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Kommentar
Wie sollen Deutschlehrer*innen über Kim de l'Horizon sprechen?
Nur einen Tag nach dem Trans Day of Visibility wird am 1. April in Bayern der Genderstern verboten. Obwohl es sogar rechtlich vier mögliche Geschlechtseinträge in Deutschland gibt, erklärt der Freistaat Binarität zur Norm.

Buchpreisträger*in Kim de l'Horizon im Oktober 2022 auf der Frankfurter Buchmesse (Bild: IMAGO / Hartenfelser)
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31. März 2024, 12:47h 6 Min.
Schon wieder ein Jahr rum seit dem letzten Trans Day of Visibility, und anstatt dass das Selbstbestimmungsgesetz menschenwürdigere Formen angenommen hat, lässt sich lieber ein weiteres Bundesland "nicht den Mund verbieten", dafür aber den Asterisk, ein Name, der im Klang an einen gewissen frechen Gallier der Popkultur erinnert, um den kein*e Schüler*in im Lateinunterricht drum rum kam. Auch bekannt als sogenannter Genderstern und gehasst, geliebt, gefürchtet, als Symbol einer "Genderideologie" verschrien und als Zeichen der Sichtbarkeit gefeiert, alles zufällig gleichzeitig.
"Durch die Mühsal zu den Sternen", heißt es doch so schön, doch für die Beamt*innen in Bayern heißt es ab April vielleicht genau das Gegenteil, denn es werde "Konsequenzen" geben, sollte man sich gegen die geänderte Allgemeine Geschäftsordnung hinwegsetzen. Klingt wie ein schlechter Aprilscherz, aber zumindest noch knapp am diesjährigen Trans Day of Visibility vorbei: Einmal dürfen die Beamt*innen noch, einmal noch konsequenzfrei die Sichtbarmachung aller Geschlechter mit einem Stern markieren.
Kein Zaubertrank für den kleinen Asterisk
Seitdem die Normvorgabe keinen Tag zu spät die Runde gemacht hat, sitzen die ohnehin schon an Lehrkräftemangel leidenden Lehrer*innen da und brüten über ihren Arbeitsmaterialien, um sie an die neue Norm anzupassen, was wiederum selbst auch wie ein weiterer Aprilscherz anmutet, im "Wie-verschleudert-man-die raren-Kapazitäten-der Lehrer*innen-101" und man macht den Lehrberuf noch unattraktiver, als er mit Kürzung der Teilzeit und Gebot der Dauermehrarbeit ohnehin schon ist. Denn es gibt sie nämlich, die Lehrer*innen, die ihre Schülys jenseits der binären Geschlechternorm sichtbar werden lassen wollen, auch in Bayern.
Für all diese schreibe ich gerade meine Workshop-Materialien zur trans*-inklusiven Sprache um und füge ein, wie man trotz Verbot von Sternchen, Gap und Binnen-I und trotz des expliziten Verweises auf die binären Formeln und das generische Maskulinum, kurzum sich um die geforderte sichtbare Binaritätsnorm "wurschteln" kann; ohne die "Konsequenzen" zu fürchten – falls man nun auf die Idee käme, da wäre doch einmal auch die Option des generischen Femininums erfrischend, aber nein, diese Empfehlung sucht man in dem Rat zur Regelung stattdessen vergebens.
Doch da ich nicht gerade einen Zaubertrank brauen kann für den kleinen Asterisk, bleibt da nicht viel übrig zwischen Substantivierungen und dem Zusatz "und alle, die sonst nicht von der binären Formel angesprochen wären".
Raum machen für alle, die sonst unsichtbar bleiben
Alle Wörter sind erfunden und jede Sprache eine Kunstfertigkeit, die sich kreativ weiterentwickelt. Und doch solle gendergerechtes Sprechen "keine sprachlichen Künstlichkeiten" erzeugen? Zu kreativ ist er wohl, der Stern des Geschlechterhimmels, schließlich ist kreativ etwas das per definitionem "neu und brauchbar" ist. Brauchbar ist er, nämlich um Raum zu machen für alle, die sonst unsichtbar bleiben.
Doch eigentlich nicht wirklich neu. Gerade den Beamt*innen ist er doch nur zu gut bekannt: Als Kennzeichnung von Pflichtfeldern, Fußnoten, als genealogisches Zeichen – ein Platzhalter eben. Überall dort, wo Platz freigehalten werden soll für die Fülle an Möglichkeiten. Und nichts anderes macht er, der kleine Asterisk im Wortinneren. Er hält den Platz frei in der Mitte des Wortes, für all diejenigen, die sonst nie gesehen werden.
Marginalisierte Gruppen werden gegeneinander ausgespielt
"Verständlich bleiben" und "lesbar sowie vorlesbar sein, auch mit Blick auf Blinde und Sehbehinderte", soll die Sprache. Ob die Vorlesbarkeit durch einen Verzicht auf den Asterik deutlich erhöht wird, will ich hier nicht ausführen und sei auch erstmal dahingestellt. Bei Screenreadern kommt es auf die Software an und auf die individuelle Einstellbarkeit, wie ein Asterisk vorgelesen wird. Doch als intersektional und von Mehrfachdiskriminierung betroffene Person weiß ich aber, wann Akzessibilitätsgedanken und Barrierefreiheit plötzlich eine Rolle spielen, wo sie doch sonst wie üblich so unachtsam und versehentlich übergangen werden: Bei Diskussionen um Emissionswerte von Kraftfahrzeugen und eben um Genderdebatten mit Gendersternchen werden nämlich behinderte Personen plötzlich zum Argument, wo sie doch sonst nie zum Argument werden, wenn es wirklich um Barrierefreiheit und Inklusion gehen sollte.
Mich beschleicht die Vermutung, dass "nothing without us about us" auch hier wieder wie üblich sicher mal nicht die Devise war. Und auch das liest sich so Whataboutism-verdächtig wie ein schlechter Aprilscherz, fast wie ein plattes "Denkt denn dabei niemand an die Behinderten?!" Denn Personen mit Behinderungen werden faktischerweise immer dann auch noch als Totschlag-Argument, das den Charme eines Battles "Trans vs. Disabled" versprüht, her zitiert, wenn letztlich nur noch ein paar Babys und traurige Hundewelpen das ableistische Mitleidsnarrativ in der Argumentation toppen könnten.
Wer eine marginalisierte Gruppe gegen eine andere marginalisierte Gruppe ausspielt, verdient sich hier keinen Stern. Wenn Barrierefreiheit wirklich endlich ein ernsthaft angestrebtes Ziel geworden wäre, ist es sinnvoller, man würde hierbei mit gleicher Vehemenz seine Energie für Alternativtexte, Bildbeschreibungen und leichte Sprache aufwenden, letztere, die wie man an der Vielfalts-Fibel sieht, auch mit einem Asterisken funktioniert. Diese Energie ist besser aufgehoben in der Empörung über die täglichen, mitten auf dem Gehweg hinterlassenen E-Roller. Oder in Werkstätten, die wirklich das Ziel erfüllen, Menschen auf dem regulären Arbeitsmarkt zu inkludieren, welches ja nach wie vor in den Sternen steht.
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Die Existenz nicht-binärer Geschlechter ist eine gesellschaftliche Tatsache
Die Normvorgabe sieht vor, jede von Schüler*innenseite asteriskgegenderte Formulierung als "Normabweichung" zu markieren, zwar ohne Konsequenzen einer schlechteren Bewertung, aber wohl mit dem deutlichen Signal: Es gibt eine Norm und diese sei binär und dyadisch.
Man muss ihn nicht mögen, den Namensgeber des Protagonisten eines franco-belgischen Comics, der unermüdlich gegen die römische Unterdrückung kämpft. Aber man kann zumindest anerkennen, dass er vielen Menschen viel bedeutet. Die Existenz nicht-binärer Geschlechter ist eine gesellschaftliche Tatsache, die rechtliche Existenz von inter* Personen im Personenstand anerkannt. Rein rechtlich gibt es vier mögliche Geschlechtseinträge in Deutschland. Nicht nur zwei. Weshalb wird also die binäre Paarformel empfohlen, wenn es sogar auf legaler Ebene mehr als zwei Geschlechter gibt? Wie sollen Deutschlehrer*innen über Autor*innen wie Kim de l'Horizon sprechen, wie über Sibylle Berg?
Wenn Amtssprache ja eh schon immer kompliziert und Sprache ein kreatives Set sich neu erfindender Künstlichkeiten war, es gar nicht vorrangig um Abbau von Barrieren und Ableismus ging und nichtbinäre und inter* Personen existieren, inwiefern bleiben geschlechtergerechte Texte "sachlich korrekt", wenn sie diese Lebensrealitäten nicht abbilden können? Wie sollen nicht-binäre trans Schülys und inter* Schüler*innen sprachlich in der Schule sichtbar gemacht werden? Ich denke, ich bin gerade sehr nah an etwas dran.
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