängigen Verschleierungen oder Eliminierungen in Stücken (…) treten in den Hintergrund und tauchen erst gegen Ende der Republik wieder verstärkt auf."

Walter Bahn: "Die Josefsehe" und das Düsseldorfer Schauspielhaus

Im Bestand des Theatermuseums Düsseldorf/Dumont-Lindemann-Archiv (Dokument Nr. 10769) wird ein Brief des Homo­sexuellenaktivisten Adolf Brand verwahrt. Auf dem Briefpapier seiner Zeitschrift "Der Eigene" schrieb er am 15. September 1924 an Louise Dumont, die Leiterin des Düsseldorfer Schauspielhauses, und bot ihr das Schauspiel "Die Josefsehe", verfasst von seinem Freund Walter Bahn, zur Aufführung an. Offensichtlich handelt das Drama von Homosexualität. Eine "Josefsehe" ist eine Form der Ehe, in der beide Ehepartner*­innen auf Sex verzichten.

Dass Louise Dumont dieses Drama zugeschickt bekam, dürfte kein Zufall gewesen sein, sondern lag vermutlich daran, dass sie als lesbisch angesehen wurde. Mit Hermann Breuer, Hanns Heinz Ewers und Peter Hamecher stand sie in Kontakt mit schwulen Männern, die enge Verbindungen zur Berliner Schwulenbewegung hatten. Außerdem hatte Louise Dumont ab 1922 die Petition zur Abschaffung des § 175 RStGB unterstützt und es ist vermutlich kein Zufall, dass mehrere Personen, die sich aus ihrem Theater kannten (Herbert Eulenberg, Max Martersteig und Wilhelm Schmidtbonn), diese Petition zeitgleich mit ihr unterschrieben. In meinem Buch "Anders als die Andern" (2016, S. 152-155) habe ich die Hintergründe belegt und aufgezeigt, dass auch andere schwule Autoren wie Wilhelm Walloth ("Sappho und Lydia", 1929) bei Dumont ebenfalls erfolglos Manuskripte einreichten.

Walter Bahns Drama ist vermutlich nie im Buchhandel erschienen, sondern wurde nur als Manuskript gedruckt. Das einzige bekannte Exemplar von "Die Josefsehe. Ein Satyrspiel der Liebe. Schauspiel in 4 Akten" (48 S.) befindet sich am Standort Leipzig der Deutschen Nationalbibliothek. Es ist ärgerlich, dass diese Bibliothek keine Kopien erstellt und das Exemplar auch nicht für die Fernleihe zur Verfügung stellt.

Hugo Bettauer: "Die blaue Liebe" und ein Kabarett-Programm

Auf Hugo Bettauer und seine literarischen Werke bin ich in Folge 8 dieser Serie bereits eingegangen. Zu seinem im Oktober 1924 aufgeführten Drama "Die blaue Liebe" betont die Wiener "Illustrierte Kronen-Zeitung" (11. Oktober 1924), dass hier "die Homo­sexuellen nicht fehlen" und "ein lesbisches Paar die Szene garniert". Leider lässt sich dazu Näheres nicht in Erfahrung bringen, weil sich das Werk in keiner Bibliothek nachweisen lässt. Nachweisen lässt sich jedoch, dass Bettauer im Oktober 1924 auch sein "Debüt des gesprochenen Wortes" hatte und in einem eigenen Kabarett-Programm auftrat. Trotz eines zuvor erlassenen polizeilichen Verbots, über Politik und Religion zu reden, scheint er mit seiner Mischung aus "Dirnenlied" und homo­sexuellen Darbietungen das Publikum gut unterhalten zu haben, wie "Die Stunde" (3. Oktober 1924) berichtet. Am 26. März 1925 wurde Bettauer ermordet. Sein Mörder, der der NSDAP nahestand, wollte damit ein Zeichen gegen die "Sittenlosigkeit eines Autors setzen", der mit "sexuell freizügigen Schriften" bekannt geworden war (Wikipedia).

Bertolt Brecht / Lion Feuchtwanger: "Leben Eduards des Zweiten von England"

Bertolt Brecht und Lion Feuchtwanger arbeiteten gemeinsam das Drama "Edward II." von Christopher Marlowe (1564-1593) um, das nun den Titel "Leben Eduards des Zweiten von England" trug. Es ist ein Drama um den realen englischen König Edward II. (1284-1327) und sein Verhältnis zu seinem Liebling Piers Gaveston. Die Homosexualität nimmt in dieser Bearbeitung – so Borchers – einen "relativ dominierenden Raum" ein. "Die Beziehung zwischen Gaveston und Eduard hat eine zentrale Stellung, ist unter anderem Anlaß des Geschehens und einer der primären Handlungsstränge. Gegenüber Marlowe nimmt Brecht die homo­sexuelle Komponente dabei zurück." Im Drama wird Homosexualität als "verruchter Hang" und Gaveston mehrfach als "Hure" bezeichnet, während Edward vorwiegend als schwacher Herrscher erscheint. Zwischen den Männern gibt es Liebeserklärungen und in einigen Äußerungen wie "Umarm mich", "deine schönen Haare" und "Knie an Knie" lassen sich homo­erotisch verstehen. Nach Borchers erregte die Uraufführung in Brechts eigener Regie "bei relativem Erfolg keinen Skandal". Es ist außergewöhnlich, dass die Homosexualität in einem Drama so deutlich behandelt wurde, dass auch Zeitungen dieses Motiv aufgriffen, wie die "Westfälischen Neuesten Nachrichten" (25. März 1924) und die "Kölnische Zeitung" (5. April 1924). Nach Ansicht des "Salzburger Volksblatts" (27. März 1924) war Edward II. ein König, der "das Wohl von Land und Weib dem homo­sexuellen Hang zu einem Günstling aufopferte" (EA: 1924, UA: 18. März 1924; s. Borchers, S. 280, 293-300, 578).

Bertolt Brecht: "Im Dickicht" – zerstörerische Freundschaften

Zu den frühen Dramen von Bertolt Brecht merkte die Presse an, dass darin bekanntlich die "Männerliebe nicht fehlen darf" (Borchers, S. 299). Das trifft auch auf sein Drama "Im Dickicht" (späterer Titel: "Im Dickicht der Städte") zu, das die "große Stadt als Dschungel" beschreibt. Es geht um Männerbeziehungen wie die zwischen Shlink und Garga, die in ihrer Intensität zerstörerische Formen annehmen, wobei sich Brecht beim Schreiben an dem Verhältnis von Arthur Rimbaud und Paul Verlaine orientierte. Homosexualität ist in diesem Drama, so Borchers, "ein entscheidendes Handlungsmotiv" und die Reaktionen der Männer "erscheinen ohne die homo­sexuellen Aspekte unverständlich". Jedoch enthält das Stück nur wenige Anspielungen, die die Assoziation einer sexuellen Beziehung zulassen.

Nach der Uraufführung am 9. Mai 1923 wurde die Produktion nach nur sechs Aufführungen abgesetzt. Die fünf Aufführungen am Deutschen Theater in Berlin ab dem 29. Oktober 1924 waren vergleichbar enttäuschend. Die Erwähnung der "Homo­sexuellen" in der "Dortmunder Zeitung" (4. November 1924) macht aber klar, dass diese als solche erkannt wurden (Entstehung: 1921-1922, EA der Erstfassung: 1968, UA: 9. Mai 1923, Wiederaufführungen: 1924; s. Bochers, S. 233-246, 299, 578).

Arnolt Bronnen: "Vatermord", der Brechreiz auslöst

In Arnolt Bronnens "Vatermord" hat der jugendliche Walter ein erotisches Verhältnis zu seinem Schulfreund Edmund. Weil es sich dabei auch um körperliche Liebe handelt, hatte das Drama – so Borchers – ein "provokantes Potential". Es geht um Äußerungen wie "ich muß dich immer anfassen", wobei die erotisierenden Körperteile auch benannt werden: "Und dein Bauch und solche Lippen und solche Hände". Diese Äußerungen kulminieren in Edmunds Aufforderung, Karl solle sich "ausziehn". Borchers erwähnt am Rande auch Bronnens eigene homo­sexuelle Phantasien. Umso interessanter ist, dass Bronnen – so Borchers – "der Szene keine große Bedeutung beigemessen und Überlegungen angestellt (habe), sie zu streichen".

Die "Kölnische Zeitung" (22. Februar 1924) berichtete über die Kölner Aufführung am Tag zuvor und darüber, dass das Stück bei seiner Uraufführung 1922 einen Skandal ausgelöst hatte: "In Köln war man gestern zahmer, besser gesagt stumpfer; man nahm die Abscheulichkeiten auf der Bühne ohne Widerspruch hin." Die "homo­sexuelle Betätigung des Sohnes" könne allerdings "nur Brechreiz" auslösen. In Köln wurde die Szene "dadurch abgeschwächt, daß man das Bett, auf dem die verderbten Zärtlichkeiten mit dem Freund getauscht werden, wegnahm; indes war die Szene auch so noch abscheulich genug". Dem Schauspieler Otto Sander, der in diesem "ekligen Stück" den Sohn verkörperte, fehle es an vielem – u. a. an der "Glut der verirrten Triebe" (EA: 1920, UA: 22. April 1922, WA: 1922, 1924; s. Borchers, S. 247-254). Bronnen hatte sich auch schon zuvor in seiner Erzählung "Septembernovelle" (1923) mit Homosexualität beschäftigt. Mit der Niederschrift dieser Novelle wollte er sich "anscheinend von seinen homo­sexuellen Gefühlen befreien, die ihn, nach seinen eigenen Worten, vergiftet hatten" (Wikipedia).


Arnolt Bronnen – der Autor von "Vatermord"

Peter L. von Freundsperg: "Katastrophe"

Die in Schwulenzeitschriften publizierten Dramen bieten am ehesten die Möglichkeit einer spezifisch homo­erotischen Sicht. Dazu gehört Peter L. von Freundspergs Drama "Katastrophe", das im "Eigenen" (Jg. 1924, S. 272-294) publiziert wurde. Das Stück spielt im zeitgenössischen Berlin und bietet gleich drei homo­sexuelle Charaktere: Rainer Röhrich "hat gegen seine Homosexualität angekämpft" und "wollte kein Verbrecher werden am eigenen Geschlecht". Außerdem tritt ein Baron auf, der Fritz von Köller begehrt und diesen als "Privatsekretär" einstellen möchte. Fritz von Köller ist jung, elegant, "ein wenig feminin" und wird als "schon sehr verdorben" bezeichnet. Röhrich betont, dass er sein Geschlecht "unverständlich lieben mußte", was Borchers zu der Äußerung veranlasst, dass Homosexualität hier "als rätselhafter Zwang" zum Ausdruck komme (EA: 1924, keine Aufführung bekannt; s. Borchers, S. 177-180, 586, 608).

Ernst Geyer: "Heliand und die Götter"

In dem Drama "Heliand und die Götter" transponiert Ernst Geyer die Geschichte von Jesus Christus in die germanische Welt. Die alten germanischen Gottheiten säen untereinander Hass und Zwietracht und treiben "hemmungslos Unzucht", wobei Loki, der Antagonist Wotans, "als Zwitter erscheint". Wotan wirft Loki vor: "Du buhlst als Mann wie auch in Weibsgestalt! Als Stute ließest einen Hengst du zu." Um die Gefühle Johanns (entspricht Johannes, dem Lieblingsjünger Jesu) zu "seinem Fürsten" Heliand (Jesus) auszudrücken, wird "auffällig" häufig das Wort "Liebe" verwendet. Später singt Johann für Heliand ein Schlummerlied. Für Borchers wird hier ein "Klischee reproduziert: Sexuelle Zügellosigkeit führt zum Untergang wie bei den germanischen Göttern; die 'reine Liebe' in der exklusiven Männergesellschaft Heliands und seiner Recken garantiert den Erfolg" (EA: September 1924, keine Aufführung bekannt; s. Borchers, S. 482-483).

Hans Kaltneker: "Die Schwester"

Um Missverständnissen vorzubeugen, stellt Hans Kaltneker (1895-1919) in der Druckfassung seines Dramas "Die Schwester" ein klärendes Vorwort voran, in dem er die Funktion der Homosexualität erklärt: Es sei nicht seine Absicht, ein Tendenzstück gegen Homosexualität zu schreiben. Das Motiv diene – so Borchers zusammenfassend – "lediglich als Metapher des Egoismus einer gottfernen Welt". Das, was Borchers aus Kaltnekers Vorwort zitiert, ist wirr und negativ und nur in einigen Passagen klar und positiv: "Ich weiß, daß die verkehrte Liebe edler sein kann, als die von Mann zu Weib oft ist", und dass "die Betroffenen Höchststehende sein können, zu sein pflegen. Fast nur solche sind mir begegnet. Hier ein Anwurf wäre lächerlich."

Zum Inhalt schreibt Borchers: "Die Szene, in der Ruth von Karin in das Ambiente der homo­sexuellen Subkultur eingeführt wird, ist konzipiert als Versuchung Ruths: Karin überredet sie, den Verführungen der homo­sexuellen Gestalten nachzugeben, ihnen in ihr Reich zu folgen." "Nebenbei wird noch ein Erklärungsmodell mitgeliefert: Homosexualität erscheint als ererbte Krankheit" und als "Erkennungsmerkmale für Homosexualität dienen Bildung, Blässe und Parfüm". Auch ein klischeehaft dargestellter Schwuler in Frauenkleidung kommt vor ("Ick smeiß dir tot mit Puda, du Slimmer!"). Das Stück weise "dennoch für seine Zeit progressive Komponenten auf: Zum einen werden ausgelebte sexuelle Verhältnisse gezeigt (…). Bevölkert ist jedoch die Bühne von einer Masse einander begehrender (…) gleich­geschlechtlich veranlagter Menschen, was als Novität zu werten ist. Das betrifft auch die Visualisierung: 'Paare Brust an Brust geschmiegt, Knie an Knie gedrückt, Mund in Mund verklammert'." Die hier verwendeten Ausdrücke wie "Gleich­geschlechtlichkeit", "Urning" und "Paragraph 175" hatte es zuvor in dieser Deutlichkeit im Drama nicht gegeben. Nach Borchers gehörte "Die Schwester" – worin das Publikum Anteil am Niedergang der Lesbe Ruth nimmt – allerdings "wohl zu den fragwürdigsten Dramatisierungen" zum Thema Homosexualität.

Zur Uraufführung im Dezember 1923 heißt es in einer Rezension: "Der Mut, das Problem der Homoerotik so anzufassen, wie Kaltnecker (sic) es getan hat, ist bewundernswert. Es bleibt nichts, das künstlerisch unrein wäre" ("Die schöne Literatur", Jg. 1924, S. 343). Als das Stück Ende 1924 an der Berliner Goethe-Bühne noch einmal zur Aufführung kam, betonte der berühmte Theaterkritiker Alfred Kerr in einer Besprechung, dass man "andersgeschlechtig [sic] Liebende" zur Fortpflanzung nicht zwingen könne ("Berliner Tageblatt", 20. Dezember 1924). (EA: 1925, UA: 12. Dezember 1923, WA: u. a. 1924, 1927; s. Borchers, S 87-92, 590)

Edward Knoblock: "Der Faun"

Ein Zeitungsartikel über die Aufführung von Edward Knoblocks "Der Faun" ist nicht wegen des Dramas selbst interessant, sondern wegen der Kommentierung der Darstellung der Titelrolle in der Wiener Zeitung "Die Stunde" (11. März 1924). Der Faun mit seinen Hörnern wirke wie ein "schwüler Mephisto" und wird als "Dandy" interpretiert, der "Anklänge an die 'Huch-Nein!'-Brüder der Berliner Dielen" aufweise, so dass man glauben könne, auch im Wald habe die "Homosexualität schon ihren Einzug gehalten". Der Faun habe "Grazie", was "unter 'Andersorientierten' das Höchste und Neutralste" sei.

Henri-René Lenormand: "Der Mensch und seine Phantome"

Den folgenden Abschnitt habe ich nur deshalb mit aufgenommen, weil es sich um eine deutschsprachige Rezeption im Jahr 1924 handelt. Der französische Dramatiker Henri-René Lenormand (1882-1951) brachte mit seinen Dramen "die Tiefenpsychologie Sigmund Freuds auf die Bühne" (Wikipedia). Das "Neue Wiener Journal" (21. Juni 1924) veröffentlichte ein längeres Zitat des Autors zu seinem Drama "Der Mensch und seine Phantome" (= "L'Homme et ses Phantômes", 1924), das ich alleine schon deshalb wiedergeben möchte, weil ich mich wohl angesprochen fühlen sollte. Lenormand: "Ich weiß, daß mein Werk (…) mißverstanden werden muß", es bestehe Gefahr "durch eine falsche Etikettierung". "Meine Andeutungen, die nur ganz leise und behutsam bei Don Juan das Problem der Homosexualität streifen, werden gewiß vergröbert herausgehoben und als Hauptproblem affichiert (= festgelegt, fixiert) werden. Das ist falsch. Ich wollte keinen Homo­sexuellen schildern. Sondern im Gegenteil nur die unbewußt homo­sexuellen Regungen, die in vielen Männern schlummern, ohne jemals irgendwie sich auszuwirken, in das Don Juan-Problem einflechten. Aber wie gesagt – dieser diskreteste Hinweis auf geheime unbewußte Regungen, die Don Juans Seelenleben verwirren, sie spielen in meinem Drama nicht die entscheidende Rolle."

Robert Musil: "Vinzenz und die Freundin bedeutender Männer"

In Robert Musils (1880-1942) "Vinzenz und die Freundin bedeutender Männer" lässt sich eine Dame mit dem Kunstnamen Alpha von ihrem ersten Mann Dr. Apulejus Halm scheiden. Diesem macht das allerdings – so Borchers – "nicht viel aus", denn "die Begierde des Gatten richtet sich – auf Männer". Wie die anderen Figuren ist auch Halm eine Karikatur und Musil "spart hier nicht mit Klischees". Halm sagt von sich selbst, dass er sich nichts aus Frauen mache. Borchers: "Gerade die Charakterisierung Halms bietet ein Arsenal stereotyper Züge: Er ist 'Kunstschriftsteller', wohl eine Karikatur des 'gelehrten' Homo­sexuellen der Literaturtradition, der sich selbstgefällig nur im eigenen wohlhabenden Kreis dreht. Halm ist eine weiche Figur, von seiner Frau als weiblich bezeichnet, häufig 'liebenswürdig'. Lächerlich wirkt sein 'vornehmer Ton', seine 'preziöse' Art." "Zudem wird in einem Auftritt Halms auf das Bild des Homo­sexuellen als Analerotiker angespielt: Er tritt 'mit dem Gesäß voraus' auf" (S. 421). Auch hat Halm eine Affinität zur Travestie. Auch wenn sich der Autor über Heterosexuelle ebenfalls lustig mache, "fallen die Klischeehäufungen auf. Komik scheint für Musil nur erzielbar über die Reproduzierung von Stereotypen: Der Homo­sexuelle als perfekter Ausdruck einer verkehrten Welt" (EA: Februar 1924, UA: 4. Dezember 1923; s. Borchers, S. 406-410, 596).

Carl Sternheim: "Oscar Wilde"

Carl Sternheims Drama "Oscar Wilde" (1925) basiert auf der in der zweiten Folge dieser Serie besprochenen Biografie von Frank Harris "Oscar Wilde. Eine Lebensbeichte" (1923) und entstand zwischen April und Oktober 1924. Zusammen mit Brechts Stück über Edward II. ist es das Drama, das zu dieser Zeit wohl am deutlichsten auf Homosexualität einging. Aus Sternheims Vorwort wird die Einstellung des Autors deutlich: "Wilde wollte, was heute Millionen Männer Europas begreifen, sein ausgewogenes verantwortliches Leben lieber mit dem gleichgesinnten Mann als dem andersgearteten Weib zu Ende zu bringen."

Sternheims Drama – so Borchers – "behandelt die Ereignisse um Wildes Verurteilung 1895 aufgrund von Homosexualität (…). Die Bedeutung des Werkes liegt in seinem dokumentarischen Charakter, mittels dessen ein prominenter Fall von Homo­sexuellendiskriminierung in den Mittelpunkt eines Theaterstücks gestellt wird. Von 'Entschuldigung' der Neigung und sonstigen Anbiederungen an den Publikumsgeschmack ist das Drama frei; auch promiske Begehrlichkeiten sind unbekümmert geschildert." Die Verurteilung Wildes wegen Homosexualität im Jahr 1895 war nicht nur allgemein bekannt, sondern konnte auch "ungeachtet der historischen und nationalen Distanz" auf die aktuelle Situation von Homo­sexuellen übertragen werden. Dazu gehörten z. B. die Pathologisierung als möglicher "Ausweg, einer Zuchthausstrafe zu entgehen" (Psychiatrie statt Gefängnis), die Erpressungen, die Denunziationen und die Razzien in Homo­sexuellenlokalen.

In ihren Besprechungen der Uraufführung begnügten sich einige Zeitungen in Bezug auf das Thema Homosexualität mit Andeutungen: "Wilde sucht die Gesellschaft von Männern, weil ihm die Frau nicht genügt" ("Westfälische Neueste Nachrichten", 3. April 1925). Wilde stehe für eine neue "Epoche des Hellenismus" ("Hagener Zeitung", 9. April 1925). Andere Zeitungen werden deutlicher: "Von Wildes vernichtender Leidenschaft zu Lord Douglas ist in dem Stück freilich nichts zu spüren, sie ist durch perverse Erotik ersetzt" ("Echo der Gegenwart", 3. April 1925). Die Trans*-Rolle Hugh Dundee wurde bei der Uraufführung mit einer Frau besetzt. Diese Einführung eines "Weibmannes (Mannweibes – wer weiß es)" habe "Ekel" erregt ("Bergisch-Märkische Zeitung", 29. April 1925). Zur Wiederaufführung des Stücks im April 1925 mit Gustaf Gründgens wird betont, dass Sternheim nicht Wildes "erotische(s) Verhalten" bejaht habe und es Sternheim "völlig fern" gelegen habe, die "Tragödie der Homosexualität" zu schreiben. Gründgens wird in seiner Rolle als Oscar Wilde als "glatte Enttäuschung" beschrieben, da er letztendlich doch nur "Eulenbergs Hyazinth" geblieben sei ("Westfälische Neueste Nachrichten", 21. April 1925). Der zweite Halbsatz ist eine Anspielung auf die von Gründgens ebenfalls verkörperte schwule Theaterrolle des Hyazinth in Herbert Eulenbergs Stück "Belinde". Zu weiteren Aufführungen ab dem 9. April 1925 mit Gustaf Gründgens in Hamburg s. Bernhard Rosenkranz / Gottfried Lorenz: "Hamburg auf anderen Wegen" (2005, S. 31-32). (EA: 1925, UA: 31. März 1925; s. a. Borchers, S. 338-348, 599.)


Carl Sternheims Drama "Oscar Wilde"

Ottomar Warlitz: "Schlageter"

Ottomar Warlitz schuf sein Drama "Schlageter" (1924) als Kampfstück für die NS-Volksbühnen und huldigte damit dem realen Titelhelden Albert Leo Schlageter, der seit seinem Tod 1923 eine Märtyrergestalt der faschistischen Bewegung geworden war. Borchers: "In dieser – im übrigen von weiblichen Figuren freien – Version erhält der Gefangene (…) Besuch von seinem Bruder und seinem Freund Fritz Staufer." Einige Szenen rufen – so Borchers – "homo­erotische Assoziationen" hervor, wenn z. B. Schlageter seinem Bruder 'zärtlich übers Haar' streicht" oder wenn betont wird, dass die beiden Männer wie ein Mann "zusammengeschmolzen" seien. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die freundschaftliche und besondere Nähe zwischen Männern in männerbündlerischen und vor allem faschistischen Organisationen nur durch Abgrenzung zur und Ablehnung von Homosexualität möglich ist. Auch wenn das in diesem Drama nicht explizit zur Sprache kommt, muss es mitgedacht werden, damit nicht der irrtümliche Eindruck entsteht, als würde es sich um ein Drama handeln, das der homo­sexuellen Emanzipation dienen könnte (EA: 1924, Aufführungen nicht bekannt; s. Borchers, S. 477-479, 601).

Franz Werfel: "Spiegelmensch"

In "Spiegelmensch" behandelt Franz Werfel den Kampf des Mannes Thamal gegen sein zweites Ich. Thamal wird als Prüfung einem Spiegel gegenübergestellt, wobei sein Spiegelbild ein Eigenleben beginnt. In dem Verhältnis zwischen Thamal und dem Spiegelmenschen sind homo­erotische Elemente gestaltet. Der Spiegelmensch streichelt Thamal und macht ihm Komplimente wie "süßer Freund" und "du mein Guter, mein Süßer". Der Spiegelmensch erscheint Thamal auch in der Maske einer Frau und macht ihm Angebote, die erotisch verstanden werden können. Eine Zeile im Drama – "Dazu kommt (wenn's oft auch Last ist), daß man heute Päderast ist" – geißelt, so Borchers, die Homosexualität als eine dekadente Zeiterscheinung. Der Spiegelmensch ist in diesem Stück als Symbol für Selbstgenuss und niedrige sexuelle Instinkte angelegt (EA: 1920, UA: 15. Oktober 1921, WA: u. a. 13. Dezember 1924 mit Gustaf Gründgens; s. Borchers, S. 96-100, 601).

Paul Zech: "Das trunkene Schiff"

Paul Zech behandelt in "Das trunkene Schiff. Eine szenische Ballade" das Verhältnis der französischen Lyriker Paul Verlaine und Arthur Rimbaud, wobei er sich mit dem ersten Teil seines Titels auf ein gleichnamiges Gedicht von Rimbaud bezieht. Die erste Hälfte des Stücks dominiert die Schilderung ihrer Beziehung, wobei die Liebeserklärungen nur von Verlaine ausgehen, weshalb Borchers zu dem Schluss kommt, dass hier "das Stereotyp des unerwiderten Begehrens eines Älteren gegenüber einem Jüngeren reproduziert" werde. Die Homosexualität – so Borchers – "dient als zusätzliche Kennzeichnung der Antibürgerlichkeit. (…) Zechs Auffassung (von Homosexualität) schwankt zwischen Mitleid, Unentrinnbarkeit und 'Naturirrtum'." Nach Borchers wurden die homo­sexuellen Szenen bei der Uraufführung wohl abgeschwächt. Dazu passt, dass ich keine Presseartikel gefunden habe, die auf die homo­sexuelle Thematik eingehen (EA: 1924, UA: 21. Mai 1926; s. Borchers, S. 225-233 u. a.).

Reinhold Zickel: "Der Tod der Athene"

In Reinhold Zickels Tragödie "Der Tod der Athene" (1921) ist Alkibiades bisexuell. Das Drama habe insgesamt – so Borchers – eine "periphär gestaltete homo­erotische Färbung" und enthalte ein "zaghaft angedeutete(s) Verhältnis zwischen Sokrates und Alkibiades". "In der Schmährede des Nikias auf Alkibiades spielen gerade dessen homo­sexuelle Züge jedoch eine Rolle zum Zweck der sexuellen Denunziation." Mehrere Besprechungen der Uraufführung gingen – erwartbar – nicht auf das Thema Homosexualität ein (EA: 1924, UA: 20. Februar 1924; s. Borchers, S. 208-209, 604).

Der Schauspieler Gustaf Gründgens

Eine der bis heute umstrittensten Personen der damaligen Theaterszene war der Schauspieler, Regisseur und Intendant Gustaf Gründgens (1899-1963). Von allen bekannten Schauspielern verkörperte er auf der Bühne am häufigsten homo­sexuelle Charaktere (Borchers, S. 573), wie u. a. Friedrich II. (1922), den Spiegelmenschen in Franz Werfels "Spiegelmensch" (1924), Oscar Wilde (1925) und Ottfried in Ferdinand Bruckners "Die Verbrecher" (1928). Wegen der "Herabspielung der homo­sexuellen Elemente" in dem Drama "Oscar Wilde" hat Gründgens den Autor Carl Sternheim sogar offen kritisiert (S. 347). Später inszenierte er Klaus Manns "Anja und Esther" (1925), Frank Wedekinds "Frühlings Erwachen" (1926) und Hans Henny Jahnns "Der Arzt / sein Weib / sein Sohn" (1928). In der Öffentlichkeit wurde Gründgens – ab wann ist unklar – als Homo­sexueller angesehen.

In der NS-Zeit machte Gründgens weiter Karriere und wurde Intendant der Preußischen Staatstheater. Ende 1934, vermutlich im Kontext von Ernst Röhms Ermordung und Razzien in Homo­sexuellenlokalen, reichte Gründgens bei seinem Dienstherrn Hermann Göring sein Rücktrittsgesuch ein und verwies dabei indirekt auf seine Homosexualität. Das komplexe Thema der Homosexualität Gründgens' und sein Verhältnis zum Faschismus sind nicht Thema meines Artikels. Sein Wirken auf der Bühne – auch in homo­sexuellen Rollen – ist aber zumindest schon seit Anfang der Zwanzigerjahre dokumentierbar. Zu Gründgens' Bedeutung in der Weimarer Zeit s. u. a. Rosenkranz/Lorenz: "Hamburg auf anderen Wegen" (2005, S. 29-30, 31).

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Die schwule Theatergruppe "Theater des Eros"

In Berlin wurde 1921 das "Theater des Eros" als "Bühnenvereinigung für eigene Kunst" gegründet. Es wollte in emanzipatorischer Absicht im Theater positive homosexuelle Charaktere präsentieren. Borchers (S. 164-177) bezeichnet die von dieser Theatergruppe aufgeführten Stücke als "auffallend rückschrittlich und verzagt" und verweist auf die unterschiedlichen Probleme, mit denen die Gruppe zu kämpfen hatte, wie den Zerwürfnissen innerhalb der Homosexuellenbewegung und dem kaum zu vereinbarenden Anspruch, ein Theater für Schwule sein zu wollen und gleichzeitig Heterosexuelle für das Thema zu sensibilisieren. Es gab auch Probleme mit Behörden, die eine öffentliche Werbung für die Aufführungen unterbanden. Nach Borchers "spricht alles dafür, daß der Versuch, ein eigenständiges, auf Homoerotik spezialisiertes Theater zu errichten, im Sande verlaufen ist. Neben den internen Querelen dürfte hierfür vor allem die künstlerische Dürftigkeit der Unternehmung verantwortlich zu machen sein. An den reproduzierten Klischees nahmen jedoch die wenigsten homosexuellen Rezipienten Anstoß."

Aus den Schwulenzeitschriften geht hervor, dass auch das Jahr 1924 für das "Theater des Eros" von Problemen und Konflikten geprägt war. Im Januar gab es ein Treffen zur Neukonstituierung und im selben Monat löste sich die Gruppe vom Bund für Menschenrecht (BfM), um sich dem Wissenschaftlich-humanitären Komitee (WhK) und der Gemeinschaft der Eigenen (GdE) anzuschließen. Auch die Orte der wöchentlichen Treffen der Gruppe mussten wechseln. Am 18. September wurden die beiden einzigen bekannten Stücke des Jahres gespielt: "Liebe. Eine erotische Katastrophe" und "Das Postamt" von Rabindranath Tagore. Die "Fanfare" (Heft 39, S. 4) wird deutlich: "Neugierige werden gewarnt." Von den Ansprüchen und Wünschen, wie sie in den großen Artikeln "Von den Aufgaben eines Theaters des Eros" ("Hellasbote", Jg. 1924, S. 42-43) und "Das Theater als Produkt des mann-männlichen Eros" ("Der Eigene", Jg. 1924, S. 211-223) formuliert wurden, war diese Theatergruppe offenbar meilenweit entfernt. Die letzten von Borchers genannten Quellen sind von 1924. Bernhard Rosenkranz und Gottfried Lorenz ("Hamburg auf anderen Wegen", 2005, S. 28, 30-31) gehen davon aus, dass das "Theater des Eros" nur bis 1924 bestand.


Die "Fanfare" (Heft 39, S. 4) warnt vor einer Theateraufführung vom "Theater des Eros" am 18. September 1924

Ein Besuch im "Theater des Eros"

Ein Artikel im "Neuen Wiener Journal" (15. Juli 1923) beschreibt eine Aufführung des "Theaters des Eros" im Juli 1923, als von dieser Theatergruppe das (nicht überlieferte) Drama von Reinhold Kluge "Wer ist schuld?" aufgeführt wurde. Diese seltene Beschreibung halte ich für einen der historisch bedeutsamsten Funde, die ich für diese Serie recherchieren konnte. Die Zuschauer sollten mit dem Stück, so der anonyme Autor des Artikels, über all die aufgeklärt werden, die "Anders als die Andern" sind. Zunächst wird die Atmosphäre im Theater beschrieben: Männer mit "geschwungenen Frisuren", "grellen Klamotten", "verschleierten Blicken" und gepuderten Gesichtern, dazu ein Männerparfüm, das "ohne Gasmaske" nicht zu ertragen gewesen sei. Dazu einige als Frauen "verkleidete" Männer. Genauso deutlich wird der Eindruck des Theaterstücks beschrieben: "Dilettanten spielen ein Dilettantenstück, ein Tendenzwerk, (…) leer an Kunst." Der Artikel ist vor allem deshalb bedeutsam, weil er die bisher einzige Quelle ist, die den Inhalt dieses Theaterstücks und die Atmosphäre an einem solchen Abend widerspiegelt. Das Stück wurde nie publiziert und aus der "Fanfare" ist lediglich zu entnehmen, dass es in Berlin am 4. Juni 1923 zur Aufführung kam. Es ist nicht selbstverständlich, dass der Autor des "Neuen Wiener Journals" den negativen Eindruck, den das Drama und die Atmosphäre im Theater auf ihn machte, von der eigenen Einstellung gegenüber Homosexuellen trennen kann. Der Satz "Der Zorn über die Homosexuellen ist eine verschimmelte Torheit, das Lachen über die Homosexuellen ist eine ordinäre Albernheit" erweckt einen unvoreingenommenen Eindruck und entspricht einer Einstellung, die sich die Theatergruppe seit ihrer Gründung 1921 von anderen wünschte.

-w-