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Vater-Sohn-Beziehung
Warum Roman Shamov seinen homophoben Vater trotzdem liebt
In einem neuen Podcast des MDR spricht der schwule Berliner Schauspieler Roman Shamov über die Suche nach seinem Vater. Im Interview mit queer.de ordnet er deren heutige Beziehung weiter ein und gibt Tipps für junge Queers.

Roman Shamov ist Schauspieler, Drag-Künstler und ehemaliger Barkeeper im Berliner Club "Berghain" (Bild: Hannes Caspar)
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5. März 2024, 08:20h 6 Min.
Inzwischen gibt es Podcasts wie Sand am Meer – und viele davon haben nicht gerade Tiefgang. Ganz anders sieht es jedoch bei einem neuen Podcast des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) aus, der den zunächst plump erscheinenden Titel "Familiengeheimnisse" trägt. Denn in insgesamt zehn Folgen begleitet die mehrfach ausgezeichnete Journalistin Thembi Wolf ihre Gesprächspartner*innen auf einer Reise zurück in ihre bewegten Vergangenheiten.
Im Zentrum steht stets ein familiäres Geheimnis, das direkt aus erster Hand erzählt wird. So wie die Geschichte des Berliner Schauspielers Roman Shamov (55), der lange Zeit auf der Suche nach seinem Vater war – und ihn tatsächlich gefunden hat. Leider jedoch mit der Erkenntnis, dass dieser sehr homofeindlich eingestellt ist und seinen Sohn nicht so akzeptieren will wie er ist.
Die Folge ist seit dem 5. März 2024 kostenfrei in der ARD-Audiothek erhältlich. queer.de sprach vorab mit dem ehemaligen Berghain-Barkeeper und hakte an der ein oder anderen Stelle noch mal genauer nach.
Roman, wie schwer ist es dir gefallen, im Podcast "Familiengeheimnisse" deine Familiengeschichte "aufzuarbeiten"? Und gibt es vielleicht einen Aspekt, den du im Nachhinein gerne noch ergänzt hättest?
Da ich schon eine Weile mit meiner Geschichte und meinem Buch "Krawall in mir" unterwegs bin, war es mir eine Freude, auch in diesem Rahmen ein bisschen was erzählen zu dürfen. Es gibt so viele Aspekte meines Lebens, das Aufwachsen im Osten Berlins, meine Zeit in New York, Tokio, Großbritannien und Istanbul, all diese Erlebnisse im Großen und im Kleinen, da bleiben immer extrem viele Aspekte offen und lassen sich oft, aus Mangel an Zeit nur schwerlich ergänzen.
Wie sehr beschäftigt dich deine persönliche Familiengeschichte denn heute noch im Alltag?
Immer wieder und wieder, denn meine Verhaltensmuster wurden doch sehr von meiner Familiengeschichte geprägt, und ich bin, mich für meinen Umgang mit meinen Mitmenschen sehr interessierend, immer wieder sehr mit meinen eigenen Aktionen und Reaktionen auf meine Umwelt konfrontiert.
In der ersten Hälfte des Podcasts geht es kaum um deine Homosexualität. War es für dich damals (zunächst) wichtiger, deinen Vater kennenzulernen, als dich selbst zu "erkunden"?
Ich habe meinen Vater sozusagen über eine schwule Datingseite gefunden. Meine sexuellen Interessen sind also sehr eng mit der Suche nach meinem Vater verbunden, darüber haben wir irgendwie nur nicht gesprochen an der Stelle.
Als du deine jüdische Familie in New York besucht hast, warst du auch auf einigen feuchtfröhlichen schwulen Partys. Die Moderatorin Thembi Wolf erwähnt an dieser Stelle, dass du hierauf nicht näher eingehen wolltest. Was ist der Grund dafür?
Mein paralleles Leben und Erleben in New York ist so reichhaltig, dass es schon eine Weile den Plan gibt, einen ganzen Film darüber zu machen, deshalb halte ich mich da gerade noch etwas zurück. Ich habe gleichzeitig meine jüdisch-ultraorthodoxe Familie kennengelernt und das Wiedererwachen der schwulen Subkultur miterleben dürfen, nachdem sie Anfang der 1990er Jahre sehr rigorosen Restriktionen unterworfen war.
Wie sehr hat dir deine Zeit in New York aber (dennoch) geholfen, dich und deine sexuelle Orientierung zu "entdecken" und zu dir zu stehen?
New York war eine Initialzündung für mich, so eine intensive Zeit miterleben zu können, kurz nach dem Mauerfall, das war wirklich der Hammer. Meinen Frieden mit mir und meinen zutiefst innersten Bedürfnissen hab ich aber erst vor zwanzig Jahren bei und mit meinem Mann gefunden.
An einer Stelle im Podcast heißt es, dass ein Coming-out und eine ultraorthodoxe Familie meist nicht zusammenpassen. Würdest du sagen, dass dies auch heute noch der Fall ist?
Da fehlt mir ein bisschen die reale Erfahrung, aber ich glaube, dass es auch heute noch sehr schwer sein kann, aus intensiv festgestampften Erfahrungen, unterbewusst weitergegebenen Überlebensstrategien und auch aus kulturellen Übertragungen auszubrechen.

Der Podcast "Familiengeheimnisse – Sag mir, wer ich bin" von Thembi Wolf startete am 27. Februar 2024 und ist in der ARD-Audiothek abrufbar
Was würdest du jungen Menschen raten, die in einer ultraorthodoxen oder sehr homophoben Familie aufwachsen – insbesondere in Bezug auf deren Coming-out und das Ausleben deren Sexualität?
Gib dir Zeit, lass dich selber erst einmal richtig verstehen, was du fühlst und was dein Weg sein könnte. Du bist die Nummer eins in deinem Leben! Deine Eltern, deine Geschwister, dein ganzes soziales Umfeld versteht sich oft selber gar nicht genug, um auf dich und deine Bedürfnisse eingehen zu können. Wenn du kannst, gehe sanft mit dir um.
Obwohl du Ablehnung von deinem Vater erfahren hast, würdest du ihn gerne wiedersehen und in den Arm schließen. Bräuchte es hierfür nicht das Gefühl, dass er deine Sexualität vollumfänglich akzeptiert und dich so liebt, wie du bist?
Ich spüre meinen Vater und die Verbindung zu ihm tief in mir. Klar wäre es schön, wenn er mein Leben so akzeptieren könnte wie es ist, aber ich kann und will ihn auch nicht dazu zwingen, seine, wahrscheinlich auch mühsam und manchmal qualvoll errichteten Mauern einfach so einzureißen. Aber ich werde ihm auch nicht gestatten, mich dazu zu bringen, ihn nicht zu lieben. Denn das ist, zumindest in meiner eigenen Tiefe, nur meine ureigenste Angelegenheit. Es tut mir sehr leid, dass er auf Grund seiner eigenen eingeschränkten Weltsicht verpasst, einen so tollen Sohn zu haben (sagt meine Cousine aus Aserbaidschan).
Gibt es denn inzwischen vielleicht schon konkrete Pläne für ein Wiedersehen – vielleicht als "Ansporn" nach der Podcast-Aufzeichnung?
Gleich nach der Aufzeichnung des Podcasts gab es genau dieses Wiedersehen. Meine Cousine aus Aserbaidschan lebt mit ihrem Mann und ihrem Sohn hier in Berlin und wir sehen uns oft und sind so richtig Familie geworden. Eines Abends, an dem ich bei ihr zu Besuch war, skypt sie mit ihrer Mama und ihrer Familie – und mein Vater ist auch in Moskau bei ihnen zu Besuch, das Handy wird herumgereicht, in Berlin und in Moskau und zong, auf einmal halten mein Vater und ich gleichzeitig das Telefon in der Hand und im selben Augenblick leuchtet auf beiden Seiten der Skype-Verbindung ein ultrahelles Licht auf, in dem Moment, indem sich unser beider Augen treffen ist die Freude, die Liebe und die Verbindung zwischen uns so groß, dass nicht nur uns beiden vor Berührung die Tränen in die Augen steigen. Alle haben es bemerkt, auf beiden Seiten. Wir haben sehr "geschnieft".
Lass uns zum Ende noch auf ein vermutlich witzigeres Thema zu sprechen kommen: Es wird im Podcast auch erwähnt, dass du als Barkeeper im Berghain gearbeitet hast. Kannst du uns hier vielleicht eine lustige oder unerwartete Anekdote erzählen?
Bei einer der Weihnachtsfeiern des ganzen Teams im Berghain bin ich mit meiner Freundin und Bandpartnerin Luci van Org mit unserer Band Meystersinger aufgetreten. Wir haben unter anderem einen Song gesungen, den ich für meine Mama geschrieben habe: "Geht's dir gut da, wo du bist?!" Das bei all den coolen und manchmal doch auch recht abgeklärten Menschen meines Kolleg*innenkreises so viele von ihnen weinend zu uns gekommen sind und sich dafür bedankt haben, das hat mich doch sehr überrascht und berührt.
Neben Roman Shamov sprechen auch noch weitere queere Personen im MDR-Podcast über ihre Familiengeheimnisse. Die Folgen erscheinen stets in der ARD-Audiothek.














